Vertrauen

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Jörn Budesheim
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Mi 21. Apr 2021, 07:47

Wir betrachten einen Gegenstand g. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, was passiert, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen. Wenn wir eine Zutat entfernen können, ohne dass es einen wesentlichen Einfluss auf den Gegenstand g hat, dann haben wir es offenbar nicht mit einer wesentlichen Zutaten zu tun. Anders sieht es aus, wenn sich zeigt dass eine bestimmte Zutat nicht zu entfernen ist, ohne dass der Gegenstand in seinem Wesen beeinträchtigt wird.




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AndreaH
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Für mich wäre Ehrlichkeit eine von diesen Zutaten, die zu Vertrauen gehören.




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infinitum
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Mi 21. Apr 2021, 10:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Apr 2021, 10:02
kleinen Gedankenexperiment
Beim Durchlesen des Threads ist mir was aufgefallen: bisher wurde nur eine Seite betrachtet: die Seite, die Vertrauen hat und auch gewisse Gegenleistungen dafür erwartet, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist und auch wurden Szenarien erstellt, wann kein Vertrauen angebracht ist und wie es sich anfühlt, kein Vertrauen zu haben oder es zu verlieren.
Aber was ist mit der anderen Seite: die Perspektive, der Vertrauen entgegen gebracht wird, hier stellt sich dann die Frage: wie fühlt sich diese Seite an und wie geht diese mit Vertrauen oder Misstrauen um. Dies hängt wahrscheinlich von der Einstellung der Person selbst ab, sie kann diesem Vertrauen konstruktiv begegnen oder auch missbrauchen.



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Jörn Budesheim
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transfinitum hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 10:57
Aber was ist mit der anderen Seite
Die Frage ist in wen oder in was man jeweils vertraut. Wenn ich in den Bus steige, muss ich auf vieles vertrauen, auch auf den Fahrer oder die Fahrerin, obwohl ich sie in der Regel gar nicht kenne. Vertraut man hier in diese Person oder eher in die Institution? Das beantwortet aber nicht deine Frage, das ist mir klar. Ich denke aber, dieser Aspekt ist dafür von belang.




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Alethos
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Mi 21. Apr 2021, 21:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 07:47
Wir betrachten einen Gegenstand g. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, was passiert, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen. Wenn wir eine Zutat entfernen können, ohne dass es einen wesentlichen Einfluss auf den Gegenstand g hat, dann haben wir es offenbar nicht mit einer wesentlichen Zutaten zu tun. Anders sieht es aus, wenn sich zeigt dass eine bestimmte Zutat nicht zu entfernen ist, ohne dass der Gegenstand in seinem Wesen beeinträchtigt wird.
Den Gedankengang verstehe ich und vielleicht sogar deine Motivation. Aber ich habe da meine Bedenken, den Gegenstand g so zu denken, als gebe es von ihm eine wesentliche Version mit ein paar unwesentlichen Eigenschaften. Alles an ihm gehört doch wesentlich zu ihm als dieser Gegenstand g. Nehmen wir etwas von ihm weg, so unwesentlich es uns erscheint, ist er nicht mehr der Gegenstand g, sondern ein veränderter. Das Wesen der Veränderung ist es ja, g in verschiedenen Instantiierungen, die ursprünglich g sind, also modifizierte Versionen von ihm hervorzubringen. Durch diese Veränderungen hindurch erkennen wir zwar g als g, jedoch nur im Vertrauen darauf, dass wir von g auf g1, g2 usw. schliessen können. Vertrauen nötigt uns keinen Konservativismus auf in der Art, dass wir uns g als im wesentlichen Kern trotz aller Veränderung erhalten vorstellen müssen. Vertrauen erzeugt sich doch auch durch die robuste Wandelbarkeit der Existenz von g.

