Kulturelle Aneignung

Nauplios
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Di 14. Sep 2021, 02:39

"Es ist für die Amerikaner eine schwere Niederlage. Es ist für die Deutschen eine schwere Niederlage. Zum Abschluß darf ich darauf verweisen, daß die Bundesregierung auf ganzer Linie politisch und moralisch versagt hat. (...) Es zeigt nur, wie wenig es außenpolitische Akteure in Berlin gibt, die strategisch denken würden. Es gibt viel Phraseologie, es gibt viel Gerede über Werte, Freiheit, Demokratie, bla bla ... , aber wenn es ans Eingemachte geht (...), dann wird das Ganze sehr dünn. (...) Es ist eine Blamage; man ist vorgeführt worden. (...) Werden nun die westlichen Staaten lernen aus dieser Intervention? Ich bin da sehr, sehr skeptisch und zurückhaltend. Wenn dem so wäre, müßte man anfangen, laut darüber nachzudenken, wie sinnvoll ist der Bundeswehreinsatz in Mali? Auch der wird eines Tages genauso enden wie der in Afghanistan." (Michael Lüders. Link s.o.)

Natürlich kann niemand in die Zukunft schauen, auch Michael Lüders, der mehrfach in Afghanistan war, nicht. Es ist nicht auszuschließen, daß der Bundeswehreinsatz in Mali, der 2013 begann, bereits in der nächsten Legislaturperiode zur Disposition steht. Zwei Drittel des Landes werden von dschihadistischen Bewegungen kontrolliert. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land. Zwei Drittel der Malierinnen und Malier sind Analphabeten. Staatliche Strukturen sind kaum vorhanden. Es herrschen diesbezüglich in Mali vergleichbare Umstände mit Afghanistan. Natürlich ist die Situation in Mali nicht in jeder Hinsicht mit der in Afghanistan vergleichbar. Die Bevölkerung in Mali bekennt sich zum größten Teil zum Sufismus, einer toleranten Auslegung des Islam. - Die Sicherheitslage der ca. 900 deutschen Soldaten, die derzeit im Rahmen der UN-Friedensmission MINUSMA in Mali stationiert sind, ist dennoch prekär, wie jüngst der Anschlag im Juni, bei dem zwölf deutsche Soldaten verwundet wurden, zeigte.




Nauplios
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 02:04

Ich bezweifle, dass die betroffenen Bevölkerungsgruppen hinter den Taliban stehen.
Und das, lieber Nauplios, fängt langsam an mich wirklich anzukotzen. Hier soll jetzt nämlich vergessen werden, was das in Wirklichkeit für Leute sind mit denen wir uns "gutstellen" sollen.
Da mache ich nicht mit. Auf solche "Islamwissenschaftler" (und deren Analyse) gebe ich einen Dreck.
Ob weite Teile der afghanischen Bevölkerung hinter den Taliban stehen, vermag ich aus der Beschränktheit meiner Perspektive nicht zu beurteilen. Darüber gibt es meines Wissens keine belastbaren Daten. Was kann man also machen? - Man kann sich Leute anhören, die vor Ort waren, man kann lesen, was Korrespondenten sagen (s. die SWR-Dokumentation), man kann die Zeitungen lesen, Radio hören, Dokus sehen ... Es gibt ja da ein vielfältiges Angebot. Daß die Taliban auch Rückhalt in der Bevölkerung (besonders in der ländlichen) haben, das sagt ja nicht nur Lüders. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Scholl-Latour aus Anlaß seines 90. Geburtstags, der den Afghanistan-Einsatz des Westens komplett ablehnte.

"Tatsächlich hatte der Ausnahmejournalist und Kenner der islamischen Welt, dessen Todestag sich am Montag zum siebten Mal jährte, seinerzeit vor dem militärischen Engagement des Westens in Afghanistan ohne eine Exit-Strategie gewarnt wie kaum jemand. Sein Credo: Der Krieg gegen die Taliban sei nicht zu gewinnen. Heute wissen wir: Scholl-Latour lag richtig." (Afghanistan-Prophezeiungen Peter Scholl-Latours haben sich erfüllt)

