Der Rechtsbegriff "Menschenwürde": Eine Kritik

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Hermeneuticus
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Begründungen, Argumente zeichnen sich durch allgemeine Gültigkeit und Nachvollziehbarkeit aus. Darum kann die bloße Behauptung von Person x, sie habe dann und dann y gesehen, noch nicht als Begründung dienen.

Es gibt auch Leute, die Hexen vorbeifliegen gesehen oder die Stimme Gottes gehört haben. Ich vermute - nein, ich hoffe inständig! -, das würde Dir nicht als Begründung für die sichtbare bzw. hörbare Seinsweise der Hexen und Gottes genügen. Nur, wenn die entsprechenden Wahrnehmungen sich von jedermann unter genau bestimmten Bedingungen nachvollziehen lassen, können Wahrnehmungen eine begründende Kraft haben.

Wenn sich also, wie Du behauptest, Menschenwürde sehen lässt, sollten sich die Umstände, unter denen das allgemein möglich ist, und die Kriterien, anhand derer sich die Menschenwürde allgemein von Nicht-Würde unterscheiden lässt, angeben lassen. Sonst taugt ein solcher Bericht nicht als Begründung.




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Stefanie
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Do 19. Okt 2017, 22:25

Doch noch ein Satz: Wie wäre es mit empathischen Sehen?



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Stefanie
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Fr 20. Okt 2017, 20:51

Mir kam da gerade so ein Gedanke....
Hermeneuticus: (im Thread: viewtopic.php?f=19&t=202)

Denn auch das, auf das sich sicher schließen lässt, gehört doch zum Erkannten. Ich denke gerade an Kants Beispiel mit den Eisenspänen und dem Magnetismus. Die magnetische Ladung lässt sich nicht direkt wahrnehmen, aber die Anordnung der Eisenspäne auf dem Blatt Papier, unter das man den Magneten hält, erlaubt es uns, auf die magnetische Kraft bzw. Ladung zu schließen - und sie somit (wenn auch nur teilweise) zu beschreiben.
Hmm..."Denn auch das, auf das sich sicher schließen lässt, gehört doch zum Erkannten."

Das gilt nur für physikalische Regeln? Nicht auch vielleicht für so was wie Menschenwürde?



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Stefanie
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Fr 20. Okt 2017, 22:10

Wir sehen einen geschundenen Menschen, verletzt an Körper und/oder Seele, sei es durch die Arbeit, durch Krieg, Hunger oder Elend. Wir sehen direkt an diesem geschundenen Menschen das Ergebnis, nämlich das was passiert, wenn Menschen als Mittel zum Zweck angesehen werden. Wenn Menschen als "Werkzeug" - wie ein Gebrauchsgegenstand- behandelt werden. Es muss nicht gleich was ganz Furchbares sein, aber auch Trauer, Scham , Hilflosigkeit lassen es uns direkt sehen.Im Zusammenhang damit, dass Menschen empathiefähige Wesen sind, wir eine gegenseitige Verantwortung haben, lässt sicher daraus schließen, das Menschenwürde erkennbar ist. Wenn sie zum Erkannten gehört, lässt sie sich auch beschreiben...



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Hermeneuticus
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Sa 21. Okt 2017, 01:22

Stefanie hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 20:51
Mir kam da gerade so ein Gedanke....
Hermeneuticus: (im Thread: viewtopic.php?f=19&t=202)

Denn auch das, auf das sich sicher schließen lässt, gehört doch zum Erkannten. Ich denke gerade an Kants Beispiel mit den Eisenspänen und dem Magnetismus. Die magnetische Ladung lässt sich nicht direkt wahrnehmen, aber die Anordnung der Eisenspäne auf dem Blatt Papier, unter das man den Magneten hält, erlaubt es uns, auf die magnetische Kraft bzw. Ladung zu schließen - und sie somit (wenn auch nur teilweise) zu beschreiben.
Hmm..."Denn auch das, auf das sich sicher schließen lässt, gehört doch zum Erkannten."

