Kaffeestübchen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
Timberlake
Beiträge: 1668
Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

So 10. Jul 2022, 01:33

Impulsgeber hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 23:44
Wachstumszwang kommt von der Kapital/Gewinn maximierenden - und damit nicht moralischen - kapitalistischen Weltbeschau, wonach alles dem Gewinn unterworfen wäre. Menschenfeindlicher geht es gleichübel in der kommunistischen Weltbeschau weiter. Starrsinnige Weltbildnisse, festgehalten im Gedanken, vielleicht in Bild, Ton, Kunst. Aber nicht fließendes, nicht Bewegliches in Bewegung, unterscheidet Ideologie von Weltbeschau. Das eine ist religiös oder politisch in Seine... äh...Steine gekloppt, das andere kann aber auch in Stein gekloppt sein, mit dem Unterschied das dessen Zerstörung die Botschaft nicht vergessen macht, da Mensch sie überall um sich herum finden mag, wenn er kann.

Es tut mir Leid. Aber wir sprechen/schreiben die meiste Zeit wohl aneinander vorbei beim Erfassen und Wirken unserer Beiträge, schließe ich Pop Einfachheit mal ab.
Es tut mir ja leid. So in etwa habe ich mir das Erfassen und Wirken meiner Beiträge vorgestellt. Das mal einer sowohl bezüglich der kapitalistischen , wie auch der kommunistischen Weltbeschau Tacheles redet.
Impulsgeber hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 12:17
Gott ist tot. Moral ist tot. Es lebe das Göttliche! Es lebe die sich an das Lebendige anpassende Moral! Anderseits: Des Menschen Gefühle mögen den Tod und das Leid nicht so gerne haben wie das Lebendige um uns herum. Daueranwendung der Moral auf Tod und Leid als Propagandawaffe innerhalb einer mit Milch und Honig verdeckten Pychologischen Kriegsführung nutzt sie schäbig ab und sie verliert sich in ideologisch-austauschbaren Beliebigkeiten. Der Schauspieler in Kiew begründet seine Forderungen mit Leid und Tod. Moralisiert bis zum Kotzen!
Wie ich übrigens auch das hier unterschreiben würde. Gleichwohl ich dich schon darauf aufmerksam machen möchte, dass du dich mit deiner Bemerkung "Moralisiert bis zum Kotzen!" auf sehr dünnem Eis bewegst. Eis welches sich sehr leicht dadurch "verdicken" ließe, in dem du dich mal die Frage stellst : "Was würdest ich denn an Stelle des Schauspielers in Kiew anders machen ?"

Um noch einmal auf "Gott ist tot" und deine Grundsätzlichen Betrachtungen zur Moral zurück zu kommen ..
  • Zur Naturgeschichte der Moral
    Es gibt Moralen, welche ihren Urheber vor andern rechtfertigen sollen; andre Moralen sollen ihn beruhigen und mit sich zufrieden stimmen; mit andern will er sich selbst ans Kreuz schlagen und demütigen; mit andern will er Rache üben, mit andern sich verstecken, mit andern sich verklären und hinaus, in die Höhe und Ferne setzen; diese Moral dient ihrem Urheber, um zu vergessen, jene, um sich oder etwas von sich vergessen zu machen; mancher Moralist möchte an der Menschheit Macht und schöpferische Laune ausüben; manch andrer, vielleicht gerade auch Kant, gibt mit seiner Moral zu verstehn: »was an mir achtbar ist, das ist, daß ich gehorchen kann – und bei euch soll es nicht anders stehn als bei mir!« – kurz, die Moralen sind auch nur eine Zeichensprache der Affekte.
    Nietzsche .. Jenseits von Gut und Böse
.. das hier von Nietzsche würde schon sehr gut dazu passen, so zumindest meine Meinung.
Zuletzt geändert von Timberlake am So 10. Jul 2022, 02:07, insgesamt 2-mal geändert.




