PS. zu Elke Heidenreich, Rassismus usw.

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Es gibt im Deutschen eine wunderbare Metapher für das, worum es hier meines Erachtens geht (wenn vielleicht nicht ausschließlich, so aber doch in wichtigen Hinsichten): "Sich in andere hineinversetzen."

Sich in andere hineinzuversetzen, das heißt auch, zu versuchen, die Dinge von ihrem Standpunkt, aus ihrer Perspektive zu betrachten. Und das zu können, braucht es nicht nur Empathie, sondern auch einen Wissen darum, wie der Standpunkt der anderen Person beschaffen ist, wie ihre Geschichte aussieht, ihr Alltag etc. Man kann natürlich den weißen Nachbarn fragen, wie es ist ein:e Schwarze:r zu sein und dauernd gefragt zu werden, wo man herkommt, bzw, wo man wirklich herkommt. Aber ein:e Schwarze:r weiß vielleicht doch mehr dazu zu erzählen. Dafür sind Bücher wie die von Alice Hasters und Tupoka Ogette gut. Und wenn Hans weiß, nicht Hans Blumenberg, sondern der Hans oben aus dem kleinen Gedankenexperiment, wie es sich für Alice und Tupoka anfühlt, immer wieder mit dieser "wo kommst du (wirklich) her?" Frage konfrontiert zu werden, dann könnte es vielleicht auf die Idee kommen, dass es hier nicht vordringlich um eine Einschränkung seiner Meinungsfreiheit geht, sondern um etwas ganz anderes.




Nauplios
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Der von mir fingierte Hans "zögert". Er stellt die Frage nach einer Definition von Rassismus "erst mal zurück". Er verzichtet darauf, gleich zu Beginn das große Definitionsbesteck für Rassismus herauszuholen. Er liest das Buch von Alice Hasters "in einem Zug"; er unterbricht seine Lektüre nicht. Damit unterbricht er gleichsam die Stimme der Autorin nicht. Dabei wird er "nachdenklich". Das Gelesene gibt ihm zu denken. Abermals "zögert" er. Dann notiert er etwas unter dem Titel "Herkunft". Sein geistiger Blick sucht und findet unter diesem Schlagwort noch anderes. Ihm kommt die Idee zu einer Glosse - womöglich inspiriert durch Zukunft braucht Herkunft.

Mit Kants "sapere aude" im Rücken beargwöhnt er dann doch den Titel. Die Formulierung "Was weiße Menschen ... wissen sollten" verschafft ihm Unbehagen. Dennoch hat der Titel ihn nicht davon abgehalten, das Buch zu lesen. Er bedauert es auch nicht, es gelesen zu haben. Er hat zwar früher seine Studenten desöfteren nach ihrer Herkunft gefragt, doch jetzt kommt ihm der Gedanke: "Vielleicht ist ja doch etwas dran". Er wird unsicher in seiner Haltung, bleibt nachdenklich. Selbstverständlich fließen in diese Nachdenklichkeit auch andere Stimmen ein; eine Literaturwissenschaftler hält die Frage für unproblematisch. Und Hans?

Beinahe hätte er die schwarze Studentin Tina aus alter Gepflogenheit nach ihrer Herkunft gefragt. Doch er fragt sie nicht danach.

Ende gut, alles gut?

Mitnichten. - So wie die Geschichte angelegt ist, kann sie dem Zeitgeist nicht gefallen. Ein Mensch zögert, wird nachdenklich, ihm kommt gar das Wort "vielleicht" in den Sinn. Stattdessen nimmt er den Begriff "Rassismus" aus seinen Überlegungen zu einem frühen Zeitpunkt heraus. Was, wenn er sich anders entschieden hätte - so wie die Heidenreich? - Der Zeitgeist kann sich in seiner moralischen Überhebung nicht damit hintun, daß Menschen "ohne Leitung eines anderen" ihre Haltungen anderen Menschen gegenüber einnehmen. Zu groß ist die Gefahr, daß sie sich dabei ihres eigenen Verstandes auf eine Weise bedienen, die am Ende nicht zum gewünschten Resultat führt. Selbst dort, wo es sich einstellt, wäre es auch anders möglich gewesen. An allen Ecken lauern Kontingenz und ihr kleiner Bruder, der Konjunktiv.