Das gilt nur für physikalische Regeln? Nicht auch vielleicht für so was wie Menschenwürde?
Gegenfrage: Wie und woran soll sich denn erkennen lassen, dass jeder Mensch exakt die gleiche Würde faktisch besitzt, also unabhängig von seiner individuellen Beschaffenheit, seinen individuellen Zuständen, seinen individuellen Handlungen, seinen Verdiensten usw.

Das müsstet Ihr, die Ihr an die Menschenwürde als beschreibbare Tatsache glaubt, doch erläutern können. Versucht doch einmal, eine Beschreibung dieser Tatsache anzufertigen, die konsensfähig ist und auf jeden einzelnen Menschen zutrifft (zu der es also kein einziges Gegenbeispiel geben darf)!
Danach reden wir weiter. ;)



Ich empfehle in diesem Zusammenhang auch Abschnitt 2.2. "Normativer Universalismus" aus Heiner Bielefelds Text, den Du verlinkt hast. Dort grenzt der Autor doch gut verständlich die normative Idee der Menschenwürde von so etwas Empirischem ab wie würdevollem Handeln usw. Und er nennt auch Gründe, warum mit der Menschenwürde als Norm auf keinen Fall irgendwelche empirischen Tatsachen an konkreten Menschen gemeint sein können.




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Tarvoc
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Sa 21. Okt 2017, 02:39

Stefanie hat geschrieben :
Fr 20. Okt 2017, 22:10
Im Zusammenhang damit, dass Menschen empathiefähige Wesen sind, wir eine gegenseitige Verantwortung haben, lässt sicher daraus schließen, das Menschenwürde erkennbar ist.
Wie kann es dann sein, dass z.B. Arthur Schopenhauer die Idee der menschlichen Würde kategorisch zurückweist, obwohl Empathie und Mitgefühl buchstäblich die zentralen Konzepte seiner gesamten Ethik bilden?



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Stefanie
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Mo 23. Okt 2017, 19:51

Ich mache es erst mal kurz:
Gegenfrage: Wie und woran soll sich denn erkennen lassen, dass jeder Mensch exakt die gleiche Würde faktisch besitzt, also unabhängig von seiner individuellen Beschaffenheit, seinen individuellen Zuständen, seinen individuellen Handlungen, seinen Verdiensten usw.
Im Tod kann ich es u.a. erkennen. Ich meine nicht den Prozess des Sterbens, sondern wenn der Tod eingetreten ist. Besser kann ich es gerade nicht beschreiben.



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Alethos
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 23. Okt 2017, 19:51
Ich mache es erst mal kurz:
Gegenfrage: Wie und woran soll sich denn erkennen lassen, dass jeder Mensch exakt die gleiche Würde faktisch besitzt, also unabhängig von seiner individuellen Beschaffenheit, seinen individuellen Zuständen, seinen individuellen Handlungen, seinen Verdiensten usw.
Im Tod kann ich es u.a. erkennen. Ich meine nicht den Prozess des Sterbens, sondern wenn der Tod eingetreten ist. Besser kann ich es gerade nicht beschreiben.
Ich denke, dass dieser Quergedanke aus dem Thema ‚Antlitz‘ eigentlich ganz gut aufzeigt, worum es beim Zuschreiben von Würde geht: Es ist nicht eine Regel, die Würde ‚entstehen‘ lässt im Sinne von: Du hast Würde, weil x oder y. Die Regel entsteht viemehr umgekehrt aus dem Umstand, dass wir einander in die Augen schauen und erkennen können, dass der Andere ein Wesen ist, welches gewesen sein wird. Ich denke, wir können uns nicht aus der Verantwortung für den Anderen zurückziehen und hinter eine Ethik treten, weil es eine emphatische Grundkonstante gibt, die rational nicht erklärt werden kann. Wenigstens nicht, ohne zugleich das Wesentliche zu verfehlen.