Lüders, Scholl-Latour ... darauf kann man "einen Dreck geben". In Ordnung. Mein Eindruck ist, daß es unter den politischen Beobachtern einige gibt, die die Einschätzungen von Lüders im Großen und Ganzen teilen. In den letzten drei Wochen hab ich einige genannt. Ich lese da u.a. von der "Niederlage" des Westens. Für Dich hat der Westen den Krieg in Afghanistan nicht verloren. Ja, ist doch in Ordnung. Ich zitiere zwei Dutzend Quellen. Du sagst "Für mich ... " Ja, alles gut. Ich kann Dich nicht überzeugen. Ist doch in Ordnung. Du bist ja auch nicht so naiv wie ich. Ist doch alles super. Du bleibst bei Deiner Sichtweise. Perfekt. Super. Schön. Hervorragend. Prima. Wir werden hier nicht zusammenkommen. Dennoch geht das Leben weiter, in Berlin und in Münster. Ich werde meinen Interessen weiter nachgehen. Und Du gehst Deinen nach. Wunderbar. Alles gut.




Nauplios
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Di 14. Sep 2021, 03:33

Wir müssen nicht zwangsläufig zu einem Konsens kommen, NWDM. Wir müssen uns damit nicht quälen, um jeden Preis Einhelligkeit und Einstimmigkeit in der Einschätzung der politischen Lage - in diesem Fall der Außenpolitik - herzustellen. Es gibt ja zwischen uns gar nichts zu verhandeln. Es muß kein Ergebnis geben. Ich orientiere mich oft an Gelesenem (Neue Zürcher Zeitung, Zeit) oder an Gehörtem und Gesehenem (DLF, ARD, ZDF, DW, arte). Auf den Deutschlandfunk habe ich verlinkt, auf die dreiteilige Doku bei arte, auf die SWR-Doku, auf die Deutsche Welle ... Alles "Dreck"? - Einverstanden, aber dann laß' uns das Gespräch nicht weiter verfolgen. Möge jeder schreiben, was er für richtig hält.




Nauplios
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Di 14. Sep 2021, 03:54

"So lautet Feroz‘ Einschätzung: Zusammen mit den vielen Drohnenangriffen, unter denen besonders Zivilisten litten, treibe man das Land geradezu in die Hände der Taliban. Nur wenige Wochen später zeigt sich, wie richtig er damit lag." (Scheitern mit Ankündigung)

Emran Feroz habe ich vor einiger Zeit im ZDF gesehen; er ist ein österreichisch-afghanischer Jounalist und Autor, der u.a. für die "ZEIT" und "TAZ" arbeitet. In Tübingen hat er Islamwissenschaften studiert.

"Feroz nimmt kein Blatt vor den Mund. Seit Jahren reist er durch das Land, interviewt Politiker, aber auch die Landbevölkerung, die in der üblichen Berichterstattung selten zu Wort kommt, obwohl sie die Mehrheit des Landes bildet."

Hier scheint mir in der Berichterstattung der deutschen Medien ein Versäumnis zu liegen: man hat überwiegend auf die urbane Bevölkerung in Afghanistan geschaut, weniger auf die ländliche Bevölkerung. Lüders schätzt die "hauchdünne Schicht" der Menschen, die in Kabul und anderen großen Städten Afghanistans westlich orientiert sind auf ca. 150 000. Afghanistan hat ca. 38 Millionen Einwohner.




Nauplios
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Di 14. Sep 2021, 04:15

" Stattdessen kam es ... insbesondere in Deutschland zu einem Überbietungswettbewerb der Werte, die man in Afghanistan einpflanzen, und der Normen, an denen man sich dabei orientieren wollte. Wenn man schon mit Militär in die Region hineinging, dann musste das moralisch rechtfertigbar sein und entsprechende humanitäre Effekte haben. (...) Man wird davon ausgehen müssen, dass die Ära des Werteexports zu Ende ist." (Das Ende des Werteexports)

Dieser Artikel aus der "TAZ" über das "Scheitern des Westens in Afghanistan" zeigt im Grunde das ganze Dilemma des Afghanistan-Einsatzes aus deutscher Sicht auf. Die Ziele dieses Einsatzes waren zu groß. Angela Merkel war eine der ersten, die das erkannt haben. Außenpolitisch ist es das Ende einer Ära. Das bedeutet nicht die Abstinenz von jeglichen Militäreinsätzen, etwa im Rahmen eines UN-Mandats. Es bedeutet noch nicht einmal das Ende einer wertebasierten Außenpolitik. Es bedeutet das Ende des Exports von Werten. Das ist ein Unterschied. Eben darin lag die Hybris des Westens.




