Das Wesen der Dinge

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Alethos
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Mo 3. Mai 2021, 19:25

Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 17:44
Soweitsogut. Ansonsten ist mir unklar, was Streitpunkt ist. Bild
:D

Spitzen wir zu: Das Wesen eines Dings bestimme sich durch wesentliche Eigenschaften. Ein Tisch bspw. durch eine waagrechte, erhöhte Tischplatte - nicht aber durch seine Farbe. (Behauptung 1)
Wenn nun aber dieser Tisch gerade wegen seiner Farbe gekauft wird, dann ist diese Eigenschaft wesentlich für den Tisch als Kaufgegenstand.
Dann gehört zum Wesen dieses Tisches in der spezifischen Form als Kaufgegenstand, dass er bspw. blau ist. Die Farbe gehört also wesentlich zum Tischsein in dieser Form (Gegenbehauptung zu 2)

Da der Gegenstand nun nicht wesentlicher Tisch ist als funktionaler Gegenstand denn als Kaufgegenstand, lässt sich auch keine Eigenschaft als wesentlichere bestimmen. Das Wesen des Gegenstands transzendiert sozusagen die Grenzen eines einzelnen Begriffs (weshalb es u.a. auch Nachttische, Wickeltische, Opfertische, antike Tische, Zeichnungstische, abstrakt gezeichnete Tische, gebrauchte Tische usw. gibt). Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.

Voilà: Ich hoffe, das erzeugt entsprechenden (aber nicht entrüsteten) Widerspruch. :)



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AndreaH
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Mo 3. Mai 2021, 22:13

Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25
Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 17:44
Soweitsogut. Ansonsten ist mir unklar, was Streitpunkt ist. Bild
:D

Spitzen wir zu: Das Wesen eines Dings bestimme sich durch wesentliche Eigenschaften. Ein Tisch bspw. durch eine waagrechte, erhöhte Tischplatte - nicht aber durch seine Farbe. (Behauptung 1)
Wenn nun aber dieser Tisch gerade wegen seiner Farbe gekauft wird, dann ist diese Eigenschaft wesentlich für den Tisch als Kaufgegenstand.
Dann gehört zum Wesen dieses Tisches in der spezifischen Form als Kaufgegenstand, dass er bspw. blau ist. Die Farbe gehört also wesentlich zum Tischsein in dieser Form (Gegenbehauptung zu 2)

Da der Gegenstand nun nicht wesentlicher Tisch ist als funktionaler Gegenstand denn als Kaufgegenstand, lässt sich auch keine Eigenschaft als wesentlichere bestimmen. Das Wesen des Gegenstands transzendiert sozusagen die Grenzen eines einzelnen Begriffs (weshalb es u.a. auch Nachttische, Wickeltische, Opfertische, antike Tische, Zeichnungstische, abstrakt gezeichnete Tische, gebrauchte Tische usw. gibt). Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.

Voilà: Ich hoffe, das erzeugt entsprechenden (aber nicht entrüsteten) Widerspruch. :)
Ok, spitzen wir es weiter zu,
Ich sehe es so:
Wir haben diesen blauen Tisch der Kaufgegenstand ist.
Dieser Tisch ist in Behauptung 1
im allgemeinen unwesentlich in seiner Farbe.
Dieser Tisch ist in Behauptung 2
im individuellen gesehen wesentlich in seiner Farbe.
Da aber in Behauptung 2 schon individuell gesehen wird, trägt ja bereits diese Behauptung 2 schon die Behauptung 1 in sich... das Unwesentliche wird jetzt in Behauptung 2 zum Wesentlichen.

Dadurch das es individueller wird verändern sich das Wesentliche. Es beinhaltet aber immer das vom allgemeinen Behauptung 1 auch.

Nehmen wir eine Blume,
wesentlich im allgemeinen einer Blume sehe ich, dass sie eine Pflanze ist, die meisten Menschen empfinden wahrscheinlich auch die Schönheit als etwas wesentliches (ich auch).
Das sie fabig ist und duftet (um sich fortzupflanzen) halte ich auch für wesentlich.
Welche Farbe sie genau hat, ob sie auf der Wiese wächst oder in einer Blumenvase steht, wäre für mich jetzt unwesentlich. Da ich sie jetzt einfach als Blume wahrnehme.
Schaue ich aber das Gänseblümchen am Wegrand an, ist es individuell. Es trägt aber immer die allgemeinen wesentlichen Eigenschaften einer Blume in sich.

PS: Erst durch eure Beiträge ist mir die Differenzierung erst klar geworden. Vorher habe ich es nur allgemein gesehen.




