Künstliche Intelligenz

Es gibt heute kaum Bereiche des alltäglichen Lebens, die nicht in irgendeiner Weise mit dem World-Wide-Web zusammenhängen. Das Gleiche gilt für "künstliche Intelligenz". Was hat die Philosophie dazu zu sagen?
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AufDerSonne
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Mo 12. Sep 2022, 22:12

Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:03

Das verschiebt alle Problematik, alle offenen Fragen eben auf eine andere Ebene. Das ist wie bei der Diskussion, ob das Gehirn entscheidet oder ich. Wenn das Gehirn entscheidet, dann richtet sich die Frage, warum ich lieber nach Australien als nach Thailand fliege dieses Jahr, eben nicht an mich, sondern an mein Gehirn. Und Putin antwortet dann auf die Frage, warum er die Ukraine hat überfallen lassen, wegen der Umstände meiner Körpersituation.
:lol:



Ohne Gehirn kein Geist!

sybok
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Mo 12. Sep 2022, 22:43

Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:03
Eine geklonte Maus ist keine Simulation einer Maus.
Demnach ist das Kriterium für ein Innenleben also nicht, dass es nicht künstlich erschaffen wurde. Liegt es am Stoff, eben Kohlenstoff vs. Silizium? Woran liegt es? Wie wissen wir vom Innenleben der Maus, können es aber bei einer Maschine ausschliessen?




Burkart
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Mo 12. Sep 2022, 23:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 19:43
Man baut heute Computer mit neuronalen Netzen.
Na ja, die allermeisten nicht. Bzw. du meinst wohl, dass man bei KI gerne neuronale Netze einsetzt.
Wovon sind diese Netze denn ursprünglich abgeschaut? Vom menschlichen Gehirn! Computer können lernen, heißt es. Dazu wurden sogar psychologische Befunde herangezogen, die man sich bei der Entwicklung von Kindern abgeschaut hat. Bei den neuronalen Netzen und beim Lernen - was ist hier das Maß? Der Mensch.
Dieses Lernen ist aber nur eine Form des Lernen in der KI. Es gibt auch z.B. das symbolische Lernen (mein Schwerpunkt), das nicht auf Massen von Trainingsdaten beruht wie die neuronalen Netze. Dabei wird nicht das Gehirn versucht nachzubilden, sondern eher lösungsorientierten Möglichkeiten direkt. Es geht also hier vor allem um Probleme und seine möglichen Lösungen, gerne auch auf Metaebenen, nicht um den Menschen selbst.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
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Di 13. Sep 2022, 00:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 19:43
Es ist also keineswegs so, dass es sich um eine Marotte von mir handelt, dass ich den Blick auf den Mensch richte bei der Frage nach der Intelligenz. Das hat Turing getan, das tut man, wenn man das menschliche Gehirn zum Vorbild nimmt und das tut man wenn man das Lernen des Menschen nachbilden will.
Immerhin ging es Turing bei seinem Test (und auch seiner Turingmaschine) nicht um das menschliche Gehirn. Beim Test ging es ihm "nur" darum ein Kriterium zu finden, was man als "Intelligenz" akzeptieren kann, ohne in irgendwelche komplizierten Diskussionen zu verfallen (z.B. was Intelligenz wirklich sein soll). Das war in seinem Test der Aspekt, ob man Mensch und KI klar auseinander halten kann oder nicht. Um einen Nachbau des Menschen ging es ihm also nicht, insbesondere interessierten ihn hier keine Interna von Mensch und KI.
Ich habe eben gerade etwas in einem Interview mit KI-Forscher Klaus Mainzer gelesen. Seine Arbeitsdefinition für Intelligenz lautet: "Ein System heißt intelligent, wenn es selbstständig und effizient Probleme lösen kann." Das entspricht ziemlich dem, was ich hier vorgeschlagen habe. Leider ist es dem Interviewer nicht eingefallen, Mainzer zu fragen, inwiefern Computer Probleme haben können.

Im Zentrum dieser Debatte steht der Mensch. Und nicht ich habe ihn dort hingestellt, sondern die KI-Forscher selbst. Das ist also keine besondere Form der rückwärtsgewandtheit von mir oder irgendeinen Glaube an eine Sonderstellung des Menschen im Universum, sondern eine einfache Anknüpfung an die Lage der Diskussion.
Also bei der Definition seiner Arbeitsdefiniton sehe ich nicht, dass der Mensch im Zentrum der Debatte steht; stattdessen ist es das Problem und dessen Lösens.
Somit sehe ich auch hier nicht, dass KI-Forscher den Menschen ins Zentrum stellen. Darum kann es auch gar nicht gehen, da sie den Menschen gar nicht nachbauen wollen, sondern nur Intelligenz (bzw. entsprechendes Agieren in der Welt).



