Kulturelle Aneignung

Dieser Teil des Forums befaßt sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten der aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.
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NaWennDuMeinst
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Sa 28. Aug 2021, 12:12

Nauplios hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 11:22
Ich sehe das Problem nicht darin, daß der Westen Kultur und Völkermord verwechselt. Biden betreibt Außenpolitik als Innenpolitik mit außenpolitischen Mitteln. Ein Großteil der Amerikaner war für das Ende des amerikanischen Afghanistan-Einsatzes.
Sicher. Es sind ja amerikanische Ehemänner, Väter und Söhne die dort ihr Leben lassen (Mütter, Töchter und Ehefrauen auch). Und es werden ja ständig mehr, je länger diese Einsätze dauern.
Und irgendwann stellen sich die Amerikaner die Frage wofür sie da bluten.
Hinzu kommt, dass man ein Land ja nicht auf ewig besetzen kann. Irgendwann muss ja einfach der Versuch gewagt werden das Land wieder sich selbst zu überlassen. Das ist ja letztlich auch das Ziel.
Es war "an der Zeit" (Biden) aus Afghanistan abzuziehen. Außenpolitisch war es nicht "an der Zeit"; außenpolitisch war der überstürzte Abzug ein schwerer Fehler. - Die Anschläge des IS am Flughafen in Kabul: es war an der Zeit, schnellstmöglich "Vergeltung" zu üben, denn Amerika ist eine gedemütigte Nation. Außenpolitisch völlig ohne Belang, soll der "Vergeltungsschlag" nach innen Stärke demonstrieren.
Jein. Ich denke Vergeltungsschläge sind auch eine außenpolitische Warnung. Was das betrifft kann man sich auf die Amerikaner verlassen.

In Deutschland
Seien wir doch mal ehrlich. Deutschland hatte und hat in dieser ganzen Sache einfach überhaupt nichts zu melden und hat auch nicht die Zügel in der Hand.
Das Ganze lief unter der vollen Regie der Amerikaner und jede Entscheidung die wir hier getroffen haben war immer nur eine Reaktion auf Entscheidungen der Amerikaner.
Insofern finde ich sollte man bei der Bewertung auch berücksichtigen wie frei wir in den Entscheidungen wirklich gewesen sind.
Ich weiß zum Beispiel nicht, ob der Abzug aus Afghanistan wirklich stattgefunden hätte, wenn das nicht die Amerikaner, sondern wir zu entscheiden gehabt hätten.
Was jetzt folgen wird ist die Desillusionierung der Außenpolitik von moralischer Hybris.
Ich finde Du überbewertest das alles viel zu sehr.
Weil nun Biden die Amerikaner aus allem raushalten will, heißt das nicht, dass der nächste Präsident das genauso sieht.
Wir wissen auch nicht was alles passieren wird (die Gegenseite kann man ja aus der Rechnung nicht einfach rausnehmen).
Noch ein 11. September und schon sieht die Sache wieder ganz anders aus. Und dann wird man auch hier in Europa wieder umkippen. Weil - was das betrifft - nicht hier entschieden wird, sondern jenseits des Atlantiks.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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NaWennDuMeinst
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Sa 28. Aug 2021, 12:31

Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 11:49
Es ist den vielen Afghaninnen und Afghanen nicht zu verübeln, dass sie froh sind über die talibanische Machtergreifung: Sie sind wenigstens verlässlich.
Das wird sich noch zeigen. Wie gesagt, die Taliban haben jetzt die Aufgabe ein Land, das eines der ärmsten Länder der Welt ist, zur Blüte zu führen.
Denn einer Sache können wir uns sicher sein: Wenn die Leute hungern, jagen sie die Machthaber zum Teufel. Und die werden dann, wie das nun mal ihre Art ist, ihren Machtanspruch mit Gewalt durchsetzen.
Auf die Bilder können wir uns jetzt schon freuen.



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Nauplios
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Sa 28. Aug 2021, 13:25

In der Neuen ZürcherZeitung vom Tage heißt es:

"Die Mehrheit der Deutschen hat zu Militäreinsätzen, ja zur Bundeswehr überhaupt ein distanziertes Verhältnis. Der Bau von Brunnen und Mädchenschulen findet Unterstützung, der Kampf mit Toten und Verletzten nicht. Lieber erteilt man den Amerikanern Zensuren, wenn ihre Drohnen Unschuldige töten. Die Attitüde der deutschen Moralweltmeister beeinflusste die Haltung Merkels unmittelbar. (...) Ihre Führung endet da, wo der Unmut der Deutschen beginnt."

