Künstlerische Intelligenz

Im Zuge der philosophischen und Debatten der letzten 30 Jahre sind Theorien des Schönen und philosophisch inspirierte Theorien medialer Erfahrungen zunehmend in den Vordergrund gerückt.
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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 06:08

Stefanie hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 22:44
Keiner der Künstler dürfte einen IQ über 70 haben.
Ich habe mir ehrlich gesagt, lange solche Tests nicht mehr angeschaut. Dass sie so etwas wie die künstlerische Intelligenz messen oder auch nur messen können, wage ich zu bezweifeln.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 06:42

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 02:48
Die Veranstalter sprechen von "bereitwilliger Intelligenz", welche die Lektüre der Werke Blumenbergs erfordere. Kann die Kunst (es handelt sich um zwei Texte und drei Kompositionen) diese "bereitwillige Intelligenz" begünstigen? - Wird hier ein Problem in angemessener Zeit gelöst oder in kürzester Zeit geschaffen?
Ich habe mir das Video jetzt noch nicht angeschaut, kann dazu daher noch nichts sagen.

Das grundlegendste (wenn natürlich sicher nicht das einzige) Problem, was bei der Lektüre eines Textes gelöst wird, ist doch wohl, ihn einigermaßen angemessen zu verstehen, oder? Dazu muss der Leser bzw. die Leserin die Welten, die der Text eröffnet, zunächst in irgendeiner angemessenen Form aufbauen. Wenn das gelingt, können sich vor ihm oder ihr in kürzester Zeit ungeahnte Probleme auftürmen.

Was als gelungener Aufbau gelten kann, ist natürlich von Text zu Text, bzw. Textart zu Textart verschieden. Es ist sicherlich etwas anderes, eine Gebrauchsanweisung zu lesen als ein Gedicht. Für das Lesen eines Gedichtes gibt es sicherlich auch kein Regelbuch, an dem man sich orientieren kann, daher ist auch bei dieser Lektüre künstlerische Intelligenz gefordert.

Den Ausdruck "bereitwillige Intelligenz" kenne ich zwar nicht, aber er gefällt mir. In Bezug auf die Lektüre eines Gedichtes würde ich ihn so verstehen, dass man offen für die Möglichkeiten des Gedichtes sein sollte. In Bezug auf philosophische Texte würde ich sagen, bereitwillige Intelligenz könnte neben anderen darin bestehen, auch ungewöhnliche Gedankengänge zunächst bereitwillig mitzugehen und sich (zumindest probehalber) auf sie einzulassen.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 07:07

Wenn man danach sucht, dann findet man schnell viele verschiedene Formen von Intelligenz: sprachliche Intelligenz, logisch-mathematische Intelligenz, räumliche Intelligenz, musische und musikalische Intelligenz, soziale Intelligenz, emotionale Intelligenz, Handlungsintelligenz, ... (Es dürfte schwer fallen, diese Liste abzuschließen.)

Oft werden die Ausdrücke "musische Intelligenz" und "musikalische Intelligenz" synonym verwendet, was mich gestern, als ich danach recherchiert habe, etwas erstaunt hat. Ich hätte eher vermutet, dass musische Intelligenz und künstlerische Intelligenz pi mal Daumen dasselbe sind. Dazu gehört vermutlich auch, die Bereitwilligkeit, sich von der Muse küssen zu lassen :)




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 08:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 21:18
Nehmen wir ein Beispiel. Und zwar einen frei improvisierten Tanz als Kunstwerk, bzw. als sog. Performance. Ist es auch in diesem Fall für dich schwierig, dir vorzustellen, dass das Kunstwerk, also der Tanz sich selbst die Regel setzt?
Stefanie hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 21:42
Ja.
Es wird von Menschen erschaffen. Die Regel setzt der Mensch. Achtung, mit Regel meine ich jetzt nicht Normen, Vorgaben oder so was.
Kunst kommt aus dem Menschen.
"Kunst kommt aus dem Menschen." Ich glaube, es ist umgekehrt. Aber wie auch immer:

