Was ist Gesellschaft.

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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NaWennDuMeinst
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Sa 8. Mai 2021, 19:09

Was bedeutet der Begriff Gesellschaft? Wie definieren wir Gesellschaftt?
Ist das ein loser Verbund von Individuen? Ist es eine Zweckgemeinschaft?
Wodurch zeichnet sich Gesellschaft aus, und was ist nötig, damit sie funktioniert?
Ich würde gerne erfahren was ihr darunter versteht.



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Groot
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Sa 8. Mai 2021, 21:34

Gesellschaft, das ist zunächst eine Gruppe von Gemeinschaften, die zusammen eine Zivilisation bilden.

Gesellschaft bildet sich heraus aus sozialen Systemen. Sie zeigt sich auch in kommunikativem Handeln. Abstrakt findet sie u.a. Eingang als "symbolischer Interaktionismus"; aber auch die Semiotik verweist auf soziale Tatbestände bzw. deren dahinterstehendes Symbolsystem.

Gesellschaft baut sich auf Institutionen, und konstituiert die Instition der Sprachlichkeit. Sie ist die Lebenswelt bzw. konstituiert einen beachtlichen Bereich unserer näheren Umgebung. Sie ermöglicht in Verbindung zu treten mit anderen Menschen.

Man könnte m.e. sagen, dass die Gesellschaft "umfangreicher" ist, als wenn man meint, sie würde sich aus allen Personen konstituieren. Denn Gesellschaft überdauert ja auch Personen, jedenfalls solange die Art nicht ausstirbt.




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Alethos
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„Gesellschaft ist die Gesamtheit der sozialen Interaktionen.“



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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 8. Mai 2021, 19:09
Ist das ein loser Verbund von Individuen?
Ich will dieser Frage jetzt nichts unterstellen, sie ist für mich einfach ein Anlass: Ich meine, die Frage, wie Gesellschaft sich aus Individuen zusammenfügt, kommt wahrscheinlich schon "zu spät", für den Fall, dass man sich Individuen als "gesellschaftsfreie" Entitäten vorstellt, für die die Frage, wie aus ihnen Gesellschaft wird, gleichsam noch offen ist. Wir sind meines Erachtens bereits tief in unserer Biologie, also in unserer - wie es manchmal heißt - ersten Natur gesellschaftliche Wesen. Zu selbstständigen Individuen werden wir erst durch einen langen gesellschaftlichen Prozess erzogen, wenn es überhaupt gelingt.




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NaWennDuMeinst
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So 9. Mai 2021, 14:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 06:25
Wir sind meines Erachtens bereits tief in unserer Biologie, also in unserer - wie es manchmal heißt - ersten Natur gesellschaftliche Wesen.
Rein biologisch betrachtet ist das richtig. Wir sind keine Nestflüchter, sondern für unser Überleben darauf angewiesen, dass wir in einen sozialen Verband (im kleinsten Maßstab ein anderer Mensch der sich um uns kümmert) hineingeboren werden.
Zu selbstständigen Individuen werden wir erst durch einen langen gesellschaftlichen Prozess erzogen, wenn es überhaupt gelingt.
Die Frage wieviel von unserer Persönlichkeit angeboren ist und wieviel aus der Erziehung kommt ist für mich sehr schwer zu beantworten.
Es ist jedenfalls nicht so, dass immer gleiche Erziehung das immer gleiche Ergebnis zutage fördert.



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NaWennDuMeinst
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So 9. Mai 2021, 14:10

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 06:25
Ich will dieser Frage jetzt nichts unterstellen
Bitte nicht. Sie ist wirklich erstmal nur ganz "unschuldig" in den Raum gesellt.
Die Frage hat aber natürlich einen Hintergrund. Ich erlebe hier in Debatten um gesellschaftliche Entscheidungen viele unterschiedliche Ansichten.
Und ich vermute, dass da auch unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft mitschwingen. Ich wollte nun einmal wissen welche das sind.

Welchen "Zweck" hat Gesellschaft?
Wie entsteht und entwickelt sie sich?
Welche Bedeutung hat sie für das Individuum?
Es gibt da für mich ganz viele offene Fragen.