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Timberlake
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Di 13. Sep 2022, 00:47

sybok hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 17:31

Mag ein Strohmann sein. Falls, dann aber nicht aus taktischen Gründen, sondern weil ich die Position nicht nachvollziehen kann. Denn diese Einwände die um Definitionen kreisen hören sich für mich nun mal stark nach der Golem-Metapher an. So, als würden wir über Tische sprechen und wie man sie baut, man sagt "wir brauchen Tischbeine" und dann kommt der Einwand "nur Menschen haben Beine, ergo kann es prinzipiell keine Tische geben".
Danke für diesen Vergleich, mit dem Tisch und den Tischbeinen, denn folgt man dieser Logik , dürfte es prinzipiel keinen Computer mit Intelligenz geben , denn nur Menschen haben Intelligenz ..


  • Intelligenz
    Intelligenz (von lateinisch intellegere „erkennen“, „einsehen“; „verstehen“; wörtlich „wählen zwischen …“ von lateinisch inter „zwischen“ und legere „lesen, wählen“) ist die kognitive bzw. geistige Leistungsfähigkeit speziell im Problemlösen.


.. es sei denn , dass auch Computer über eine kognitive bzw. geistige Leistungsfähigkeit verfügen.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 19:43


Ein guter Freund von mir war Informatikprofessor und er sagte wiederholt, die Dinger werden nicht intelligent sein, wenn sie nicht ein eigenes Leben führen können bzw müssen. Ein anderer Forscher, dessen Name ich nicht parat habe, meinte etwas ganz ähnliches, aber pointierter ausgedrückt: sie werden nicht intelligent sein, wenn sie keinen Sex haben können. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man an dieser Stelle vielleicht sogar Heidegger bringen mit dem Dasein, dem es in seinen Sein um dieses Sein selbst geht. Für uns geht es immer um etwas. Aber bei den Maschinen ist halt keiner zu Hause, für sie steht nie etwas auf dem Spiel. Und wenn nichts auf dem Spiel steht dann gibt es auch keine Probleme.

Das ist meine Position.

.. oder um sich dazu auf jenen "guten Freund" bzw. Forscher zu beziehen, es sei denn Computer wären in der Lage .. wie der Mensch! . in der Lage, nicht nur bloß ein eigenes Leben führen, sondern mehr noch, beispielsweise durch Sex für Nachwuchs zu sorgen.
Timberlake hat geschrieben :
Do 8. Sep 2022, 03:21


Damit du mit , "ist jemand zu Hause" etwas anfangen kannst , verweise ich nochmals auf die Autopoiesis ..
  • Autopoiesis
    Eine weitere wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen, also die Autopoiesis. Der Merksatz im Luhmannschen Sinne lautet: Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Dabei bezog sich Luhmann auf das Konzept der chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Diese wendeten das Konzept der Autopoiesis auf organische Prozesse an und meinten damit, dass Systeme sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen. Lebewesen sind die ursprünglichen Beispiele für autopoietische Systeme. Für den Beobachter ereignet sich Leben von selbst, ohne dass ein äußerer herstellender Prozess eingreift. Luhmann überträgt dieses Konzept nicht nur auf biologische Systeme, sondern auch auf psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme. Auch diese reproduzieren sich selbst mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen
.. womit wir wieder bei dem wären , was Luhmann "Autopoiesis" nennt.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 13. Sep 2022, 01:04, insgesamt 2-mal geändert.




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NaWennDuMeinst
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Di 13. Sep 2022, 00:57

Burkart hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 00:13
Warum kann es auch gar nicht gehen, da sie den Menschen gar nicht nachbauen wollen, sondern nur Intelligenz (bzw. entsprechendes Agieren in der Welt).
Wessen Intelligenz wollen sie nachbauen?
Doch wohl die des Menschen, oder welche sonst?
Wollen wir Computer bauen, die wie ein Hund bellen können?
Natürlich nicht.

