PS. zu Elke Heidenreich, Rassismus usw.

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Mo 1. Nov 2021, 15:58

Nauplios hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 15:31
Friederike hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 15:14

Was jahrhundertelang tradiert worden ist, hat sich eingeprägt und kann nicht per Beschluß aus der Welt geschafft werden.
Das spricht für eine "morale par provision", die zum Beispiel aus der Tatsache, daß sich ein bayrischer Kicker in puncto Nebenwirkungen bei Impfungen als uninformiert erweist, kein moralisch aufgeladenes Politikum macht, an dem sich Regierungssprecher, Minister und nun neuerdings auch die Kanzlerin beteiligen.
Das Problem bei Herrn Kimmich ist, dass er Spieler der Nationalmannschaft ist. Am Fall Özil haben wir schon erleben können was das bedeutet. Das sind eben nicht nur Fußballer sondern sie werden hier bei uns auch als "Vertreter Deutschlands" (Repräsentanten?) begriffen. Man erwartet eben von einem Nationalspieler, dass er in gewisser Weise Vorbild ist und sich "verbunden mit Deutschland fühlt" (wenn ich das mal so vage ausdrücken darf). Deshalb redet ja auch niemand über die wahrscheinlich tausenden anderen Fußballer die sich weigern sich impfen zu lassen. Die stehen nicht im Rampenlicht und haben auch keine Vorbildfunktion.



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Mo 1. Nov 2021, 16:02

Friederike hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 15:14
Nauplios hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 14:16
Vielleicht kommt es bei den Unterscheidungskriterien darauf an, wer sie anwendet.
Es handelt sich, wie ich sagte und jetzt, ungefähr ein Stündchen später immer noch denke, um eingeübte Wahrnehmungsmuster. Was jahrhundertelang tradiert worden ist, hat sich eingeprägt und kann nicht per Beschluß aus der Welt geschafft werden.
Das muss es auch gar nicht. Das Problem ist ja nicht die Unterscheidung, sondern die Wertung (wie Jörn sagt).
Entscheidend ist aber, dass bei einer Frage nach der Herkunft nicht zwingend eine Wertung mitschwingt (sowohl beim Sender, als auch beim Empfänger), selbst wenn nach Hautfarbe (oder anderen Körpermerkmalen) unterschieden wird.

"Ich bin weiß und Du bist schwarz" ist erstmal so nur eine Feststellung. Erst wenn die Wertung hinzukommt (Weiß = gut, schwarz = schlecht) entsteht das Problem.
Dass es diese Wertungen gibt, und dass sie sich über Jahrhunderte in den Köpfen der Menschen zementiert haben bestreitet keiner.
Andererseits finde ich auch nicht, dass diese Stereotype von den meisten Menschen heute noch unreflektiert übernommen werden.
Die meisten werden ein "weiß = gut" und "schwarz= schlecht" für pauschalen Unsinn halten, insbesondere dann wenn sie vermehrt auch gegenteilige Erfahrungen machen.



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Mo 1. Nov 2021, 17:21

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 15:58

Das Problem bei Herrn Kimmich ist, dass er Spieler der Nationalmannschaft ist. Am Fall Özil haben wir schon erleben können was das bedeutet. Das sind eben nicht nur Fußballer sondern sie werden hier bei uns auch als "Vertreter Deutschlands" (Repräsentanten?) begriffen. Man erwartet eben von einem Nationalspieler, dass er in gewisser Weise Vorbild ist und sich "verbunden mit Deutschland fühlt" (wenn ich das mal so vage ausdrücken darf). Deshalb redet ja auch niemand über die wahrscheinlich tausenden anderen Fußballer die sich weigern sich impfen zu lassen. Die stehen nicht im Rampenlicht und haben auch keine Vorbildfunktion.
Und daß ihn mal der Co-Trainer des FC Bayern nach dem Training beiseite nimmt ("Hör mal Jung, das mit der Impfung, laß' dir das noch mal durch den Kopf gehen ... und glaub' nicht alles, was du so hörst ... es wird auch viel Blödsinn erzählt ... kannst ja auch mal mit dem Doc darüber reden ... der kennt sich damit auch noch besser aus als ich ... hast übrigens gut gespielt heute!") - das würde nicht reichen? - Oder Jogi Löw? Der hat doch jetzt Zeit ...