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Groot
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So 9. Mai 2021, 19:49

Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 02:02
„Gesellschaft ist die Gesamtheit der sozialen Interaktionen.“
und wie sieht es aus mit Büchern, mit Internetseiten, mit dem sagenhaften Kosmos und einer möglichen Erklärung im Mythos, der die Historie begründet? Diese Sachen konstituieren ebenso Gesellschaft, auch wenn diese nicht in Interaktion auftauchen müssen. Die Gesellschaft geht m.e. darüber hinaus, Interaktion zu sein.




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Alethos
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So 9. Mai 2021, 19:59

Groot hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 19:49
Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 02:02
„Gesellschaft ist die Gesamtheit der sozialen Interaktionen.“
und wie sieht es aus mit Büchern, mit Internetseiten, mit dem sagenhaften Kosmos und einer möglichen Erklärung im Mythos, der die Historie begründet? Diese Sachen konstituieren ebenso Gesellschaft, auch wenn diese nicht in Interaktion auftauchen müssen. Die Gesellschaft geht m.e. darüber hinaus, Interaktion zu sein.
Wenn jemand ein Buch schreibt, dann interagiert er doch sozial, weil er eine Kommunikation herstellt? Ich meine, dass jede Art von Zeichengebung, die einer Interaktion dient, als sozial gekennzeichnet werden kann. Aktienkurse, Strassenüberquerungen, Flugverbotszonen, FKK-Baden, ja, sogar das Kratzen am Hinterkopf, bewusst vollzogen als Zeichen, um etwa zu sagen „Das weiss ich jetzt nicht so genau“, ist eine soziale Geste. Bloss in der Nase zu popeln wäre wohl keine.

Ob man dem zustimmen kann, hängt sicherlich von einer knackigen Interpretation von Interaktion ab. Gesellschaft besteht aus Interaktionen, das ist das Wesen (!) der Sozialität, dass Individuen interagieren. Gesellschaft ist aber Sozialität.



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Groot
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Mo 10. Mai 2021, 00:34

Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 19:59
Groot hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 19:49
Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 02:02
„Gesellschaft ist die Gesamtheit der sozialen Interaktionen.“
und wie sieht es aus mit Büchern, mit Internetseiten, mit dem sagenhaften Kosmos und einer möglichen Erklärung im Mythos, der die Historie begründet? Diese Sachen konstituieren ebenso Gesellschaft, auch wenn diese nicht in Interaktion auftauchen müssen. Die Gesellschaft geht m.e. darüber hinaus, Interaktion zu sein.
Wenn jemand ein Buch schreibt, dann interagiert er doch sozial, weil er eine Kommunikation herstellt? Ich meine, dass jede Art von Zeichengebung, die einer Interaktion dient, als sozial gekennzeichnet werden kann. Aktienkurse, Strassenüberquerungen, Flugverbotszonen, FKK-Baden, ja, sogar das Kratzen am Hinterkopf, bewusst vollzogen als Zeichen, um etwa zu sagen „Das weiss ich jetzt nicht so genau“, ist eine soziale Geste. Bloss in der Nase zu popeln wäre wohl keine.

Ob man dem zustimmen kann, hängt sicherlich von einer knackigen Interpretation von Interaktion ab. Gesellschaft besteht aus Interaktionen, das ist das Wesen (!) der Sozialität, dass Individuen interagieren. Gesellschaft ist aber Sozialität.
Ja, ein Buch besteht in der gesellschaftlichen Möglichkeit, eine Kommunikation zu übertragen. Aber diese Kommunikation findet sich ja nicht in der unmittelbaren Interaktion, nicht inter- sondern transpersonal, transhuman. Also in sozialen Tatbeständen. Das Internet bspw. hat mit Interaktion zunächst erstmal nichts zu tun - und wenn man Interaktion als "face-to-face" sieht, dann ist das Internet völlig ohne Interaktion. Denn es ermöglicht, während es dauerhaft da ist, dass sich soziale Tatbestände durch es hindurch über lange Entfernung sich verbreiten können.

Letzteres führt dazu, dass man dann von sozialer Information und von Informatik sprechen kann, sowie auf der anderen Seite von symbolischem Interaktionismus (Gesellschaft und Dialektik) und semantischen Gehalten (Logik)




Ich finde, man sollte zunächst fragen, ob wir Gesellschaft als "stets vorhanden" sehen wollen. Dann fragen wir nämlich nicht nach anthropologischen Grundlagen, sondern setzen die komplexe moderne Gesellschaft schlicht voraus. Oder, ob Gesellschaft in ihrer Entwicklung begriffen sein möchte, also die Historie und der Psychologismus mit drin ist. Denn im letzten Fall stehen wir (noch) nicht in der Lebenswelt, sondern in der Metaphysik; nicht in Metabiologie/Metadigitalität sondern in Metaphysik.