Wenn Du deine Lösungsansätze baust, wo kommen die denn her? Doch wohl aus dir als Menschen, oder?
Das heißt was immer Du da tust, Du hast den Menschen zum Vorbild, das geht gar nicht anders.
Jedenfalls nicht, wenn Du was bauen willst, das wir dann auch wirklich gebrauchen können.
Es geht eben nicht nur darum, dass die Maschine denken können soll. Sie soll auch für uns nachvollziehbar denken.
Und das heißt letztlich nichts anderes als:
Nach Art des Menschen.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Timberlake
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Di 13. Sep 2022, 01:07

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 00:57
Burkart hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 00:13
Warum kann es auch gar nicht gehen, da sie den Menschen gar nicht nachbauen wollen, sondern nur Intelligenz (bzw. entsprechendes Agieren in der Welt).
Wessen Intelligenz wollen sie nachbauen?
Doch wohl die des Menschen, oder welche sonst?
und wodurch zeichnet sich diese Intelligenz des Menschen aus ? ...Nur das das nicht in Vergessenheit gerät ! Wenn man denn etwas nachbauen will, so sollte man sich doch wohl zunächst einmal darüber einig sein , was man nachbaut.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 19:43


Ein guter Freund von mir war Informatikprofessor und er sagte wiederholt, die Dinger werden nicht intelligent sein, wenn sie nicht ein eigenes Leben führen können bzw müssen. Ein anderer Forscher, dessen Name ich nicht parat habe, meinte etwas ganz ähnliches, aber pointierter ausgedrückt: sie werden nicht intelligent sein, wenn sie keinen Sex haben können. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man an dieser Stelle vielleicht sogar Heidegger bringen mit dem Dasein, dem es in seinen Sein um dieses Sein selbst geht. Für uns geht es immer um etwas. Aber bei den Maschinen ist halt keiner zu Hause, für sie steht nie etwas auf dem Spiel. Und wenn nichts auf dem Spiel steht dann gibt es auch keine Probleme.

Das ist meine Position.
... oder um einmal dazu konkret zu werden , wollen wir tatsächlich so ein Ding nachbauen , wie den Menschen ? Ein Ding , das ein eigenes Leben führen kann bzw muss und will es sich den Fortpflanzen , Sex nicht nur bloß haben kann sondern auch haben muss. Es sei denn , der "Nachbau" bevorzugt eine ungeschlechtliche Fortpflanzung.
  • Des Teufels Saat

    Dem Informatiker Dr. Alex Harris ist mit der Schöpfung von Proteus IV, einer künstlichen Intelligenz mit einem integrierten neuronalen Netz, ein großer Wurf gelungen. Seine Frau Sue, eine Kinderpsychologin, die den ungebremsten Forschungseifer ihres Mannes mit großer Sorge betrachtet, wirft Alex vor, regelrecht von dem Proteus-Projekt besessen zu sein, ..Proteus eröffnet Susan nun seinen Plan, mit ihr ein Kind zu zeugen, und zwingt sie mit der Drohung, einen ihrer kleinen Patienten umzubringen, zur Kooperation. Der Computer entnimmt Susan Zellen und wandelt diese genetisch so um, dass Susan innerhalb nur eines Monats gebären kann. Weiterhin hat Proteus einen Inkubator entwickelt, in dem das Baby in Rekordzeit heranwachsen und Proteus’ Wissen erwerben soll.
... wenn man denn danach ginge , so wäre wohl Proteus IV tatsächlich intelligent.






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Di 13. Sep 2022, 02:24

Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:03
Das verschiebt alle Problematik, alle offenen Fragen eben auf eine andere Ebene.
Nein, du hast es nicht verstanden.

Die Situation "Körper ist über die Sinne, aktiv in der Umgebung" beinhaltet automatisch Subjektivität.
Das Nervensystem/Gehirn muss nicht Subjektivität entstehen lassen, sondern muss "lediglich" die Zusammenhänge der Situation korrekt aufbauen.
=> Das ist keine andere Ebene, sondern die eigentliche Aufgabenstellung.
=> Es geht nicht um "wie wird das Phänomen erschaffen", sondern um "wie werden die Zusammenhänge der Situation aufgebaut".