Hier hilft nur eines: klare Regeln. Wenn erst einmal geregelt ist, wie zu sprechen, wie zu schreiben, wie zu fragen, was zu essen, was zu kaufen, was zu lesen, wer zu impfen und auf wen zu hören ist, wird es übersichtlich.

Wann ist auch das Ende gut? - Wenn alles geregelt ist. Wenn niemand mehr zögert. Wenn Nachdenklichkeit gesellschaftlich geächtet ist. Wenn die Moral alle Bereiche des Lebens dominiert. Wenn jeder Hans weiß, was er tun soll. ;)




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Jörn Budesheim
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Du zögerst gerade nicht, du bist gerade nicht nachdenklich, du erfindest dir frei (und ohne jedes Zögern) einen Gegner, den es so gar nicht gibt. Und warum?, damit die Dinge für dich schön geordnet sind.

Ich spreche von Einfühlungsvermögen, und du behauptest es ginge um Regeln. Wenn du den Unterschied nicht begreifst, dann hilft auch kein Zögern, keine Nachdenklichkeit, dann hilft nichts mehr.




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1+1=3
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Do 28. Okt 2021, 00:16

Allein der schöne altmodische Begriff Anständigkeit führt bereits sehr weit in Sachen Rücksichtnahme (auch solch ein altmodischer Wert...) auf eventuelle "Befindlichkeiten" möglicher wie tatsächlich Betroffener. Das hat nicht so sehr mit irgendwelchen "starren Regeln" zu tun...




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Do 28. Okt 2021, 06:26

Die "starren Regeln" sind schließlich auch eine freie Erfindung von Nauplios.




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Do 28. Okt 2021, 07:03

1+1=3 hat geschrieben :
Do 28. Okt 2021, 00:16
Allein der schöne altmodische Begriff Anständigkeit führt bereits sehr weit in Sachen Rücksichtnahme (auch solch ein altmodischer Wert...) auf eventuelle "Befindlichkeiten" möglicher wie tatsächlich Betroffener. Das hat nicht so sehr mit irgendwelchen "starren Regeln" zu tun...
Bei den altmodischen Begriffen bin ich durchaus dabei: sich in andere hineinzuversetzen, Anständigkeit, Rücksichtnahme ... Es kommen aber auch neumodische Begriffe infrage: Unlearning z.b. das heißt z.b., eingeschliffene Muster erkennen und ändern. Ich fand z.b. das Tagesschau-Video dazu gar nicht schlecht.

Starre Regeln sind in aller Regel nicht besonders hilfreich, wichtig ist hingegen Einsicht. Wer sich beispielsweise mal so ein Buch zur Hand genommen hat und danach immer noch sagt, "sie sollen sich nicht anstellen", dem ist wahrscheinlich nicht zu helfen.

Bei den Regeln steht hingegen immer die Frage im Raum: warum soll ich mich daran orientieren? Wurden sie gesetzt, weil sie womöglich richtig sind? Wenn ja, dann sind sie bestenfalls nützliche Orientierungs-Marken, aber der wirkliche Bezug ist eben dann das Richtige, so schwer es im Einzelfall manchmal auch zu erkennen sein mag. Aber wenn man "umgekehrt" geltend macht, wir machen das so, wie wir es machen, weil das eben die Regeln sind, dann ist gar nichts gewonnen. Wenn Regeln der letzte Bezug wären, dann wären wir mitten im Nihilismus.