Im ersteren Fall hingegen sehen wir die Lebenswelt als Subsystem des Gesellschaftssystems. (Der Geist ist nicht als Zivilisation)




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Jörn Budesheim
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Mo 10. Mai 2021, 06:25

Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 19:59
Ob man dem zustimmen kann, hängt sicherlich von einer knackigen Interpretation von Interaktion ab. Gesellschaft besteht aus Interaktionen, das ist das Wesen (!) der Sozialität, dass Individuen interagieren. Gesellschaft ist aber Sozialität.
Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Das Internet bspw. hat mit Interaktion zunächst erstmal nichts zu tun - und wenn man Interaktion als "face-to-face" sieht, dann ist das Internet völlig ohne Interaktion.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Interaktion, Neub. aus lat. interactio, svw. ›Kooperation‹, Wechselwirkung zwischen Körpern oder auch Menschen. Eine Theorie der zwischenmenschlichen Beziehungen liefert der Interaktionismus (M. Baldwin, G. H. Mead). In dieser Theorie wurden insbes. die kommunikativen Vorgänge direkt zwischen Tieren und Menschen sowie zwischen Menschen untersucht (vgl.: ↑Intersubjektivität). I. ist ein Spezialfall von ↑Kommunikation, in diesem Fall ein zwischenmenschlicher Bezug auf der Basis von Wechselseitigkeit.
Der Philosoph Christoph Lütge schreibt: "Das Internet ist primär kein technisches, sondern ein gesellschaftliches Phänomen." Dem schließe ich mich an. Das Internet ist nicht primär ein dezentrales heterogenes Netzwerk, dass verschiedenste Arten von Rechnern miteinander verbindet, sondern Menschen mittels dieser Rechner und Netze. Das Internet hat demnach (nach meinem Verständnis) nicht nichts mit Interaktion zu tun, sondern ist nachgerade ein paradigmatischer Fall davon: "Ein [technisch realisierter] zwischenmenschlicher Bezug auf der Basis von Wechselseitigkeit."

(Allerdings ist diese Technik nicht "neutral realisiert", sondern oftmals ihrerseits ein "Player", denn in ihr spiegeln sich die verschiedensten Interessen wieder, insbesondere wenn man an soziale Medien und dergleichen denkt.)




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Mo 10. Mai 2021, 07:01

Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Oder, ob Gesellschaft in ihrer Entwicklung begriffen sein möchte, also die Historie und der Psychologismus mit drin ist.
Ja, in meinen Augen ist die Geschichte ein ganz zentraler Aspekt der Gesellschaft.

Allerdings ist da der Psychologismus nicht "mit drin", sondern erstmal außen vor, weil wir ansonsten die Geschichtlichkeit der Gesellschaft schon vom Ansatz her wieder weitgehend negieren würden. Denn Psychologismus ist ja die Vorstellung, dass ein Phänomen, von dem man annehmen könnte, es sei ein Phänomen sui generis, sich letztlich als etwas herausstellt, was man in Wahrheit erschöpfend mit den Mitteln der empirischen Psychologie untersuchen kann. Und damit würde man schließlich die Geistesgeschichte (um nur ein Beispiel zu liefern) größtenteils ausradieren (ein Unterfangen, was in der Regel übrigens metaphysisch motiviert ist).




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Jörn Budesheim
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 8. Mai 2021, 19:09
Ist [Gesellschaft] eine Zweckgemeinschaft?
Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Ich finde, man sollte zunächst fragen, ob wir Gesellschaft als "stets vorhanden" sehen wollen.
Wenn wir die Gesellschaft aus der Teilnehmer-Perspektive betrachten, eine Perspektive aus der wir sehr schlecht herauskommen, dann ist es für jeden Einzelnen doch wohl so, als sei die Gesellschaft "stets vorhanden" gewesen ... und nicht etwa etwas, das wir ganz bewusst zu einem bestimmten Zweck mit anderen gebildet haben. Teil einer Gesellschaft zu sein, dürfte für fast jeden Menschen ein fundamentaler Tatbestand sein. Die Frage nach dem Zweck kommt wohl kaum je ins Bewusstsein, zumindest seltener als die Frage nach dem Sinn und Zweck des eigenen Lebens? Man könnte vielleicht sagen, dass moderne arbeitsteilige Gesellschaften den Zweck haben, uns den Freiraum zu schaffen, uns über Zwecke der Gesellschaft und des eigenen Lebens zu orientieren.