Vorbildfunktion - aha, ein Fall für die Ethik-Kommission, für die Bundespressekonferenz, für das Innenministerium, für's Kanzleramt und für Abertausende Heim-Virologen, Heim-Bundestrainer, Hobby-Ethiker. Ethische Gutachten in 160 Zeichen. Kimmich, Kimmich all night long. Gibt es schon eine Stellungnahme des Bundespräsidialamts? - Weiß der Vatikan davon?

Horst Hrubesch ("Den tu ich ihm rein in ihm ihn sein Tor.") war zu meiner Zeit Vorbild. ;)




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Mo 1. Nov 2021, 17:35

Nauplios hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 17:21
Vorbildfunktion
Genau. Und deshalb will man das auch nicht so stehen lassen. Sonst gibt es noch Nachahmer.
So einfach ist das und so erklärt sich der Rummel.
Ich denke zum Teil sind eben auch die Medien schuld. Wenn ein Herr Kimmich was macht, muss das halt die ganze Welt wissen.
Und wenn es die ganze Welt weiß, muss die Welt eben auch Stellung dazu beziehen, denn Herr Kimmich hat ja Einfluß auf die Menschen... als Vorbild. Du verstehst? Das bauscht sich dann einfach auf. Ich find's ja auch albern. Aber so erkläre ich mir das.



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Mo 1. Nov 2021, 17:44

Oder nochmal anders: Wenn die Polit-Oma Merkel und der angestaubte, langweilige Opa Lauterbach sagen die Jugend solle sich impfen lassen und Herr Fußball-Rock-Mega-Star Kimmich sagt "Ümpfen? Mach ich nich."...
was glaubst Du auf wen hört die Jugend wohl?
Deshalb ist das so wichtig, dass der Kimmich sich dann doch nochmal möglichst medienwirksam umentscheidet. Verstehste?



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Burkart
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Mo 1. Nov 2021, 18:32

1+1=3 hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 01:11
Burkart hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 00:39
1+1=3 hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 00:26

Das ist, so wie ich es gemeint habe, nicht zu pauschal. (Es ist übrigens ein Zitat, aus dem Gedächtnis referiert, eines meiner Lieblingszitate.) Die Unterschiede hier spielen auf die zwischen "Menschengruppen" gemachten an (welche eben eigens dazu eingerichtet wurden), die allein dadurch bereits im Wortsinne diskriminiert (= unterschieden) werden. Und was sollten Unterschiede wohl bezwecken, wenn ihnen nicht entsprechende (!) "Sonderbehandlungen" folgen würden - sie wären doch völlig "sinnlos".
Und welche Unterschiede von Menschengruppen darf man machen und welche nicht - und wer erlaubt oder verbietet das eine oder andere?
Was ist z.B. mit einer islamischen frauenfeindlichen Gesellschaft? Darf man diese Gruppe in deinen Augen anders ansehen?
Keine Unterschiede zwischen (den unterschiedlichsten...!) Menschen(-"Gruppen"). Und wenn z.B. Gesellschaften dies (doch) tun - wie in deinem Beispiel eine frauenfeindliche - , dann wäre dies ja wieder eine, sogar "krasse" Diskriminierung und damit nicht hinnehmbar.
Ich fürchte, du hast mich nicht richtig verstanden. Es geht mir nicht darum, ob eine Gesellschaft frauenfeindlich ist (die gibt es einfach, schau mal in den Nahen Osten), sondern ob man so eine Gesellschaft bzw. deren Menschen einfach völlig unterschiedlos von z.B. unserer/n ansehen soll nach deiner Ansicht.