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Di 24. Okt 2017, 10:47

Worum dreht sich hier eigentlich die Kontroverse? Was genau wird jeweils behauptet und bestritten? Vielleicht ist jeder der Teilnehmer so gut und fasst das in ein paar Sätzen zusammen? Das würde der Verständigung sicher helfen.

Was mich betrifft, so liegt mir vor allem daran, dass Menschenwürde nicht mit einer objektiven Eigenschaft verwechselt wird, die Individuen einer bestimmten Klasse oder einer natürlichen Art "an sich" eigen ist. Menschenwürde lasse sich nicht beschreiben, sie werde vielmehr zugeschrieben, da mit ihr keine objektive Eigenschaft gemeint sei, sondern ein normativer Status.

Die Einwände gegen diese Position scheinen mir z.T. darauf zurückzugehen, dass man sich am Ausdruck "zuschreiben" stößt. Wenn einem etwas von anderen "bloß zugeschrieben" werde, dann "habe" man es auch nicht "wirklich". Das Zugeschriebene scheint verstanden zu werden als eine Realität zweiter oder dritter Klasse, weil es von der Meinung und dem guten Willen der anderen abhängig sei. Wer ich "in Wirklichkeit" oder "in Wahrheit" sei, das könne doch unmöglich davon abhängen, was die anderen über mich meinen und denken. So hängen ja auch mein Körpergewicht, meine DNA und der Leberfleck in meiner linken Leistenbeuge nicht davon ab, was andere mir andichten, sondern ich habe diese Dinge einfach objektiv, und fertig. Wenn nun gar so etwas Bedeutendes wie die Menschenwürde davon abhinge, dass andere sie mir zuschreiben oder nicht, dann sei es um ihre Realität schlecht bestellt, dann könne man auch gleich darauf verzichten.

Vielleicht ist es also trotz des Threads über "Zuschreiben statt Beschreiben" nicht überflüssig, noch einmal kurz zu erläutern, was eigentlich gemeint ist.
Zunächst ist festzuhalten, dass Zuschreibungen nur vorkommen können zwischen den Mitgliedern von Handlungs- und Verantwortungsgemeinschaften. Zu Mitgliedern solcher Gemeinschaften wird man durch gegenseitige Anerkennung als verantwortlich handelnde Personen. Gegenseitige Anerkennung bedeutet aber zugleich gegenseitige Verpflichtung, denn Verantwortung hat wegen ihrer Gegenseitigkeit immer dieses doppelte Gesicht. Zuschreibungen beziehen sich immer nur auf Mitglieder von Verantwortungsgemeinschaften, also auf Personen. Und was jeweils einer Person zugeschrieben wird, kommt ihr letztlich immer aufgrund der praktischen Beziehungen zwischen Personen zu.

Ein einfaches Beispiel: Ich halte einen Apfel in der Hand und bin im Begriff, ihn zu essen. Man kann mit Fug sagen, dass ich diesen Apfel "habe". Er befindet sich objektiv an einer bestimmten Stelle im Raum, nämlich in meiner Hand. Außerdem befindet er sich in meiner Macht, meiner Verfügung; ich kann, wenn nicht zufällig etwas dazwischen kommt, mit ihm machen, was ich will. Mein "Haben" des Apfels betrifft nur mich in meinem Verhältnis zu ihm. Es hängt nicht von irgendwelchen anderen Umständen ab, auch nicht von den Ansichten anderer Menschen. Ohnehin befinde ich mich gerade nicht in Gesellschaft, sondern stehe einsam neben einem Apfelbaum in der Landschaft. Aber wenn zufällig jemand vorbeikäme, würde er selbstverständlich direkt sehen können, dass ich den Apfel objektiv habe. So wie er auch direkt sehen würde, dass ich eine braune Jacke und eine karierte Mütze trage.

