PS. zu Elke Heidenreich, Rassismus usw.

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Burkart
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So 24. Okt 2021, 09:56

Jovis hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 09:37
Tut mir leid, Burkart, ich möchte dich nicht gern mit ein paar Sätzen abspeisen, aber ich bin schon wieder auf dem Sprung und tipper gerade in mein Handy.
Kein Problem, Jovis, du klingst mir sehr nach einer Rentnerin, die nur sehr wenig Zeit hat ;)
Deshalb doch nur kurz, aber weg von der individuellen Ebene:
1. Das Wort Überfremdung würde mir nie über die Lippen kommen.
Das glaube ich gerne, u.a. weil es inzwischen negativ konnotiert ist.
Die Frage ist dann halt nur, ob man die Probleme sich vermischender Gesellschaften einfach so hinnimmt - bzw. nicht nur an die sich Hinmischenden denkt, sondern auch auch die, die individuell unfreiwillig mit zusammengemischt werden.
2. Landesgrenzen sind für mich keine Naturgegebenheiten, sondern historisch gewachsen, also mehr oder minder willkürlich und nicht für die Ewigkeit.
Das stimmt schon, aber erzähl das mal u.a. den Steuerflüchtlingen und Großkonzernen (Facebook z.B.), die davon auf Kosten der Normalbürger profitieren.
3. Dass ich zufällig in diesem Land geboren wurde, heißt nicht, dass ich einen Exklusivanspruch darauf habe, hier zu sein.
Jein. Ich denke schon, dass die, die zusammenleben, mehr Recht auf ihre Werte haben als die, die sich von außen einmischen.
Typisch sind halt die Islamisten u.a. mit ihren Anschlägen.
4. Zur Vermischung der Kulturen: Welche Kultur genau schwebt dir da vor, die du unvermischt erhalten möchtest?
Das kann man so pauschal schwer sagen, grundsätzlich wohl die mit am wenigsten Konflikten.
So kann es von mir aus gerne eine allgemeine Weltkultur geben, wie u.a. bei Star Trek ;)
Zum einen darf diese aber nicht von einigen wenigen zu ihrem Vorteil genutzt werden (z.B. Arm-Reich-Schere/"Obere 10000" oder auch egoistische Machthaber wie Putin, Erdogan, Trump...).
Zum anderen kann man nicht erwarten, dass sich in einem Land o.ä. jeder Mensch einen beliebigen Wertewandel hinnehmen möchte oder kann; es muss also ggf. ein irgendwie fairer, fließender Änderungs-Prozess sein. Z.B. würde ich deshalb auch nicht erwarten, dass sich die Arm-Reich-Schere einfach so schließt, aber schon, dass ein Weg hin zu mehr finanzieller und Macht-Gerechtigkeit gibt.
Um auf "Rassismus" zurückzukommen: Man kann nicht erwarten, dass jeder eine vollständige Durchmischung einfach so gutheißen kann oder mag (wie gesagt, Änderungsprozess, aber keine radikale Umkehr). Auch wenn es sicher wieder viele gibt, die es hier nicht nachvollziehen können: In der U-Bahn hier sind es überdurchschnittlich viele Ausländer (anhand der Sprache klassifiziert), die hier lange bzw. laut mit ihrem Handy quatschen. Das mag unterschiedliche Gründe haben (z.B. haben wir hier noch das Telefonfestnetz, Ausländer vor allem ihre Handys), aber trotzdem mag es für den einen oder anderen störend sein.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
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So 24. Okt 2021, 10:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 09:43
Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 08:48
Oder haben die Fragenden kein Recht mehr auf ihre Frage-(Meinungs-)Freiheit, nur noch die Befragten?
Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit der anderen beginnt.
Einverstanden. Die Frage ist nur, wer die Grenze festlegt und ob darum nicht quasi gestritten wird, hier zwischen den Frager und den Befragten. [Sorry, ich habe keine Zeit mehr vorm Urlaub, auf diese Zerstückelung zu verzichten, weil ich dann sinnvollerweise mehr schreiben müsste.]
Zu meiner Freiheit gehört, dass ich mir selbst über das, was ich tue, Rechenschaft ablegen kann, zumindest in gewissen Grenzen. Ich verstehe es also als ein Teil meiner eigenen Freiheit, Muster, die ich bediene, gegebenenfalls zu erkennen, zu sehen, dass sie möglicherweise falsch sind und sie dann eben nicht mehr zu bedienen. Dinge, die ich sage, selbst im besten Glauben, können sich als fragwürdig herausstellen, wenn sie zu einem Überzeugungs-Netz oder sagen wir: zu einer Ideologie gehören, die in sich verwerflich ist. Dass ich so etwas erkennen und ändern kann, heißt, dass ich in gewissen Grenzen frei bin. Das heißt, dass ich kein letztgültiger Gefangener solcher Strukturen bin.
Grundsätzlich auch einverstanden, wenn man denn zwischen "Ideologie" und berechtigten Gedanken unterscheidet und letztere nicht einfach unter den Tisch kehrt.
Ich empfinde es auch nicht als Einschränkung meiner Freiheit, zu versuchen, die Perspektive eines Gesprächspartners oder einer Gesprächspartnerin zu verstehen,
Einverstanden.
ggf. anzuerkennen und zu übernehmen, wenn sie mir richtig erscheint und ich sie nachvollziehen kann. Im Gegenteil, ich finde, das ist ein Teil meiner Freiheit.
Ja klar ist das deine Freiheit; es muss aber auch die Freiheit sein, etwas nicht 1:1 übernehmen zu wollen (wie z.B. den Gender-Wahn; auch das faktische Verbot von Wörtern (ist nicht sogar "Farbiger" schon in der Kritik?) sehe ich kritisch).
Zu meiner Freiheit gehört auch, dass ich mein "Weltbild" überdenken und gegebenenfalls korrigieren kann. Das Interview mit Christian Geulen und auch das Buch von ihm, was ich zu großen Teilen gelesen habe, hat mir zB gezeigt, dass meine Vorstellungen von Rassismus in großen Teilen verfehlt waren. Das ist keine Gängelung oder betreutes Reden, sondern eine Erweiterung meiner Meinungsfreiheit. Dass die Frage nach der Herkunft für people of color nicht nur nervend, sondern auch verletzend sein kann, war mir zuvor nicht so bewusst. Das hat erst die Lektüre von Alice Hasters ergeben. Obwohl ich diese Frage noch nie einem Schwarzen und einer Schwarzen gestellt habe und erst "dank" dieses Themas etwas genauer darauf geschaut habe. Dadurch habe ich meine Meinungsfreiheit erweitert.
Einverstanden. Ich sehe nur nicht, dass so viele Deutsche deshalb rassistisch sein sollen, wenn sie interessiert mit einem Farbigen sprechen und (z.B. bei nichtdeutscher Aussprache) irgendwann die Frage nach der Herkunft stellen.