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Nauplios
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Mo 1. Nov 2021, 18:36

Die Moral fand im europäischen Mittelalter ihr Fundament in der christlichen Religion. Bischöfe und Päpste waren nicht nur moralische Instanzen, sondern auch machtbewußte Herrscher. Das ändert sich mit der Ausdifferenzierung eines politischen Systems zu Beginn der Neuzeit. Kaiser und Papst bilden Machtzentren, "weltliche Herrscher" bei Hofe erstreiten Machtbefugnisse. Dem Fürsten gegenüber verhält man sich in kodifizierten Maximen. Man begrüßt ihn auf eine angemessene Weise, fragt ihn vielleicht nach dem Ertrag seiner Ländereien, aber nicht danach, ob er heute schon Stuhl gehabt hat. Es entwickelt sich ein eigener Moralkodex. - Mit der Aufklärung und vor allem mit der Säkularisierung entkoppelt sich das Moralsystem weiter von der Religion. Es erfolgt die Trennung von Staat und Kirche. Ausdifferenzierung sozialer Systeme (Politik, Wirtschaft, Recht, Religion, Erziehung, Kunst, Moral) nennt das Luhmann. Die Moral ist kein Subsystem der Religion oder der Politik, sondern gehört zur Umwelt dieser Systeme. Luhmann sieht allerdings auch die "Gefahr der Entdifferenzierung".

Die Moral für Politik zu halten und diese für Moral - darauf läßt sich autokratische Herrschaft gründen und am Ende hat man dann wieder den calvinistischen oder katholischen "Fürsten", der sich als Bollwerk für das Christentum versteht.

"Kaczyński verwies auch auf die Proteste in Kirchen. Er erklärte, dass dies völlig neue und skandalöse Zwischenfälle seien. Er betonte, dass die Kirche die einzige Quelle des in Polen verbindlichen Moralsystems sei." (Quelle)

"Wann immer ich im Europäischen Rat vom christlichen Europa spreche, schauen mich die anderen an, als ob ich aus dem Mittelalter stammen würde." (Victor Orban, bekennender Calvinist - Quelle)

"Auch die moralische Erde ist rund." (Nietzsche), d.h. Moral flottiert frei. Ob Taliban, ob Trump, ob Orban, ob Kaczyński ... Sie alle versuchen sich an der Entdifferenzierung von Moral, Religion und Politik. So kann es moralisch geboten sein, nur amerikanische Produkte zu kaufen, unmoralisch, unverschleiert aus dem Haus zu gehen, moralisch, nachhaltige Produkte zu kaufen, unmoralisch, mit Gas zu heizen, moralisch, vegan zu essen, unmoralisch, von München nach Berlin zu fliegen usw. - Die Kodifizierung des Moralischen läßt sich beliebig tief in das Alltagsverhalten von Menschen einziehen. Was es dazu braucht ist Macht.

Liberale Gesellschaften zeichnen sich nicht durch die Abwesenheit jedweder Moral aus, aber durch Verzicht auf Entdifferenzierung. Man kann in ihnen Literaturkritikerin sein und Menschen nach ihrer Herkunft fragen, ohne damit den Verdacht auf Rassismus auf sich zu ziehen und man verstößt als Fußballer nicht gegen seine Vorbildfunktion, wenn man sich gegen eine Impfung entscheidet und man ist auch keine Rassistin, wenn man im spätkindlichen Alter Blödsinn schreibt.