Wenn das das Bild ist, an dem man sich orientiert, dann kommt - wie auch in diesem Faden - so sicher wie das Amen in der Kirche die Frage: Wer hat es denn bestimmt? Aber auf diese Frage folgt wieder das Argumentationsmuster wie im Absatz zuvor: sollen wir uns daran orientieren bzw. ist es richtig, weil es so bestimmt wurde? Oder wurde es so bestimmt, weil es richtig ist? Dieses Argumentationsmuster stammt, so wie ich es gelernt habe, von Platon höchstpersönlich und er hat damit dagegen argumentiert, dass die Ethik in Kraft ist, weil die Götter sie so festgelegt haben. Ich halte das Argument für schlagend.




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Do 28. Okt 2021, 09:14

Noch ein Nachtrag zu den Regeln/starren Regeln. Im Prinzip ist es damit so ähnlich wie beim Erfolg (im parallelen Thread). Wenn sie zum Selbstzweck werden, dann läuft schnell etwas schief. Das kann in schlimmeren Fällen zu Formen des Moralismus führen, wo man auf das Einhalten der Regel pocht, um der Regel selbst willen. Weil man quasi "vergessen" hat, weshalb man sich die Regel ursprünglich gesetzt hat. Auf der anderen Seite sind Regeln mit Fingerspitzengefühl und Augenmaß für uns natürlich wichtig, um einigermaßen "flüssig" durchs Leben zu kommen, die Ausnahme ist sozusagen der ständige Begleiter von praktikablen Regeln :-) und sie können immer auf den Prüfstand kommen.

Man könnte mit etwas Übertreibung vielleicht sagen: Das, was Regeln nützlich macht, macht sie zugleich unmöglich. Und das ist die Unvorhersehbarkeit und Komplexität des Lebens. Jeder Augenblick ist neu. Ohne Regeln und Routinen wären wir wohl oft überfordert. Verliert man jedoch das Augenmaß, indem man sich zum Sklaven der Regel macht, gerät das "Neue" des Moments womöglich aus dem Blick.




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1+1=3 hat geschrieben :
Do 28. Okt 2021, 00:16
Allein der schöne altmodische Begriff Anständigkeit führt bereits sehr weit in Sachen Rücksichtnahme (auch solch ein altmodischer Wert...) auf eventuelle "Befindlichkeiten" möglicher wie tatsächlich Betroffener. Das hat nicht so sehr mit irgendwelchen "starren Regeln" zu tun...
Der Charme des Altmodischen verfehlt seine Wirkung bei mir nicht, 1+1=3. Zum Charakter des Anstands gehört, daß er der expliziten Regelung nicht bedarf. Seine Verläßlichkeit darf erwartet werden ohne eingeklagt werden zu können.

Ich hatte ja vor kurzem hier in diesem Thread auf den "unbestimmten Rechtsbegriff" (beispielsweise "Treu und Glauben", "öffentliche Sicherheit", "gute Sitten" u.ä.) hingewiesen. Der unbestimmte Rechtsbegriff führt immer den Freiraum der Auslegung mit sich. Seine Bestimmung ist im konkreten Fall auf diese Auslegung angewiesen. Was die "guten Sitten" sind, ist in keinem Regelwerk festgelegt. Ähnlich haben auch die Anständigkeit, die Rücksichtnahme, die Höflichkeit Auslegungs- und Freiräume. Sie realisieren sich von Fall zu Fall in ihrem Vollzug. Man arrangiert sich gleichsam vor Ort. Dort fällt dann auch die Entscheidung, ob überhaupt ein Fall vorliegt.

Zum Fall wurde der Fall Heidenreich nachdem es eine durch Twitter in Gang gesetzte Empörungswelle gab, die in der Frage nach der Herkunft "Rassismus" (t)witterte. Damit war der Shitstorm munitioniert, fand die Lust an der Empörung ihren Rückhalt. Nicht vor Ort im Taxi unter Inanspruchnahme von Anstand und "guten Sitten" wurde der Fall geklärt; er wurde durch die öffentliche Anklage von Tausenden von "Taxifahrern" überhaupt erst mal zu einem Fall. Auf diesen Zug sprangen die öffentlichen Medien auf.