Auch das wird zur Neujustierung deutscher Außenpolitik gehören, daß zur Rettung von Menschen gegebenenfalls Militär gehört. Wer gestern die Umarmung des Brigadekommandeurs Arlt durch die Verteidigungsministerin gesehen hat, kann ahnen, daß das "distanzierte Verhältnis" sich womöglich ändern könnte. Das beinhaltet wohl auch die Ausstattung der Bundeswehr. Man darf gespannt sein, wie sich Grüne und SPD zu einer möglichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben demnächst verhalten. Es sei daran erinnert, daß die USA nach 9/11 den Bündnisfall ausgerufen haben. Deutschland gehört dem Bündnis an.




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NaWennDuMeinst
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Sa 28. Aug 2021, 14:50

Nauplios hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 13:25
In der Neuen ZürcherZeitung vom Tage heißt es:

"Die Mehrheit der Deutschen hat zu Militäreinsätzen, ja zur Bundeswehr überhaupt ein distanziertes Verhältnis."
Das ist wohl historisch bedingt. "Nie wieder" bezog sich auch darauf, dass nie wieder ein Deutscher eine Waffe in die Hand nehmen soll.
Ausser zur Selbstverteidigung. Das hat auch die Afghanistaneinsätze geprägt, die vor allem unterstützender Natur waren.
Grundsätzlich finde ich das auch besser, wenn man Brunnen und Mädchenschulen baut. Nur muss man halt erstmal dahinkommen wo Hilfe benötigt wird.
Und wenn der Gegner bewaffnet ist, und die Helfer bedroht sind, dann muss irgendwer den Schutz sicherstellen.
Es führt da kein Weg dran vorbei. "Nie wieder" geht halt nur in einer Welt in der es keine Waffen gibt, was ich auch begrüßen würde, aber so ist es ja nicht.
Auch das wird zur Neujustierung deutscher Außenpolitik gehören, daß zur Rettung von Menschen gegebenenfalls Militär gehört. Wer gestern die Umarmung des Brigadekommandeurs Arlt durch die Verteidigungsministerin gesehen hat, kann ahnen, daß das "distanzierte Verhältnis" sich womöglich ändern könnte.
Ich habe das noch nie verstanden. Diese Menschen halten für uns ihre Köpfe hin. Sie verdienen den größten Respekt. Und auch die größte Unterstützung.



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NaWennDuMeinst
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Sa 28. Aug 2021, 15:25

Roderich Kiesewetter: "Die Amerikaner haben uns zu spät informiert".



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NaWennDuMeinst
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Sa 28. Aug 2021, 16:18

Schönes Video zur Geschichte Afghanistans:
(von 2019)


Interessant fand ich zu hören dass schon damals, als das Video entstand, man die Moral der afghanischen Armee eher als gering einschätzte.
Soviel zu der Frage ob die kampflose Aufgabe abzusehen war.
Auch interessant war zu erfahren, dass neben der damaligen Sovjetunion und den USA vor allem auch die Nachbarländer an der prekären Situation eine Mitschuld tragen.
Das ist Etwas was mir vorher gar nicht so klar war.



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Nauplios
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Sa 28. Aug 2021, 16:26

Ja, dieses Video habe ich gestern auch gesehen. Arte hat in seinem Programm auch eine preisgekrönte vierteilige Dokumentation über Afghanistan. Man muß allerdings viel Zeit dafür mitbringen:

Afghanistan. Das verwundete Land




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Friederike
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So 29. Aug 2021, 13:17