Bei Ereignissen gilt doch z.B. auch, dass ausnahmslos alle ihre Teilmomente notwendig und hinreichend zugleich sind dafür, dass sie stattfinden. Mit anderen Worten: Ein Ereignis ist notwendig dieses Ereignis, weil alle seine Teilmomente hinreichend sind dafür, dass es überhaupt ist. Dasselbe gilt doch auch für Dinge, dass alle ihre Eigenschaften notwendig und hinreichend dafür sind, dass sie diese sind. Dadurch, dass sie sind, ist die Notwendigkeit aller Eigenschaften gegeben, durch die sie sind. Und das können ändernde Eigenschaften sein, wodurch sie aber notwendig stets andere, sich wandelnde Dinge sind, weil eben alle Eigenschaften notwendig zu den Dingen gehören, durch die sie diese, auch jene, die sie nicht oder nicht mehr haben.

Das mag vielleicht alles falsch sein, aber mein Punkt ist der: Vertrauen fällt nicht zusammen mit Konservativismus (den ich dir auch nicht unterstelle), also mit einer Einstellung, dass man sich verlassen kann auf etwas, weil es immer so war oder immer so ist. Vertrauen kann auch dort zum Tragen kommen, wo wir trotz aller tiefgreifender Veränderung das Wesentliche erkennen: dass Dinge real sind, auch in ihrer Progressivität, in ihrem Wandel. Die Begriffe sind zwar real, dank denen wir uns die Dinge als Einheiten denken können, weil sie intensional vereinigt sind zu Begriffen, aber das Wesentliche an ihnen ist nicht dieses Starre, das sie als Einheiten zeichnet, sondern das Fliessende, das Unabgeschlossene, das nach vorne Offene.

Unsere Vorstellungen von den Dingen als durch die Veränderungen hindurch mit sich selbst identischen, das ist sozusagen ein Vertrauensvorschuss in die Realität, dass sie sich wirklich wandelt.

Eine Wolke als vielleicht extremes Beispiel wird doch nie einfach dieser Begriff „Wolke“ (dieser Gegenstand g) sein, weil sie sich immer verändert. Aber das gilt für alles, auch für das weniger flüchtige, dass es sich verändert in den kleinsten Momenten seines wesentlichsten Seins. Darauf können wir vertrauen, dass sich daran nichts ändert.

Dieser Einwand ist vielleicht auch nur Ausdruck meines Vorbehalts gegen den Begriff der Wesentlichkeit, der sich bei mir einstellt wegen meines Vertrauens in die Individualität der Dinge: Wesentlich sind sie als Unikate, weshalb nichts unwesentlich an ihrer Einzigartigkeit sein kann. Das Unwesentliche, könnte man auch sagen, das gibt es nicht, wie es das Nichtseiende nicht gibt, weil das Wesen der individuellen Dinge sich aus Eigenschaften einstellt, die sich notwendig und hinreichend ereignen zu diesen Dingen. Diese Eigenschaften sind es, auch wenn sie von ihm wegfallen oder zu ihm hinzukommen, die sie zu diesen Unikaten machen und sofern sie Dinge sind, also existieren, gehören seine Eigenschaften allesamt notwendig zu ihm, auch die, die er nicht oder nicht mehr hat. Wesentlich ist also auch die Differenz der Einigen zu sich selbst im Lauf ihres Fortdauerns, sofern sie Veränderliche sind. Ob sie nun veränderlich sind oder nicht, sofern sie sind, muss alles wesentlich an ihren Erscheinungsformen sein. Damit will ich ja auch nicht sagen, dass ich nicht mit mir selbst identisch wäre oder der Mars nicht immer der Mars wäre. Denn auch, wenn ein wenig Staub von ihm weggeweht wird und er nicht immer die Eigenschaft hat, so und so viel zu wiegen oder ich mich mit jeder Sekunde auf mollekularer Ebene verändere, so bin ich mit lir selbst und der Mars mit sich identisch - alle
Dinge sind mit sich selbst identisch, auch wenn sie sich verändern. Ich will also vielmehr sagen, dass die Wesentlichkeit der Dinge nicht darin zum Ausdruck kommt, dass wir sie mit Eigennamen wie „Gegenstand g“, „Mars“ oder Begriffen wie „Ich“, „Du“ „Haus“ etc. fixieren, auch wenn sie etwas anderes zu suggerieren scheinen.