Nach diesem Muster verlief auch der "Fall" Sarah-Lee Heinrich. Auch ihr wurde ja Rassismus vorgeworfen ("ekelige weiße Mehrheitsgesellschaft"). Aus der "Täterin" Heinrich war durch Heidenreichs "Tat" binnen einer Woche das Opfer Heinrich geworden.

Wieder eine Woche später gibt es den nächsten "Fall": Ein Fußballer erweist sich in Fragen der Langzeitwirkungen eines Impfstoffes als falsch informiert und ist infolgedessen bislang ungeimpft. Die Empörungsmaschine wird angeworfen, ein Shitstorm bricht los und tags darauf erfolgt der Tadel zunächst der Virologenzunft, dann der Regierung durch deren Sprecher und auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates läßt es sich nicht nehmen, den "Fall" von der ethischen Seite in der Tagesschau zu kommentieren.

Gestern Abend im ZDF stellt Markus Lanz die Sozialarbeiterin und Grünen-Politikerin Cansin Köktürk so vor: "Frau Köktürk sitzt bei uns, die in Hattingen, glaube ich, geboren ist, deren Großeltern ursprünglich aus der Türkei kamen." - Was wird Alena Buyx wohl dazu sagen? ;)




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Der Philosoph Alexander Grau im Deutschlandfunk über Moral und die "Hegemonie des hypermoralistischen Diskurses" sowie über den Zusammenhang von Moral und Macht:

Moralismus mit totalitären Zügen




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Do 28. Okt 2021, 09:44

Genau, wir riskieren eine totalitäre Gesellschaft, wenn wir Schwarze nicht mehr reflexhaft fragen, wo sie wirklich herkommen. Denn wer sich am Guten orientiert, ist böse - darauf läuft es bei Nauplios am Ende immer hinaus.




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Do 28. Okt 2021, 10:07

Jovis hat geschrieben :
Fr 22. Okt 2021, 08:27
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 22. Okt 2021, 06:56
Aber viele der Dinge, die den Rassismus weitertragen, vorbereiten, zementieren etc waren sicherlich dennoch da: Texte, Bilder, Geschichten, Filme, Sarotti-Schokolade, Mohren Apotheken, etc. pp.
Eine sehr einprägsame Begegnung als Kind mit diesem Thema - ich konnte es kaum fassen, als mir das eben wieder einfiel - war der Kinderreim

„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Niemand!
Und wenn er kommt?
Laufen alle, alle weg!“

und der wohlige Schauer beim johlenden Auseinanderstieben.
Von meinem Arbeitsplatz aus habe ich den Blick auf eine "alternative Schule". Da wird dieses Spiel mit neuem Text auch heute noch gespielt. Jetzt heißt es: "Wer hat Angst vor Dracula?" :-)




Nauplios
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Do 28. Okt 2021, 12:22

Der philosophische Diskurs über das Wirkungsverhältnis von Macht und Moral läßt sich philosophiegeschichtlich bis in die Renaissance zurückverfolgen. Der Urvater dieses Diskurses für die Neuzeit ist Machiavelli. Auf die Frage, ob der Vorwurf berechtigt ist, daß Machiavelli politisches Denken von Moralbegriffen trennt, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler:

"Die Frage ist, ob man ihm daraus einen Vorwurf machen muss, ob man die Trennung des politischen Denkens vom Moraldiskurs in irgendeiner Weise negativ konnotieren sollte."