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 14:50
Nauplios hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 13:25
In der Neuen ZürcherZeitung vom Tage heißt es:
"Die Mehrheit der Deutschen hat zu Militäreinsätzen, ja zur Bundeswehr überhaupt ein distanziertes Verhältnis."
Das ist wohl historisch bedingt. "Nie wieder" bezog sich auch darauf, dass nie wieder ein Deutscher eine Waffe in die Hand nehmen soll. Ausser zur Selbstverteidigung. Das hat auch die Afghanistaneinsätze geprägt, die vor allem unterstützender Natur waren. Grundsätzlich finde ich das auch besser, wenn man Brunnen und Mädchenschulen baut. Nur muss man halt erstmal dahinkommen wo Hilfe benötigt wird.
Und wenn der Gegner bewaffnet ist, und die Helfer bedroht sind, dann muss irgendwer den Schutz sicherstellen. Es führt da kein Weg dran vorbei. "Nie wieder" geht halt nur in einer Welt in der es keine Waffen gibt, was ich auch begrüßen würde, aber so ist es ja nicht.
Man hätte bei einem Militär zur Verteidung des eigenen Landes bleiben können. Das wäre möglich gewesen. Es gab nie eine Situation, in der die Teilnahme an militärischen Einsätzen außerhalb Deutschlands alternativlos war. Vor ungefähr einer Woche hatte Nauplios eine Auswahl der Länder angeführt, deren Bevölkerung dringend der Hilfe bedarf, weil sie drangsaliert wird. Obwohl "Auswahl", waren schon dies etliche Staaten zu viele, um in allen tätig werden zu können. Da die Bundeswehr nun aber 20 Jahre in Afghanistan stationiert war, was nicht rückgängig zu machen ist, verstehe ich immer noch nicht, warum man Mittwoch oder Donnerstag das Ende der Evakuierungsflüge und den Abzug der Bundeswehrsoldaten und Soldatinnen für Freitag beschlossen hatte (noch vor dem Anschlag).




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Friederike
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So 29. Aug 2021, 13:28

Nauplios hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 13:25
[...] Es sei daran erinnert, daß die USA nach 9/11 den Bündnisfall ausgerufen haben. Deutschland gehört dem Bündnis an.
Ich erinnere es so, daß der damalige BK Schröder sich sofort sinngemäß so äußerte, daß die Feinde der USA unsere (der Deutschen) Feinde seien. Die Äußerung stand damals auch in der Kritik, weil sie die spätere Entscheidung zum Militäreinsatz in Afghanistan fast vorwegnahm. Und die Geschichte mit dem "Bündnisfall" erinnere ich auch anders, zumindest nicht derart eindeutig wie es Deine Formulierung impliziert. Ich meine, es war damals nicht klar, unmißverständlich und eindeutig, welche Konsequenzen der "Bündnisfall" konkret für die Beteiligung der Bundeswehr nach sich zieht. Darüber wurde im Parlament diskutiert.




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Friederike
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So 29. Aug 2021, 14:28

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 14:50
Auch das wird zur Neujustierung deutscher Außenpolitik gehören, daß zur Rettung von Menschen gegebenenfalls Militär gehört. Wer gestern die Umarmung des Brigadekommandeurs Arlt durch die Verteidigungsministerin gesehen hat, kann ahnen, daß das "distanzierte Verhältnis" sich womöglich ändern könnte.
Ich habe das noch nie verstanden. Diese Menschen halten für uns ihre Köpfe hin. Sie verdienen den größten Respekt. Und auch die größte Unterstützung.
Hmhm - falls es die Umarmung ist, die ich gestern sah, dann fand ich sie keineswegs distanzlos; erwartet jedenfalls hatte ich aufgrund Deiner Bemerkung @Nauplios, eine Art von herzlicher Umarmung. Zudem ist Kramp-Karrenbauer nicht das dt. Volk, das sich distanziert gegenüber militärischen Aktivitäten der Bundeswehr verhält. Aber das ist eh nur Randgeplänkel (meinerseits, meine ich).
Eigentlich will ich Dir @NWDM entgegnen, daß man sich freiwillig bei der Bundeswehr für einen Job bewirbt und dies nicht zur Ehre und zur Verteidigung des Vaterlandes und für die Freiheit (neulich sah ich mir die Bundeswehr-Werbung an und nicht einmal dort fand sich dergleichen). Außerdem ist der Fall ja bisher gar nie eingetreten.