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Jörn Budesheim
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Di 4. Mai 2021, 07:23

Jovis hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 09:47
... Wenn keines der Sinnfelder "metaphysisch privilegiert" ist, dann ist auch keine seiner ihm von uns zugeschriebenen wesentlichen Eigenschaften metaphysisch privilegiert. Das heißt, es ist für den Gegenstand g nicht wesentlicher, eine waagerechte Oberfläche zu haben als blau zu sein.
Markus Gabriel, in Sinn und Existenz hat geschrieben : ...Dies schließt freilich nicht aus, dass einige Tatsachen in anderen Hinsichten als privilegiert gelten können, solange dies nicht impliziert, dass es eine metaphysische Sinnfeldarchitektur gibt, an deren Spitze das Allumfassende steht.
Bereiche können also gegenüber anderen Bereichen privilegiert sein. Das schließt die SFO nicht aus. Nicht jede Form der Staffelungen, Anordnung und Privilegierung ist gleich eine metaphysische Privilegierung.

Vor kurzem haben wir uns gemeinsam einen Vortrag angehört, in dem Gabriel das Wesen der Kunst darlegt. Gabriel ist also kein guter Zeuge für die Idee, dass Gegenstände wie die Kunst kein Wesen haben können, weil es zu einer metaphysischen Privilegierung führen würde.




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Di 4. Mai 2021, 08:09

AndreaH hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 22:13
Schaue ich aber das Gänseblümchen am Wegrand an, ist es individuell. Es trägt aber immer die allgemeinen wesentlichen Eigenschaften einer Blume in sich.
So ist es.




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Di 4. Mai 2021, 10:23

Friederike hat geschrieben :
So 2. Mai 2021, 16:47
Ich denke, daß die "was"-Fragen Definitionen als Antwort erwarten und keine Fragen nach dem "Wesen" sind.
Definitionen sind der Versuch, das Wesen von etwas zu erfassen.




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Alethos
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Di 4. Mai 2021, 10:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 07:23
Jovis hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 09:47
... Wenn keines der Sinnfelder "metaphysisch privilegiert" ist, dann ist auch keine seiner ihm von uns zugeschriebenen wesentlichen Eigenschaften metaphysisch privilegiert. Das heißt, es ist für den Gegenstand g nicht wesentlicher, eine waagerechte Oberfläche zu haben als blau zu sein.
Markus Gabriel, in Sinn und Existenz hat geschrieben : ...Dies schließt freilich nicht aus, dass einige Tatsachen in anderen Hinsichten als privilegiert gelten können, solange dies nicht impliziert, dass es eine metaphysische Sinnfeldarchitektur gibt, an deren Spitze das Allumfassende steht.
Bereiche können also gegenüber anderen Bereichen privilegiert sein. Das schließt die SFO nicht aus. Nicht jede Form der Staffelungen, Anordnung und Privilegierung ist gleich eine metaphysische Privilegierung.
Ich erinnere mich an diese Passage im Buch. Leider habe ich es nicht vorliegen. Könntest du die gesamte Passage mit uns teilen oder hast du es auch nicht zur Hand? Sonst schaue ich heute Abend.

Im Übrigen herrscht m.E. nicht die Idee vor, dass der Gegenstand der Kunst kein Wesen haben könne, sondern nur die, dass sich dieses nicht durch eine abschliessende Liste von wesentlichen Eigenschaften bestimmen lasse.



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Di 4. Mai 2021, 10:27

Friederike hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 11:32
Den Gegenstand "Tisch" oder das Ding "Tisch" (Gegenstand und Ding setze ich an dieser Stelle synonym) gibt es nicht. Stoffliche Dinge können niemals nur in eine Gegenstands-Kategorie fallen. Alle materialisierten Dinge existieren nur in Form des Einzeldinges.
Damit hast Du angegeben, was deiner Ansicht nach das Wesen der materialisierten Dinge ist. Sie sind nach deiner Einschätzung ihrem Wesen nach Einzeldinge.




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Di 4. Mai 2021, 10:30

Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 10:25
Im Übrigen herrscht m.E. nicht die Idee vor, dass der Gegenstand der Kunst kein Wesen haben könne, sondern nur die, dass sich dieses nicht durch eine abschliessende Liste von wesentlichen Eigenschaften bestimmen lasse.
Aber genau das schlägt Markus Gabriel vor. Die Liste, die er vorschlägt, enthält folgende Elemente: Kunstwerke sind radikal autonome, notwendig interpretierte Individuen.




