Nauplios hat geschrieben : ↑ So 25. Dez 2022, 17:26
In Deiner Zeichnung füllt das Lamm den Unterstand aus. In der christlichen Ikonographie ist das Lamm das Symbol für Christus. Vermutlich kommt es hier darauf weniger an und das Lamm steht stellvertretend für eine Tierwelt, die in Teilen vom Aussterben bedroht ist und deren Nutztiere unter der Massentierhaltung leiden. (Eine Verbindung zur Passion Christi ließe sich herstellen.)
Der Künstler oder die Künstlerin kann die Interpretation der eigenen Arbeit weder kontrollieren noch festlegen, denke ich. Aber ziemlich genau so, wie du es dargestellt hast, habe ich es mir gewünscht :) Dass das Lamm für Jesus steht, kann man heute leider nicht mehr als bekannt voraussetzen, aber ich habe gehofft, dass der eine oder die andere den Zusammenhang (er-)kennt - und somit auch die "Doppeldeutigkeit" der Darstellung sieht, die ansonsten ja menschenleer ist.
Die Zeichnung ist übrigens
direkt aus diesem Faden entstanden. In dem Video zu der Blumenberg-Veranstaltung war die Erzählung von Hanno Millesi zu sehen, bzw. zu hören. Dort hat der Autor sich etwas abschätzig über Engel geäußert und das hat sofort meinen Widerspruchsgeist herausgefordert :) Auch wenn ich ziemlich strikter Atheist bin, so glaube ich doch sicher, dass religiöse Ikonographien in der Regel sprechend sind und etwas über unser Menschsein sagen/zeigen/erzählen können - und zwar ganz unabhängig von der Frage, ob es Götter, Engel, Teufel und dergleichen "wirklich" gibt.
Das war der Ausgangspunkt. Aus diesem Grund wollte ich überhaupt einen Engel zeichnen.
Ich habe ohne größeres Kalkül begonnen und mit einem breiten Pinsel den Engel "gemalt". Bzw genauer genommen sollte das eigentlich nur die Kontur des Engels ergeben. Aber dann hat mich das "Ergebnis" (der erste Strich, der eigentlich nur die beiden Flügel zeigen/grundieren sollte) dazu gebracht, zu entscheiden, dass diese Form erst einmal, so wie sie war, stehen bleibt. (Sie hat sich dann auch tatsächlich nicht mehr verändert.)
Zuerst saß da also der "Schutzengel", der offenbar nicht mehr wirklich ein Schutzengel ist, auf dem Papier. Damit deutlich ist, dass er "fliegt" oder "irgendwie" "oben" ist und nicht rein aus kompositorischen Gründen platziert ist, hat die Zeichnung gewissermaßen nach einer Basis einem "unten" "verlangt". („Man kann auch in die Höhe fallen, so wie in die Tiefe.“ — Friedrich Hölderlin.)
An dieser Stelle ist die Zeichnung gewissermaßen ins Stocken geraten und eine Zeitlang liegen geblieben. Ich wusste nicht mehr weiter. Das führt dann in der Regel zu einer Phase der Unruhe - bei der ich immer wieder zu dem Zwischenstand zurückkehre und mir die Zeichnung lange anschaue. Und manchmal mithilfe der sogenannten "Vorstellungskraft" die eine oder andere Möglichkeit durchspiele, bis irgendwann der Einfall kam, ein Lamm auf dem Blatt zu platzieren, schließlich ist Weihnachten :)
In solchen Fällen schaue ich immer gerne mal, was Giotto gemacht hat; er ist für mich oft eine wichtige Inspirationsquelle. ("Inspiration" ist im übrigen eine wichtige theologische Metapher, wenn es um die Frage geht, woher die Einfälle einfallen.) Und aus der Betrachtung des Bildes von Giotto - es war genau das, was du ausgewählt hast - hat sich dann sozusagen der Rest der Zeichnung "ergeben", um die Geschichte nicht ausufern zu lassen, schreibe ich "ergeben". (Irgendwo schwoben dann sicherlich auch eigene - teilweise auch explizit gedachte - Interpretation im Raum, die die Richtung sicher mit beeinflusst haben.)
Man kann also sagen, dass die Zeichnung aus vielen verschiedenen "hin und her" und Dialogen entstanden ist. Vielleicht wäre es besser zu sagen, dass das Zeichnen die vielen verschiedenen "hin und her" und Dialoge selbst war. Hier habe ich auf keinen Fall alleine die Regie geführt, denke ich :)