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Nauplios
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So 29. Aug 2021, 15:30

Friederike hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 13:28

Ich erinnere es so, daß der damalige BK Schröder sich sofort sinngemäß so äußerte, daß die Feinde der USA unsere (der Deutschen) Feinde seien. Die Äußerung stand damals auch in der Kritik, weil sie die spätere Entscheidung zum Militäreinsatz in Afghanistan fast vorwegnahm. Und die Geschichte mit dem "Bündnisfall" erinnere ich auch anders, zumindest nicht derart eindeutig wie es Deine Formulierung impliziert. Ich meine, es war damals nicht klar, unmißverständlich und eindeutig, welche Konsequenzen der "Bündnisfall" konkret für die Beteiligung der Bundeswehr nach sich zieht. Darüber wurde im Parlament diskutiert.
Ich mach's mir jetzt mal etwas einfach:

Nato. Erstmals Bündnisfall ausgerufen

Afghanistan-Einsatz und Vertrauensfrage

Der Entscheidung zur deutschen Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan liegt die Zustimmung des Deutschen Bundestages vom 16. November 2001 zugrunde. Diese Zustimmung ist notwendig. Einen Automatismus nach Paragraph 5 des NATO-Vertrages gibt es nicht. Die Bündnisverpflichtung, die Deutschland als Mitglied der NATO hat, bedeutet nicht die automatische Beteiligung an Kampfeinsätzen der NATO. Dafür erforderlich ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages.




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Nauplios
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So 29. Aug 2021, 15:46

Mir ist nicht so recht klar, worauf Du hinauswillst, Friederike. Darauf, daß Deutschland sich aus dem Krieg in Afghanistan einfach hätte raushalten können?

Die PDS war ja gegen diesen Einsatz, einige Abgeordnete von SPD und Grünen (Antje Vollmer etwa) auch. Schröder verband ja das Ja zum Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage, um dieses Ja auf eine breite Basis zu stellen. Die damals oppositionelle CDU war für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, stimmte jedoch dennoch mit "Nein", weil sie es verfassunsrechtlich für bedenklich hielt, eine "Sachfrage" mit der Vertrauensfrage zu verbinden. Durch ein seltsames Abstimmungsverhalten der Grünen bekam Schröder dennoch eine Mehrheit für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und überstand so auch die Vertrauensfrage und blieb weiterhin im Amt. Die rot-grüne Bundesregierung konnte weiter regieren.




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So 29. Aug 2021, 17:49

Friederike hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 13:17

Man hätte bei einem Militär zur Verteidung des eigenen Landes bleiben können. Das wäre möglich gewesen. Es gab nie eine Situation, in der die Teilnahme an militärischen Einsätzen außerhalb Deutschlands alternativlos war. Vor ungefähr einer Woche hatte Nauplios eine Auswahl der Länder angeführt, deren Bevölkerung dringend der Hilfe bedarf, weil sie drangsaliert wird. Obwohl "Auswahl", waren schon dies etliche Staaten zu viele, um in allen tätig werden zu können. Da die Bundeswehr nun aber 20 Jahre in Afghanistan stationiert war, was nicht rückgängig zu machen ist, verstehe ich immer noch nicht, warum man Mittwoch oder Donnerstag das Ende der Evakuierungsflüge und den Abzug der Bundeswehrsoldaten und Soldatinnen für Freitag beschlossen hatte (noch vor dem Anschlag).
Das "Nie-wieder", das NaWennDuMeinst angeführt hat, entspricht und entspringt der Zeitgeschichte und dem Zeitgeist im Nachkriegsdeutschland. Die Aufbau einer Bundeswehr in den 50er Jahren war innenpolitisch sehr umstritten. Letztlich sind aber die BRD und die DDR in die Militärbündnisse der NATO und des Warschauer Pakts eingetreten. -

Einen Bündnisfall wie ihn die NATO nach 9/11 ausgerufen hat, hat es jahrzehntelang nicht gegeben. Nach 9/11 gab es ihn zum ersten Mal. Er beinhaltet die Verpflichtung zur gemeinsamen Selbstverteidigung. Artikel 5 des NATO-Vertrags schreibt vor, dass im Falle von Angriffen im Sinne dieses Artikels jeder Verbündete der angegriffenen Vertragspartei Beistand leistet, indem er die Maßnahmen trifft, die er für erforderlich erachtet.

Im speziellen Fall des NATO-Mitglieds Deutschland gab es selbstverständlich Spielräume bei der Interpretation dieses Beistandleistens. Wenn Du das meinst, Friederike, bin ich bei Dir.