Benutzeravatar
Impulsgeber
Beiträge: 209
Registriert: Di 10. Mai 2022, 19:16
Wohnort: Shangrila

So 10. Jul 2022, 02:00

Timberlake hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 01:33
Impulsgeber hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 23:44
Wachstumszwang kommt von der Kapital/Gewinn maximierenden - und damit nicht moralischen - kapitalistischen Weltbeschau, wonach alles dem Gewinn unterworfen wäre. Menschenfeindlicher geht es gleichübel in der kommunistischen Weltbeschau weiter. Starrsinnige Weltbildnisse, festgehalten im Gedanken, vielleicht in Bild, Ton, Kunst. Aber nicht fließendes, nicht Bewegliches in Bewegung, unterscheidet Ideologie von Weltbeschau. Das eine ist religiös oder politisch in Seine... äh...Steine gekloppt, das andere kann aber auch in Stein gekloppt sein, mit dem Unterschied das dessen Zerstörung die Botschaft nicht vergessen macht, da Mensch sie überall um sich herum finden mag, wenn er kann.

Es tut mir Leid. Aber wir sprechen/schreiben die meiste Zeit wohl aneinander vorbei beim Erfassen und Wirken unserer Beiträge, schließe ich Pop Einfachheit mal ab.
Es tut mir ja leid. So in etwa habe ich mir das Erfassen und Wirken meiner Beiträge vorgestellt. Das mal einer sowohl bezüglich der kapitalistischen , wie auch der kommunistischen Weltbeschau Tacheles redet.
Die Hand drauf, für ein gemeinsames Wirken gemeiner Weltanschauug und denen das Beibringen, was ein Jesus mit Archonten ausfocht. Wir sollen einander Bande weben, nicht uns von einander entfernen um als Organsimen einanander Orgnismen erschlagen und töten. Anderes Leben im Selbst der Überschätzung, auszumerzen, um Platz für Eigen Kinderlein Ableger zu schaffen. Sie alle können keine Kindheit erfahren, bei derzeitien ... Darum geht es mir in der ganzen Zeit hier im Forum. Was wir Erwachsnen sprechen ist nichts, unser Nachwuchs muss die kleinen Äuglein öffnen...



Zum Punkt kommen! Der Kern, der Inhalt einer Thematik: Das Außenherum ist nur Fruchtfleisch für seichte Unterhaltungen. Tiefgehend in der See Mittelpunktum, nicht nur seichte Gewässer dessen betreten.

Timberlake
Beiträge: 1668
Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

So 10. Jul 2022, 02:12

Erasmus hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 17:24


Mit „moralische Lebensführung“ spreche ich lediglich von dem individuellen Bereich des Lebens, in den weder der Staat noch sonstwer eingreifen sollte. Berlin hatte für den Begriff der negativen Freiheit die Frage aufgeworfen, welcher Bereich des Lebens eines Menschen frei von Einmischung durch andere Menschen oder Institutionen sein soll. Das ist der Bereich, den ich als den der moralischen Lebensführung bezeichne.
Wenn das für dich der Bereich ist , den du als moralischen Lebensführung bezeichnest, dann dürfte dieser Bereich sehr klein , um nicht sogar zu sagen nicht der Rede wert sein. Gehe ich doch einmal davon aus , dass der Bereich der Einmischung durch andere Menschen oder Institutionen sehr viel größer ist.

Nur noch mal zur Erinnerung , was David Hume zu diesen beiden Bereichen ausgeführt hat ..

Timberlake hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 01:20
  • Die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen in allen Gemeinschaften derselben ist so gross, dass kaum irgend eine menschliche Handlung in sich selbst so abgeschlossen und ohne Beziehung auf die Handlungen Anderer ist, dass ohne diese die Absicht des Handelnden erreichbar wäre. Der ärmste Handwerker, der für sich allein arbeitet, hofft mindestens auf den Schutz der Obrigkeit, um ihm den Genuss der Früchte seiner Arbeit zu sichern. Ebenso erwartet er, dass er, wenn er seine Waaren zu Markte bringt und billige Preise stellt, Käufer finden werde und dass er mit dem gelösten Gelde Andere wird bestimmen können, ihn mit dem, was er zu seinem Lebensunterhalte bedarf, zu versehen.
    David Hume .. Ueber Freiheit und Nothwendigkeit.
Weil mir Berlin und dessen Ausführungen zu den beiden Begriffen positiver und negativer Freiheit unbekannt waren , habe ich mal diesbezüglich recherchiert und bin dabei auf folgenden, doch sehr bemerkenswerten Satz bzw. Fragen von ihm gestoßen ..
  • Isaiah Berlins Aussagen zu positiver und negativer Freiheit
    „Warum soll ich (oder sonst jemand) einem anderen gehorchen? - Warum soll ich nicht so leben, wie es mir gefällt? – Muß ich gehorchen? – Darf, wenn ich nicht gehorche, Zwang gegen mich ausgeübt werden? Von wem, in welchem Maße, in wessen Namen und um wessentwillen? (BERLIN 1995, S. 200).“
Was würde denn .. so David Hume .. dieser ärmste Handwerker, der für sich allein arbeitet .. darauf antworten? Oder um auf die von mir hier erwähnte epochaltypische Schlüsselprobleme ? zurück zu kommen , die bezeichnender Weise weder von dir ., noch von NaWennDuMeinst oder Impulsgeber erwähnt wurden . Was würden denn die darauf antworten, die jetzt schon davon betroffen sind? Würden sie nicht nicht genau das wünschen, was Berlin in seinen Fragen formuliert hat und zwar das man zu dessen Bewältigung Zwang ausübt? Wurden und werden diese Schlüsselprobleme doch nicht zuletzt dadurch verursacht , dass man lebt , wie es einen gefällt!




