Sa 10. Dez 2022, 11:25
Nein, der Einfachheit halber können wir nicht mit dem Tempolimit, also dem Pseudo-Konkreten, anfangen, auch nicht mit der Psychologie, der Natur als Organismus oder dem pragmatischen Handeln usw., sondern nur mit dem einfachen Gedanken. Das Konkrete ist »zusammengewachsen« aus tausend Einzelbestimmungen, die man jede in tausend Richtungen verfolgen kann, mit Tausenden von Implikationen, das Notwendige vermengt mit Zufälligem, Zeitlichem, Lokalem, Belanglosem. Man braucht nur in jedes x-beliebige Forum in der Weite des Internets zu blicken, dann sieht man, was bei solcher Einfachheit herauskommt; und selbst wenn am Ende der einfache Gedanke sich dann doch durchsetzt, in Gestalt des Hasses nämlich, dann eben nur als ganz unverstandenes Gefühl, als in sich verschlossenes Inneres. So wird man die »Axiome« garantiert nicht zu sehen bekommen, sondern den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wenn es anders wäre, bräuchte es keine Dichter und Denker, - was aber bleibet, stiften die Dichter. Deswegen fängt auch kein Goethe und kein Eichendorff mit solcherart Konkretem an. Es ist zwar gewisses Problem, vom Pseudo-Konkreten, das nicht durch das Lied zum einheitlichen Ganzen geeint ist, zum Gedanken oder zur Kunst zu kommen, weil der Weg zum Gedanken, zur Philosophie nicht selbst wirklich Philosophie sein kann, und man die klaren Gedanken nicht versteht, wenn man selbst keine hat; der junge Hegel hat sich da wohl ein wenig in die Tasche gelogen mit seiner Leiter, seinem Königsweg, steiniger als alles andere. Aber man fängt ja nicht auf der grünen Wiese an.
Axiome sind übrigens Setzungen, aus pragmatischen, ästhetischen oder welchen Gründen auch immer, vielleicht auch bloße Willkür, so wie die Werte, Regeln und dergleichen; man hat die abendländische Kultur damit bereits in Reflexionsdenken übersetzt. Der Herr Weber scheint ja ein Spezialist für diese Aufgabe zu sein, als ob man diese nicht getrost Netflix & Co. überlassen könnte. Weiter oben hat er dasselbe ja mit dem kategorischen Imperativ gemacht, auf dass ihn ja auch jeder verstehen möge. Bei Kant gibt es bereits drei Formulierungen, die stärkste ist wohl die mit dem Selbstzweck und der Menschheit in der eigenen Person, dem existierenden Allgemeinen. A. Weber freilich entsorgt die eigentliche abendländische Tiefe, die Entelechie, das Allgemeine, das im Einzelnen gegenwärtig ist, im Individuum, das »unteilbar«, eben wahrhaft konkret nur durch das Allgemeine, das Lied, das es zum Ausdruck bringt, - das alles wird entsorgt, denn man muss die Leute ja schließlich da abholen, wo sie stehen. Deshalb unterschiebt er dafür ohne Federlesens die Kategorien der Reflexion, aktiv-passiv, Teil-Ganzes, der Teil dann noch als Lebensqualität vorgestellt, als Pseudo-Unmittelbares, Handfestes, was dann ja immer nur auf das Konsumdenken, eben das Geistlose, hinausläuft. Das Ganze ist natürlich nicht im Teil, nicht so wie das Lied in den Dingen schläft, wenn auch der Teil nur Teil ist als Teil des Ganzen, im wesentlichen Verhältnis. Warum aber nun dieser aktive, qualitativ seiend vorgestellte Teil sich um das Ganze, das nicht in ihm wohnt, scheren, sich von ihm gar passiv bestimmen, Grenzen setzen lassen soll, bleibt dann das Geheimnis des Übersetzers; er hat die geistige Totalität eben nur auseinanderreflektiert. Er endet im abstrakten Moralismus, der irgendwo jenseits der Logik der Dinge und allen Inhalts haust, nämlich in der Selbstgewissheit des Teils, der Reflexion in sich selbst, der kryptogesicherten Innerlichkeit des Privaten, etc. in der man sich dann mit allen einig weiß; was aber eben nur eine leere Abstraktion ist, die alles der Willkür und der jeweiligen Durchsetzungsfähigkeit anheimstellt, - eben dem homo homini lupus, der nur noch durch den Leviathan (bitte als Axiom aufnehmen, das Rudel hat immer ein Alphatier!) zu bändigen ist.