Menschen tanzen. Die tanzenden Menschen sind der frei improvisierte Tanz, von dem ich sprach. Wenn der Tanz sich selbst die Regel setzt, dann ist der Mensch ja nicht "außen" vor. Es gibt nicht hier den Tanz und da den Tanzenden, sie gehören zusammen. Der Tanz ist jedoch nicht nichts. Er existiert zwar nur, wenn es Tänzer:innen gibt, die tanzen, aber im Tanz können sich den Tänzer:innen tanzend mögliche Formen ihrer selbst/ihres Tuns zeigen, denen sie folgen können. Ihre Bewegungssequenzen können einer inneren Logik folgen, die sich erst aus dem Tanz (der Form ihres eigenen Tuns) ergeben und zeigen. Man kann tanzend erkennen, dass diese Form nach jener (oder jener) verlangt. Dieses "Verlangen" ist nicht generell ein diktatorisches Verlangen des "Fremdkörpers" Tanz (obwohl das sicher auch möglich ist und oft sogar gewünscht wird), sondern es entsteht, weil beim Tanzen eben Formen entstehen, die in irgendeiner Weise sinnhaft sind, welche die sinnvollen "Anschlussmöglichkeiten" "limitieren". Und die Fähigkeit, diese Regeln zu erkennen (zu fühlen, zu spüren, zu empfangen, ...) würde ich künstlerische Intelligenz nennen.




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AufDerSonne
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Mi 21. Dez 2022, 11:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 18:08
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 17:33
Viele Künstler(-Genies) wurden verrückt oder hatten schwere Depressionen (van Gogh). Also du meinst jetzt nur Maler, oder?
Musiker gibt es auch sehr gute. Ich glaube, die werden weniger schnell verrückt.
Worauf willst du damit hinaus? Was besagt das zum Thema künstlerische Intelligenz?
Ich denke, es spricht für sich. Es besagt, dass ein Künstler eine sehr spezielle Intelligenz hat, die tief in sein Werk hineinreicht.
Ein Künstler kann sich mit seinem Werk so stark identifizieren, dass er daran verrückt wird. Auch arbeiten sie dann wohl zu viel und überarbeiten sich.

Kurz: Gute Kunst fordert das ganze Wesen eines Menschen.



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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 11:56

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 11:11
Es besagt, dass ein Künstler eine sehr spezielle Intelligenz hat
Und worin besteht diese Intelligenz der Künstler:innen?




Timberlake
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Mi 21. Dez 2022, 16:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 06:04
Timberlake hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 22:22
Ich denke mal ., dass Christoph Menke damit gemeint hat , dass die Kunst darin besteht , dass was sie " nicht kann" und zwar die Wirklichkeit ab zu bilden , "gekonnt" zu ähnlichen oder auch ganz anderen Wirklichkeiten zu verarbeiten .
Wieso denkst du das?
Ganz einfach ..
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 08:31
Bei Christoph Menke heißt es in "die Kraft der Kunst": "Kunst ist das Können des Nichtkönnens."


..weil m.E. nur so der Satz "Kunst ist das Können des Nichtkönnens." überhaupt erst Sinn macht. Oder wie würdest du diesen Satz sonst interpretieren wollen? Du wirst dir doch wohl noch irgendetwas dabei gedacht haben , ihn hier zu zitieren.

Dazu und zwar was ich meine , was Christoph Menke mit diesem Satz gemeint hat, eine Anmerkung von Nietzsche ..
  • Der realistische Maler
    »Treu die Natur und ganz!« – Wie fängt ers an:
    Wann wäre je Natur im Bilde abgetan?

    Unendlich ist das kleinste Stück der Welt! –
    Er malt zuletzt davon, was ihm gefällt.
    Und was gefällt ihm? Was er malen kann!
    Friedrich Nietzsche ..Die fröhliche Wissenschaft

Mit "Unendlich ist das kleinste Stück der Welt! hat Nietzsche übrigens nicht nur nloß das Problem eines realistischen Maler erfasst. Auch die Philosophie , wie auch die Naturwissenschaften müssen sich damit begnügen .. zuletzt von dieser Welt nur das zu malen, was ihnen gefällt. Und was gefällt ihnen ? Was sie malen können!
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 21. Dez 2022, 17:09, insgesamt 7-mal geändert.




Nauplios
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Mi 21. Dez 2022, 16:47

Ich muß gestehen, daß ich mit der künstlerischen Intelligenz gewisse Schwierigkeiten hab'. Das hat einen Hauch von Genieästhetik, die nach Art des Halleyschen Kometen sich dem ästhetischen Diskurs auf Sichtweite nähert.