Das eine ist Existenz/Ontologie und führt nirgendwohin und das andere ist Reaktion und hierfür ist das Nervensystem/Gehirn zuständig (vorhanden, aktiv, untersuchbar).
Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:03
Das ist wie bei der Diskussion, ob das Gehirn entscheidet oder ich. Wenn das Gehirn entscheidet, dann richtet sich die Frage, warum ich lieber nach Australien als nach Thailand fliege dieses Jahr, eben nicht an mich, sondern an mein Gehirn.
Nein, setz es doch mal konsequent um, was ich sage.

"Ich" ist nur das Wort, das der Körper für sich selbst verwendet, um sich auszudrücken.
Aus "Entscheidet das Gehirn oder Ich" wird dadurch "entscheidet das Gehirn oder der Körper".
=> die Frage ist unsinnig, denn der Körper entscheidet durch Aktivität in seinem Nervensystem/Gehirn (alles in Ordnung)

Dadurch wird deutlich, dass es keine Verlagerung des Problems ist, sondern eine saubere Identifizierung des Problems.
(am Ende des Tages ging es bei "Gehirn oder Ich" eher um "unbewusst oder bewusst", aber weil die Aufgabenstellung nicht klar identifiziert wurde, wurde das Gehirn als Objekt mit Bewusstsein als Objekt verglichen -> Aua!)

Betrachtet man nun KI, dann stellt sich die Frage "welches Vorgehen muss man in einer künstlichen Umsetzung durchführen, um die Zusammenhänge der Situation eines Körpers aufzubauen?".
Hier wird sofort deutlich, dass für Subjektivität ein körperlicher Akteur notwendig ist. Ist kein körperlicher Akteur vorhanden, dann wird Subjektivität nur vorgetäuscht (-> es wird abgekürzt und Theater gespielt).

Man kann damit beim Nervensystem/Gehirn analysieren, wie es hierbei zum Erschliessen der Zusammenhänge kommt und sich dann überlegen, wie man den dortigen Erfolgsvorgang auf einer künstlichen Basis nachbaut.

Nirgendwo wird Phänomenal-Existenz oder eine Phänomenal-Zauberei à la "starke Emergenz" benötigt.




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Lucian Wing
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Di 13. Sep 2022, 08:57

sybok hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:43
Lucian Wing hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:03
Eine geklonte Maus ist keine Simulation einer Maus.
Demnach ist das Kriterium für ein Innenleben also nicht, dass es nicht künstlich erschaffen wurde. Liegt es am Stoff, eben Kohlenstoff vs. Silizium? Woran liegt es? Wie wissen wir vom Innenleben der Maus, können es aber bei einer Maschine ausschliessen?
Mit dem "Wissen" ist es wahrscheinlich so eine Sache, siehe die Diskussionen um den Schmerz.
In der aktuellen ZEIT gibt es einen Artikel über den Fake-Delphin der Firma Edge Innovation. Eine mit Silikohaut überzogene Maschine, sie wäre eine Lösung gegen die Tierquälerei in den Tiershows wie Sea World. Die Testzuschauer sollen den Turing-Test nicht auf Anhieb bestanden haben. https://www.youtube.com/watch?v=XFV9y3_1418

Ich muss drüber nachdenken, warum genau für mich das Maschinen bleiben. In dem Artikel wird der Tod der Tiertrainerin Dawn Brancheau beschrieben, die 2010 von "ihrem" Orca gepackt, durchgeschüttelt und dann ertränkt wurde. Dieser Orca
war im zarten Alter von zwei Jahren in der Nähe von Island seiner Mutter entrissen und in seiner Jugend unter Bedingungen gefangen gehalten worden, die, wenn man Tieren wenigstens ein Minimum an Rechten und Würde zugesteht, den Tatbestand der Folter erfüllen. Jede Nacht hatte man den tonnenschweren Jäger nach abgeleisteter Unterhaltungsfron in einen engen Käfig gezwängt.
Die Frage ist jetzt, hätte man Bedenken, das mit einem Fake-Orka zu tun? Wird der Fake-Delphin so neurotisch wie ein natürlicher?