Aber mein objektives Haben des Apfels hat freilich noch ein paar nicht ganz unwichtige Momente, die der Andere NICHT direkt sehen würde. So könnte er z.B. nicht direkt sehen, ob ich auch der Eigentümer des Apfels bin. Denn das hängt davon ab, wie der Apfel in meine Verfügung gelangt ist: Habe ich ihn gestern gekauft und gerade aus meiner Tasche gezogen? Oder habe ich ihn von dem Apfelbaum gepflückt, neben dem ich stehe? Und wem gehört der Apfelbaum - mir oder jemand anderem? Das müsste der Andere erst einmal wissen, bevor er beurteilen könnte, ob mein Haben des Apfels auch ein rechtmäßiges Eigentumsverhältnis ist. Mit direktem Sehen käme er nicht weiter.

Das Eigentumsverhältnis ist - als normativer Status - etwas, das es nur aufgrund der Tatsache gibt, dass Menschen in Handlungs- und Verantwortungsgemeinschaften leben. Es betrifft darum nicht nur mich und den Apfel, sondern immer zugleich mein Verhältnis zu den anderen Personen, mit denen ich zusammenlebe. Ja, es betrifft sogar primär meine interpersonellen Beziehungen; denn von ihnen hängt es ab, ob das Verhältnis zwischen mir und dem Apfel objektiv ein Eigentumsverhältnis ist oder nicht. Denn ich bin nur dann der Eigentümer des Apfels, wenn ich mit seinem Erwerb nicht die Rechte anderer verletzt habe.

Nun ist es vielleicht etwas besser verständlich, wenn ich sage: Das Eigentumsverhältnis gehört zu dem, was Personen in Handlungs- und Verantwortungsgemeinschaften sich gegenseitig zuschreiben. Mein "objektives Haben" des Apfels, meine unmittelbare Verfügung über ihn lässt sich ohne weiteres beschreiben, denn es ist - als solches - nicht von solchen interpersonellen Beziehungen abhängig; es betrifft allein den Apfel und mich.

Bleibt nur noch die Überlegung, zu welchem Typ von Wirklichkeit die Menschenwürde gehört. Möchte nach dieser begrifflichen Klärung wirklich jemand behaupten, sie gehöre zu den "objektiv" gegebenen Eigenschaften, die sich "direkt sehen" und beschreiben lassen? Ich kann es mir nicht wirklich vorstellen. Dabei will ich gar nicht bestreiten, dass die Menschenwürde auch in unseren leiblichen Verhältnissen zueinander eine Rolle spielt - ja sogar eine ganz elementare Rolle. Aber das macht die Menschenwürde noch lange nicht zu einer körperlichen Eigenschaft wie Gewicht, Größe und Haarfarbe.

Gerne greife ich hierzu als Bekräftigung auch das Zitat von Jörn auf:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 24. Okt 2017, 05:52
Thomas Fuchs hat geschrieben : [Sehr deutlich] hat Fichte in seiner Naturrechtslehre Würde und Leiblichkeit miteinander verknüpft. Es sei der Leib als primäre Sphäre für die Freiheit des Subjekts, der das Rechtsverhältnis konstituiere. Leiber sind nicht „Objekte im Raum“, sondern Mitte und Mittel der Freiheit anderer. Es ist ihr Leib, der meiner Freiheit ihre Grenze zieht. Deshalb sei „die Gestalt des Menschen dem Menschen notwendig heilig“. Jeder, der selbst ein „menschliches Antlitz trägt“, sei „genötigt, die menschliche Gestalt überall, sie sei nun bloß angedeutet … oder sie stehe schon auf einer gewissen Stufe der Vollendung, anzuerkennen und zu respektieren“
Genau: Leiber sind nicht Objekte im Raum, sondern Mitte und Mittel der Freiheit anderer.

Will nun wirklich noch jemand behaupten, Menschenwürde sei eine Eigenschaften von bestimmten Objekten im Raum, nämlich von menschlichen Körpern? Oder muss nicht zugestanden werden, dass diese vermeintliche "Eigenschaft" der menschlichen Individuen in ihren interpersonellen Beziehungen basiert ist - nämlich in Verhältnissen der gegenseitigen Anerkennung und Achtung?