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Di 11. Mai 2021, 19:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 06:25
Alethos hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 19:59
Ob man dem zustimmen kann, hängt sicherlich von einer knackigen Interpretation von Interaktion ab. Gesellschaft besteht aus Interaktionen, das ist das Wesen (!) der Sozialität, dass Individuen interagieren. Gesellschaft ist aber Sozialität.
Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Das Internet bspw. hat mit Interaktion zunächst erstmal nichts zu tun - und wenn man Interaktion als "face-to-face" sieht, dann ist das Internet völlig ohne Interaktion.
Wörterbuch der philosophischen Begriffe hat geschrieben : Interaktion, Neub. aus lat. interactio, svw. ›Kooperation‹, Wechselwirkung zwischen Körpern oder auch Menschen. Eine Theorie der zwischenmenschlichen Beziehungen liefert der Interaktionismus (M. Baldwin, G. H. Mead). In dieser Theorie wurden insbes. die kommunikativen Vorgänge direkt zwischen Tieren und Menschen sowie zwischen Menschen untersucht (vgl.: ↑Intersubjektivität). I. ist ein Spezialfall von ↑Kommunikation, in diesem Fall ein zwischenmenschlicher Bezug auf der Basis von Wechselseitigkeit.
Der Philosoph Christoph Lütge schreibt: "Das Internet ist primär kein technisches, sondern ein gesellschaftliches Phänomen." Dem schließe ich mich an. Das Internet ist nicht primär ein dezentrales heterogenes Netzwerk, dass verschiedenste Arten von Rechnern miteinander verbindet, sondern Menschen mittels dieser Rechner und Netze. Das Internet hat demnach (nach meinem Verständnis) nicht nichts mit Interaktion zu tun, sondern ist nachgerade ein paradigmatischer Fall davon: "Ein [technisch realisierter] zwischenmenschlicher Bezug auf der Basis von Wechselseitigkeit."

(Allerdings ist diese Technik nicht "neutral realisiert", sondern oftmals ihrerseits ein "Player", denn in ihr spiegeln sich die verschiedensten Interessen wieder, insbesondere wenn man an soziale Medien und dergleichen denkt.)
Der Punkt ist ja aber, dass die Interaktion, sei sie symbolisch oder aber "face-to-face", nicht hinreicht, um alle Belange von Gesellschaft zu erfassen. Oder vielmehr ist der entscheidendere Begriff, der Begriff der Kommunikation, der die Zivilisation zu seiner Grundlage hat. (Nicht Sender-Empfänger, sondern (soziale) Information erfassen, Verstehen und interaktiv mitteilen.)

Das Internet ist hierbei eher reine Kommunikation, als ein unmittelbares Interaktionsmedium. Denn m.e. ist der technische Charakter sehr relevant; man erfasst dadurch nämlich das Internet potentiell in formaler Sprache, statt in der analog natürlichen Sprache der normalen Rede. Das Internet arbeitet eher in dem Kommunikationsmodell Luhmanns, nicht in dem Sender-Empfänger-Modell, worin wir mittels Appellen arbeiten und "ganze" Menschen sind.




Groot
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 07:01
Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Oder, ob Gesellschaft in ihrer Entwicklung begriffen sein möchte, also die Historie und der Psychologismus mit drin ist.
Ja, in meinen Augen ist die Geschichte ein ganz zentraler Aspekt der Gesellschaft.