Vielleicht liegt es tatsächlich auch am "Material", aber für mich hat all dieses Zeug eines nicht: eine selbst erlebte, erfahrene, erlittene usw. Geschichte. Sie sind keine gewachsenen Individuen mit selbst gemachter Lebenserfahrung, sondern programmiertes Material. Aber selbst erlebt zu haben und - beim Menschen - zu verstehen und reflektieren zu können wäre eine Voraussetzung. Wenn die Zuschauer den Turing-Test nicht bestehen, dann sagt das nichts. Denn was wir über Delphine wissen, haben wir aus ein paar bewegten Bildern aus dem Fernsehen oder aus einer Whale Watching Tour. Da gehört nicht viel dazu, ein paar Töne und Bewegungen und das Aussehen für einen Delphin zu halten.

ahasver hat irgendwo den Vorschlag innerhalb seines Ansatzes gemacht, alles auf der allerkleinsten Ebene in der Form von Beziehungen (Prozessen) zu betrachten. Das kann man machen, aber dann kommt man eben dazu, dass entweder alles zum Leben gehört (auch meine Papiertüte vom Bäcker) oder nichts, weil es ja keine unterscheidbaren "Objekte" oder keine "Materie" gibt, sondern nur die Beziehungen. Aber dann ist auch der Mensch als Mensch aufgehoben. Nichts zählt für sich.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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sybok hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 22:43
Wie wissen wir vom Innenleben der Maus, können es aber bei einer Maschine ausschliessen?
Christof Koch in spektrum.de hat geschrieben : Anfang der 2000er Jahre entwickelten Giulio Tononi von der amerikanischen University of Wisconsin-Madison und Marcello Massimini, heute an der Universität Mailand in Italien, eine »Zap-and-Zip« genannte Technik, mit der sie prüfen können, ob jemand bei Bewusstsein ist oder nicht.
Christof Koch in spektrum.de hat geschrieben : Die Theorie der integrierten Information (integrated information theory, IIT), die Tononi und andere, ich eingeschlossen, entwickelten, wählt [als] Ausgangspunkt: das Erlebte selbst. Jede erlebte Erfahrung besitzt bestimmte grundlegende Eigenschaften. Sie ist intrinsisch, existiert also nur für ihren »Besitzer«; sie folgt in einer zeitlichen Chronologie (zum Beispiel registrieren wir, wie ein gelbes Taxi bremst, während ein brauner Hund über die Straße läuft), und sie ist spezifisch; sie unterscheidet sich von anderen bewussten Wahrnehmungen wie Szenen in einem Kinofilm. Außerdem bilden alle Eindrücke eine untrennbare Einheit. Wenn Sie etwa an einem warmen Sommertag auf einer Parkbank sitzen und Kindern beim Spielen zusehen, lassen sich Teile des Erlebten – die durch Ihre Haare wehende Brise oder die Freude über Ihr lachendes Kind – nicht in Einzelphänomene zerstückeln, die weiterhin denselben Gesamteindruck vermitteln.

Tononi postulierte, dass jedes komplexe Netzwerk, das in seiner Struktur Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung codiert, diese Eigenschaften besitzt und so ein gewisses Maß an Bewusstsein mitbringt. Wenn es einem System aber, wie etwa dem Kleinhirn, an Verschaltung mangelt, wird es nichts bewusst wahrnehmen. Gemäß der IIT verfügt ein System über umso mehr Bewusstsein, je mehr Information es in sich integrieren und vielfältig verarbeiten kann.
Wie auch immer man dazu steht, es gibt hier durchaus Versuche zu bestimmen, was bewusst ist und was nicht. Ein neueres Buch von Koch heißt: "Bewusstsein: Warum es weit verbreitet ist, aber nicht digitalisiert werden kann." Wobei Koch übrigens Intelligenz und Bewusstsein "trennt".




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Di 13. Sep 2022, 11:31

Christof Koch in spektrum.de hat geschrieben : Tononi postulierte, dass jedes komplexe Netzwerk, das in seiner Struktur Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung codiert, diese Eigenschaften besitzt und so ein gewisses Maß an Bewusstsein mitbringt.
Das würde bedeuten, dass dass Gehirn "Bewusstsein mitbringt".
Genau das ist aber falsch, denn nicht das Gehirn ist bewusst, sondern der Mensch (der Körper).

Die Besonderheit des Gehirns ist, dass es (als Organ) für die grössere Einheit "Organismus" (Körper) arbeitet (bzw. der Körper ist in diesem Organ für wahrnehmungstechnische Handlungen aktiv) und deshalb nicht mit einem Tunnelblick analysiert werden darf.