"Die künstlerische Intelligenz besteht darin, sich auf diese Regellosigkeit einlassen zu können. Es ist die Fähigkeit, die Regel, die sich das Werk selbst setzt, umzusetzen." (Jörn)

Mit den "Regeln, die sich das Werk selbst setzt", wird ja über die "künstlerische Intelligenz" eine ... wie soll ich sagen ... Normierung in die Ästhetik eingezogen: der Künstler muß die Fähigkeit besitzen, diese Regel umzusetzen. Das wiederum hat den Hauch der Regelpoetik, gegen die sich die Genieästhetik profiliert hatte, nur daß die Regel jetzt vom Kunstwerk ausgeht, während die künstlerische Intelligenz sich auf "Regellosigkeit" einlassen können soll.

Damit ist also eine Verlagerung verbunden: das Kunstwerk bestimmt seine Regel, der Künstler setzt sie im Prozess des Schaffens um. Er wird zum dienstbereiten creator und curator einer Kreation, welche diese Dienstfertigkeit in Form einer "künstlerischen Intelligenz" einfordert.

So in etwa?




Nauplios
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Mi 21. Dez 2022, 16:56

Wäre das eine Gegenposition zu Beuys Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler"?

Wenn jeder Mensch ein Künstler ist, verblaßt die "künstlerische Intelligenz" in ihrem Profil. Wenn künstlerische Intelligenz die Voraussetzung für Kunst ist, hat man ein scharfes Anforderungsprofil an den Künstler, aber die Kunst wird exklusiv (?) -




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AufDerSonne
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Mi 21. Dez 2022, 17:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 11:56
AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 11:11
Es besagt, dass ein Künstler eine sehr spezielle Intelligenz hat
Und worin besteht diese Intelligenz der Künstler:innen?
Meine Nachbarin malt Aquarelle und zwar ziemlich gut. Sie hat mir zwei Bilder geschenkt. Ein Blumenstrauss und ein Haus im Schnee.
Sie sieht die materiellen Dinge ganz anders. Sie schaut viel genauer hin und anders als ein Normalsterblicher. Wahrscheinlich sieht sie auch viel mehr Details als ich, wenn ich etwa einen Baum anschaue.
Was ich meine. Ein Künstler schwingt mit seinem Werk mit, er gibt sich in das Bild hinein. Irgendwie so ist die künstlerische Intelligenz. Eine Welt des Sehens auch und des Fühlens.



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Timberlake
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Mi 21. Dez 2022, 17:36

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 17:29
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 11:56
AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 11:11
Es besagt, dass ein Künstler eine sehr spezielle Intelligenz hat
Und worin besteht diese Intelligenz der Künstler:innen?
Meine Nachbarin malt Aquarelle und zwar ziemlich gut. Sie hat mir zwei Bilder geschenkt. Ein Blumenstrauss und ein Haus im Schnee.
Sie sieht die materiellen Dinge ganz anders. Sie schaut viel genauer hin und anders als ein Normalsterblicher. Wahrscheinlich sieht sie auch viel mehr Details als ich, wenn ich etwa einen Baum anschaue.
Was ich meine. Ein Künstler schwingt mit seinem Werk mit, er gibt sich in das Bild hinein. Irgendwie so ist die künstlerische Intelligenz. Eine Welt des Sehens auch und des Fühlens.
Dazu passend und zwar wie ein Künstler, insbesondere entsprechend seiner Veranlagung , mit seinem Werk mit schwingt ..





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Jörn Budesheim
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Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 16:47
Das hat einen Hauch von Genieästhetik ...
Vielleicht, bin aber nicht sicher...

Ein denkbarer Ausgangspunkt ist meines Erachtens ein alter Topos. Dazu habe ich mal ein paar Zitate aus dem Buch von Menke kopiert:

"Die Möglichkeit des Gelingens besteht in den Fähigkeiten, durch die wir Tätigkeiten ausführen können. Diese Fähigkeiten sind Vermögen; wer sie hat, vermag etwas – vermag etwas gelingen zu lassen."

"Ein Subjekt zu sein heißt [in dieser heute etwas ungewöhnlichen Gebrauchsweise], etwas tun und daher auch es wiederholen, das heißt: ein Werk [aber gerade nicht ein Kunstwerk] hervorbringen zu können."