Und auf den Einwand, man möchte doch moralisch integre Politiker entgegnet Münkler:

"Max Weber würde sagen, dass dieser Wunsch der Indikator eines politisch unerzogenen Volkes ist, was er den Deutschen ja nachgesagt hat. Statt Politiker in ihrem Argumentationsverhalten unter dem Gesichtspunkt zu beobachten, was sie damit bezwecken wollen, will man sie menschlich sympathisch finden, als würden sie in unserem Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen. Das ist ein Authentizitäts- und Wohlfühlwahn. Ein Volk, das unter Wohlfühlwahn leidet, lässt sich gern politisch betrügen. Wer nur über Moral redet, kaschiert in der Regel seine Interessen."

Moralvirtuosen sind gefährlich

Es ist nicht so, daß es für den Ruf nach Moral in der Politik keinen Anlaß gäbe, aber gehört zum philosophischen Diskurs nicht auch das Inbeziehungsetzen zeitgeschichtlicher Phänomene (Hypermoral), politischer Rhetorik ("Rassismus"), Öffentlichkeitsformaten (Twitter) mit Ideen- und Geistesgeschichte? - Beläßt man es einzig bei moralischen Wegweisern, verengt sich der Blick zusehends auf Empörungen, die allenfalls das Anregungsmaterial zu weiteren Empörungen bilden. Das ist dann durchaus mit einer gewissen Virtuosität verbunden.




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Jörn Budesheim
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Do 28. Okt 2021, 12:28

Du möchtest das Thema halt gerne in eine bestimmte Richtung treiben. Ziel ist, dass diejenigen, die sich empören, am Ende die Bösen sind, damit das, worum es geht, aus dem Blick gerät. Das ist deine Version der Täter/Oper-Umkehr.




Nauplios
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Do 28. Okt 2021, 12:37

Besser kann man ein Denkverbot nicht kaschieren, Jörn. ;)

"Wer nach Moral ruft, (...) will sich das Denken ersparen." (Norbert Bolz; "Die Avantgarde der Angst"; S. 95f) -




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Jörn Budesheim
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Do 28. Okt 2021, 12:54

Warum sollte das ein Denkverbot sein? Wie eigentlich sollte ich dir oder sonst jemandem das Denken verbieten können?




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AndreaH
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Do 28. Okt 2021, 18:22

Burkart hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 08:03
AndreaH hat geschrieben :
So 24. Okt 2021, 01:45
Burkart hat geschrieben :
Sa 23. Okt 2021, 22:34

Das ist nie verkehrt.