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Mi 21. Apr 2021, 23:06

AndreaH hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 10:25
Für mich wäre Ehrlichkeit eine von diesen Zutaten, die zu Vertrauen gehören.
Und für mich ist es Toleranz (gegenüber einer anderen Meinung und Einstellung), die Ehrlichkeit und somit Vertrauen ermöglicht.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Mi 21. Apr 2021, 23:27

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 06:12
Meines Erachtens vergisst man die Realität nicht, wenn man sie besser erkennt.
Das ist sicherlich richtig, nicht zuletzt, weil wir hier ja philosophieren (wollen).
Mir ging es darum, dass man bei einer Idealisierung nicht vergisst, dass man idealisiert, also dass Ergebnisse/Konsequenzen/... aus idealisierten Annahmen heraus ggf. nicht (viel) mit der Realität zu tun haben.



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Do 22. Apr 2021, 06:12

Burkart hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 23:27
Mir ging es darum, dass man bei einer Idealisierung nicht vergisst, dass man idealisiert, also dass Ergebnisse/Konsequenzen/... aus idealisierten Annahmen heraus ggf. nicht (viel) mit der Realität zu tun haben.
Von welcher Idealisierung sprichst du?

Es ist schließlich keine Idealisierung, wenn ich mir überlege, auf was ich alles vertrauen kann und vertrauen können muss, damit so etwas wie ein Schlendern in der Fußgängerzone möglich ist.

Es ist auch keine Idealisierung, wenn ich darüber nachdenke, dass ich darauf vertrauen kann und auch vertrauen können muss, dass der Busfahrer sich auf seinen Job versteht und sich an die nötigen Regeln hält, damit es so etwas wie ÖPNV geben kann.

In der Fußgängerzone schlendern und Busfahrten sind keine Idealisierungen.




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Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Eine Wolke als vielleicht extremes Beispiel wird doch nie einfach dieser Begriff „Wolke“ (dieser Gegenstand g) sein, weil sie sich immer verändert.
Gut, nehmen wir dieses Beispiel und die Veränderlichkeit. Entfernen wir den Aspekt der Veränderlichkeit, haben wir es nicht mehr mit einer Wolke zu tun. Etwas was sich nicht ändert, kann keine Wolke sein. Also haben wir hier einen wesentlichen Aspekt gefunden. Dementsprechend muss es auch genau umgekehrt heißen: dieser Gegenstand g kann nur deshalb unter dem Begriff "Wolke" fallen, weil er sich immer verändert.




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Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Konservativismus
Den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Konservativismus verstehe ich nicht. Man kann doch auch auf den Sieg des Sozialismus vertrauen?




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Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 07:47
Wir betrachten einen Gegenstand g. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, was passiert, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen.
Alles an ihm gehört doch wesentlich zu ihm als dieser Gegenstand g
Ich verstehe aber deinen Einwand. Ich versuche noch mal etwas präziser zu formulieren: Wir betrachten einen Gegenstand, der unter dem Begriff g fällt. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, ob er immer noch unter den Begriffen g fällt, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen ...




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 07:53
Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 07:47
Wir betrachten einen Gegenstand g. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, was passiert, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen.
Alles an ihm gehört doch wesentlich zu ihm als dieser Gegenstand g
Ich verstehe aber deinen Einwand. Ich versuche noch mal etwas präziser zu formulieren: Wir betrachten einen Gegenstand, der unter dem Begriff g fällt. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, ob er immer noch unter den Begriffen g fällt, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen ...
Danke für deine Präzisierungen. Da es sich um eine vielleicht nebensächliche Diskussion handelt, können wir sie gerne auch andernorts vertiefen.
Meine Frage war eher, ob wir diese a, b, c, d wirklich benennen können, um die Wesentlichkeit eines konkreten Dings zu erfassen. Anders gefragt: Ergibt sich die Wesentlichkeit eines Dings dadurch, dass es unter einen bestimmten Begriff fällt, sodass dieser Begriff (g) bestimmt, was seine wesentlichen Eigenschaften sind? Oder ist die Wesentlichkeit dasjenige am Ding, was überhaupt möglich macht, dass er unter einen wie auch immer gearteten Begriff, d.h. unter diesen oder einen anderen fallen kann?