Wenn all dies aber Staatsraison ist, dann ist die Entdifferenzierung auf gutem Weg. -




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Jörn Budesheim
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Mo 1. Nov 2021, 18:39

Burkart hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 18:32
wer erlaubt oder verbietet das eine oder andere?
Du stellst immer wieder Mal Fragen wie diese: wer erlaubt das? wer verbietet das? wer entscheidet das? wer bestimmt das? etc. Du verbindest in der Regel kein Argument damit und erläuterest auch sonst nicht, worauf du damit eigentlich eigentlich hinaus willst. Anscheinend bist du der Ansicht, dass die Frage für sich genommen schon irgendetwas besagt. Es wäre schön, wenn du mal erklären würdest, was es damit auf sich hat. Ich kann mir nämlich keinen Reim darauf machen.




Burkart
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Mo 1. Nov 2021, 18:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 06:22
Burkart hat geschrieben :
So 31. Okt 2021, 23:40
Freiheit
Immerhin, wenn ich das recht verstehe, gestehst du zu, dass es nicht um Wahn und Verbote geht, sondern um Freiheit?
Das eine hängt doch mit dem anderen zusammen. Wenn eine Gruppe eine Freiheit durchsetzen möchte, geht es oft genug um die Freiheit anderer.

Wenn also gegendert wird z.B. in öffentichen Medien, um ihre bzw. die Ideen der Genger-Freund(inn)e(n) durchzusetzen bzw. zu verbreiten, dann nehmen sie den anderen die Freiheit zur Kommunikaton mit der üblichen vertrauten Sprache und ihrer vertrauten Logik bzw. Verständnis. So ist für mich ein Lehrer grundätzlich geschlechtslos - oder sollten z.B. streikende Lehrer oder Atomkraftgegner nur Männer sein? Für mich jedenfalls nicht.
Vorbild ist für mich das Französische, in der "ils" ("sie" in der Mehrzahl) für männliche wie auch jede gemischte Gruppe steht, nur "elles" für Gruppen von nur Frauen, was ich als Höflichkeitsform angesehen habe, ähnlich wie bei "Damen und Herren" erstere zuerst genannt werden oder es als höflich gilt (galt?), dass ein Mann einer Frau die Tür aufhält. Oder ist letzteres inzwischen auch schon etwas wie Diskriminierung?

Ach ja, Wahn ist es, weil das Gendern viel zu oft gegen das vertraute Gefühl der Mehrzahl der Menschen durchgeführt wird, und Verbote, weil gewisse Gruppen ihre Gendermeinung unbedingt als solche durchzusetzen versuchen, ähnlich wie man ja heute schon nicht mal mehr "Neger" sagen 'darf', z.B. bei Neger- oder ähnlich Mohrenkopf und selbst das Schwarzfahren schon kritisiert wird...

PS:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 18:39
Burkart hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 18:32
wer erlaubt oder verbietet das eine oder andere?
Du stellst immer wieder Mal Fragen wie diese: wer erlaubt das? wer verbietet das? wer entscheidet das? wer bestimmt das? etc. Du verbindest in der Regel kein Argument damit und erläuterest auch sonst nicht, worauf du damit eigentlich eigentlich hinaus willst. Anscheinend bist du der Ansicht, dass die Frage für sich genommen schon irgendetwas besagt. Es wäre schön, wenn du mal erklären würdest, was es damit auf sich hat. Ich kann mir nämlich keinen Reim darauf machen.
Na, da dürfte mein Text zu "Wahn" und "Verbot" oben dies doch etwas erhellen, oder?



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Mo 1. Nov 2021, 19:08

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 17:44

was glaubst Du auf wen hört die Jugend wohl?
Deshalb ist das so wichtig, dass der Kimmich sich dann doch nochmal möglichst medienwirksam umentscheidet. Verstehste?
Ich weiß nicht, worauf die Jugend hört, NWDM. Die Jugend soll ja gegebenenfalls künftig mit 16 an der Bundestagswahl teilnehmen können. Wenn man ihr die politische Urteilskraft dafür zutraut, dann darf man ihr vielleicht auch zutrauen, Impfungen nicht von der Expertise eines Mittelfeldspielers von Bayern München abhängig zu machen (zumindest den Fans von Schalke und Dortmund traue ich das zu). ;)

Aber ich verstehe natürlich, was Du meinst.