Jegliches Überschwemmen ist schlecht, keine Frage.
Ein Problem ist, dass die Überschwemmten sich nicht wirklich wehren können, aber auch die scheinbar überschwemmende Masse der Leute auch nicht - oder glaubt irgendjemand, dass es viel bringt, wenn eine einzelne Person seine Kleidung woanders kauft?
Solche Probleme müssten dort gelöst werden, wo es wirklich geht: Bei denen mit der eigentlichen Macht, z.B. in der Wirtschaft oder Politik, aber nicht beim kleinen Mann.
Eine rot-grüne Regierung z.B. hätte wirklich einiges sozial ändern können, aber mit den Gelben dazwischen...
Ich denke schon, dass es etwas bringt sein Kaufverhalten zu überdenken, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot.
In der Theorie schon, aber praktisch gesehen bestimmen oft die großen Händler u.ä. Angebote. Da wird dann halt mal etwas hingebogen, wie es ihnen passt.
So bestimmen Quasi-Kartelle (Aldi & Co) oft die Abnehme-Preise z.B. für die Milch oder Butter der Bauern; da können Verbraucher gerne anderer Meinung sein.
Ich frage mich auch, warum die Preise für Immobilien und Mieten so in die Höhe schossen sind. Stehen dahinter z.T. nicht die Aktionäre der großen Vermietergesellschaften, die einfach mehr Geld verdienen wollen und das auf Kosten des kleines Manner, des Normalverbrauchers sozusagen!? Und solange der kleine Mann sich weiter ausquetschen lässt...
Die Haltung vom kleinen Mann findet sich in der Gesellschaft wieder.
Bedingt aber nur. Wie lange gibt es schon die Diskussion um eine vernünftige Lebensmittelampel... aber gewisse Lobbys sind da anderer Meinung...
Apropos Lobbys: Wie lange gibt es schon die Diskussion um eine Börsensteuer, die insbesondere die ultraschnellen Handel besteuert... da durfte ich beruflich mal einen Banken-Lobbyisten kennenlernen aus Brüssel, der selbstverständlich gegen so eine Steuer "integriert" hat. Oder es sind u.a. die großen Versicherungen, die das Zweiklassensystem zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung zementieren, einfach schon wegen ihrer Arbeitsplätze... u.a. taten sie es vor der Bundestagswahl, darauf u.a. bei ihren Mitarbeitern darauf hinzuweisen, dass diese bei ihrer Wahl doch darüber nachdenken sollen...
Natürlich ist es schwierig, Systeme sind festgefahren. Ich bin auch nicht der Typ, der ständig über sein eigenes Kaufverhalten urteilt. Da würde man irre werden.
Völlig richtig. (M)Ein Prinzip ist z.B., jegliche Werbung und damit deren Beeinflussung abzulehnen und eher gerade diese Produkte nicht zu kaufen oder zumindest stark zu hinterfragen. Leider klappt es nicht immer, z.B. ist die Gesellschaft schon so Handy-besessen, dass man ohne eines kaum noch klarkommt, auch wenn es ohne auch meist gehen würde (mir reicht meist ein Notebook mit Webabschluss, den ich eben nicht immer vor Ort haben muss).
Aber es fällt leicht, zwischendurch ein paar Gewohnheiten zu überdenken und gewisse Strukturen zu ändern.
Welche fallen dir ein? Die größte (gezielte) Strukturänderung dürfte die der fortschreitenden Digitallisierung sein, außer vielleicht Fridays for Future u.ä.
Natürlich hast du recht, die Politik hat sehr viel in der Hand. Jedoch denke ich schon, es ist die Haltung jedes Einzelnen, die sich in dieser Welt zeigt und die diese Welt verändert. Die Perspektive zu verändern und es aus der Sichtweise des Gegenüber mal betrachten, wäre ein Schritt zu verstehen, warum Menschen in bestimmten Situationen immer ähnlich reagieren. In einem Bereich sind wir Menschen alle gleich, wir wollen überleben. Wir unterscheiden uns lediglich darin, dass wir uns in unterschiedlichen Situationen befinden.
Jein, das stimmt nicht für die wirklich machthabenden Leute. Diese wollen nicht nur irgendwie überleben, sondern ihr Leben in ihrer Hinsicht zu optimieren (wie jeder anderer Mensch grundsätzlich auch), was oft genug darin besteht, noch mehr Geld und Macht zu sammeln und halt auf Kosten Anderer (z.B. halt die großen Vermieter-Gesellschaften).
Weiße Haut ist eine reine biologische Anpassungsreaktion auf verändertes Klima.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/re ... _id=362877
Dann hatte Michael Jackson doch recht, sich zu bleichen ;)
Es geht ja letztlich auch nicht um die Hautfarbe, diese ist nur ein optisches Merkmal. Es geht letztlich um oft egoistische Machtverteilung, die allerdings durch unser System beeinflusst ist, z.B. durch Werbung, durch irgendwelche Gruppen, die ihre Werte durchsetzen wollen usw.
Das ist so, Systeme und Machtverhältnisse werden immer in ihrer Struktur gleich bleiben. Das war schon seit Jahrtausenden so und wird voraussichtlich auch so bleiben. Es ist ein Muster, welches tief im Menschen verankert ist, nur die äußere Form passt sich zeitgemäß an.
Das da der "kleine Mann" nicht viel ausrichten kann, da gebe ich dir recht. Jedoch kann der "kleine Mann" in seinem persönlichen Umfeld viel verändern. Dort trägt der Einzelne selbst Verantwortung. Er kann auch die Haltung, die er sich von den Großen wünscht, selbst in seinem persönlichen Umfeld, wie er es für richtig empfindet "leben" .
Dies beinhaltet auch den Bereich, bei dem derjenige anderen fremden Menschen begegnet. Außerdem wie du es beschrieben hast, jeder kann für sich entscheiden, welche Gewohnheiten er für sich verändern möchte. Dies fällt oft leichter als man denkt. Außerdem denke ich nicht, dass es denjenigen unbedingt besser geht, die ständig den Drang haben sich in einer Position aufzuhalten, in der sie sich in der Überlegenheit fühlen. Dort sind sie selbst Gefangene dem Streben nach Macht.
Nochmal um auf das zurückzukommen, was du am Anfang beschrieben hast. Ich finde es in Ordnung das du den Gedanken, der Überschwemmung klar in den Raum gestellt hast. Fakt ist, dass leider viele Menschen dies ähnlich empfinden. Daher ist es um so wichtiger es in der Tiefe zu betrachten, warum so viele es ähnlich sehen.
Mir hat einmal ein älterer Pilot erzählt, "auf dem gesamten Planeten Erde findet man überall gleich verteilt, alle Charaktertypen von Menschen."  In ihren Wesenszügen sind sich Menschen ähnlicher als man denkt. Sie unterscheiden sich jediglich darin, in ihrer Haltung und in der Situation in der sie sich befinden.  Den Grundcharakter im ersten Moment eines Menschen abzulesen, dies können mit Sicherheit nicht viele Menschen. Daher macht es auch Sinn jeden Menschen gleichermaßen offen und vorsichtig zu begegnen.