Wenn wir sagen, dass ein Gegenstand g wesentlich g dadurch ist, dass er unter den Begriff g fällt, dann verstehen wir sein Wesen durch die wesentlichen Eigenschaften der Dinge, die unter den Begriff g fallen. Aber wir verstehen dadurch nicht, dass er auch unter einen Begriff a, b, c oder k fallen kann. Wir erfassen darüber hinaus ja auch nicht, dass er unter viele verschiedene Begriffe zugleich fällt. Diese Rose fällt ja nicht nur unter die Begriffe "das Rote" und "das Grüne" und "das Biologische", sondern auch unter ganz viele andere Begriffe, die ihn wesentlich auszeichnen als diesen konkreten Gegenstand, z.B. "das Schöne", "das sich in meiner Vase Befindliche", "Geschenke einer lieben Person an mich" etc. Das sind alles extrem komplexe begriffliche Strukturen, in denen sich diese Dinge "aufhalten". so dass wir sie in ihrer Wesentlichkeit - als Individuelle und Einzigartige - doch gar nie nur unter den Grenzen eines einzelnen Begriffs g denken können, weil sie sich in der hyperkomplexen Gemengelage von Begriffsgrenzen, die sich überlagern können, als Individuierte zeigen.



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AndreaH
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transfinitum hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 10:57
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Apr 2021, 10:02
kleinen Gedankenexperiment
Beim Durchlesen des Threads ist mir was aufgefallen: bisher wurde nur eine Seite betrachtet: die Seite, die Vertrauen hat und auch gewisse Gegenleistungen dafür erwartet, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist und auch wurden Szenarien erstellt, wann kein Vertrauen angebracht ist und wie es sich anfühlt, kein Vertrauen zu haben oder es zu verlieren.
Aber was ist mit der anderen Seite: die Perspektive, der Vertrauen entgegen gebracht wird, hier stellt sich dann die Frage: wie fühlt sich diese Seite an und wie geht diese mit Vertrauen oder Misstrauen um. Dies hängt wahrscheinlich von der Einstellung der Person selbst ab, sie kann diesem Vertrauen konstruktiv begegnen oder auch missbrauchen.
Das was du hier ansprichst, denke ich ist ein sehr wichtiger Punkt. Ich finde, es hat sehr große Auswirkungen auf die Seite, der Vertrauen oder Misstrauen entgegen gebracht wird.

Wenn man Selbstvertrauen betrachtet, sieht man welche Auswirkungen es auf die eigenen Kräfte hat.

Aber auch beim Vertrauen oder Misstrauen, welches einer Person entgegen kommt, kann das sehr große Auswirkungen haben.




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AndreaH
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Do 22. Apr 2021, 10:04

Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 07:47
Wir betrachten einen Gegenstand g. Wir vermuten, dass er aus den Zutaten a, b, c, d ,... besteht. Jetzt können wir uns fragen, was passiert, wenn wir einige dieser Zutaten oder Kombinationen davon entfernen. Wenn wir eine Zutat entfernen können, ohne dass es einen wesentlichen Einfluss auf den Gegenstand g hat, dann haben wir es offenbar nicht mit einer wesentlichen Zutaten zu tun. Anders sieht es aus, wenn sich zeigt dass eine bestimmte Zutat nicht zu entfernen ist, ohne dass der Gegenstand in seinem Wesen beeinträchtigt wird.
Den Gedankengang verstehe ich und vielleicht sogar deine Motivation. Aber ich habe da meine Bedenken, den Gegenstand g so zu denken, als gebe es von ihm eine wesentliche Version mit ein paar unwesentlichen Eigenschaften. Alles an ihm gehört doch wesentlich zu ihm als dieser Gegenstand g. Nehmen wir etwas von ihm weg, so unwesentlich es uns erscheint, ist er nicht mehr der Gegenstand g, sondern ein veränderter. Das Wesen der Veränderung ist es ja, g in verschiedenen Instantiierungen, die ursprünglich g sind, also modifizierte Versionen von ihm hervorzubringen. Durch diese Veränderungen hindurch erkennen wir zwar g als g, jedoch nur im Vertrauen darauf, dass wir von g auf g1, g2 usw. schliessen können. Vertrauen nötigt uns keinen Konservativismus auf in der Art, dass wir uns g als im wesentlichen Kern trotz aller Veränderung erhalten vorstellen müssen. Vertrauen erzeugt sich doch auch durch die robuste Wandelbarkeit der Existenz von g.