Wenden wir uns also von den Irrlichtern weg der Welt Goethes zu, wo man gerne etwas länger verweilt. Auch Faust hat sich mit dem Konkreten, dem handfesten Sein ja lange genug abgemüht, hat den Erdgeist bemüht, um doch immer nur Spinnweben, toten Moder und Pseudo-Konkretion, also Schein, zu ernten. Er hat sich aus dem Sein herausreflektiert und ist doch klüger als alle die Laffen, Doktoren und Pfaffen, die es sich in der Reflexion und ihren eitlen Spielchen bequem gemacht haben, und die sein Anliegen durchaus nicht verstehen. Er hat nämlich verstanden, dass man sich nur aufhängen kann, wenn es bei diesem leeren Kreisen in sich selbst sein Bewenden haben sollte, worin sein naiver Famulus es sich so wohl ergehen lässt: Es möchte kein Hund mehr so länger leben. Deswegen geht er den Pakt mit Mephisto ein, dem Geist, der stets verneint, der sich auf sich beziehenden, sich selbst verneinenden Reflexion; auf der Suche nach dem Sein, dem Verweile-doch, das bereits als das geistige, das schöne Sein angedeutet ist. Er will den Weg der Reflexion zu Ende gehen, bis dahin, wo sie sich selbst aufhebt, zugrunde geht, zur geistigen Versöhnung und Konkretion wird, weil ihr Gegensatz sich ausgeglichen hat, weil sie sich wechselseitig gesetzt und aufgehoben, gefesselt haben, so wie es der Pakt ja vorsieht. Aber eben nicht, weil die erste Reflexion abstrakt negiert worden ist, überwunden durch die zweite, so wie Mephisto ihm das immer nahezubringen sucht, z. B. Grau Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum, - das Mantra aller Pseudo-Konkreten, deren Konkretes doch immer nur ein der Reflexion entsprungenes Gesetztsein ist. Faust lässt sich durchaus darauf ein, er hat ja keine Wahl, das ist der Pakt, und er hat keine höhere Weisheit im Hinterhalt, im Gegensatz zu seinen schulmeisterlichen Charakteranalytikern. Er folgt also Mephisto in Auerbachs Keller, der ersten Station. Freilich ist Faust von dieser gedankenlos-naturbelassenen grünen Lebenswelt in all ihrer indigenen Selbstverständlichkeit bloß genervt und teilnahmslos; und gerade als Mephisto so richtig auf Touren kommt (Das Volk ist frei, seht an, wie wohl’s ihm geht!), da seufzt er nur: Ich hätte Lust, jetzt abzufahren. Und auch Mephistos Antwort (Gib nur erst Acht, die Bestialität [das geistlose, bloß aus der Reflexion, der Technokratie geborene Leben] wird sich gar herrlich offenbaren) kann ihn nicht halten; denn er ist eben zu kritisch, um nicht eine taube Nuss (z. B. jenen Freiheitsbegriff, Wohlstand etc.) an seinen Früchten zu erkennen. Er wiederholt denn auch nicht einfach, wie gewöhnlich, den Kreislauf in neuer Verkleidung, indem er das Mantra von der Leere der Reflexion in sich aufs Neue sich aufsagen lässt, um sich zum Pseudo-Vitalen abzustoßen, um dann diese pure Wiederholung gar noch achselzuckend als das Leben selbst auszugeben, sondern hebt sich dieses grob-sinnliche Sein oder Leben, das bloß Begierde und Verzehren ist, mitsamt seiner Reflexion auf eine höhere, konkretere Stufe, wo die erste Stufe ja durchaus untergeordnet erhalten ist, nämlich auf die Stufe der geschlechtlichen Liebe; die freilich so, wie Faust sie im Verein mit Mephisto versteht, eine durchaus ungeistige ist, nicht das unendliche Sich-Finden-in-seinem-Anderen, und so wird er denn auch in dieser Sphäre mit mehr Teilnahme die Erfahrung des Scheiterns machen, wie auch später dann, mehr romantisch getönt, mit Helena.