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Di 4. Mai 2021, 10:31

Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 10:25
Ich erinnere mich an diese Passage im Buch. Leider habe ich es nicht vorliegen. Könntest du die gesamte Passage mit uns teilen oder hast du es auch nicht zur Hand? Sonst schaue ich heute Abend.
Ich bin immer noch krank, aber ich mache es im Laufe des Tages.




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Friederike
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Di 4. Mai 2021, 10:51

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 10:27
Damit hast Du angegeben, was deiner Ansicht nach das Wesen der materialisierten Dinge ist. Sie sind nach deiner Einschätzung ihrem Wesen nach Einzeldinge.
Ich hatte versucht, die Auffassung von Alethos wiederzugeben.




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Di 4. Mai 2021, 11:08

Friederike hat geschrieben : Ich versuche, Alethos' Auffassung klar zu kriegen.
Diese Formulierung ist mir unbekannt, ich dachte du würdest dich Alethos Auffassung anschließen.




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Di 4. Mai 2021, 12:18

Markus Gabriel in Sinn und Existenz hat geschrieben : Soweit wir wissen, gibt es unzählige Gegenstände, die nicht konstruiert sind. Allerdings mag es allerlei Gründe dafür geben, diese Annahme zu revidieren. Alles hängt hier davon ab, wie man die relevanten Tatsachen zu individuieren und damit zu »zählen« hat. Sollte sich etwa überraschenderweise herausstellen, dass biologisches bewusstes Leben im Universum weit verbreitet ist, könnte daraus vielleicht folgen, dass die Tatsachen im Allgemeinen, das heißt weitgehend, konstruiert sind. Oder nehmen wir einmal an, die Multiversum-Hypothese sei wahr, und zwar dergestalt, dass es niemals eine allgemeine Multiversum-Situation (kein Hyperversum) gegeben hätte, ohne dass irgendwo, in irgendeinem lokalen Universum, intelligentes Leben vorkommt. In diesem Fall gäbe es vielleicht weniger Gründe, die ausgesprochen unbelebten Tatsachen oder Dinge gegenüber den gedachten Gedanken und Tatsachen konstruierenden Aktivitäten zu privilegieren. Ich glaube natürlich nicht, dass dies stimmt, sehe aber keinen Grund, irgendeine bestimmte Tatsachensorte oder Gegenstandsart gegenüber anderen ontologisch zu privilegieren, was ich als die Grundthese des neutralen Realismus bezeichne.[1] Dies schließt freilich ​nicht aus, dass einige Tatsachen in anderen Hinsichten als privilegiert gelten können, solange dies nicht impliziert, dass es eine metaphysische Sinnfeldarchitektur gibt, an deren Spitze das Allumfassende steht. Da die im nächsten Paragrafen ausführlicher zu begründende Keine-Welt-Anschauung impliziert, dass es ohnehin keine bestimmte Art und Weise geben kann, auf die sich alles im Allgemeinen oder universal verhält (da eine solche Art und Weise die Welt wäre), ist es freilich nicht ganz zutreffend zu sagen, dass im Allgemeinen, das heißt weitgehend, nicht die Rede davon sein kann, die Gegenstände seien produziert, konstituiert oder konstruiert.




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Alethos
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Di 4. Mai 2021, 12:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 10:31
Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 10:25
Ich erinnere mich an diese Passage im Buch. Leider habe ich es nicht vorliegen. Könntest du die gesamte Passage mit uns teilen oder hast du es auch nicht zur Hand? Sonst schaue ich heute Abend.
Ich bin immer noch krank, aber ich mache es im Laufe des Tages.
Vielen Dank und gute Besserung!



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Friederike
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Di 4. Mai 2021, 16:15

Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25
[...] Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.
Hier kommt dieses schillernde "Wesen" wieder ins Spiel. Wieso, warum, weshalb muß das Wesen alle Fälle von Tischsein umfassen oder einschließen??? Ich brüte über Deiner Aussage.

Ich gehe über zum "Menschen", weil ich mir am "Menschen" Deine Aussage besser verdeutlichen kann. Wenn man nach dem Wesen des oder auch eines bestimmten Menschen fragt, dann kann man alle nur erdenklichen Eigenschaften (alle Fälle von Menschsein) auflisten und wenn man das getan hat, dann ist damit das Wesen des Menschen oder eines bestimmten Menschen erfaßt?