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NaWennDuMeinst
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Di 14. Sep 2021, 07:49

Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 03:33
Wir müssen nicht zwangsläufig zu einem Konsens kommen, NWDM. Wir müssen uns damit nicht quälen, um jeden Preis Einhelligkeit und Einstimmigkeit in der Einschätzung der politischen Lage - in diesem Fall der Außenpolitik - herzustellen. Es gibt ja zwischen uns gar nichts zu verhandeln. Es muß kein Ergebnis geben. Ich orientiere mich oft an Gelesenem (Neue Zürcher Zeitung, Zeit) oder an Gehörtem und Gesehenem (DLF, ARD, ZDF, DW, arte). Auf den Deutschlandfunk habe ich verlinkt, auf die dreiteilige Doku bei arte, auf die SWR-Doku, auf die Deutsche Welle ... Alles "Dreck"? - Einverstanden, aber dann laß' uns das Gespräch nicht weiter verfolgen. Möge jeder schreiben, was er für richtig hält.
Du führst sowieso ein ganz anderes Gespräch als ich.
Dass in Afghanistan heute keine Demokratie nach westlichem Vorbild existiert bestreite ich gar nicht. Das ist ja offensichtlich.
Was ich bestreite, bzw für zweifelhaft oder fragwürdig halte, habe ich ja geschrieben.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Nauplios
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Di 14. Sep 2021, 11:09

Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist, sprach am 06. September im "Deutschlandfunk Kultur" von einem "verengten Blick des Westens". Kermani ist kein Dahergelaufener, dessen Berufsbezeichnung man hämisch in Anführungszeichen setzen muß. 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Kürzlich erhielt er den "Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln". Ein vielfach ausgezeichneter Mann, der als Bundespräsident im Gespräch war, was ich sehr begrüßt hätte; er wäre der erste Muslim gewesen in diesem Amt. Wenn so ein Mann, vom "verengten Blick des Westens" spricht, dann redet er keinen "Dreck". (Der verengte Blick des Westens)

Ich führe kein ganz anderes Gespräch als du. Ich führe ein Gespräch ganz anders als du. Nicht in Rambo-Manier, sondern aufgrund dessen, was ich in der Presse und in den Medien wahrnehme. Darauf verlinke ich, daraus zitiere ich.

"Doch was genau ist Gutes?

Ist das, was sich westliche Regierungen darunter vorstellen – freie Wahlen, Aufbau von Institutionen, Bildung für alle, Frauenrechte, Menschenrechte – ist das auch tatsächlich immer gut für die anderen? Gut in diesem Moment? Akzeptieren die Menschen diese Werte und nehmen sie sie an? Ja, würden sie dafür auch sterben, wie wir es von der afghanischen Armee im Kampf gegen die Taliban erwartet hatten? Die Antwort ist auch hier ein bitteres: offensichtlich nicht." (Europas Lehren aus dem gescheiterten Krieg gegen Terror)

Das sagt Markus Ziener, der lange Zeit im Nahen Osten als Korrespondent gearbeitet hat. Eine der Lehren formuliert Ziener so:

"Wenn eine Intervention unbedingt sein muss, dann sollten wir zumindest auf die moralische Bugwelle verzichten und das 'Nation Building' tiefer hängen."

Auf die moralische Bugwelle verzichten. Das ist ein Grundsound vieler Beobachter und Kommentatoren in diesen Tagen. Das saug' ich mir nicht aus den Fingern. Das kann jeder mit wenigen Klicks nachlesen. - Dem muß man sich nicht anschließen. Man kann ja auch den moralischen Fortschritt der Menschheit auf die politische Agenda setzen. Aber mit "Dreck" und "auf die Fresse" schlägt man einen ganz anderen Ton an. Das ist nicht mehr als breitbeiniges Verächtlichmachen. - Die Quintessenz dessen, was ich nahezu täglich zum Thema Afghanistan lese und höre, ist die Akzentverschiebung von Moral nach Interesse im Hinblick auf die künftige deutsche und europäische Außenpolitik. Die USA haben damit bereits begonnen. Die Europäer werden sich nach meiner Einschätzung dieser Akzentverschiebung gar nicht verschließen können, weil sie zu einer gemeinsamen Außenpolitik kaum in der Lage sind. Sie haben sich in sechs Jahren nicht mal auf eine gemeinsame Asylpolitik verständigen können. Die Akzentverschiebung bedeutet selbstverständlich nicht, daß wir unsere westlichen Werte aufgeben. Wir können sie den muslimisch geprägten Ländern des Nahen und mittleren Ostens allerdings auch nicht im Zuge einer militärischen Intervention "beibringen". Ganz offensichtlich geht das nicht. (Selbstverständlich besteht gleichwohl die Möglichkeit, es trotz Afghanistan weiterhin zu versuchen.) - Humanitäre Hilfen: selbstverständlich. Aufnahme von Flüchtlingen: selbstverständlich. 2015 darf sich wiederholen. Die Willkommenskultur war in meinen Augen eine großartige Geste. Und selbstverständlich hat das auch mit Moral zu tun. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man Menschen in Not die Tür öffnet oder ob man mit der Bundeswehr und der Nato vorneweg in ein Land einmarschiert, um ihnen im Zusammenhang mit militärischen Operationen westliche Werte zu vermitteln.