Bei dem Satz "Es gab nie eine Situation, in der die Teilnahme an militärischen Einsätzen außerhalb Deutschlands alternativlos war", zögere ich jedoch. - Sicher, der Deutsche Bundestag hätte "Nein" sagen können. Dann hätte die Regierung Schröder zurücktreten müssen (verlorene Abstimmung über die Vertrauensfrage), es hätte Neuwahlen gegeben und eine neue Regierung hätte dann genauso dem Bundestag die Entscheidung über ein Afghanistan-Mandat vorlegen müssen. Es war ja nicht so, daß es keine breite Mehrheit für diesen Einsatz gegeben hätte; die damalige Opposition hatte sich am Verfahren gestört, nicht am Inhalt des Beschlußes.

Was wären Alternativen gewesen? - Verweigerung der außenpolitischen Verpflichtungen, die Deutschland als NATO-Mitglied eingegangen ist, ein Jahrzent nach Erlangung der deutschen Einheit???

Austritt aus der NATO?

Ein Austritt aus der NATO wurde ja vor einem Jahr noch von der Partei "Die Linke" in einem Strategiepapier gefordert. - Es ist nicht so, daß ein Austritt aus dem westlichen Militärbündnis politisch keine Fürsprecher hätte. Eine politische Mehrheit ist dafür jedoch nicht in Sicht.

(Daß "Die Linke" einer künftigen Bundesregierung angehört, halte ich - nicht nur aus dem Grunde - für sehr unwahrscheinlich.)




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Friederike
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So 29. Aug 2021, 17:53

Nauplios hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 15:46
Mir ist nicht so recht klar, worauf Du hinauswillst, Friederike. Darauf, daß Deutschland sich aus dem Krieg in Afghanistan einfach hätte raushalten können?
Die Formulierung Deiner Frage enthält Wertungen. :lol: Aber ich laß mich drauf ein und antworte "einfach" mit einem "ja". "Raushalten" und die USA die Terroristen verfolgen lassen, wenn sie es denn für zwingend halten. Als generelles Statement möchte ich hinzufügen, daß ich es lieber gesehen, besser gefunden hätte, wenn sich auch nach dem Zusammenschluß der beiden dt. Staaten Deutschland dazu entschieden hätte, die Bundeswehr weiterhin ausschließlich für den Verteidigungsfall zu "unterhalten". Und ich glaube nicht, daß man deswegen, wie es der von Dir zitierte Auszug aus der NZZ nahelegt, mit gespaltener Zunge reden muß; "wir lassen die Anderen, insbesondere die USA, sich die Hände schmutzig machen" -




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So 29. Aug 2021, 18:03

Friederike hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 17:53
Nauplios hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 15:46
Mir ist nicht so recht klar, worauf Du hinauswillst, Friederike. Darauf, daß Deutschland sich aus dem Krieg in Afghanistan einfach hätte raushalten können?
Die Formulierung Deiner Frage enthält Wertungen. :lol: Aber ich laß mich drauf ein und antworte "einfach" mit einem "ja". "Raushalten" und die USA die Terroristen verfolgen lassen, wenn sie es denn für zwingend halten. Als generelles Statement möchte ich hinzufügen, daß ich es lieber gesehen, besser gefunden hätte, wenn sich auch nach dem Zusammenschluß der beiden dt. Staaten Deutschland dazu entschieden hätte, die Bundeswehr weiterhin ausschließlich für den Verteidigungsfall zu "unterhalten". Und ich glaube nicht, daß man deswegen, wie es der von Dir zitierte Auszug aus der NZZ nahelegt, mit gespaltener Zunge reden muß; "wir lassen die Anderen, insbesondere die USA, sich die Hände schmutzig machen" -
Dann greife ich die Frage wieder mal aus der Luft, in der sie liegt:

Sollte Deutschland aus der NATO austreten?




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So 29. Aug 2021, 18:27

Friederike hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 14:28

Eigentlich will ich Dir @NWDM entgegnen, daß man sich freiwillig bei der Bundeswehr für einen Job bewirbt und dies nicht zur Ehre und zur Verteidigung des Vaterlandes und für die Freiheit (neulich sah ich mir die Bundeswehr-Werbung an und nicht einmal dort fand sich dergleichen). Außerdem ist der Fall ja bisher gar nie eingetreten.
Das "Vaterland", für das man auf dem "Feld der Ehre" im Namen der "Freiheit" sein Leben läßt - die "Nie-wieder" und "Ohne-mich"-Generation der 50er Jahre hat gegenüber diesen Wertsetzungen Stellung bezogen. Im kalten Krieg hat man sich um eine mögliche Bedrohung durch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt gesorgt. Man hatte Angst, daß "der Russe kommt". Später hatte man Angst vor der "gelben Gefahr" ...