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Jörn Budesheim
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Di 4. Mai 2021, 17:24

Nachtrag für Alethos
Markus Gabriel In Fiktionen hat geschrieben : Soziale Normativität muss nicht im Spielraum von Elementarteilchen untergebracht werden, wenn es sich bei diesem um ein Sinnfeld unter anderen handelt, das nicht unter allen Umständen, d. ‌h. nicht metaphysisch privilegiert ist.
Um den Rahmen des Sozialkonstruktivismus zu sprengen und damit Raum für einen genuinen, d. ‌h. nicht-reduktionistischen sozialen Realismus zu schaffen, wird in § 12 dafür argumentiert, dass das Wesen irreduzibler Tatsachen der menschlichen Sozialität darin besteht, dass mehrere Subjekte aufeinandertreffen und feststellen, dass ein Anderer etwas für wahr hält, was sie selbst für falsch halten.




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Alethos
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Di 4. Mai 2021, 23:15

Friederike hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 16:15
Alethos hat geschrieben :
Mo 3. Mai 2021, 19:25
[...] Der Begriff "Tisch" ist unterbestimmt für alle Fälle von Tischsein, weshalb er nicht mit dem Wesen des Tischseins zusammenfallen kann.
Hier kommt dieses schillernde "Wesen" wieder ins Spiel. Wieso, warum, weshalb muß das Wesen alle Fälle von Tischsein umfassen oder einschließen??? Ich brüte über Deiner Aussage.

Ich gehe über zum "Menschen", weil ich mir am "Menschen" Deine Aussage besser verdeutlichen kann. Wenn man nach dem Wesen des oder auch eines bestimmten Menschen fragt, dann kann man alle nur erdenklichen Eigenschaften (alle Fälle von Menschsein) auflisten und wenn man das getan hat, dann ist damit das Wesen des Menschen oder eines bestimmten Menschen erfaßt?
Das glaube ich gerade nicht, dass wir das Wesen erfassen können.

Bleiben wir bei Menschen, vielleicht wird deutlicher, was ich sagen will: Fragen wir uns einmal, was das Wesen des Mannes ist. Oder das Wesen der Frau. Würden wir hier wirklich sagen können, das Wesen sei hinreichend bestimmt, wenn ein definierter Kriterienkatalog erfüllt ist? Würden wir da nicht an einen Punkt gelangen, wo wir sagen müssten, es gebe „den Mann“ oder „die Frau“ so (als durch wesentliche Eigenschaften bestimmten Gegenstand) gar nicht, sondern nur Männer und Frauen mit ihren Eigenheiten?



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 17:24
Nachtrag für Alethos
Markus Gabriel In Fiktionen hat geschrieben : Soziale Normativität muss nicht im Spielraum von Elementarteilchen untergebracht werden, wenn es sich bei diesem um ein Sinnfeld unter anderen handelt, das nicht unter allen Umständen, d. ‌h. nicht metaphysisch privilegiert ist.
Das heisst, du würdest für eine mögliche Privilegierung unter gewissen Umständen argumentieren wollen oder wie interpretierst du Gabriel hier? Und falls so: Was wären wiederum ontologische Kriterien, die diese nicht-metaphysische Privilegierung möglich machen? Ich meine, wir können ja bspw. sagen: „Die mesoskopischen Dinge sind privilegiert aus der Optik der Menschen, deren Sinne für diese Grössenordnungen gemacht sind.“ Okay. Aber das ist kein ontologisches Argument, sondern ein auf dieser spezifischen, nicht notwendigen Relation (Sinne von Menschen - mesoskopische Dingwelt) einschränkendes.
Um den Rahmen des Sozialkonstruktivismus zu sprengen und damit Raum für einen genuinen, d. ‌h. nicht-reduktionistischen sozialen Realismus zu schaffen, wird in § 12 dafür argumentiert, dass das Wesen irreduzibler Tatsachen der menschlichen Sozialität darin besteht, dass mehrere Subjekte aufeinandertreffen und feststellen, dass ein Anderer etwas für wahr hält, was sie selbst für falsch halten.
Gabriel verwendet „Wesen“ hier instrumentalisierend (d.h. bereits unter dem Blickwinkel des Arguments, das er gegen den Sozialkonstruktivismus ins Feld führen will).

„Wesen irreduzibler Tatsachen der menschlichen Sozialität“ ist eben auch, dass ein Anderer etwas für wahr hält, das andere auch für wahr halten können.