Hermeneuticus
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Di 24. Okt 2017, 12:56

Um der besseren gegenseitigen Verständlichkeit willen spitze ich noch einmal zu. Die beiden Kernfragen dieser Diskussion sind aus meiner Sicht:

Kommt die Menschenwürde den menschlichen Individuen unabhängig davon zu, dass sie in Handlungs- und Verantwortungsgemeinschaften zusammenleben?

Lässt die Menschenwürde des einzelnen Menschen sich objektiv feststellen, ohne sich dabei implizit auf seine Verhältnisse zu anderen Menschen zu beziehen? (Gemeint sind solche normativ signifikanten Verhältnisse wie gegenseitige Anerkennung, Verantwortung und Verpflichtung.)


Dies sind für mich deshalb Kernfragen, weil ich Hegels Sozialanthropologie und seinen auf intersubjektive Anerkennungsverhältnisse gegründeten Begriff des Geistes (formelhaft: "Ich das Wir; Wir, das Ich ist") unterstütze. Daher ist mir auch die Vorstellung fremd, dass solche in interpersonellen (und normativ signifikanten) Verhältnissen basierten "Eigenschaften" wie Würde am einzelnen Menschen bloß Realitäten zweiter oder dritter Klasse sein könnten - etwa, weil sie sich nicht unmittelbar empirisch verifizieren ließen. Ich halte nicht nur das für wirklich, was unmittelbar sinnlich "gegeben" ist... Aber das sage ich nur am Rande, damit man mir nicht als einem Verleugner der heiligen Menschenwürde und Verderber der Jugend den Prozess macht... ;)




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Alethos
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Di 24. Okt 2017, 13:25

Es ist davon auszugehen, dass es im Kern nicht um die Frage geht, ob Würde eine Folge der Zuschreibung ist als ein Resultat rationaler Handlungen oder ob sie etwas Faktisches ist, das mit dem Menschen quasi ‚mitgeboren‘ wird. Ich glaube, diese rationalen Versuche, Würde zu erfassen, erklären, beschreiben, berühren das Wesen von Würde nicht. Es sind sozusagen unpassende Vokabulare.

Ich vermute, dass wir Würde zuschreiben im Sinne eines Erkennens und einer Bewusstmachung, ja. Ich denke, dass wir den Vorgang des Würde habens diech Zuschreibung erklären können, d.h. von der Würde her denkend eine rationale Technik als Erklärung heranziehen können. Aber ich denke auch, dass es eine emphatische Verfasstheit der Menschen gibt, die als konstitutiv ethische Bedingung den Zuschreibungen immer schon vorgelagert ist. Sie stellt sozusagen die Bedingung für Ethik dar, das, was dem Miteinander die Essenz gibt, den Inhalt. Was daraus folgt: Regeln, Ethik, Zuschreibungspraxis, rationaler Vollzug etc, das folgt aus diesem empathischen Grundmodus als regelbasierte Praxis des Miteinanders.

Man kann die Würde dahernicht sehen, weder als Eigentum noch als Apfel, den man in den Händen hält, sie ist die Bedingung für menschliches Dasein überhaupt, daraus alles andere folgt.



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Stefanie
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Di 24. Okt 2017, 19:50

Ich versuche es mal so zu formulieren:

Du schreibst u.a.
Hermeneuticus:
Oder muss nicht zugestanden werden, dass diese vermeintliche "Eigenschaft" der menschlichen Individuen in ihren interpersonellen Beziehungen basiert ist - nämlich in Verhältnissen der gegenseitigen Anerkennung und Achtung?
Zu Mitgliedern solcher Gemeinschaften wird man durch gegenseitige Anerkennung als verantwortlich handelnde Personen. Gegenseitige Anerkennung bedeutet aber zugleich gegenseitige Verpflichtung, denn Verantwortung hat wegen ihrer Gegenseitigkeit immer dieses doppelte Gesicht.
Weiter schreibst Du von dem normativen Charakter der Menschenwürde.
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, ergibt sich die Zuschreibung der Menschenwürde aus der Zuschreibung gegenseitige Anerkennung, Achtung und Verpflichtung?