Achja,... meist vergessen wir, der Frage nach der Herkunft eines Menschen geht oftmals auch ein normales positives Interesse voraus, welches nichts mit Rassismus zu tun hat.




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AndreaH hat geschrieben :
Do 28. Okt 2021, 18:22

Achja,... meist vergessen wir, der Frage nach der Herkunft eines Menschen geht oftmals auch ein normales positives Interesse voraus, welches nichts mit Rassismus zu tun hat.
Seit einigen Jahren mache ich mit einer Sängerin mit marokkanischen Wurzeln Musik und natürlich interessiert mich ihre Geschichte. Wie ließe sich die Frage nach ihrer Herkunft aus dieser Geschichte überhaupt ausklammern?

Aber das ist am Ende nicht die Konstellation, um die es hier geht. In dem Wissen um die Problematik der Herkunftsfrage, wie sie Alice Hasters etwa in ihrem Buch beschreibt, würde ich sie nicht stellen. Dazu wäre eine Konstellation wie beispielsweise in der Band Voraussetzung.




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Jörn Budesheim
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AndreaH hat geschrieben :
Do 28. Okt 2021, 18:22
Achja,... meist vergessen wir, der Frage nach der Herkunft eines Menschen geht oftmals auch ein normales positives Interesse voraus, welches nichts mit Rassismus zu tun hat.
In der Regel wird das überhaupt nicht vergessen, sondern sogar besonders stark thematisiert von allen Seiten. In dem Tagesschau Video, was ich weiter oben gepostet habe, wird es z.b. besprochen. Die problematische Wirkung der Frage kann ja ganz unabhängig von der Intention des Fragers eintreten.

Genauso problematisch wie die "Herkunft - Frage" können auch entsprechende Komplimente sein. Auch diese werden ja in der Regel mit besten Absichten gemacht. Nichtsdestotrotz können sie unpassend sein.

Letztlich geht es darum, eine gewisse Sensibilität zu entwickeln, warum und in welchen Situationen diese Frage problematisch sein kann. Man wird sicherlich keinen simplen Algorithmus angeben können, wann diese Frage angebracht ist und wann nicht, schätze ich. Aber das heißt natürlich nicht viel.