Bei Ereignissen gilt doch z.B. auch, dass ausnahmslos alle ihre Teilmomente notwendig und hinreichend zugleich sind dafür, dass sie stattfinden. Mit anderen Worten: Ein Ereignis ist notwendig dieses Ereignis, weil alle seine Teilmomente hinreichend sind dafür, dass es überhaupt ist. Dasselbe gilt doch auch für Dinge, dass alle ihre Eigenschaften notwendig und hinreichend dafür sind, dass sie diese sind. Dadurch, dass sie sind, ist die Notwendigkeit aller Eigenschaften gegeben, durch die sie sind. Und das können ändernde Eigenschaften sein, wodurch sie aber notwendig stets andere, sich wandelnde Dinge sind, weil eben alle Eigenschaften notwendig zu den Dingen gehören, durch die sie diese, auch jene, die sie nicht oder nicht mehr haben.

Das mag vielleicht alles falsch sein, aber mein Punkt ist der: Vertrauen fällt nicht zusammen mit Konservativismus (den ich dir auch nicht unterstelle), also mit einer Einstellung, dass man sich verlassen kann auf etwas, weil es immer so war oder immer so ist. Vertrauen kann auch dort zum Tragen kommen, wo wir trotz aller tiefgreifender Veränderung das Wesentliche erkennen: dass Dinge real sind, auch in ihrer Progressivität, in ihrem Wandel. Die Begriffe sind zwar real, dank denen wir uns die Dinge als Einheiten denken können, weil sie intensional vereinigt sind zu Begriffen, aber das Wesentliche an ihnen ist nicht dieses Starre, das sie als Einheiten zeichnet, sondern das Fliessende, das Unabgeschlossene, das nach vorne Offene.

Unsere Vorstellungen von den Dingen als durch die Veränderungen hindurch mit sich selbst identischen, das ist sozusagen ein Vertrauensvorschuss in die Realität, dass sie sich wirklich wandelt.

Eine Wolke als vielleicht extremes Beispiel wird doch nie einfach dieser Begriff „Wolke“ (dieser Gegenstand g) sein, weil sie sich immer verändert. Aber das gilt für alles, auch für das weniger flüchtige, dass es sich verändert in den kleinsten Momenten seines wesentlichsten Seins. Darauf können wir vertrauen, dass sich daran nichts ändert.

Dieser Einwand ist vielleicht auch nur Ausdruck meines Vorbehalts gegen den Begriff der Wesentlichkeit, der sich bei mir einstellt wegen meines Vertrauens in die Individualität der Dinge: Wesentlich sind sie als Unikate, weshalb nichts unwesentlich an ihrer Einzigartigkeit sein kann. Das Unwesentliche, könnte man auch sagen, das gibt es nicht, wie es das Nichtseiende nicht gibt, weil das Wesen der individuellen Dinge sich aus Eigenschaften einstellt, die sich notwendig und hinreichend ereignen zu diesen Dingen. Diese Eigenschaften sind es, auch wenn sie von ihm wegfallen oder zu ihm hinzukommen, die sie zu diesen Unikaten machen und sofern sie Dinge sind, also existieren, gehören seine Eigenschaften allesamt notwendig zu ihm, auch die, die er nicht oder nicht mehr hat. Wesentlich ist also auch die Differenz der Einigen zu sich selbst im Lauf ihres Fortdauerns, sofern sie Veränderliche sind. Ob sie nun veränderlich sind oder nicht, sofern sie sind, muss alles wesentlich an ihren Erscheinungsformen sein. Damit will ich ja auch nicht sagen, dass ich nicht mit mir selbst identisch wäre oder der Mars nicht immer der Mars wäre. Denn auch, wenn ein wenig Staub von ihm weggeweht wird und er nicht immer die Eigenschaft hat, so und so viel zu wiegen oder ich mich mit jeder Sekunde auf mollekularer Ebene verändere, so bin ich mit lir selbst und der Mars mit sich identisch - alle
Dinge sind mit sich selbst identisch, auch wenn sie sich verändern. Ich will also vielmehr sagen, dass die Wesentlichkeit der Dinge nicht darin zum Ausdruck kommt, dass wir sie mit Eigennamen wie „Gegenstand g“, „Mars“ oder Begriffen wie „Ich“, „Du“ „Haus“ etc. fixieren, auch wenn sie etwas anderes zu suggerieren scheinen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich deinen Beitrag richtig verstanden habe, daher fasse ich das Wesentliche in meinen Worten zusammen, auch um abzugleichen, damit ich es richtig verstanden habe.
Wenn ich deinen Beitrag richtig verstanden habe, finde ich ihn super! Denn er lässt uns auf den Punkt zurückkommen um den es eigentlich geht, was Vertrauen wirklich ist.
Wir neigen oft dazu, vieles festzulegen damit wir es begreifen können.