Was veranlasst uns dazu, dass zu tun? Was? Wieso tun wir dies? "Nur" wegen einer normativen Zuschreibung?

Ich meine, dass die gegenseitige Anerkennung, die Achtung und die gegenseitigen Verpflichtungen das Ergebnis des Vorliegens von Menschenwürde sind. Also die Menschenwürde ist die Voraussetzung für diese gegenseitige Anerkennung. Die Basis. Das Fundament. Die Festlegung dieser gegenseitigen Verpflichtungen etc. ist dann der normative Teil, sei es durch die ungeschriebene Anerkennung oder durch -um es noch besser festzuschreiben-, durch Rechtssetzungsakte. (Ich bin schon wieder bei dispositive und gesetztes Recht.)
Also ist die Menschenwürde etwas, was schon vor dieser gegenseitigen Anerkennung in Hermeneuticus Sinne da ist.
Wir Menschen haben Menschenwürde. Menschenwürde ist.
Alethos nennt es so: das mit dem Menschen quasi ‚mitgeboren‘ wird.
Wir Menschen "Spüren" (mir fällt keine andere Bezeichnung ein), dass wir diese Menschenwürde haben, und wir "sehen" es beim anderen Menschen. Intuitiv?

Um einen weiteren Querverweis zum AntlitzThread zu schaffen: Das Antlitz (nicht das Gesicht) des Menschen, diese nackte, entblößte Antlitz, das jeder Mensch hat, ohne Ausnahme, steht für mich für die Menschenwürde. Es zeigt die Menschenwürde. Wir sehen es, wir "spüren" es und reagieren darauf, in dem wir eine soziale Beziehung eingehen, mit dem Anderen "sprechen", dessen Aufforderung nachkommen, u.a. den Anderen nicht als Objekt zu sehen, und eben diese gegenseitige Verpflichtung einzugehen.

Ich bin mit Fichte nicht vertraut, und hatte keine heute Gelegenheit, mir dazu etwas anzulesen, aber hiergegen regt sich bei mir Widerstand:
Hermenuticus:
Menschenwürde sei eine Eigenschaften von bestimmten Objekten im Raum
Nicht Objekte, sondern Subjekte. Menschen, deren Körper und Leibe, sind wegen der Menschenwürde keine Objekte, sondern Subjekte.
Das sieht doch wohl Fichte auch so, oder: Leiber sind nicht Objekte im Raum, sondern Mitte und Mittel der Freiheit anderer.
Das ist ähnlich wie bei Levinas, der ja auch sagt, dass erst durch die Verantwortung und Verpflichtung, die Freiheit des Subjekts geschaffen wird.

Besser kann ich es gerade nicht erklären.



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novon
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Di 24. Okt 2017, 22:05

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 24. Okt 2017, 10:47
Die Einwände gegen diese Position scheinen mir z.T. darauf zurückzugehen, dass man sich am Ausdruck "zuschreiben" stößt. Wenn einem etwas von anderen "bloß zugeschrieben" werde, dann "habe" man es auch nicht "wirklich".
Das ganze Erklären erübrigte sich, wäre schlicht davon die Rede, dass Menschenwürde, mithin Menschen-/Bürgerrechte jedem, Menschen/Bürger unbedingt (per se) zukommen. Zuschreiben ist aktiv konnotiert, Zukommen passiv, immanent. Ich verstehe nicht, wieso man unbedingt an eher ungeeigneten Begrifflichkeiten rumdrehen will, wenn es doch absolut passende gibt, an denen auch nicht groß rumdefiniert/-erklärt werden muss, da sie das eigentlich Gemeinte wunderbar erfassen...?