Zu der Frage: Wer ist ein Rassist bzw eine Rassistin? Die Frage kann, muss aber nicht, schon Teil des Problems sein: denn man ist zu schnell geneigt, den Rassismus in eine bestimmte Ecke zu stellen: die AFD, die Ulttrarechten, der Ku-Klux-Klan und so weiter. Das ist aber bereits ein Teil des Musters, denn es sind immer die anderen, die rassistisch sind. Auf diese Art und Weise geraten die eigenen Muster, die man bedient, schnell aus dem Blick.
Mal ein Beispiel: ich habe vor kurzem einen Text zu einer Ausstellung hier in der Kunsthalle gelesen. Darin ging es unter anderem um Sartre, Camus und andere Philosophen. Der Text hat mir gut gefallen und als ich gegoogelt habe, um herauszufinden wer ihn geschrieben hat, habe ich gemerkt, dass ich überrascht war, als ich gesehen habe, dass es sich um eine schwarze Autorin handelte. Das war für mich umso erstaunlicher, als ich mich später erinnert habe, dass es im Text sogar deutlich gesagt wurde. Das Muster, dass solche Texte von weißen (Männern) stammen, war aber offensichtlich stärker.
Verstehe ich. Das mag aber auch daran liegen, dass Sartre, Camus u.a. eben wie weißen Männer sind.

So, meine Schreibzeit ist für rund eine Woche wohl beendet, der Urlaub will jetzt beginnen, meine Bahn fährt gleich.
Euch allen auch eine angenehme Woche!



