sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
Das scheint mir zu tief gedacht, ein Ökosystem mit mehr Arten und mehr verschiedenartigen Interaktionen zwischen ihnen ist komplexer als eines mit weniger. Ein Staat mit mehr Institutionen und mehr Relationen zwischen ihnen ist komplexer als ein Staat mit weniger, etc. ich sehe nicht warum die erwähnte Paradoxie relevant wird.
Man kann sicherlich Komplexitätsvergleiche machen, aber bei der hier relevanten Emergenz-Idee geht es um das Auftauchen neuer Eigenschaften, und zwar Phänomenal-Eigenschaften.
Also es geht um die Frage, "wann taucht es denn auf?".
Möchte man das "qualitativ neue Gebilde" mit der "Anzahl an Teilen" begründen, dann wird die "Paradoxie des Haufens" relevant, denn dort geht es auch um das Auftauchen eines Ganzen, des "Haufens", aber man kann keine Anzahl angeben.
Eine Lösung des "Haufen"-Problems liegt nicht ausserhalb des Beobachters, sondern beim Beobachter.
Das ist der entscheidende Knackpunkt bei Emergenz: es ist
für den Beobachter auftauchend.
Will man nun letztlich den Beobachter herstellen, dann hat man mit Emergenz ein Problem, denn es beobachtet niemand.
sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
Naja, du kannst das System, das Nervensystem, abgrenzen. Spielt es für das Nervensystem eine Rolle, ob ein optisches oder irgend ein chemisches Signal triggert? Für die weitere Verarbeitung, die entsprechenden Zustandsänderungen, wahrscheinlich, aber konzeptuell? Signal ist Signal.
Die Abgrenzung zwischen Nervensystem und Körper basiert aber nur auf einer Zellspezialisierung.
Tatsächlich ist das Nervensystem genauso der Körper, wie es auch ein Muskel und ein Knochen ist.
Abstrakt gesehen gilt auch aus meiner Sicht im Nervensystem "Signal ist Signal" oder "Reiz ist Reiz".
Möchtest du damit sagen, dass da noch mehr dazukommen muss?
sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
Wir versuchen ja diesen Akteur zu isolieren und dieser scheint halt ziemlich klar mit dem Nervensystem identifiziert zu sein, letztlich die Gehirn im Tank Idee.
Die Isolierung des Akteurs ist aus meiner Sicht keinerlei Problem: ich bin 2m gross und wiege 100kg.
Ich kann nicht damit angeben, hier lange suchen zu müssen
Auch in meiner "Innenschau" bin ich dieser Akteur und ich habe eigentlich nie eine andere Identität zur Verfügung.
Ich bin ein Akteur, der wahrnehmungstechnisch in seinem Nervensystem aktiv ist, aber ich bin nicht das Nervensystem.
"Gehirn im Tank" würde aus meiner Sicht prinzipiell schon funktionieren, wenn man die Reize und das Umfeld der restlichen Körperzellen für das Gehirn simuliert (natürlich angepasst an die Situationen "Körper in Umwelt").
Bei "C.elegans", dem Fadenwurm, gab es einen Virtuell-Versuch, aber der ist gescheitert, weil die Biochemie fehlt und nicht klar ist, wie die Nervenzellen wirklich arbeiten.
sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
was ist denn überhaupt Wahrnehmung?
Da würde ich ganz einfach starten (sozusagen in einer "frühen Evolutionsphase") und Objekt A auf Objekt B treffen lassen.
Wann nimmt Objekt A, Objekt B wahr?
Objekt A muss hierbei nicht zu Objekt B werden, das wäre zuviel bzw. würde nichts bringen.
Nun könnte man sagen, Objekt A muss eine Repräsentation von Objekt B herstellen, sozusagen eine Miniatur-Version, aber das wäre auf der einen Seite nur eine Problemverlagerung (nun muss die Miniatur wahrgenommen werden) und auf der anderen Seite ist hierfür bei Objekt A ein Verständnis von Objekt B notwendig (um die Repräsentation herzustellen), das aber doch letztlich schon die gesuchte Wahrnehmung darstellt.
=> Objekt A muss verstehen, dass Objekt B vorhanden ist.
Was genau ist "Verstehen"? Repräsentation und Miniaturobjekte bringen nichts, denn dafür benötigt man bereits Verstehen.
Hier kommt so etwas wie "Beachten/Berücksichtigen" ins Spiel. D.h. Objekt A macht etwas, das es nicht unbedingt machen müsste, aber weil Objekt B auftaucht (über die "Sinnesreize") wird es durchgeführt.