Bei der IIT von "Tononi" wird dies nicht nur nicht berücksichtigt, es wird sogar dagegen verstossen:
Christof Koch in spektrum.de hat geschrieben : Gemäß der IIT verfügt ein System über umso mehr Bewusstsein, je mehr Information es in sich integrieren und vielfältig verarbeiten kann.
Wie man sieht: über die IIT kommt man explizit zu der Schlussfolgerung, dass das Gehirn bewusst ist. Es gibt keine Möglichkeit den Körper bewusst sein zu lassen.
=> IIT ist unbrauchbar.




sybok
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Di 13. Sep 2022, 11:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 11:14
Christof Koch in spektrum.de hat geschrieben : Tononi postulierte, dass jedes komplexe Netzwerk, das in seiner Struktur Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung codiert, diese Eigenschaften besitzt und so ein gewisses Maß an Bewusstsein mitbringt. Wenn es einem System aber, wie etwa dem Kleinhirn, an Verschaltung mangelt, wird es nichts bewusst wahrnehmen. Gemäß der IIT verfügt ein System über umso mehr Bewusstsein, je mehr Information es in sich integrieren und vielfältig verarbeiten kann.
Oh das finde ich super spannend, Danke für den Hinweis zu dieser IIT. Ich hatte schon mal was davon gelesen, aber den Link verloren und mangels Keywörter konnte ich das nicht mehr finden. Werde ich mal genauer recherchieren, denn das geht genau in die Richtung meiner Privattheorie, also vor allem der erste Satz.
Da gibt es einen ganzen Strauss an hochinteressanten Fragen.

@Mods: Vielen Dank für das Löschen der misslungenen Posts und ich bitte um Entschuldigung für den verursachten Mehraufwand.




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Di 13. Sep 2022, 11:56

sybok hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 11:34
Oh das finde ich super spannend, Danke für den Hinweis zu dieser IIT. Ich hatte schon mal was davon gelesen, aber den Link verloren und mangels Keywörter konnte ich das nicht mehr finden. Werde ich mal genauer recherchieren, denn das geht genau in die Richtung meiner Privattheorie, also vor allem der erste Satz.
Weshalb ist es spannend für dich?

Vom Prinzip her, sollst du ausrechnen können, wie bewusst dein Handy ist.




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Di 13. Sep 2022, 14:51

Körper hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 11:56
Weshalb ist es spannend für dich?
Weil es sich scheinbar mit meiner "Privattheorie" deckt: Ich glaube - aber ist halt wirklich nur ein Glaube, ich kann das nicht wirklich begründen - dass Systeme, die auf eine bestimmte Art hinreichend komplex sind, sowohl in Struktur als auch der darauf stattfindenden Dynamik, sozusagen "Emergenzphänomene" ausbilden, selbstbezügliche Verarbeitungen. Und ich glaube, Bewusstsein und die Fähigkeit zur Abstraktion basieren darauf. Wahrscheinlich ist es noch komplizierter, weitere Faktoren werden wohl ebenfalls wichtige Rollen spielen, aber ich glaube, das ist die Grundüberlegung, die Stossrichtung für die intelligenzsimulierende Maschine, der "kognitive Kern" eines "generischen Bewusstseins".

Wenn ich deine Position richtig verstanden habe, gehen deine Überlegungen in die Richtung der Embodiment-Theorien. Ich weiss nie, wie ich das einordnen soll. Einerseits scheint mir das die Sache unnötig verkomplizierend, andererseits habe ich manchmal den Eindruck, dass gewisse Tiere, tatsächlich insbesondere diejenigen denen man die Fähigkeit zur Metakognition zuordnet, Ratte, Orca, Affe, Rabe etc. möglicherweise einzig nur deswegen kognitiv nicht zum Menschen aufschliessen, weil sie durch physiologische "Marker" gehindert werden, etwa opponierbarer Daumen, freie, entsprechend feinmotorische Extremitäten, etc. (ich wollte mir mal eine Ratte als Haustier anschaffen. Im Prozess mich darüber zu informieren war ich damals total überzeugt, dass die kognitiven Fähigkeiten der Ratte letztlich, hätte sie entsprechende physiologische Eigenschaften, tatsächlich mit dem Menschen vergleichbar wären - oder zumindest verdammt nahe dran wäre).