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 10. Jul 2022, 11:12

DeepL und warum Mustererkennung nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
https://www.crellin.de/2022/01/deepl-is ... telligent/



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Burkart
Beiträge: 2783
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 10. Jul 2022, 13:22

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 11:12
DeepL und warum Mustererkennung nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
https://www.crellin.de/2022/01/deepl-is ... telligent/
Ganz meiner Meinung, das spricht gut für meine KI-Richtung (bzw. KI-Denken, wenn ich's vielleicht auch nicht überzeugend genug darstellen kann) :)



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 10. Jul 2022, 15:14

Burkart hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 13:22
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 11:12
DeepL und warum Mustererkennung nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
https://www.crellin.de/2022/01/deepl-is ... telligent/
Ganz meiner Meinung, das spricht gut für meine KI-Richtung (bzw. KI-Denken, wenn ich's vielleicht auch nicht überzeugend genug darstellen kann) :)
Ich finde in dem Artikel wird sehr schön klar, dass Mustererkennung keine Intelligenz ist.
Sie scheitert eben genau deshalb, weil es an Intelligenz mangelt.
Schönes Beispiel ist, dass Mustererkennung blödsinnige Ergebnisse bringt, wenn die Vorlagen aus denen "gelernt" wird schlecht sind.
Aber genau das ist eben die Realität mit der auch eine menschliche Intelligenz umgehen kann. Die künstliche nicht.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Burkart
Beiträge: 2783
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 10. Jul 2022, 15:22

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 15:14
Burkart hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 13:22
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 11:12
DeepL und warum Mustererkennung nicht der Weisheit letzter Schluß ist.
https://www.crellin.de/2022/01/deepl-is ... telligent/
Ganz meiner Meinung, das spricht gut für meine KI-Richtung (bzw. KI-Denken, wenn ich's vielleicht auch nicht überzeugend genug darstellen kann) :)
Ich finde in dem Artikel wird sehr schön klar, dass Mustererkennung keine Intelligenz ist.
Sie scheitert eben genau deshalb, weil es an Intelligenz mangelt.
Mustererkennung ist ja auch keine Intelligenz, sondern eben nur eine Methode, ein Werkzeug zur Erkennung von Mustern, also von irgendwas Gleichartigem.
Schönes Beispiel ist, dass Mustererkennung blödsinnige Ergebnisse bringt, wenn die Vorlagen aus denen "gelernt" wird schlecht sind.
Aber genau das ist eben die Realität mit der auch eine menschliche Intelligenz umgehen kann. Die künstliche nicht.
Wie gesagt, Intelligenz ist was Anderes als Obiges. Für vernünftige Ergebnisse ist das Erkennen des Sinns erforderlich, also ein Verstehen, in welchem Zusammenhang das steht. Ohne dem, was wir gelernt haben, könnten wir das auch nicht richtig.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