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Geulen hat geschrieben :
Zur Aktualität des Rassismus

Die wohl gängigste Charakterisierung des Rassismus lautet, er postuliere und rechtfertige Ungleichheit. Darin aber erschöpft sich der moderne und zumal der heutige Rassismus keineswegs. Ihn darauf zu reduzieren bedeutet, die Tatsache zu übersehen, dass er schon längst einen Schritt weiter ist, indem er vor allem den ewigen Kampf zwischen den Rassen und Kulturen betont und dazu aufruft, das Ungleiche praktisch aus der Welt zu schaffen. Jener alte Rassismus, wie er in der Frühen Neuzeit entstand und noch heute lexikalisch beschrieben wird: nämlich als eine Aufteilung der Menschheit in höher- und minderwertige Rassen, lässt sich in seinen heutigen Erscheinungsformen nur noch schwer ausmachen: In den Selbstrechtfertigungen rassistischen Terrors (UtØya, Christchurch, El Paso, Pittsburgh, Las Vegas, Baton Rouge, Hanau, Halle, München oder die Mordserie des NSU); in den heutigen rechtsextremen und xenophoben Weltbildern, die sich gedruckt oder online nachlesen lassen: von Thilo Sarrazins «Deutschland schafft sich ab» bis zu Bewegungen wie Quer-Denken oder QAnon; in den Programmen der neueren rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen: von der AfD über PEGIDA bis zur Alt-Right und Donald Trump – in keinem dieser Kontexte begegnet uns heute eine ‹Rassenlehre› wie sie vor 150 oder 200 Jahren populär war. In den meisten Fällen spielt heute nicht mal der Begriff ‹Rasse› eine Rolle. Statt von der Sicherheit stiftenden Annahme natürlich gegebener Ungleichheitsstrukturen ist der heutige Rassismus von einer ganz anderen Dynamik geprägt: von Angst, Paranoia, Ressentiment und von der Erwartung des Untergangs der eigenen Kultur – wenn nicht sofort konkret und praktisch gegen die Fremden vorgegangen wird.

...

Der heutige Rassismus spricht nicht mehr von Rassen, Rassenunterschieden oder Rassenhierarchien – aber er spricht weiterhin von der unbedingten Naturnotwendigkeit, die eigene Gesellschaft oder Kultur gegen das Fremde zu schützen und zu verteidigen.




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Nochmal: Wer Unterschiede macht (zwischen Menschen...), hat etwas vor (ob bewusst oder nicht!) - und zwar nichts Gutes!




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1+1=3 hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:57
Nochmal: Wer Unterschiede macht (zwischen Menschen...), hat etwas vor (ob bewusst oder nicht!) - und zwar nichts Gutes!
Deutschlandfunk Kultur: ... Ijoma Mangold hat neulich in der „Zeit“ geschrieben: Xenophobie, also die Angst vor dem Fremden, sei etwas zutiefst Menschliches, genauso wie der Futterneid. Beides nicht schön, aber vorhanden, anders als Rassismus, weil er den Rassismus auch als ein kulturelles Produkt ansieht.

Geulen: Wobei, die Formel des kulturellen Produkts sagt wenig aus. Das meiste, mit dem wir es politisch, gesellschaftlich usw. zu tun haben, sind kulturelle, von den Menschen hervorgebrachte Verhältnisse. Aber generell würde ich genau da auch zustimmen. Fremdenangst, noch nicht Fremdenfeindlichkeit, aber Fremdenangst, diese Sorge davor, dass da etwas Neues von außen kommt, neue Personen, neue Menschen, die anders denken, anders wahrnehmen, dass man da erst einmal skeptisch ist, das würde ich auch sagen, ist ein universalgeschichtliches Phänomen, das man eigentlich überall finden kann.

Der Rassismus ist sehr viel mehr. Er ist eine mit großem Aufwand zusammengebaute Ideologie der Begründung dafür, dass es nicht nur reicht festzustellen, dass die andere Gruppe anders ist als die eigene, sondern dass es da ein Verhältnis gibt, an dem man arbeiten muss, dass man die Fremden bekämpfen muss. Da wird aus Fremdenangst Fremdenfeindlichkeit. Und die wird in der Neuzeit und vor allem in der Moderne nicht selten rassentheoretisch begründet.... [Hervorhebung von mir]
Nicht jede Fremdenangst muss in eine Fremdenfeindlichkeit umschlagen, das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein.