"Nach Sokrates ist Dichten »jedenfalls […] kein Wissen, kein Können, das über sich selbst und seine Wahrheit Rechenschaft zu geben vermöchte«

"Das Dichten, und generell das, was wir »Kunst« nennen, ist für Sokrates keine Kunst: nicht die selbstbewußte, kontrollierte Ausübung eines durch Übungen erworbenen praktischen Vermögens. Dichten geschieht vielmehr in Besessenheit und aus Begeisterung. Daher ist auch der Dichter kein »Subjekt« im zuvor verwendeten Sinn des Ausdrucks: kein Könner; nicht jemand, der durch seine Vermögen etwas gelingen lassen oder ermöglichen kann. Im Dichten ereignet sich ein Verlust der Subjektivität."

Der Gedanke, dass Dichten kein Können ist im Sinne einer Regel geleiteten Fähigkeit, ist, wenn Menke recht hat, eine ganz alte Vorstellung. Kunst kommt nach diesem Bild wortwörtlich vom "Nichtkönnen". Da stellt sich natürlich die Frage, wie ist es dennoch möglich. Gemäß Menke hält Sokrates es für eine göttliche 'Gabe': "Nach Sokrates ist Dichten »göttlicher Wahnsinn und Besessenheit«."

Nietzsche hat naturgemäß eine andere Vorstellung als Sokrates :) dazu Menke: "Daß die Dichter nicht aus eigenem Wissen und Können, nicht »durch Kunst« sprechen, bedeutet nach Sokrates, daß sie getrieben sind »durch göttliche Kraft«; »die Dichter […] sind nichts als Sprecher der Götter«. Das heißt es, daß der Dichter begeistert ist: durch ihn spricht eine äußere, fremde – eine höhere Kraft. Nietzsche dagegen versteht die Kraft, die den Dichter erfaßt und seine Subjektivität verlieren läßt, als dessen eigene Kraft. Die Kraft, die den Dichter erfaßt, kommt nicht von außen, durch göttliche Begeisterung, sondern aus ihm selbst, durch ästhetische Belebung. Diesen Zustand nennt Nietzsche »Rausch«: Rausch ist die »Gesammtentfesselung aller symbolischen Kräfte«.[26] Rausch ist nicht passive Benommenheit, sondern ein Zustand intensivierter Aktivität ..."

Wenn man mich mit Gewalt zwingen würde, zwischen diesen beiden Positionen zu wählen, dann würde ich mich natürlich auf die Seite von Sokrates schlagen :) Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass Kunst kein Können ist, dass es für sie kein Regelbuch geben kann. Statt jedoch auf Götter oder Rausch zu setzen, würde ich halt auf die Kunst selbst setzen. Im Glücksfall bemächtigt sich die Kunst des Künstlers oder der Künstlerin und produziert sich selbst. Die Intelligenz des Künstlers oder der Künstlerin besteht dann darin, diesen Prozess nicht im Wege zu stehen :)

Dass das Kunstwerk sich gewissermaßen selbst produziert, ist meines Erachtens ein uralter Topos. Die meisten Künstler:innen, mit denen ich schon darüber gesprochen habe, stimmen dem zu. Für andere Ohren klingt das seltsam. Gedichte oder Zeichnungen sind schließlich - so glaubt man, keine Wesen, die etwas tun sie können. Das stimmt natürlich auch für das Stück Papier mit der Farbe darauf. Aber das Stück Papier mit der Farbe darauf ist für sich allein genommen noch nicht das Kunstwerk. Hinzukommen muss noch jemand, der das Kunstwerk sozusagen "performt". Die Künstler:innen sind ja (auch) die ersten Performer bzw Betrachter Teil des Kunstwerkes. Das Kunstwerk umfasst in einer gewissen Hinsicht beide. Weiter oben habe ich versucht, am Beispiel eines improvisierten Tanzes, zu erläutern, wie ich mir das ausmale.