So 10. Jul 2022, 15:52

Burkart hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 15:22
Wie gesagt, Intelligenz ist was Anderes als Obiges.
Meine Rede.
Für vernünftige Ergebnisse ist das Erkennen des Sinns erforderlich, also ein Verstehen, in welchem Zusammenhang das steht. Ohne dem, was wir gelernt haben, könnten wir das auch nicht richtig.
Es ist nicht nur das. Es geht schon damit los, dass unsere "Mustererkennung" milliardenfach effizienter ist. Oder musstest Du Millionen Bäume ansehen um zu verstehen was ein Baum ist und einen Baum treffsicher zu erkennen?
Wir vergleichen eben nicht einfach bekannte Bäume mit neuen Bäumen, sondern wir abstrahieren. Wir machen es eben intelligent.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Burkart
Beiträge: 2783
Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

So 10. Jul 2022, 16:27

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 15:52
Burkart hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 15:22
Wie gesagt, Intelligenz ist was Anderes als Obiges.
Meine Rede.
Für vernünftige Ergebnisse ist das Erkennen des Sinns erforderlich, also ein Verstehen, in welchem Zusammenhang das steht. Ohne dem, was wir gelernt haben, könnten wir das auch nicht richtig.
Es ist nicht nur das. Es geht schon damit los, dass unsere "Mustererkennung" milliardenfach effizienter ist.
Öhm, unsere Mustererkennung selbst glaube ich nicht, aber natürlich die Verarbeitung dahinter (bisher jedenfalls).
Oder musstest Du Millionen Bäume ansehen um zu verstehen was ein Baum ist und einen Baum treffsicher zu erkennen?
Wir vergleichen eben nicht einfach bekannte Bäume mit neuen Bäumen, sondern wir abstrahieren. Wir machen es eben intelligent.
Genau das ist ja die große Schwäche der reinen Mustererkennung bzw. der neuronalen Netze. Deshalb soll KI ja auch verstehen lernen, also z.B. was einen Baum auszeichnet.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Benutzeravatar
Lucian Wing
Beiträge: 790
Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Mo 11. Jul 2022, 23:04

Timberlake hat geschrieben :
So 10. Jul 2022, 02:12
Erasmus hat geschrieben :
Sa 9. Jul 2022, 17:24


Mit „moralische Lebensführung“ spreche ich lediglich von dem individuellen Bereich des Lebens, in den weder der Staat noch sonstwer eingreifen sollte. Berlin hatte für den Begriff der negativen Freiheit die Frage aufgeworfen, welcher Bereich des Lebens eines Menschen frei von Einmischung durch andere Menschen oder Institutionen sein soll. Das ist der Bereich, den ich als den der moralischen Lebensführung bezeichne.
Wenn das für dich der Bereich ist , den du als moralischen Lebensführung bezeichnest, dann dürfte dieser Bereich sehr klein , um nicht sogar zu sagen nicht der Rede wert sein. Gehe ich doch einmal davon aus , dass der Bereich der Einmischung durch andere Menschen oder Institutionen sehr viel größer ist.

Die Größe macht es nicht. Die Inhalte zählen. Wenn beispielsweise das Verfassungsgericht dem Individuum gegen jede Begründungszwang beim frei gewählten Tod schützt, wird hier die negative Freiheit entscheidend ausgeweitet.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23444
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 12. Jul 2022, 07:26

Nehmen wir mal an, ich befinde mich allein in meinem Wohnzimmer. Und ich entscheide mich, 17 mal hin und her zu gehen und dabei leise AUA zu flüstern. Das ist möglich, weil ich durch nichts und niemand eingeschränkt werde, das zu tun. Würde das nach deiner Definition nicht zum Bereich der moralischen Lebensführung gehören?




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Di 12. Jul 2022, 18:22

Seltsames Moralverständnis.
;-)

(Wobei ich mich gerade frage, ob man auch moralisch sich selbst gegenüber sein kann? Spricht das Es zum Über-Ich: "Ich schwöre Dir kein Leid anzutun!")



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23444
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 12. Jul 2022, 18:47

Gerade sich selbst gegenüber sollte man sich doch richtig verhalten. In Fragen der Moral gibt es doch auch um das gute Leben und die "Glückseligkeit".




Benutzeravatar
Lucian Wing
Beiträge: 790
Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Di 12. Jul 2022, 19:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 07:26
Nehmen wir mal an, ich befinde mich allein in meinem Wohnzimmer. Und ich entscheide mich, 17 mal hin und her zu gehen und dabei leise AUA zu flüstern. Das ist möglich, weil ich durch nichts und niemand eingeschränkt werde, das zu tun. Würde das nach deiner Definition nicht zum Bereich der moralischen Lebensführung gehören?
Das Wohnzimmer ist ja eigentlich von rechts wegen über die Unverletzlichkeit der Wohnung gegen Einflussnahme von außen geschützt. Eventuellen Bedingungen des Mietvertrags unterwerfe ich mich freiwillig.