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Jörn Budesheim
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Di 14. Sep 2021, 13:54

Wenn jemand im Namen universeller moralischer Werte etwas Unmoralisches tut, dann folgt daraus nichts zu der Frage, ob es universelle moralische Werte gibt. Das ist der Punkt, den du systematisch zu verschleiern suchst. Unter der Hand möchtest du (ohne Argument, aber mit dauernden Sticheleien) die Idee des moralischen Fortschritts insgesamt diskreditieren. Aber daraus, dass "der Westen" in Afghanistan gescheitert ist, folgt nicht, dass die Idee des moralischen Fortschritts einen Makel hat.




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Di 14. Sep 2021, 14:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 13:54
Wenn jemand im Namen universeller moralischer Werte etwas Unmoralisches tut, dann folgt daraus nichts zu der Frage, ob es universelle moralische Werte gibt. Das ist der Punkt, den du systematisch zu verschleiern suchst. Unter der Hand möchtest du (ohne Argument, aber mit dauernden Sticheleien) die Idee des moralischen Fortschritts insgesamt diskreditieren. Aber daraus, dass "der Westen" in Afghanistan gescheitert ist, folgt nicht, dass die Idee des moralischen Fortschritts einen Makel hat.
Da ist sie, die moralische Bugwelle. Kommt der moralische Rigorismus in schwere Gewässer, baut sie sich auf und verdrängt alles, was ihr beim Kurs auf's Gute in die Quere kommt. - "Quark", "Quatsch", "Sticheleien" ist das, was bleibt.




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Jörn Budesheim
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Di 14. Sep 2021, 14:49

Das ist einfach nur Unsinn. Mehr ist da nicht. Du baust eine rhetorisch verbrämte Unsinns-Argumentation auf, wesentlich basierend auf Metaphern, die mal so und mal so eingesetzt werden. Was deine Zeugen sagen, hat in der Regel nichts mit deinem persönlichen Argumentationszielen zu tun. Die werden von dir einfach benutzt. Ob dir das selbst klar ist, weiß ich nicht. Ich befürchte aber: ja. Das heißt, ich denke, du machst es wider besseres Wissen.




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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 11:09
Ich führe kein ganz anderes Gespräch als du. Ich führe ein Gespräch ganz anders als du.
Wenn NWDM Krawall macht, dann zeigt er das wenigstens offen. Während du immer darauf bedacht bist, vornehm zu tun.




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Di 14. Sep 2021, 14:57

Was den "moralischen Fortschritt der Menschheit" betrifft, so ist jene Vorstellung in Afghanistan soeben auf ganzer Linie gescheitert. Dazu bedarf es keiner "Sticheleien", wohl allerdings der politischen Urteilskraft. In der Philosophie Realist zu sein, in der Politik Idealist, erweist der Sache des moralischen Fortschritts einen Bärendienst. Alle Kommentare und Analysen, die ich zitiert habe und auf die ich hingewiesen habe, laufen auf das Gegenteil der Hybris hinaus, der Westen sei berufen, seine Werte zu exportieren. Das philosophische Gegenstück zu dieser Hybris ist die von Markus Gabriel ausgegebene Formel vom "moralischen Fortschritt der Menschheit". Sie verschafft den philosophischen Windschatten, in dem die weltpolitische Hybris der Europäer (insbesondere der Deutschen, denen bis vor wenigen Jahren das Wort "Krieg" noch nicht zumutbar war) fährt.

Markus Gabriel trifft keine Schuld am Desaster von Afghanistan. Doch sein "moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten" taugt für eine Neuausrichtung der Außenpolitik, wie sie sich für die nächste Legislaturperiode abzeichnet, nicht. Das ist die Botschaft - ungestichelt.