Vor nicht allzu langer Zeit, ich hatte noch nicht die Bücher über dieses Thema gelesen, habe ich tatsächlich mal jemanden nach seiner Herkunft gefragt. Das war in einer Ausstellung, an der ich selbst teilgenommen habe und in der es im weitesten Sinne auch um Rassismus und ähnliche Fragen ging. Da war ich mit zwei Besucher:Innen im Gespräch, mit einer jungen schwarzen Frau und und einem jungen Kunststudenten, der, wie sich dann herausstellte, aus Korea haben kam. Den hatte ich tatsächlich gefragt, allerdings erst nachdem wir eine relativ lange Zeit im Gespräch (in einer Mischung aus Deutsch, Gesten und Englisch) waren und und es sich thematisch so ergeben hat. Die junge schwarze Frau habe ich nicht gefragt, nicht weil ich es mir verkniffen hatte, sondern weil ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen bin, sie zu fragen.

Lustiges Detail: ich hatte ihr erzählt, dass ich mal in einem 1-Euro-Shop Pflaster für Schwarze gekauft hatte, ich hatte das zuvor noch nie gesehen und war etwas überrascht, als ich es zum ersten Mal sah ... und dann auch wieder verwundert, dass ich überrascht war. Sie hingegen hat mir versichert, dass sie noch nie Pflaster für Schwarze gesehen hätte. Im Spaß hat sie dann noch gesagt, dass sie gleich morgen alle 1-Euro-Shops in Kassel abklappern würde :)

Die Ausstellung hieß übrigens "alle Farben malen schwarz".




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Stefanie
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Do 28. Okt 2021, 21:08

Es gibt Pflaster in Hauttönen, neben den klassischen Farben. Dazu gehört auch schwarz.
Es gibt Kosmetik, insbesondere Make up, für dunkle Hautfarben. Es gibt Shampoo für krauses Haar, dreadlooks, usw. In Deutschland selten und dann auch noch teurer.

In der Medizin muss man auch umdenken.
Manche Krankheiten bzw. deren Symptome sehen auf dunkler Haut anders aus, und werden dann oft nicht erkannt. Ähnlich wie der Unterschied in den Symptomen beim Herzinfarkt bei Männern und Frauen. Achtet man nicht darauf, wird eine Erkrankung nicht oder zu spät erkannt.

Damals in der Schule wurde auch die Sichelzellenanämie besprochen. Sowohl mündlich wie im Schulbuch wurde gesagt, dass diese vererbte Erkrankung nur schwarze Menschen haben können. Mehr nicht.
Vor ein paar Tagen habe ich dazu mal gegoogelt. Die Erkrankung nennt man jetzt Sichelzellenerkrankung. Sie manifestiert sich unterschiedlich. In dem Artikel wurde kein einziges mal die Hautfarbe erwähnt. Sondern beschrieben, dass diese Krankheit hauptsächlich bei Menschen auftritt, die in den Malariagebieten in Afrika und Asien leben. Die Hautfarbe spielt keine Rolle. Die durchaus schwerverlaufende, unheilbare Krankheit bewirkt einen Schutz gegen Malaria.
Die damals suggerierte Erklärung, dass diese Krankheit mit der Hautfarbe zu tun hat, ist falsch. Durch Sklaverei und Migration und weil sie sowohl durch Mutter und Vater vererbt werden kann, hat sich die Krankheit auch ausserhalb der Malariagebiete verbreitet.

Dann fand ich diesen Artikel aus dem Jahr 2018.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/med ... 96474.html
Wenn Rassismus Therapien verhindert
Sichelzellanämie ist die häufigste Erbkrankheit in den USA. Eine Heilarznei wurde nie entwickelt - auch weil vor allem Schwarze betroffen sind. Nun soll eine Gentherapie die Versäumnisse wiedergutmachen.

In den USA sind etwa 500.000 Menschen betroffen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
Goethe

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