Ich hab deinen Beitrag so verstanden,
Vertrauen beinhalten seine Eigenschaften immer ganz in sich. Diese Eigenschaften variieren in ihrer Intensität,  je nachdem in welcher Situation eine Vertrauensebene geschaffen wird.
Diese Möglichkeit, dass immer alle Eigenschaften vorhanden sind, gibt Vertrauen den Raum, um sich in den unterschiedlichsten Situationen individuell entfalten zu können.
Das würde auch bestätigen, dass Vertrauen aufgebaut werden kann, aber auch beeinflusst (z.B. geschwächt) werden kann.




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Do 22. Apr 2021, 10:08

Mir ist in den letzten Tagen eingefallen, dass wir vor längerer Zeit schon mal über Vertrauen hier im Forum gesprochen haben, damals aber eher aus psychologischer Perspektive. Dabei wurde das folgende Bild eines Psychologen diskutiert: vertrauen ist ein "dreibeiniger Hocker", es steht nur solide, wenn alle drei Beine belastbar sind: Selbstvertrauen, Vertrauen in die Anderen, allgemeines Vertrauen (alles wird gut). Das ist jetzt aus der Erinnerung "zitiert". Aber ich meine, so oder so ähnlich hieß es.




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Wenn ich Vertrauen beschreiben oder begreifen möchte, ist es dann nicht auch zuerst wichtig, die kleinen einzelnen Eigenschaften genau zu betrachten und auch genauer zu definieren? Selbstverständlich unter dem Aspekt der Individualität der Offenheit.

Auch um zu erfahren welche Eigenschaften grundsätzlich vielleicht mehr Gewicht haben.
Damit ich es dann in seinem Wesentlichen erfassen kann.




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Do 22. Apr 2021, 10:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 07:01
Alethos hat geschrieben :
Mi 21. Apr 2021, 21:48
Konservativismus
Den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Konservativismus verstehe ich nicht. Man kann doch auch auf den Sieg des Sozialismus vertrauen?
Ich meinte damit keine politische Ideologie.
„Konservativ“ bezog sich auf die Einstellung, dass sich ein Gegenstand als in seinem Wesen unveränderter bewahre. Vertrauen in diesem Sinn verstanden als Bewährungspraxis am sich bewahrenden Gegenstand hängt doch eng mit einem solchen epistemologischen Konservativmus zusammen? Wir denken den Gegenstand g als wesentlich verfasst durch seine wesentlichen Eigenschaften, durch welche er dieser bleibt, anstatt ihn zu denken durch seine vielfältige Verfasstheit als sich wandelnder, unter vielen Begriffen stehen könnender.



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Do 22. Apr 2021, 10:46

Die unveränderlichen wesentlichen Eigenschaften eines Gegenstandes können in seinen sich stetig ändernden "physikalischen" Eigenschaften bestehen. Die Wolke ändert sich "physikalisch" dauernd und das gehört zu ihren unveränderlichen Wesenseigenschaften.




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Do 22. Apr 2021, 11:39

AndreaH hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 10:04
Ich hab deinen Beitrag so verstanden,
Vertrauen beinhalten seine Eigenschaften immer ganz in sich. Diese Eigenschaften variieren in ihrer Intensität,  je nachdem in welcher Situation eine Vertrauensebene geschaffen wird.
Diese Möglichkeit, dass immer alle Eigenschaften vorhanden sind, gibt Vertrauen den Raum, um sich in den unterschiedlichsten Situationen individuell entfalten zu können.
Das würde auch bestätigen, dass Vertrauen aufgebaut werden kann, aber auch beeinflusst (z.B. geschwächt) werden kann.
Ich weiss nicht genau, ob ich deine Interpretation richtig verstanden habe. Aber falls doch, dann kommst du meinem Punkt recht nahe :)