Allerdings ist da der Psychologismus nicht "mit drin", sondern erstmal außen vor, weil wir ansonsten die Geschichtlichkeit der Gesellschaft schon vom Ansatz her wieder weitgehend negieren würden. Denn Psychologismus ist ja die Vorstellung, dass ein Phänomen, von dem man annehmen könnte, es sei ein Phänomen sui generis, sich letztlich als etwas herausstellt, was man in Wahrheit erschöpfend mit den Mitteln der empirischen Psychologie untersuchen kann. Und damit würde man schließlich die Geistesgeschichte (um nur ein Beispiel zu liefern) größtenteils ausradieren (ein Unterfangen, was in der Regel übrigens metaphysisch motiviert ist).
Wieso? Der Psychologische Faktor ist doch, was der Geschichtlichkeit Tribut zollt, indem die Psyche sich der Historie gewahr wird - um sich dadurch gerade von den Zwängen der Sittlichkeit loszumachen. Die Historie ist eine Entlastung für die Psyche, reduziert die Komplexität, die mit der Moral einhergeht. Denn die Moral soll ja, laut Philosophiegeschichte, überzeitlich sein, also selbst der Historie noch enthoben - statt, wie modern besehen sicher sinnvoller, die Moral situativ zu setzen. Und eine situative Moral ist eine, die der Psychologie stets und immer Raum einräumt. Eine Fläche zur Entfaltung des Expressiven, des manchmal unsittlichen und insbesondere zur Entfaltung des Irrweges absolut uneingeschränkter Freiheitlichkeit, die der Liberalismus ja zu seinem Grundwesen gelegt hat.

Die Geistesgeschichte wäre zu Gunsten der materiellen Geschichte zu revidieren. Denn die Geistesgeschichte ist im Kern christlich, entweder affirmierend oder repulsiv negierend. Wieso aber meinst du, ich wolle eine Geistesgeschichte negieren? Ich will diese maximal nicht so ontologisch, sondern als bloßes Akzidens der stets gegenwärtigen Historizität.




Groot
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Mai 2021, 07:14
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 8. Mai 2021, 19:09
Ist [Gesellschaft] eine Zweckgemeinschaft?
Groot hat geschrieben :
Mo 10. Mai 2021, 00:34
Ich finde, man sollte zunächst fragen, ob wir Gesellschaft als "stets vorhanden" sehen wollen.
Wenn wir die Gesellschaft aus der Teilnehmer-Perspektive betrachten, eine Perspektive aus der wir sehr schlecht herauskommen, dann ist es für jeden Einzelnen doch wohl so, als sei die Gesellschaft "stets vorhanden" gewesen ... und nicht etwa etwas, das wir ganz bewusst zu einem bestimmten Zweck mit anderen gebildet haben. Teil einer Gesellschaft zu sein, dürfte für fast jeden Menschen ein fundamentaler Tatbestand sein. Die Frage nach dem Zweck kommt wohl kaum je ins Bewusstsein, zumindest seltener als die Frage nach dem Sinn und Zweck des eigenen Lebens? Man könnte vielleicht sagen, dass moderne arbeitsteilige Gesellschaften den Zweck haben, uns den Freiraum zu schaffen, uns über Zwecke der Gesellschaft und des eigenen Lebens zu orientieren.
Aus der wir, wenn auch schwer, durchaus herauskommen können. Habermas befasst sich mit dem Problem in der Theorie des kommunikativen Handelns, wo er fragt, von wo bzw. aus welcher Stellung heraus denn der Soziologe eigtl. seine Beobachtung mache.

Die Teilnehmerperspektive ist in der Differenz von Gemeinschaft und Gesellschaft. Als Beobachter 3. Ordnung und in den theoretischen Gebieten Beobachtungen 2. Ordnung jedoch ist man eher in der Differenz von Gesellschaft und Zivilisation. Es geht dann eher um transkulturelle Gemeinsamkeiten in den Kulturen und der Kommunikation, als um die lebensweltlich gebildete Interaktion.

Die Anomie und die Ebene der Mythen, sowie des Wahnsinns oder des Geldes sind durchaus Gebiete, denen sich der Mensch nicht zugehörig fühlen muss, wiewohl all diese fundamentale Bestandteil von jedweder gesellschaftlichen Zivilisierung ist. Aber ja, so prima facie ist ein "Ausstieg" aus Vergesellschaftung schwer zu fassen; man müsst sich ja entgegen der Intuition als völligst autark sehen.