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Di 14. Sep 2021, 15:08

Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 14:57
Was den "moralischen Fortschritt der Menschheit" betrifft, so ist jene Vorstellung in Afghanistan soeben auf ganzer Linie gescheitert. Dazu bedarf es keiner "Sticheleien", wohl allerdings der politischen Urteilskraft.
Warum sollte das aus den Geschehnissen in Afghanistan folgen? Es folgt schlicht nicht. Dass moralischer Fortschritt möglich ist und wünschenswert, heißt keineswegs, dass er sich stets automatisch einstellt oder immer gelingt. Mit etwas Urteilskraft sieht man jedoch, dass "moralischen Fortschritt der Menschheit" eine kaum zu leugnende Realität ist. In vielen Bereichen haben wir vieles erreicht, wenn auch nicht in allen Bereichen, wenn auch nicht überall auf dem Globus. Und Spiel nach oben ist reichlich vorhanden.

Trump und AFD lassen sich vermutlich sogar recht gut mit den erreichten Fortschritten erklären. Der Slogan der AFD "Deutschland normal" sagt diesbezüglich alles.




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Di 14. Sep 2021, 15:19

Vergleicht man die Lage im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in Afrika, dann hat der politische Islam in diesen Regionen nach dem Einmarsch der westlichen Truppen in Afghanistan und in den Irak an Einfluß gewonnen.




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Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 11:09
Aufnahme von Flüchtlingen: selbstverständlich. 2015 darf sich wiederholen. Die Willkommenskultur war in meinen Augen eine großartige Geste.
Sehe ich übrigens genau so. Und das würde ich unter Fortschritt verbuchen. Ein noch größerer Fortschritt wäre, wenn es den Status Flüchtling gar nicht mehr gibt, weil wir alle "Global Citizen" geworden sind.




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Di 14. Sep 2021, 15:27

"Insgesamt gibt es 2020/21 mehr islamistische Terroristen an mehr Orten weltweit und die verübten in den letzten Jahren mehr Anschläge mit mehr Todesopfern als um 2001. Vor allem in Syrien, Irak und Afghanistan ist die Situation schlimmer als 2001." (Quelle)

Das meint der Islamwissenschaftler Guido Steinberg.
Zuletzt geändert von Nauplios am Di 14. Sep 2021, 15:53, insgesamt 1-mal geändert.




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"Global Citizen" - Es gibt einen Schweizer (?) Autor, der hat um 2015/16 bei stw ein sehr interessantes Bändchen über die Abschaffung und Durchlässigkeit nationaler Grenzen vorgelegt ... Ich schaue das später mal nach ...




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Di 14. Sep 2021, 15:46

Andreas Cassee; Globale Bewegungsfreiheit. Ein Plädoyer für offene Grenzen



Ich habe das Buch in weiten Teilen gelesen. Ein Werk, das damals in der migrationstheoretischen Debatte Aufsehen erregt hat und in diversen Kultursendungen im Radio und im TV besprochen wurde.





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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 15:24
Nauplios hat geschrieben :
Di 14. Sep 2021, 11:09
Aufnahme von Flüchtlingen: selbstverständlich. 2015 darf sich wiederholen. Die Willkommenskultur war in meinen Augen eine großartige Geste.
Sehe ich übrigens genau so. Und das würde ich unter Fortschritt verbuchen. Ein noch größerer Fortschritt wäre, wenn es den Status Flüchtling gar nicht mehr gibt, weil wir alle "Global Citizen" geworden sind.
Ich bin einverstanden, wenn man die Migration, verbunden mit der Hilfsbereitschaft, die es damals in Deutschland und auch anderen Ländern gab, zum Beispiel in Österreich auf das Konto des moralischen Fortschritts verbucht. - Schauen wir auf die heutige EU, schauen wir nach Österreich: Europa hat sich als Festung eingerichtet. Österreich will keine Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen. Gegenüber 2015 ist Europa nicht wiederzuerkennen. Befestigungsanlagen, Zäune, Grenzen, Frontex, in Libyen werden Abkommen mit Warlords geschlossen, damit die Menschen schon gar nicht erst den Weg durch die Wüste schaffen. "Zustände wie in Konzentrationslagern". Ein Fortschritt muß, um historisch auch die Geltung eines Fortschritts zu haben, sich konsolidieren und etablieren.




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Di 14. Sep 2021, 17:06

Globale Bewegungsfreiheit

Der Link führt zu einer Leseprobe.




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