(Die bloße Wiederholung ist das Problem des Verstockens in der Reflexion, in der Unmittelbarkeit der Subjektivität, des Einzelnen, Innerlichen, Privaten. Was im reinen Gedanken aber eine einfache Wiederholung ist, das wird in Raum und Zeit zur Expansion und zum Fortschritt. Es gibt nichts Langweiligeres als eine Beförderungsfeier unter Erfolgsmenschen, weil die Reflexion, das sich von sich Abstoßen, zum Sein stillgestellt ist, man ist angekommen, alle Dynamik ist erstorben. Dieses Sein dementiert sich dadurch aber gleich, stößt sich wieder von sich ab, es muss dieselbe Bewegung wiederholt werden; nun aber zur nächsthöhren Stufe, denn das Ergebnis des ersten Laufs ist ja noch vorhanden, kann also nur Expansion bedeuten, sonst wäre es eben nicht das Gleiche, nicht die gleiche Anspannung, keine wirkliche Aktivität. So wie Apple als Multi-Mega-Unternehmen heute genau dieselbe Bewegung vollziehen muss, wie damals als kleine Klitsche, nur in größerem Maßstab. Denn die Reflexion ist das aufgehobene Maß, sie ist maßlos, durch kein Seiendes, keine Qualität oder Quantität, zu begrenzen. Der Gegensatz von Sein und Reflexion ist nicht aufgelöst, sondern entfaltet sich in die schlechte Unendlichkeit, das Immer-Weiter, hinaus. Das liegt aber so tief, dass keine Politik da jemals drankommt.)
Weil das Ziel nicht erreicht ist, hat Goethe ja den zweiten Teil des Faust geschrieben, den man sich für gewöhnlich schenkt, weil ja doch immer nur die gleiche unersättliche Gier durchgehechelt wird, zumal der Dichter sich auch in seltsame Welten begibt. Die Auflösung ist dann natürlich erst recht schwer zu verstehen, zumal Goethe wohl auch etwas die Puste ausgeht am Schluss; er muss zu den Formen der überlieferten Religion greifen, die er ja ansonsten nicht so sehr geschätzt hat, vielleicht hätte aber alles andere die Form der Tragödie überfordert. Man kann es deswegen natürlich alles auch anders interpretieren, in dem Sinne nämlich, dass Faust letztlich innerhalb der Reflexion stehen bleibt, eben nur von seiner Negation, der zweiten Reflexion, also Mephisto endlicherweise überwunden wird, was aber den Kreislauf der Reflexion nicht beendet, sondern das Streben, in der schlechten Unendlichkeit, die nur immer die Bestimmungen der Reflexion abwechselt, Sein, Reflexion also Darüberhinausgehen, Aufheben derselben, Sein, das doch bloß Gesetztsein ist, also Reflexion usw. Das ist dann Faust in die Reflexion übersetzt, sein Tod nur etwas Äußerliches, die Erlösungsszene wird zum sentimentalen Schmarn oder zum Hohn auf das Frauenrecht.
Aber für eine solche Übersetzung ins Reflektiert-Faustische braucht es die Indigenialität eines Spinnewebers nun allerdings in keiner Weise, um es gleich zu sagen. Das hat nämlich Oswald Spengler mit seiner Lehre von dem Aktiv-Faustisch-Unendlichen als dem Axiom der abendländischen Welt, das er dann auch im gotischen Dom erkannt hat, bereits vor hundert Jahren in unüberbietbarer Weise geleistet; und Heerscharen von Regisseuren, Germanisten und Feuilletonisten haben es ihm seitdem nachgebetet. Die haben natürlich kritischerweise alle rein gar nichts mit dem Untergang des Abendlands im Sinn gehabt, sondern flechten vielmehr dem Olympier bis auf den heutigen Tag nur Kränze, ob seiner weihevollen Enthüllung abendländisch-faustischen Wesens, also des Willens zur Macht, alles aber ganz in der Nachfolge Spenglers; und natürlich Nietzsches. Wobei dieser Miterbe des Großen Einzelgängers dann jedoch die Größe besaß, es einfach dabei zu belassen, nicht noch einen seichten Moralismus hinterherzusetzen, auch aus seinem Vitalismus/Irrationalismus und der dazugehörigen Geistfeindlichkeit keinen Hehl zu machen, was ihm aber wohl auch erlaubt hat, mit einem etwas freieren und unbefangeneren Blick auf die Unterschiede der Geschichte zu blicken; verglichen mit Adorno, der irgendwie immer in die gleiche Kerbe haut, von Odysseus bis zu Heidegger und dem Faschismus; alles nur, um - statt in logischer Konsequenz den Cäsarismus als letztes Stadium der abendländischen Welt (im 21./22. Jhdt.) zu prophezeien - lieber vom »geheimen Sinn im kantischen Vernunftbegriff« zu raunen, den der tief blickende Vordenker der Aufklärung natürlich seinem Dunkel nicht entreißen mochte, wofür ihn seine Studenten dann aber geliebt haben. Habermas hat es ihm dann gedankt, indem er den kritischen Stachel endgültig entmannt, die Fassade wissenschaftlich grundsaniert und von allen Geheimnissen fachmännisch entkernt hat. Spengler hat man natürlich verdammt; mitsamt der philosophisch-religiös-künstlerischen Offenbarung des Geheimnisses, soweit man sie nicht auf ein museales Podest gestellt hat, - um auf diese Weise die Blindheit und Barbarei als Resultat der Aufklärung, die der Meister selbst verkündet hatte, denn auch wirklich zu vollziehen.