Vom "Vaterland" redet heute nur noch (oder wieder) die AfD. Die Wertsetzungen haben sich geändert. Die Wehrpflicht ist abgeschafft. Ziele und Wertsetzungen änderten sich entscheidend auch mit 9/11. Und es steht zu erwarten, daß sie sich nach Afghanistan erneut ändern.

Die NATO versteht sich als transatlantische Wertegemeinschaft. Vaterland und Ehre spielen keine Rolle mehr, Freiheit wohl. Im NATO-Vertrag bekennen sich ihre Mitglieder zu Frieden, Demokratie, Freiheit und der Herrschaft des Rechts.




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So 29. Aug 2021, 18:42

Friederike hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 13:17

Da die Bundeswehr nun aber 20 Jahre in Afghanistan stationiert war, was nicht rückgängig zu machen ist, verstehe ich immer noch nicht, warum man Mittwoch oder Donnerstag das Ende der Evakuierungsflüge und den Abzug der Bundeswehrsoldaten und Soldatinnen für Freitag beschlossen hatte (noch vor dem Anschlag).
Die USA haben dazu aufgefordert, sich vom Flughafen in Kabul zurückzuziehen. Mit jedem Tag wurde die Situation - auch für die westlichen Soldaten - in Kabul gefährlicher. Die USA führen den Einsatz in Afghanistan an. Eine deutsche Verteidigungsministerin wird sich Aufforderungen von seiten der USA nicht entgegenstellen. Am Ende geht es ja auch nicht nur um ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr, sondern auch um den Schutz der Bundeswehr selbst. So kamen auch die beiden Helikopter, die noch kurz zuvor nach Kabul verlegt worden waren, nicht mehr zum Einsatz.




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So 29. Aug 2021, 18:44

Nauplios hat geschrieben :
So 29. Aug 2021, 18:27
Die NATO versteht sich als transatlantische Wertegemeinschaft. Vaterland und Ehre spielen keine Rolle mehr, Freiheit wohl. Im NATO-Vertrag bekennen sich ihre Mitglieder zu Frieden, Demokratie, Freiheit und der Herrschaft des Rechts.
"Versteht sich als" formuliert das Selbstverständnis der NATO. Was die Werte angeht, so hege ich Sympathie für die traurig-bittere Darstellung von @Alethos. Weil ich mich ja schnell "gemaßregelt" fühle, so also auch durch diese Deine Worte @Nauplios, die Freiheit, der Frieden - das "Vaterland", die "Ehre" hatten einen touch von Polemik.




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So 29. Aug 2021, 19:16

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 12:31
Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 11:49

Es ist den vielen Afghaninnen und Afghanen nicht zu verübeln, dass sie froh sind über die talibanische Machtergreifung: Sie sind wenigstens verlässlich.
Das wird sich noch zeigen. Wie gesagt, die Taliban haben jetzt die Aufgabe ein Land, das eines der ärmsten Länder der Welt ist, zur Blüte zu führen.
Vermutlich wird diese "Blüte" lange auf sich warten lassen. Es ist ja so, daß auch andere islamistische Terrorgruppen in Afghanistan operieren, der "Islamische Staat" etwa oder Al-Qaida. Viel wird davon abhängen, ob Afghanistan erneut zu einem Rückzugsgebiet international agierender Terroristen wird oder ob es den Taliban gelingt, den IS und Al-Qaida fern zu halten. Insofern könnte sich in diesem Punkt sogar ein gemeinsames Interesse des Westens mit den Taliban entwickeln. Es war jetzt sehr leicht für die Taliban, die Macht zu ergreifen. Nun geht es für sie aber darum, die Macht zu erhalten - auch gegenüber einer dschihadistischen Organisation wie dem IS.




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So 29. Aug 2021, 19:21

Alethos hat geschrieben :
Sa 28. Aug 2021, 11:38

Wir müssen die Welt vielleicht auch im Kleinen retten, wenn wir im Grossen und Ganzen scheitern.
Wir müssen die Welt vielleicht im Kleinen retten, wenn wir auch im Grossen und Ganzen scheitern.

;)




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