Was das Zutrauen betrifft - das Zeitalter der Aufklärung war eines der Erziehungstraktate. Pädagogik folgt der Aufklärung. Alleweil traute man dem Volk wenig, sich selbst viel zu.




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Mo 1. Nov 2021, 19:37

Apropos "Vorbildfunktion". Als bekennender alter weißer Mann kommt für mich ein Jugendvorbild ja eh nicht mehr infrage. Gleichwohl - ich hab's an anderer Stelle auch schon mal erwähnt - könnte nicht auch dies immerhin dem Vorbildlichen verwandt sein:

Hans Blumenberg, nach dem Jargon der Nazis "Halbjude" und in den letzten Kriegsmonaten einem Arbeitslager entkommen, schreibt über das NSDAP-Mitglied Erich Rothacker, Leiter der Abteilung "Volksbildung" im Reichsministerium für Propaganda von Goebbels:

"Ich war mit Erich Rothacker befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht."

Blumenberg hat Wert darauf gelegt, daß sein Umgang mit Männern wie Rothacker und Carl Schmitt ("Kronjurist des Dritten Reiches") oder Hans Robert Jauss (Offizier der Waffen-SS) kein Maßstab für andere Verfolgte des Nazi-Regimes sein braucht. Er wollte kein "Weltgericht" sein und war befreundet mit einem Mann, der den Nazis die "rassisch-biologische Fundamentaltheorie" lieferte, die ihn [Blumenberg] beinahe das Leben gekostet hätte.




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Burkart hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 18:59
... ähnlich wie man ja heute schon nicht mal mehr "Neger" sagen 'darf', z.B. bei Neger- oder ähnlich Mohrenkopf ...
Grada Kilomba hat geschrieben : Schwarze Deutsche werden alltäglich mit dem N-Wort beschimpft. Es hinterlässt psychologische Narben, die Ängste und Albträume verursachen. Sie fühlen sich zutiefst verletzt, weil sie das Opfer rassistischer Unterdrückung geworden sind. Wo liegen die psychologischen Ursachen für diese emotionale Reaktion?

https://www.bpb.de/gesellschaft/migrati ... das-n-wort




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Mo 1. Nov 2021, 20:34

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 16:02
"Ich bin weiß und Du bist schwarz" ist erstmal so nur eine Feststellung.
Eigentlich nicht. Wieder sind ja die Weißen wirklich weiß noch die Schwarzen wirklich schwarz, hier haben wir es schließlich nicht mit einer Hautfarbenlehre zu tun, sondern mit einer im Kern bereits rassistischen
Aufteilungen in weiße, schwarze, gelbe und rote Rassen und manchmal kommen auch noch braune hinzu, die ihren Ursprung ungefähr in Europa des 18. Jahrhunderts hat und eng mit der Aufklärung zusammenhängt.
Christian Geulen hat geschrieben : Dabei waren diese Systematiken zugleich Medien der rassentheoretischen Selbstzelebrierung. In unzähligen geografischen Berechnungen, körperlichen Vermessungen und historischen Darstellungen wurden die weißen Europäer als die ästhetisch wie moralisch allen anderen überlegene Rasse präsentiert. Wesentlicher Bezugspunkt dieses normativen Gefälles in den meisten aufgeklärten Rassentheorien aber war der Stolz auf die eigene Erkenntnisleistung und erst in zweiter Linie der Anspruch auf Beherrschung der weniger entwickelten Rassen. An der Existenz einer Naturordnung, innerhalb derer die europäischen Rassen an der Spitze standen, zweifelte niemand.




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Ganz anschaulich und witzig vorgetragen, auch wenn ich nicht in allen Punkten einverstanden bin.