Gabriel schränkt hier „Wesen der irreduziblen Tatsachen menschlicher Sozialität“ gerade auf diesen Aspekt sozialer Beziehungen ein, dass wir einander auch widersprechen im Fürwahrhalten: In der Tatsache, dass jemand etwas für wahr hält, was ein anderer nicht für wahr hält, wird deutlich, dass soziale Wahrheit nicht auf Konsens allein zurückgeführt werden kann, denn schon der Umstand, dass es nicht immer Konsens gibt, zeige, dass Konsens oder Konvention allein die soziale Realität nicht begründen können. Er verwendet „Wesen“ also hier spezifisch als anti-metaphysisches Argument. Er sagt m.E. jedoch nicht, dass das Wesen irreduzibler Tatsachen menschlicher Sozialität damit hinreichend beschrieben wäre. Das ist aber ein Erfordernis für das Wesen eines Dings?



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Mi 5. Mai 2021, 06:42

Gabriel spricht an anderer Stelle auch vom Wesen der Kunst, das habe ich weiter oben schon erwähnt und zitiert. Er spricht ebenso vom Wesen des Menschen:
Markus Gabriel im Gespräch mit Matthias Eckoldt hat geschrieben :
Markus Gabriel: Das Wesen des Menschen ist [...] das Vermögen, sich zu einem anderen zu machen und sich die Frage zu stellen, wer oder was man ist. [...]

Matthias Eckoldt: Das heißt sozusagen, dass wir Suchende sind. Dann wäre das Suchen das An-sich des Menschseins.

Markus Gabriel: Absolut! Dass wir auf der Suche danach sind, was der Mensch ist, ist der Mensch."
Da beißt die Maus einfach keinen Faden ab :)




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Mi 5. Mai 2021, 09:18

Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 23:15
[...] Bleiben wir bei Menschen, vielleicht wird deutlicher, was ich sagen will: Fragen wir uns einmal, was das Wesen des Mannes ist. Oder das Wesen der Frau. Würden wir hier wirklich sagen können, das Wesen sei hinreichend bestimmt, wenn ein definierter Kriterienkatalog erfüllt ist? Würden wir da nicht an einen Punkt gelangen, wo wir sagen müssten, es gebe „den Mann“ oder „die Frau“ so (als durch wesentliche Eigenschaften bestimmten Gegenstand) gar nicht, sondern nur Männer und Frauen mit ihren Eigenheiten?
Jedesmal, wenn ich denke, nun endlich hätte ich Dich verstanden, dann sagst Du "etwas", woran ich merke, daß ich rein gar nichts verstanden habe. Das liegt ganz sicher nicht an Dir.




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Mi 5. Mai 2021, 10:26

Alethos hat geschrieben :
Di 4. Mai 2021, 23:15
Bleiben wir bei Menschen, vielleicht wird deutlicher, was ich sagen will: Fragen wir uns einmal, was das Wesen des Mannes ist. Oder das Wesen der Frau. Würden wir hier wirklich sagen können, das Wesen sei hinreichend bestimmt, wenn ein definierter Kriterienkatalog erfüllt ist? Würden wir da nicht an einen Punkt gelangen, wo wir sagen müssten, es gebe „den Mann“ oder „die Frau“ so (als durch wesentliche Eigenschaften bestimmten Gegenstand) gar nicht, sondern nur Männer und Frauen mit ihren Eigenheiten?
Nehmen wir mal um das Argumentes Willen an, Gabriel hätte mit seiner Wesens-Definition des Menschen, als demjenigen Tier, das nach sich fragen kann, recht. Das Wesen besteht in diesem Fall allerdings gerade darin, dass der Mensch nicht auf einen "bestimmten Gegenstand" festgelegt ist. Da Männer und Frauen ihrerseits Menschen sind, dürfte hier sicherlich im Ergebnis ähnliches zu erwarten sein :)

Zudem sind meines Erachtens Argumentation des folgenden Typs nicht zielführend, das sage ich nun mal zur Sicherheit, falls du so argumentieren wolltest: "bei manchen Dingen können wir das Wesen nicht erkennen oder ein Wesen liegt nicht vor, also liegt bei nichts ein Wesen vor."

Es liegt meines Erachtens auch gar nicht im Wesen des Wesens, die Dinge festzulegen. Tische mögen zwar ein Wesen haben, das hält sie aber nicht davon ab in den buntesten Formen aufzutauchen: braun, weiß, grau, blau, groß, klein, rund, eckig, aus Holz, aus Metall, etc.pp. Deswegen ist es auch abwegig, zu suggerieren ihr Tischsein würde die Tische auf auch so etwas wie "den Tisch" festlegen. Das ist ja ganz offensichtlich falsch. Und um ein weiteres Bild zu haben, braucht man sich nur die Vielfalt der Blumen vorzustellen. Man möchte fast sagen, es gehört zu ihrem Wesen in einer bunten Vielheit so existieren.




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