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Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:26
Gender-Wahn
Gleichberechtigung ist für mich kein Wahn. Auch wenn es ein etwas anderes Thema ist, hier dazu noch einmal das Video von Harald Lesch.





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Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:26
Einverstanden
Ich sehe nicht, dass du mit irgendetwas von dem, was ich geschrieben habe, wirklich einverstanden bist. Ansonsten würdest du beispielsweise an den Stellen, wo ich von Freiheit spreche, nicht von Verboten oder Wahn sprechen. Das geht schließlich nicht zusammen. Ich nutze das N-Wort nämlich nicht, weil es verboten ist, sondern weil ich finde, dass es falsch ist, es zu nutzen. Also aus Freiheit. Ich gendere nicht, weil ich im Wahn bin, sondern, weil ich es richtig finde.




Henk
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So 24. Okt 2021, 16:02

Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 09:56
Jovis hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 09:37
Tut mir leid, Burkart, ich möchte dich nicht gern mit ein paar Sätzen abspeisen, aber ich bin schon wieder auf dem Sprung und tipper gerade in mein Handy.
Kein Problem, Jovis, du klingst mir sehr nach einer Rentnerin, die nur sehr wenig Zeit hat ;)
Deshalb doch nur kurz, aber weg von der individuellen Ebene:
1. Das Wort Überfremdung würde mir nie über die Lippen kommen.
Das glaube ich gerne, u.a. weil es inzwischen negativ konnotiert ist.
Die Frage ist dann halt nur, ob man die Probleme sich vermischender Gesellschaften einfach so hinnimmt - bzw. nicht nur an die sich Hinmischenden denkt, sondern auch auch die, die individuell unfreiwillig mit zusammengemischt werden.
Die Gesellschaft, die im heutigen Deutschland (Europa) lebt, wurde seit langer Zeit bunt ver- und zusammengemischt.
Stichwort: Völkerwanderung. ;)




Henk
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So 24. Okt 2021, 16:05

1+1=3 hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:57
Nochmal: Wer Unterschiede macht (zwischen Menschen...), hat etwas vor (ob bewusst oder nicht!) - und zwar nichts Gutes!
Wir leben doch in einer Zeit der Identitätsbehauptungen. ;)




Henk
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So 24. Okt 2021, 16:15

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:30
Geulen hat geschrieben :
Zur Aktualität des Rassismus

Die wohl gängigste Charakterisierung des Rassismus lautet, er postuliere und rechtfertige Ungleichheit. Darin aber erschöpft sich der moderne und zumal der heutige Rassismus keineswegs. Ihn darauf zu reduzieren bedeutet, die Tatsache zu übersehen, dass er schon längst einen Schritt weiter ist, indem er vor allem den ewigen Kampf zwischen den Rassen und Kulturen betont und dazu aufruft, das Ungleiche praktisch aus der Welt zu schaffen. Jener alte Rassismus, wie er in der Frühen Neuzeit entstand und noch heute lexikalisch beschrieben wird: nämlich als eine Aufteilung der Menschheit in höher- und minderwertige Rassen, lässt sich in seinen heutigen Erscheinungsformen nur noch schwer ausmachen: In den Selbstrechtfertigungen rassistischen Terrors (UtØya, Christchurch, El Paso, Pittsburgh, Las Vegas, Baton Rouge, Hanau, Halle, München oder die Mordserie des NSU); in den heutigen rechtsextremen und xenophoben Weltbildern, die sich gedruckt oder online nachlesen lassen: von Thilo Sarrazins «Deutschland schafft sich ab» bis zu Bewegungen wie Quer-Denken oder QAnon; in den Programmen der neueren rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen: von der AfD über PEGIDA bis zur Alt-Right und Donald Trump – in keinem dieser Kontexte begegnet uns heute eine ‹Rassenlehre› wie sie vor 150 oder 200 Jahren populär war. In den meisten Fällen spielt heute nicht mal der Begriff ‹Rasse› eine Rolle. Statt von der Sicherheit stiftenden Annahme natürlich gegebener Ungleichheitsstrukturen ist der heutige Rassismus von einer ganz anderen Dynamik geprägt: von Angst, Paranoia, Ressentiment und von der Erwartung des Untergangs der eigenen Kultur – wenn nicht sofort konkret und praktisch gegen die Fremden vorgegangen wird.