Was Berlin formuliert als Frage, welcher Bereich des Lebens eines Individuums gegen jeden Einfluss durch andere oder den Staat geschützt sein soll, ist ja nicht simpel. Er wird aber definitiv inzwischen nur noch kleiner, nachdem er in den Siebzigern mal stark erweitert wurde. Je mehr Gruppen und deren Mitglieder gegeneinander rechtlich geschützt werden oder je mehr Anspruchsrechte das Individuum gegen den Staat hat, desto stärker die Einschränkungen für die jeweils anderen.

Rein logisch betrachtet könnte es in einer vollkommen von gesetzlicher Gleichheit dominierten Gesellschaft keine Freiheit mehr geben, weil die Bereiche der negativen Freiheit weggefallen sind.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Benutzeravatar
Nauplios
Beiträge: 2980
Registriert: Mo 27. Mai 2019, 16:12
Kontaktdaten:

Di 12. Jul 2022, 20:43

In diesen Zusammenhang paßt auch das, was Groot in seiner Hausarbeit von Ludwig von Mises zitiert:

"Alles zu beherrschen, keinen Spielraum zu lassen, in dem sich die Dinge frei ohne Eingreifen der Obrigkeit vollziehen können, das ist das Ziel, dem jeder Machthaber heimlich zustrebt. Diesem Streben tritt nun das Sondereigentum entgegen. Das Sondereigentum schafft eine staatsfreie Sphäre des Individuums, es setzt dem Auswirken des obrigkeitlichen Willens Schranken, es läßt neben und gegen die politische Macht andere Mächte aufkommen. Das Sondereigentum wird damit zur Grundlage aller staats- und gewaltfreien Lebensbetätigung, zum Pflanz- und Nährboden der Freiheit, der Autonomie des Individuums und in weiterer Folge aller fortschreitenden Entwicklung des Geistigen und des Materiellen." (Ludwig von Mises; Liberalismus; S. 60)

Freud setzt mit dem "Über-Ich" eine im Innenraum der Psyche sprechende Instanz, eine Art Stimme des Gewissens, die u.a. auch moralische Angelegenheiten reguliert, manchmal an eine reale Autoritätsfigur angelehnt. Fritz Breithaupt spricht von "spielbaren" Figuren (Das narrative Gehirn). Ihre Spielbarkeit hängt nicht unbedingt davon ab, ob die Figur real oder fiktiv ist. So kann eine geliebte reale Figur spielbar sein oder auch eine erotische Vorstellung. "Wenn wir in eine Rolle schlüpfen und andere spielen, wird ein produktiver Zwischenraum zwischen uns und anderen geöffnet, in dem vieles möglich ist. Um Räume derartiger Möglichkeiten geht es im narrativen Denken." (Fritz Breithaupt; Das narrative Gehirn; S. 220)

Mit dem "produktiven Zwischenraum" hat man eine weitere intervallförmige Variante des Durkheim' schen "sozialen Bandes", diesmal in Form einer kognitionswissenschaftlich fundierten Theorie der Narration. In diesem Moment der "Spielbarkeit" von Figuren und der Freud'schen Bühnenlandschaft der Seele taucht jener Pol aus Terror und Spiel (Poetik und Hermeneutik IV) wieder auf, der dort schon als Organ der Mythenrezeption im Gespräch war. Die "Verstrickung in Geschichten" (Wilhelm Schapp) wäre strukturell an das "narrative Gehirn" gekoppelt, wenn man Breithaupts These folgt. Die Bühnenlandschaft der Seele ist dann die Erbin des Tragischen; sie bildet die Theaterkulisse für die griechische Tragödie.




Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Di 12. Jul 2022, 22:15

Erasmus hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 19:52
Rein logisch betrachtet könnte es in einer vollkommen von gesetzlicher Gleichheit dominierten Gesellschaft keine Freiheit mehr geben, weil die Bereiche der negativen Freiheit weggefallen sind.
Der Umkehrschluß, nämlich dass wir aus Angst vor einer Überregulierung alle Ansprüche auf eine Regulierung aufgeben, kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluß sein.
Da frohlockt dann nämlich anstatt des Herrschers der Verbrecher der sich nichts mehr wünscht als tun und lassen zu können was er will.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Lucian Wing
Beiträge: 790
Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Di 12. Jul 2022, 23:20

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 22:15
Erasmus hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 19:52
Rein logisch betrachtet könnte es in einer vollkommen von gesetzlicher Gleichheit dominierten Gesellschaft keine Freiheit mehr geben, weil die Bereiche der negativen Freiheit weggefallen sind.
Der Umkehrschluß, nämlich dass wir aus Angst vor einer Überregulierung alle Ansprüche auf eine Regulierung aufgeben, kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluß sein.
Da frohlockt dann nämlich anstatt des Herrschers der Verbrecher der sich nichts mehr wünscht als tun und lassen zu können was er will.
Um das Thema Überregulierung geht es dabei nicht.
Es gibt von Hermann Lenz einen Roman mit dem Titel Der innere Bezirk. Dort wird in einer Beziehung zwischen Tochter und Vater ausgelotet, wo der Zugriff des anderen endet, nämlich an dieser Grenze des inneren Bezirks. Und betrachtet man sich die Beziehung des Inviduums zu anderen oder zu Institutionen, dann geht es genau darum. Wo endet jedes Recht eines anderen, einer Gruppe und vor allem des Staates? Was gehört zu diesem inneren Bezirk, den ich gegenüber den Institutionen als den Bereich der moralischen Lebensführung benenne? Wo gehört der einzelne nur sich? Ließe sich Konfuzius mit Berlin vereinbaren? Lässt sich Identitätspolitik mit Berlin vereinbaren? Oder politisch gesehen: ist Interessensausgleich immer primär moralischer Art?



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Benutzeravatar
NaWennDuMeinst
Beiträge: 4640
Registriert: Sa 30. Mai 2020, 12:37

Mi 13. Jul 2022, 01:27

Erasmus hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 23:20
Wo endet jedes Recht eines anderen, einer Gruppe und vor allem des Staates?
Die Würde des Menschen ist unantastbar?
Was gehört zu diesem inneren Bezirk, den ich gegenüber den Institutionen als den Bereich der moralischen Lebensführung benenne? Wo gehört der einzelne nur sich? Ließe sich Konfuzius mit Berlin vereinbaren? Lässt sich Identitätspolitik mit Berlin vereinbaren? Oder politisch gesehen: ist Interessensausgleich immer primär moralischer Art?
Du benutzt den Begriff "Moral" auf für mich sehr ungewöhnliche Weise.
Moral ist für mich IMMER etwas was zwischen mehreren Menschen (mindestens zwei) stattfindet.
Moral ist nicht "privat" und zwar deshalb nicht, weil eine moralische Frage immer eine Frage ist die sich auf ein Verhältnis zu anderen Menschen bezieht.
Deine Frage, wie weit man in die "inneren Bezirke" anderer Menschen vorstossen darf ist so eine moralische Frage.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23444
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 13. Jul 2022, 06:14

Erasmus hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 19:52
Das Wohnzimmer ist ja eigentlich von rechts wegen über die Unverletzlichkeit der Wohnung gegen Einflussnahme von außen geschützt. Eventuellen Bedingungen des Mietvertrags unterwerfe ich mich freiwillig.
Es ging mir um die Frage nach der "moralischen Lebensführung". Das, was die Person in ihren Wohnzimmer tut, hat meines Erachtens keine moralische Dimension, obwohl sich aus deiner Definition ergibt, wie mir scheint, dass das, was sie gerade tut, zur moralischen Lebensführung gehört.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23444
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 13. Jul 2022, 06:31

Erasmus hat geschrieben :
Di 12. Jul 2022, 23:20
Der innere Bezirk ...Wo gehört der einzelne nur sich? Ließe sich Konfuzius mit Berlin vereinbaren? Lässt sich Identitätspolitik mit Berlin vereinbaren?
Auf den ersten Blick hätte ich vermutet, dass der "innere Bezirk" einfach die Privatsphäre ist. Allerdings ergibt dann die Frage nach Konfuzius in Berlin keinen Sinn. Vielleicht kannst du noch ein zwei Worte zu dem inneren Bezirk spendieren?




Antworten