Ja, unsere bürokratischen Apparate und deren geldgeölte Zahnräder ermöglichen uns Freiräume. Aber vielmehr ermöglicht uns Freiraum, dass wir mittels Kapitalismus das schlechte Gewissen auslagern können und so tun als wüssten wir nicht, dass wir ganze Kontinente zu Grunde richten und Wohlstand auf deren Kosten uns ermöglichen. Aber das wäre dann ein anderes Thema :P

Arbeitsteilung ermöglicht zumindest den Sprung von stratifikatorischen hin zu funktional strukturierten sozialen Systemen. Dadurch ermöglichen sich unsere Massendemokratien; denn die Macht wird den sozialen Systemen selbst übertragen, statt diese, wie damals, in Hierarchien zu erhalten und an Einzelpersonen zu binden.




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Psyche, Psychologismus, Psychologie, Psychologischer Faktor
Ich kann dazu leider nichts sagen, weil ich keine Vorstellung davon habe, wie du diese Begriffe verstehst.




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Groot hat geschrieben :
Di 11. Mai 2021, 19:16
Der Punkt ist ja aber, dass die Interaktion, sei sie symbolisch oder aber "face-to-face", nicht hinreicht, um alle Belange von Gesellschaft zu erfassen. Oder vielmehr ist der entscheidendere Begriff, der Begriff der Kommunikation, der die Zivilisation zu seiner Grundlage hat. (Nicht Sender-Empfänger, sondern (soziale) Information erfassen, Verstehen und interaktiv mitteilen.)
Jede Kommunikation ist zugleich eine Inter- bzw. Transaktion. Wenn also der Begriff Transaktion fragwürdig ist, dann logischerweise doch auch der Begriff der Kommunikation, oder?




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 9. Mai 2021, 14:07
Rein biologisch betrachtet ist das richtig. Wir sind keine Nestflüchter, sondern für unser Überleben darauf angewiesen, dass wir in einen sozialen Verband (im kleinsten Maßstab ein anderer Mensch der sich um uns kümmert) hineingeboren werden.
Ja, genau! Allerdings werden wir nach meiner Ansicht nicht ernst im Nest zu Gemeinschaftswesen herangezogen, sondern wir sind es von Anfang an, wenn man so will: mit Haut und Haaren. Soweit ich mich an meine Lektüre von Tomasello "warum wir kooperieren" erinnere, sind viele unserer sozialen Fähigkeiten angeboren und/oder in Grundzügen bereits angelegt.




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Do 13. Mai 2021, 16:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 13. Mai 2021, 14:47
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Di 11. Mai 2021, 19:16
Der Punkt ist ja aber, dass die Interaktion, sei sie symbolisch oder aber "face-to-face", nicht hinreicht, um alle Belange von Gesellschaft zu erfassen. Oder vielmehr ist der entscheidendere Begriff, der Begriff der Kommunikation, der die Zivilisation zu seiner Grundlage hat. (Nicht Sender-Empfänger, sondern (soziale) Information erfassen, Verstehen und interaktiv mitteilen.)
Jede Kommunikation ist zugleich eine Inter- bzw. Transaktion. Wenn also der Begriff Transaktion fragwürdig ist, dann logischerweise doch auch der Begriff der Kommunikation, oder?
Ich finde nicht, dass ich mit einem Buch in Interaktion trete. Interaktion müsste mit dem Autor von statten gehen, Kommunikation hingegen greift auf das Buch selbst und direkt zu.

Transaktion ist nicht fragwürdig. Vermittelt aber den Eindruck, dass hier die verallgemeinerte Interaktion erkennbar wird im Geld, in dem sich Interaktion zeigt, indem eben eine Transaktion getätigt wird, die institutionell verankert ist.

Es geht nicht darum, Interaktion ihre Berechtigung abzusprechen. Vielmehr darum, der Gesellschaft zusätzliche Räume zur Verfügung zu stellen, die eben von der rein (sozial)psychischen Interaktion unterschieden werden kann. Um so eben Gesellschaft als Konglumerat zu verstehen, an dem eben nicht nur Individuen partizipieren, sondern auch Artefakte, Kunstwerke oder Bücher vorkommen, die wenig mit Interaktionen gemein haben, sondern eben Kommunikation ermöglichen zwischen Individuum und Gesellschaftsformation.




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Jörn Budesheim
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Do 13. Mai 2021, 17:21

Es sieht so aus, dass wir praktisch alle Wörter anders verstehen. Meines Erachtens ist es ausgeschlossen, dass man kommuniziert ohne zugleich in Interaktion zu treten, weil Interaktion einfach der weitere Begriff ist und Kommunikation umschließt.




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