Man muss verstehen, dass das faustisch-moderne »Lebensmotto« eine Verkürzung des eigentlichen Textes der abendländischen Kultur ist, eine Verkürzung, die sich dieser (als einer bloß passiven, hingebungsvollen Weltfremdheit oder Lüge) selbst aktiv-faustisch-unendlich entgegensetzt, gegen sie - als Einheit von Ost und West (west-östlicher Diwan), AT/NT, Substanz und Subjekt buchstabiert - sogar in gewisser Weise Krieg führt. Aber all dies ist dann eben doch im Urtext selbst angelegt, es ist im Grunde dieser selbst, wie dies ja auch die nicht ohne Grund so martialisch angelegte Gretchengeschichte zeigt. Denn die Wahrheit des Abendlandes ist der lebendige, seiner selbst bewusste Geist, die Einheit von Gott und Mensch, von Sein und Reflexion, und dies eben NUR und ausschließlich im Durchgang durch die Reflexion, also durch die Entzweiung in Lupus und Leviathan, durch die Kreuzigung aller Wahrheit zwischen den Polen einer heuchlerischen Indigenität (Pharisäismus) und einer nihilistisch-zivilisierten Gegenindigenität (die Pole, die heute in der kath. Kirche miteinander kämpfen, natürlich alle unter dem faustisch-adventlichen Panier: Fürchte dich nicht!), durch alle Blindheit hindurch, sei die des Ödipus (der das Rätsel des Orients gelöst, sich davon zu sich selbst abgestoßen hatte: Es ist der seiner selbst bewusste Mensch) oder die Fausts (als er sich am Ende zur absoluten Praxis wendet), eben die Tragödie des Gnṓthi seautón. Dies ist das Lied, das in allen Dingen schläft, natürlich beliebig zu konkretisieren, heute nicht anders denn gestern oder morgen, im Geistigen nicht mehr oder weniger als in der Natur; sofern man sie nur eben mit den Augen des Geistes betrachtet, nicht mit dem banausischen Tunnelblick des Praktikers, den a priori nur Werkzeuge, also Mechanismen, streng reproduzierbare Effekte interessieren, und diese auch nur ganz begrifflos, weil sonst die Rechenmaschinen (eben die künstlich darauf bornierte Intelligenz) überfordert wären. Zu Zeiten war das Lied ja durchaus allen bekannt, gerade auch den Armen im Geiste, zur Orientierung im Alltag, bei allen Dingen, heute ist es eben eine esoterische Geheimlehre und das Gespött der Landsknechte und thrakischen Mägde dieser Welt; wovon das Lied ja eben handelt. Es wird von daher auch gar nicht die abendländische Kultur selbst verhandelt, die kaum mehr einer auf dem Schirm hat, außer ein paar Spenglern, Wagnern und Webern, die so gerne etwas ganz Modernes daraus klöppeln wollen. Sondern es geht um die Selbstgewissheit der Moderne selbst, um ihr »Einstmals war alle Welt irre, spricht der letzte Mensch und blinzelt« (Nietzsche), das In-sich-Verstocktsein in der Reflexion, das sich als Wokeness, Wiedererweckung, Great-again, Power-Kraft-Drüberhinaussein in allen Spielarten feiert, also um das, was dem heutigen Menschen richtig wehtut, wenn er es denn aufgeben oder auch nur zum Moment des Geistes relativieren (»in Fesseln schlagen«) lassen müsste; und deshalb schlägt dann doch lieber den Sack als den Esel ....