...

Der heutige Rassismus spricht nicht mehr von Rassen, Rassenunterschieden oder Rassenhierarchien – aber er spricht weiterhin von der unbedingten Naturnotwendigkeit, die eigene Gesellschaft oder Kultur gegen das Fremde zu schützen und zu verteidigen.
Heute heißt das Ethnopluralismus. Rassismus war gestern.
Gemeint ist aber das Gleiche. Hört sich aber harmloser und irgendwie soziologisch an.
Obwohl ich den heutigen und früheren Antisemitismus bei uns noch als Rassismus bezeichnen würde.




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So 24. Okt 2021, 16:56

Henk hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 16:05
1+1=3 hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 10:57
Nochmal: Wer Unterschiede macht (zwischen Menschen...), hat etwas vor (ob bewusst oder nicht!) - und zwar nichts Gutes!
Wir leben doch in einer Zeit der Identitätsbehauptungen. ;)
Dieses sich mit Identität "bewaffnen" hat primär Selbstverteidigungsgründe. - An sich sind Waffen naturgemäß etwas Schlechtes...




Nauplios
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So 24. Okt 2021, 19:15

Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 08:48

Und wenn ihr aber sagt ...
Dieses "Ihr" hat seine Tücken, weil ihm kein Wir entspricht, Burkart. ;)

Erholsamen Urlaub. -




Henk
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Mo 25. Okt 2021, 15:31

Stefanie hat geschrieben :
So 17. Okt 2021, 19:10

Sarah lee-heinrich hat mit 14 Jahren einige Bemerkungen gemacht, die ja nun etwas unklug waren. Sie war zu dem Zeitpunkt ein Teenager, also sollte man bitte schön die Kirche im Dorf lassen. Und sie sieht jetzt mehrere Jahre später und älter ihre Aussagen selbstkritisch.
Ein Satz scheint aber besonders die Gemüter erregen: eklige weiße Mehrheitsgesellschaft.
Schon mal darüber nachgedacht, dass diese Aussage mit Sicherheit nicht aus dem nichts gekommen ist, sondern aus den bisher gemachten Erfahrungen? Der Umstand, dass eine 14 jährige so was von dich gibt, sollte einem zu denken geben, denn es darf nicht sein, dass ein junger Mensch dieser Ansicht war und ist.
"Mein Interesse galt Sarah Lee Heinrich, die sich momentan um Kopf und Kragen redet. Dabei sind noch nicht einmal ihren pubertären Tweets gemeint. Einer lautete: „Ich werde dich finden, und anspucken, dann aufhängen mit einem Messer anstupsen und bluten lassen.“ Das sind unausgegorene Gewaltfantasien einer damals Vierzehnjährigen.
Ernst zu nehmender ist die irritierende Ambivalenz der mittlerweile zwanzig Jahre alten jungen Frau, die vorgibt, sich mit Herzblut gegen den Rassismus zu stemmen. Leider bedient sie selbst Klischees, die mit rassistischem Gedankengut zündeln.
Damit wären wir bei der, wie sie es ausdrückt, „ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft“. Die ist ihrer Meinung nach dafür verantwortlich ist, dass Fridays for Future eher von langweiligen weißen Greta-Thunberg-artigen Mädchen geprägt wird anstatt von den lässigen People of Color.
Da wäre als Erstes die Frage zu stellen, was die People of Color daran hindert, sich bei Fridays for Future zu engagieren. Gar nichts.
Wie abwertend der Begriff „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ ist, wird nun offensichtlich, wenn man ein Gedankenexperiment macht:
Man stelle sich ein weißes Mädchen vor, das in einem schwarzafrikanischen Land aufwächst. Es geht dort zu Schule, macht Abitur und beginnt ein Studium. Da dessen Mutter wenig verdiente, wurde die Familie durch Sozialhilfe unterstützt. Wie klänge es, wenn die junge Dame die mehrheitlich schwarzen „Bürgis“ als „eklige schwarze Mehrheitsgesellschaft“ bezeichnen würde?" https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ ... 98466.html
Erfahrungen, die die erwachsene Frau Lee-Heinrich gemacht hat, können sich doch wohl nur auf einzelne (weiße) Personen, aber doch nicht auf die gesamte "eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“, also als Kollektivhaftung, beziehen ?