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Jörn Budesheim
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Timberlake hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 16:11
Du wirst dir doch wohl noch irgendetwas dabei gedacht haben , ihn hier zu zitieren.
Was ich mir dabei gedacht habe, habe ich ja im selben Beitrag, aus dem du diesen Teil mit dem "Können das Nichtkönnens" zitiert hast, erläutert: Die Kunst kennt kein Maß, außer dem, welches sich jedes individuelle Werk selbst setzt. Das entspricht einem alten Topos. Dafür dürfte man leicht viele Quellen finden, hier sind zwei: Bei Christoph Menke heißt es in "die Kraft der Kunst": "Kunst ist das Können des Nichtkönnens." Bei Markus Gabriel findet man in "the Power of Art" "There is no external rulebook for how to create artworks. This is why every artwork is original". Kunstwerke entstehen nicht nach Rezept. Die künstlerische Intelligenz besteht darin, sich auf diese Regellosigkeit einlassen zu können. Es ist die Fähigkeit, die Regel, die sich das Werk selbst setzt, umzusetzen.




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Mi 21. Dez 2022, 20:05

Christoph Menke - Die Kraft der Kunst werde ich demnächst mal anschauen; er hat ja einiges zur Ästhetik geschrieben, u.a. auch zum Begriff "Kraft" ...




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Mi 21. Dez 2022, 20:13

Wenn ich mich einigermaßen richtig an die Lektüre erinnere, ist Menke wohl eher nicht ein Zeuge für die Auffassung, die ich hier stark mache, sicher bin ich mir allerdings nicht. Etwas ausführlicher zitiert habe ich ihn im Wesentlichen, weil er die Idee ist Nichtkönnens, die ich für völlig plausibel halte, sehr schön darstellt.




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Mi 21. Dez 2022, 20:30

[offtopic] Witzig: gleich zu Beginn des Videos, das Nauplios gepostet hat, wird ein Künstler erwähnt, nämlich Hanno Millesi, mit dem ich schon zweimal zusammen in Kassel gemeinsam an einer Gruppenausstellung beteiligt war, leider ohne ihn kennengelernt zu haben. Die Welt ist halt doch klein :) [/offtopic]




Timberlake
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Mi 21. Dez 2022, 21:13

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 19:19
Timberlake hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 16:11
Du wirst dir doch wohl noch irgendetwas dabei gedacht haben , ihn hier zu zitieren.
Was ich mir dabei gedacht habe, habe ich ja im selben Beitrag, aus dem du diesen Teil mit dem "Können das Nichtkönnens" zitiert hast, erläutert: Die Kunst kennt kein Maß, außer dem, welches sich jedes individuelle Werk selbst setzt. Das entspricht einem alten Topos. Dafür dürfte man leicht viele Quellen finden, hier sind zwei: Bei Christoph Menke heißt es in "die Kraft der Kunst": "Kunst ist das Können des Nichtkönnens." .
Nun ja , zwischen "Die Kunst kennt kein Maß, außer dem, welches sich jedes individuelle Werk selbst setzt" und Christoph Menkes "Kunst ist das Können des Nichtkönnens." würde ich im Sinne eines Topos, zunächst einmal keinen "Gemeinplatz" finden , Zumindest nicht , solange man sich dazu nicht erklärt hat .
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 20:13
Wenn ich mich einigermaßen richtig an die Lektüre erinnere, ist Menke wohl eher nicht ein Zeuge für die Auffassung, die ich hier stark mache, sicher bin ich mir allerdings nicht. Etwas ausführlicher zitiert habe ich ihn im Wesentlichen, weil er die Idee ist Nichtkönnens, die ich für völlig plausibel halte, sehr schön darstellt.
Wie übrigens ich auch "Die Idee des Nichtskönnens" , zumindest im Zusammenhang mit der künstlerische Intelligenz , für wenig plausibel halte.

Nur noch mal zum Vergleich , wie ich mir darauf meinen Reim gemacht habe ..
Timberlake hat geschrieben :
Di 20. Dez 2022, 22:22
Ich denke mal ., dass Christoph Menke damit gemeint hat , dass die Kunst darin besteht , dass was sie " nicht kann" und zwar die Wirklichkeit ab zu bilden , "gekonnt" zu ähnlichen oder auch ganz anderen Wirklichkeiten zu verarbeiten .
Bei Vivaldi "Die vier Jahreszeiten" beispielsweise eine musikalische Wirklichkeit der vier Jahreszeiten . Bei Michelangelo "Die Erschaffung Adams" eine Wirklichkeit , von der man den Eindruck hat , als könne da jeden Augenblick ein Funke überspringen . Oder auch Shakespeares Sommernachtstraum . Einer fantastischen Wirklichkeit , wie ich sie bei einer Vorstellung in Arendsee, mit dem See , der Klosterruine und einem grandiosen Sonnenuntergang als Kulisse , geradezu hautnah selbst erleben durfte. Mein erstes unvergessliches Kunsterlebnis war übrigens , als etwa 8 jähriger, im Stendaler Theater , die Vorstellung "Die Chardastfürstin" von Emmerich Kálmán. Somit man übrigens nach Meinung "Adäquat" mit "unvergesslich " übersetzen kann.