Wenn es um "Durchführen/Beachten/Berücksichtigen" geht, sind wir bei Reaktion.
Alles was Objekt A von Objekt B zur Verfügung steht, sind "Sinnesreize", also einzelne Veränderungen in der Aktivierung der Sensoren. Dafür gibt es eine physikalische Grundlage - nehmen wir hier ruhig Impulse und Impulssequenzen/Rhythmen.
Aus der obigen Erkenntnis zu "Repräsentation und Miniaturobjekte" ergibt sich, dass diese physikalische Grundlage nie nachhaltig verändert wird, denn das würde ja wieder "Verstehen" voraussetzen. Hier gilt sozusagen die Regel: "in der Wahrnehmung kommt es nicht zu neuen Existenzen".
D.h. die von Objekt A durchgeführte Wahrnehmung spielt sich einzig in der "Hantierung der Impulse" ab.
Rund um ein Durchschleusen der Impulse muss es zu "Entscheidungen" bzw. zu einem "Erkennen" kommen - aber alles in Bezug auf Impulse (nirgendwo geht es hier direkt um Objekte).
Was nun letztlich bei diesem "Durchführen/Durchschleusen" das Wahrnehmen von Objekt B darstellt, ist durch das Wahrnehmungspotential von Objekt A festgelegt.
Ist dieses Potenzial gering, dann reichen wenige "Entscheidungen" aus und Objekt A reagiert explizit auf Objekt B.
Die simpelste Wahrnehmung ist sozusagen:
eine Entscheidung. (keine Entscheidung ist dabei keine Wahrnehmung).
Je grösser das Wahrnehmungspotential, desto differenzierter müssen die "Entscheidungen" ausfallen.
Die "Entscheidungen" bezeichne ich als das "Aufbauen von Zusammenhängen" (das Wahrnehmungspotenzial nenne ich Zusammenhangpotential).
=> Objekt A baut zu Objekt B Zusammenhänge auf.
Das ist Wahrnehmung.
Das ist im Grunde beliebig steigerbar, insbesondere wenn Funktionen wie "Gedächtnis", "Planung" und "Feedback aus der Vorgängerreaktion" hinzukommen (hierfür werden aber physikalische Grundlagen benötigt).
"bewusste Wahrnehmung", in der es zu einer Objekt- und Handlungseinteilung und Überzeugungen kommt, sehe ich als solch eine Steigerung an.
sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
Intelligenz führt zu Wahrnehmung - abstrakt gemeint oder konkret?
Für die obigen Entscheidungen, also das Aufbauen von Zusammenhängen, kommt es, bei einem Potenzial aus mehr als einer Entscheidung, automatisch zu einer Art "System", d.h. die "Entscheidungen" müssen erreichbar sein und ihre Abhängigkeiten untereinander müssen organisiert sein (-> "Reaktionsstruktur").
Bei "Intelligenz" geht es um das Aufbauen/Verbessern der Organisation/Struktur, also um das Erschliessen/Erweitern des Wahrmehnungspotenzials (Zusmamenhangspotenzial).
"Intelligenz" erweitert die Möglichkeiten.
Die einzelne situationsbedingte Wahrnehmung ist das Anwenden des Potenzials.
Das ist letztlich nur Reproduktion, denn die Intelligenz hat die Struktur bereits ausgebaut.
Die einzelne situationsbedingte Wahrnehmung kann aber zu einer Notwendigkeit zum weiteren Einsatz von Intelligenz führen. Hier geht es aus meiner Sicht um das Auftreten von Disharmonien - irgendetwas am Potenzial kann man verbessern.
sybok hat geschrieben : ↑ Do 15. Sep 2022, 00:35
Könnte nicht auch das fallweise umgekehrt sein, dass Wahrnehmung auch auf Ausbildung von Intelligenz wirkt?
Bei "Intelligenz" vermute ich bei Lebewesen mehrere Zellmechanismen.
Nun gilt für Zellen, dass nicht-zerstörende Beanspruchung zu Optimierungsversuchen führt.
Es könnte also sein: "je mehr ein Akteur mit Neuem konfrontiert ist, desto besser geht er mit Neuem um".
Allerdings muss man hier sehr vorsichtig sein, denn das Potenzial erweitert sich hierbei ja ständig und so könnte die jeweils notwendige neue Erweiterung auch nur im Umfang kleiner werden und schon deshalb eine Gesamtverbesserung der "intelligenten Anpassung" vorliegen, obwohl der eigentliche Intelligenz-Mechanismus sich nicht verändert.