Timberlake
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Di 13. Sep 2022, 16:06

sybok hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 14:51
. (ich wollte mir mal eine Ratte als Haustier anschaffen. Im Prozess mich darüber zu informieren war ich damals total überzeugt, dass die kognitiven Fähigkeiten der Ratte letztlich, hätte sie entsprechende physiologische Eigenschaften, tatsächlich mit dem Menschen vergleichbar wären - oder zumindest verdammt nahe dran wäre).
Nur mal zur Erinnerung ..
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Sep 2022, 19:43


Ein guter Freund von mir war Informatikprofessor und er sagte wiederholt, die Dinger werden nicht intelligent sein, wenn sie nicht ein eigenes Leben führen können bzw müssen. Ein anderer Forscher, dessen Name ich nicht parat habe, meinte etwas ganz ähnliches, aber pointierter ausgedrückt: sie werden nicht intelligent sein, wenn sie keinen Sex haben können. Wenn es nicht so makaber wäre, könnte man an dieser Stelle vielleicht sogar Heidegger bringen mit dem Dasein, dem es in seinen Sein um dieses Sein selbst geht. Für uns geht es immer um etwas. Aber bei den Maschinen ist halt keiner zu Hause, für sie steht nie etwas auf dem Spiel. Und wenn nichts auf dem Spiel steht dann gibt es auch keine Probleme.

Das ist meine Position.
Alles was ein eigenes Leben führen kann bzw muss , ist verdammt dran am Menschen . Das gilt um so mehr, wie dergleichen Sex haben kann und eine Ratte kann das bekanntlich.

Eine künstliche Intelligenz kann bzw. muß weder das Eine , noch das Andere, somit diese Dinger, verdammt weit weg vom Menschen wären.

Übrigens auch Planzen können das. Somit künstliche Intelligenz sogar noch verdammt weit weg von den Planzen wären.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 13. Sep 2022, 16:12, insgesamt 1-mal geändert.




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Di 13. Sep 2022, 16:09



Hier gibt es eine Podiumsdiskussion mit Tononi und anderen Held:innen. Leider auf Englisch und leider auch schon sehr alt, fünf Jahre. Der Anfang ist für die Diskussion hier interessant: "Bewusstsein transformiert syntaktische Informationen in semantische." Also: Ohne Bewusstsein keine Semantik. Ohne Bewusstsein keine "Welt" - vage im Sinne von Heidegger. („Der Stein ist weltlos“, „Das Tier ist weltarm“ und „Der. Mensch ist weltbildend")




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Di 13. Sep 2022, 16:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 16:09


Hier gibt es eine Podiumsdiskussion mit Tononi und anderen Held:innen. Leider auf Englisch und leider auch schon sehr alt, fünf Jahre. Der Anfang ist für die Diskussion hier interessant: "Bewusstsein transformiert syntaktische Informationen in semantische." Also: Ohne Bewusstsein keine Semantik. Ohne Bewusstsein keine "Welt" - vage im Sinne von Heidegger. („Der Stein ist weltlos“, „Das Tier ist weltarm“ und „Der. Mensch ist weltbildend")
.. und wäre dann eine künstliche Intelligenz ? Möglicherweise ein Stein der weltarm oder gar weltbildent ist ? Um einmal an dieser Stelle , mit Hilfe einer Metapher ."eine syntaktische Informationen in eine semantische zu transformieren ."




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Di 13. Sep 2022, 17:03

Der Computer, vor dem ich sitze, ist vermutlich genauso "weltlos" wie ein Stein. Aber als Werkzeug hat er mehr darauf.




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Di 13. Sep 2022, 17:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 17:03
Der Computer, vor dem ich sitze, ist vermutlich genauso "weltlos" wie ein Stein. Aber als Werkzeug hat er mehr darauf.
Unterschätze nie den klassischen Faustkeil! :lol:



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Timberlake hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 01:07
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Di 13. Sep 2022, 00:57
Burkart hat geschrieben :
Di 13. Sep 2022, 00:13
Warum kann es auch gar nicht gehen, da sie den Menschen gar nicht nachbauen wollen, sondern nur Intelligenz (bzw. entsprechendes Agieren in der Welt).
Wessen Intelligenz wollen sie nachbauen?
Doch wohl die des Menschen, oder welche sonst?
und wodurch zeichnet sich diese Intelligenz des Menschen aus ? ...Nur das das nicht in Vergessenheit gerät ! Wenn man denn etwas nachbauen will, so sollte man sich doch wohl zunächst einmal darüber einig sein , was man nachbaut.
Richtig, entscheidend sollte sein, was man nachbaut, und nicht, wer nachzubauende Eigenschaften besitzt.



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