Das im Gedächtnisbleiben , wäre demnach meines Erachtens das Maß für Kunst bzw. künstlerische Intelligenz.


In diesem Zusammenhang wäre vielleicht noch folgendes Phänomen interessant ..
  • Dieser unglaubliche Künstler zeichnet eine ganze Stadt aus dem Gedächtnis
    Stephen Wiltshire bekam mit drei Jahren die Diagnose Autismus und ist mittlerweile berühmt für seine extrem detaillierten Zeichnungen, die er nach nur einem kurzen Blick zu Papier bringt.
    ..
    Auf einer Reise nach New York für ein Interview traf er Oliver Sacks und zeichnete eine perfekte Nachbildung vom Haus des Neurologen, nachdem er nur einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. „Die Kombination von beträchtlichen Fähigkeiten und beträchtlichen Unfähigkeiten ist ein außergewöhnliches Paradoxon: Wie können solche Gegensätze Seite an Seite existieren?“
Mit dieser Diagnose kann dieser Künstler im wahrsten Sinne des Wortes , so gut wie nichts . Außer eben ganze Städte aus dem Gedächtnis zu zeichnen.
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 21. Dez 2022, 21:35, insgesamt 3-mal geändert.




Nauplios
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Mi 21. Dez 2022, 21:28

Hanno Millesi trägt ja bei den Blumenbergtagen den Text "Combiticket" vor und Lucas Cejpek später "Unterbringung der Unendlichkeit". Einen Zusammenhang, einen Bezug, einen Kontext zu Blumenberg habe ich lediglich in diesem zweiten Text gehört; bei dem "Combiticket" hat sich Ratlosigkeit eingestellt.

Vollends bei den drei Musikstücken

Henrik Leonard Erdödy: mono/dia... like tears ... For Saxophon and fixed media 

Benedikt Alphart: Über(...)Sprechen Für Tenorsaxophon, Akkordeon und Live-Elektronik 

Alyssa Aska: horizontabschreitung Für Altsaxophon, Akkordeon und Live-Elektronik 

hat sich für mich ein solcher Kontext nicht gezeigt, obwohl ich der Neuen Musik gegenüber und ihrer Aufführungspraxis mit elektronisch erzeugten Klängen u.ä. aufgeschlossen bin. Aber was das mit Blumenberg und seinem Denken zu tun hat, hat sich mir nicht erschlossen. Rüdiger Zill hat im Auditorium mit geschlossenen Augen, die Hand seiner Frau haltend, andächtig der Musik gelauscht; womöglich hat er mehr und anderes vernommen. ;-)




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Mi 21. Dez 2022, 21:33

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 21:28
Rüdiger Zill hat im Auditorium mit geschlossenen Augen, die Hand seiner Frau haltend, andächtig der Musik gelauscht; womöglich hat er mehr und anderes vernommen.
Ja, das ist mir auch aufgefallen :) ich glaube, es hatten sogar einige die Augen zu.




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Jörn Budesheim
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Mi 21. Dez 2022, 21:43

Nauplios hat geschrieben :
Mi 21. Dez 2022, 21:28
... bei dem "Combiticket" hat sich Ratlosigkeit eingestellt.
Vielleicht alles in dem Text oft um den Baum der Erkenntnis geht? Hätte es Blumenberg denn geschafft, sich der Anweisung Gottes zu widersetzen? Na ja :)

(Der Text Combiticket ist ja trotz der angenehmen Stimme des Autors völlig nihilistisch, finde ich und er versucht ja gerade nicht, der Symbolik/der Kraft der Bilder, bzw. der Mythen nachzugehen.)




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