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Mo 1. Nov 2021, 20:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 20:34
Hier haben wir es schließlich nicht mit einer Hautfarbenlehre zu tun, sondern mit einer im Kern bereits rassistischen
Aufteilungen in weiße, schwarze, gelbe und rote Rassen und manchmal kommen auch noch braune hinzu, die ihren Ursprung ungefähr in Europa des 18. Jahrhunderts hat und eng mit der Aufklärung zusammenhängt.
Ich weiß nicht wo "hier" ist und ich weiß auch nicht wer dieses "Wir" in Deiner oder Geulens Beschreibung ist, aber ich habe mit dem ganz sicher nichts zu tun.
An diese "Rassenlehren" glaubt heute kein halbwegs gebildeter Mensch mehr.
Und langsam fangen mich Deine Belehrungen an zu nerven. Ich finde das beleidigend, Jörn.
Als ob ich diesen Rassenlehren anhängen würde nur weil ich Jemanden frage wo er herkommt.



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Stefanie
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Mo 1. Nov 2021, 21:50

Schon mal sich gefragt, warum jemand gefragt wird, ob er südeuropäische Wurzeln hat?
Sicher ist da auch Neugierde dabei. Aber warum kommt die auf, wenn man so unter noch nicht Bekannten zusammensitzt oder steht und sich sagen wir mal in deutsch unterhält?
Was ist daran ungewöhnlich, wenn jemand optisch einen südeuropäischen Touch hat, dass man nach der Herkunft fragt?
In meinem Beispiel nur diesen Menschen fragt, und nicht die anderen.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Mo 1. Nov 2021, 22:38

Stefanie hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 21:50
Schon mal sich gefragt, warum jemand gefragt wird, ob er südeuropäische Wurzeln hat?
Sicher ist da auch Neugierde dabei. Aber warum kommt die auf, wenn man so unter noch nicht Bekannten zusammensitzt oder steht und sich sagen wir mal in deutsch unterhält?
Weil es einen Grund dafür gibt? Weil der Eine eben südeuropäisch aussieht und die Anderen nicht?
Wo ist das Problem?
Wenn eine der Damen am Tisch eine schicke Halskette trägt, dann fragst Du ja auch nur sie nach der Halskette und nicht alle Damen.
Was ist daran ungewöhnlich, wenn jemand optisch einen südeuropäischen Touch hat, dass man nach der Herkunft fragt?
In meinem Beispiel nur diesen Menschen fragt, und nicht die anderen.
Keine Ahnung. Was soll daran ungewöhnlich sein?
Derjenige mit dem Touch wird halt gefragt weil er den Touch hat. Und die Anderen werden eben nicht gefragt, weil sie eben keinen Touch haben.
Es wäre ja völlig bescheuert die Anderen nach dem Grund ihres Touches zu fragen wenn sie gar keinen Touch haben, oder?
Genauso wie es bescheuert wäre Jemanden zu fragen warum ihm ein Arm fehlt, wenn ihm gar kein Arm fehlt.
Man fragt also weil es einen Grund gibt. Das hat mit Diskriminierung oder Rassismus rein gar nichts zu tun.

(Ihr wollt auf Biegen und Brechen aus einer harmlosen Frage eine Frage mit rassistischem Motiv machen. Wieso? Was ist denn da los mit Euch? Kann es einfach sein, dass ihr selber in rassistischen Mustern denkt und deshalb harmlose Fragen zwanghaft rassistisch umdeutet?)



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Mo 1. Nov 2021, 23:06

Neulich habe ich Jemanden kennengelernt, der sich mir mit einem italienisch klingenden Namen vorgestellt hat.
Ich habe ihn daraufhin gefragt, woher er diesen Namen hat, also ob er italienische Wurzeln hat.
Die Antwort hätte entweder so ausfallen können:
"Ja, meine Eltern kommen ursprünglich aus Italien"
oder
"Nein, meine Eltern finden einfach italienische Namen schön".
(Er hat übrigens Antwort 1 geantwortet)

So. Fertig. Ich habe dann mit ihm über Italien gesprochen, ihn gefragt wo genau aus Italien seine Familie herkommt, und habe ihm erzählt, dass ich dort auch schon war und dass ich Land und Leute sehr mag.
Es war ein schönes Gespräch und ich hatte das Gefühl ihn gleich besser zu kennen. Keiner war dem anderen wegen irgendwas böse.