Vertrauen heisst doch, dass wir uns auf das Richtige verlassen können. Verlässlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen. Wir bilden Vertrauen aus, sofern auf die Dinge oder die Menschen Verlass ist mit Blick darauf, dass sie das Richtige tun resp. richtig funktionieren resp. das Richtige sagen, sich richtig verhalten etc. Wir vertrauen dem Rasierapparat, weil wir davon ausgehen, dass wir er richtig funktioniert und nicht etwas explodiert. Wir vertrauen den Menschen, wenn auf sie Verlass ist, weil sie sich richtig verhalten. Ob Verlass auf sie ist, muss geprüft und erfahren werden - manchmal immer wieder.

Aber wir können Menschen nicht vertrauen deshalb, weil sie wesentlich "gut" oder wesentlich "verlässlich" oder "wesentlich fair" sind. Was Menschen sind, das zeigt sich immer nur am Individuum selbst in ganz konkreten Situationen, in denen ich mit ihnen stecke. Er oder sie verhält sich vertrauenswürdig also nicht nur, wenn seine Taten unter einen bestimmten Begriff von "die gute Tat" fallen, sondern wenn die verschiedenen Aspekte des Gutseins an ihnen durchscheint. Dabei gibt es keine wesentlicheren oder weniger wesentlichen Aspekte: Sie sind immer wesentlich, sofern das Gute konkret gut ist. So wie ein Gegenstand g wesentlich dieser ist, sofern er kein anderer seiner Art ist etc.



Das sind jedoch nur Nebendiskussionen, das müssen wir hier nicht weiter vertiefen.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Apr 2021, 10:08
Mir ist in den letzten Tagen eingefallen, dass wir vor längerer Zeit schon mal über Vertrauen hier im Forum gesprochen haben, damals aber eher aus psychologischer Perspektive. Dabei wurde das folgende Bild eines Psychologen diskutiert: vertrauen ist ein "dreibeiniger Hocker", es steht nur solide, wenn alle drei Beine belastbar sind: Selbstvertrauen, Vertrauen in die Anderen, allgemeines Vertrauen (alles wird gut). Das ist jetzt aus der Erinnerung "zitiert". Aber ich meine, so oder so ähnlich hieß es.
Ich finde diesen "dreibeinigen Hocker" sehr interessant! Ebenso, die Verbindung diesbezüglich wie es sich miteinander verhält. Es würde auch zu Alethos Beitrag stimmig passen, dass Vertrauen nicht starr festgelegt werden sollte, sondern als etwas, dass sich ständig in Bewegung befindet.

Selbstvertrauen kann so auch das Vertrauen zu anderen beeinflussen. Wenn ich z.B. in einer nicht vertrauensversprechender Straße spazieren gehe, kann mein Selbstvertrauen mich bestärken, indem ich darauf vertraue, dass ich die richtigen Entscheidungen treffen werde, falls ich in eine Situation komme, in der es schwierig wird. Genauso kann ich ehrlich gegenüber mir selbst, auch aus meinen Selbstvertrauen heraus die Entscheidung treffen, diese Straße nicht zu wählen. Weil ich mir sicher bin, meine Erfahrungen und meine Fähigkeiten sind diesbezüglich zu gering. Ein gutes Beispiel wäre, unangeseiltes Klettern an einem Fels. Es hängt meiner Meinung sehr davon ab, wie weit die jeweiligen Fähigkeiten einer Person reichen um mit einer Situation umzugehen.
(Ich bin mir aber persönlich noch nicht im klaren, ob ich das mit den Entscheidungen zu treffen -es nicht zu tun- eher wieder in dieses nicht vertrauen einordnen soll. )

Weiteres in dem Bereich des Vertrauens in dem es um Ehrlichkeit geht, kommt es meiner Meinung auch darauf an,
wie gehe ich mit einem Mißbrauch des Vertrauens um.
Der Umgang damit, sehe ich auch im Selbstvertrauen verankert, dass Fähigkeiten beinhaltet mit dieser Situation umzugehen.




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