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Stefanie
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Mo 25. Okt 2021, 19:19

Sie hat diese Aussage als Teenie gemacht und nicht jetzt.

Sagen wir mal, in Deiner Schulklasse sind 25 Kinder, alle weiß bis auf Du, Lehrer und Lehrerinnen auch weiß... dazu kommen die nervigen Fragen, blöde Bemerkungen, wer und wie ist dann die Mehrheitsgesellschaft für Dich?
Ich weiß nicht, wie es damals für Sarah Lee-Heinrich war, ich kann mir aber gut vorstellen, wie das ist so für ein Kind und Teenie, wenn man für andere anders ist.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Mo 25. Okt 2021, 20:57

"Nächste Woche wird es einen neuen Shitstorm geben. Vielleicht trifft es dann einen Schauspieler, einen Sportler ... " (Nauplios)

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Jörn Budesheim
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Mi 27. Okt 2021, 09:29

Wie sieht es mit folgendem aus: Hans spricht Tina an und fragt sie nach ihrer "wahren" Herkunft, denn Tina ist eine Schwarze. Gehen wir davon aus, dass Hans es gefühlt aus Zugewandtheit, freundlicher Neugierde und Respekt getan hat. Wir lassen bewusst offen, ob die Frage in dieser Konstellation okay ist oder nicht. Wie sieht es aber mit folgendem aus? Hans sieht eine Talkshow mit Alice Hasters oder er liest einen Artikel von Tupoka Ogette oder einen Text über "othering". Danach weiß er, dass es etliche PoC gibt, denen diese Frage übel aufstößt. Er weiß auch, dass die Frage nach der Herkunft zumindest umstritten ist.

Was sollte Hans tun, nachdem er das oder vergleichbares erfahren hat?




Nauplios
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Mi 27. Okt 2021, 15:00

Was sollte Hans tun?

Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, daß Hans ein Philosoph ist und mit Nachnamen Blumenberg heißt. Da er keine Talkshows sieht, aber seine Nächte mit der Lektüre der FAZ am Morgen beendet, liest er im Feuilleton eine Rezension von Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten von Alice Hasters. Hans gefällt der Titel, weil er ihn an Aufklärungstraktate aus dem 18. Jahrhundert erinnert. Seine Sekretärin im Philosophischen Seminar ... sein Assistent Manfred Sommer bekommt den Auftrag, das Buch für ihn zu bestellen. In der darauffolgenden Nacht liest er das Buch in einem Zug durch. Er wird nachdenklich. Noch immer ist ihm das 18. Jahrhundert im Sinn. Hatte nicht auch Kant etwas über Rassen geschrieben? Dann müßte doch in seinem Zettelkasten dazu etwas vermerkt sein. Doch die Suche bleibt erfolglos. Doch dann macht Hans eine Entdeckung: auf einem vergilbten Zettel aus seiner Studentenzeit steht:

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."

"...sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen", wiederholt Hans. Er zögert. Sein Verstand bringt ihn auf die Fragen "Definieren eigentlich nur Schwarze, was als Rassismus zu gelten hat? Dürfen Weiße dabei nicht mireden?"- Hans ist ohnehin kein großer Freund von Definitionen, deshalb stellt er die Frage erst mal wieder zurück. In Gedanken versunken schaut er noch mal auf das Buch. "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten". Jetzt gefällt ihm der Titel doch nicht mehr ganz so gut. "Ich soll nicht nach der Herkunft fragen", brummt er vor sich hin. Eine Stimme mit preußischem Akzent flüstert "ohne Leitung eines anderen"! Erschrocken dreht Hans sich um. Doch im dunklen Arbeitszimmer ist nichts zu sehen. Draußen dämmert es. Wie weiland Faust steht Hans an seinem Stehpult. Noch eine ganze Weile denkt er nach. - Vielleicht ist ja doch etwas dran, geht es ihm durch den Kopf. Die Zeiten haben sich geändert. Früher in Gießen oder Kiel konnte ich jeden Studenten nach seiner Herkunft fragen. Und was hat der Landgrebe mich nicht alles gefragt! - Ein Geräusch vom Briefkasten. Die FAZ ist da. Hans nimmt noch eine Karteikarte und macht eine Notiz. Dann ordnet er sie gewissenhaft ein. Unter "H". - H wie Herkunft. Material für eine künftige Glosse in der FAZ. In seinen Terminkalender notiert er: "Schirrmacher anrufen".