So kann es ablaufen.
Aber nicht mit den selbsternannten Rassismus- und Diskriminierungswächtern. Die machen daraus sofort einen Gewaltakt meinerseits bei dem ich den armen Einwanderjungen aus Italien wegen seines Namens "diskriminiere".
Ist das eigentlich noch normal?
Sind die noch ganz dicht?



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Di 2. Nov 2021, 00:07

Burkart hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 18:32
Ich fürchte, du hast mich nicht richtig verstanden. Es geht mir nicht darum, ob eine Gesellschaft frauenfeindlich ist (die gibt es einfach, schau mal in den Nahen Osten), sondern ob man so eine Gesellschaft bzw. deren Menschen einfach völlig unterschiedlos von z.B. unserer/n ansehen soll nach deiner Ansicht.
Kulturrelativismus...? Sollen Menschen anderer "Kulturen" "gleicher" sein als z.B. unserer? Meiner Ansicht nach ist das definitiv nicht der Fall. Das wäre Unrecht.




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Di 2. Nov 2021, 00:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Nov 2021, 20:58
Die Mai ist halt 'ne Gute. Ich mag dieses Video.
Es beleuchtet beide Seiten und verteufelt auch die Frage nicht pauschal als Alltagsrassismus.
Im Prinzip behandelt sie das Thema (fast) losgelöst von der Rassismus- und Diskriminierungsdebatte und gibt einfach nur Hinweise und Tipps wie Gespräche dieser Art in Zukunft aussehen könnten und wie man Missverständnisse vermeidet.
Vieles von dem was sie sagt könnte man auch auf jedes andere Gespräch anwenden. Der Fragende soll den Befragten nicht bedrängen, und der Befragte darf auch gerne sagen, wenn ihn eine Frage stört oder er über etwas nicht reden will.
Das sind eigentlich Regeln die ganz allgemein und immer gelten.
Ich habe daran nichts auszusetzen und finde vor allem diesen Teil sehr beachtenswert:

#2 Die Absicht ist wichtig.
Aus Unwissenheit können wir andere verletzen, z.B. weil wir nicht wissen wie sich andere fühlen.
Trotzdem ist es wichtig, ob ich die Absicht habe Jemanden zu verletzen oder nicht.
Und trotzdem höre ich in dieser Debatte immer wieder: "Es ist egal ob das eigentlich Jemand nett meint."
Das ist ein gefährlicher Satz. Es ist völlig legitim zu sagen "Du hast es nicht böse gemeint, aber mich hat es trotzdem verletzt." oder "Du hast es nicht böse gemeint, aber ich mag diese Frage nicht und werde sie nicht beantworten". Aber wenn man sagt "Du hast es nicht böse gemeint, aber darauf kommt es hier nicht an", dann ist man jetzt hier einfach einen Schritt zu weit gegangen, denn natürlich kommt es darauf an. Natürlich ist es wichtig ob jemand aufrichtiges Interesse hat, nervige Vorurteile oder Fremdenhass hegt.
Das ist doch nicht egal.
Es macht doch einen Unterschied ob Jemand von mir wissen will ob ich aus Vietnam bin, weil er mir dann mit leuchtenden Augen von seinem Vietnam-Urlaub erzählen möchte, oder ob er mir danach sagt, dass ich dahin zurückgehen soll.
Wenn wir Fremdenhass in einen Topf werfen mit Unbeholfenheit, dann ist das nicht nur sehr unfair für die unbeholfenen Menschen, sondern es mindert natürlich auch die grausame Bedeutung von Hass und Rassismus.



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