Eine Woche später. Hans hat Sprechstunde. In der Vorlesung hat er den Studenten gerade den Namen Kant buchstabiert. Alle haben gelacht, auch Hans. Ein zartes Klopfen. Zaghaft betritt eine junge Frau den Raum, eine Schwarze. Hans ist überrascht. Er bietet der jungen Frau einen Stuhl an und erfährt, daß sie eine Hausarbeit bei ihm schreiben möchte. Sie hat auch schon ein Thema: "Das Sapere aude in den Episteln des Horaz und bei Immanuel Kant". Der Altphilologe Hans ist begeistert und schlägt einen Untertitel für die Arbeit vor: "Was Philosophen nicht über Kant hören wollen, aber wissen sollten". - Beide lachen. Das Eis ist gebrochen.

"Wie heißen Sie eigentlich?" fragt Hans.
"Nennen Sie mich einfach Tina."
"Und woher komm-t ... Ihr Interesse für Philosophie?"




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Keine Antwort ist auch eine Antwort :-)




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Nauplios hat geschrieben :
Mi 27. Okt 2021, 15:00
Dürfen Weiße dabei nicht mireden
Die Frage ist nicht, wer mitreden kann - jede:r natürlich. Die Frage ist, was man aus dem Gespräch macht. Nimmt man die Redebeiträge zur Kenntnis (das war ja die Frage) oder "scheißt" man drauf, weil man befürchtet, man würde sich nicht mehr des eigenen Verstandes bedienen, wenn alle mitreden dürfen und man auch mal zuhört, was die anderen Beteiligten zu sagen haben, statt wie bisher den Diskurs allein und ohne Rücksicht darauf zu bestimmen.

Das ist die Frage: Sollte Hans auch mal zuhören? Und was macht er mit dem, was er da lernen kann? Gehört es nicht zum Gebrauch des eigenen Verstandes, das, was die anderen zu sagen haben, zur Kenntnis zu nehmen und sich einen Reim darauf zu machen? Die anderen sind zum Beispiel die Betroffenen, aber auch Historiker und Rassismusforscher und viele andere mehr.




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Mi 27. Okt 2021, 18:23

Franz Josef Wetz hat geschrieben : Als »Halbjude« durfte er [Hans Blumenberg] nach seiner Schulzeit nicht an einer deutschen Universität studieren. Aus diesem Grund besuchte der »Katholik« Blumenberg zunächst in Paderborn und Frankfurt am Main kirchliche philosophisch-theologische Hochschulen, was ihm später jedoch auch untersagt wurde. Daraufhin kehrte er in seine Heimatstadt Lübeck zurück. Nachdem 1942 in der Nacht zu Palmsonntag bei einem Bombenangriff der Alliierten auf die Stadt Lübeck das elterliche Haus getroffen worden war, baute Blumenberg den vormals darin untergebrachten Kunstverlag des Vaters wieder auf. Noch im gleichen Jahr wurde er zum Arbeitsdienst bei dem Flugzeugbauer Dornier eingezogen, aus dem er aus gesundheitlichen Gründen bald wieder ausschied. Seit 1943 arbeitete er dann im Einkauf und später als Einkaufsleiter in den Lübecker Dräger Werken, wo bis heute Sauerstoffgeräte hergestellt werden. Wie viele andere Halbjuden wurde Blumenberg Anfang 1945 in das Konzentrationslager Zerbst eingewiesen, von wo er dank der Initiative Heinrich Drägers – Eigentümer der Dräger Werke, der sich in der Zeit des Nationalsozialismus um viele Halbjuden verdient machte – nach einigen Wochen entkommen konnte. Er floh zur Familie seiner Lübecker Freundin und späteren Ehefrau Ursula, die ihm bis Kriegsende Unterschlupf gewährte.




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