Hermeneuticus
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Mi 25. Okt 2017, 02:56

Stefanie hat geschrieben :
Di 24. Okt 2017, 19:50
Ich meine, dass die gegenseitige Anerkennung, die Achtung und die gegenseitigen Verpflichtungen das Ergebnis des Vorliegens von Menschenwürde sind. Also die Menschenwürde ist die Voraussetzung für diese gegenseitige Anerkennung. Die Basis. Das Fundament. (...)
Also ist die Menschenwürde etwas, was schon vor dieser gegenseitigen Anerkennung in Hermeneuticus Sinne da ist.
Wir Menschen haben Menschenwürde. Menschenwürde ist.
Alethos nennt es so: das mit dem Menschen quasi ‚mitgeboren‘ wird.
Wir Menschen "Spüren" (mir fällt keine andere Bezeichnung ein), dass wir diese Menschenwürde haben, und wir "sehen" es beim anderen Menschen. Intuitiv?
Tja, was soll man dagegen noch vorbringen? Wie der Mensch zur Menschenwürde kommt und worin sie besteht, kannst Du zwar nicht sagen. Aber dass sie es sie genau so gibt, wie Du behauptest, ist unbezweifelbar. Es ist eben einfach so, weil es ja gar nicht anders sein kann. Das spüren wir unmittelbar, sobald wir einem Menschen ins Gesicht schauen...
Und vermutlich ist dann jeder, der es zufällig nicht spürt, ein Un-Mensch.

Da kann man als Philosoph, der nach Gründen fragt, nur noch einpacken.




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Stefanie
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Mi 25. Okt 2017, 19:35

Wie der Mensch zur Menschenwürde kommt und worin sie besteht, kannst Du zwar nicht sagen.
Das kannst Du auch nicht, offen bleibt die Frage, warum wir uns darauf verständigen, dass wir uns gegenseitig Anerkennen , und gegenseitig Verantwortungen und Verpflichtungen übernehmen. Das ist meine Frage. Menschenwürde ist in meinen Augen das Wichtigste, nicht nur rechtlich. Sie gehört geschützt und immer wieder auf neue verteidigt, gegen Relativierungen (wie z.B. auch die Neuauslegung von Herdegen), es muss immer wieder darauf reagiert werden, wenn diese verletzt oder ignoriert wird. Sie ist zu wichtig.

Bei uns nennt man übrigens die die Art und Weise, wie Du reagiert hast, "pampig". Sorry.



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Stefanie hat geschrieben :
Mi 25. Okt 2017, 19:35
Das kannst Du auch nicht
Da fragt man sich unwillkürlich, ob du seine Beiträge überhaupt gelesen hast.



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Stefanie
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Mi 25. Okt 2017, 20:42

Ich lese alle Beiträge zu diesem Thema.

Du hast diesen Thread gestartet, und zwar unter dem Titel "Der Rechtsbergriff "Menschenwürde": Eine Kritik
Hast Du auch einen formulierten Gegenentwurf z.B. zum Art.1, also wie Du ihn umformulieren würdest?



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Alethos
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Mi 25. Okt 2017, 20:44

Wie können ja die Prämissen umdrehen: Nehmen wir an, wir kennen die Regeln nicht, nach denen wir zuzuschreiben gelernt hätten, dass Menschen eine Würde haben. Dürfte man daraus schliessen, dass sie keine hätten?



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Constantin
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Mi 25. Okt 2017, 20:51

Alethos hat geschrieben :
Mi 25. Okt 2017, 20:44
Wie können ja die Prämissen umdrehen: Nehmen wir an, wir kennen die Regeln nicht, nach denen wir zuzuschreiben gelernt hätten, dass Menschen eine Würde haben. Dürfte man daraus schliessen, dass sie keine hätten?
Ja, oder?




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Alethos
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Mi 25. Okt 2017, 20:59

Ich glaube nicht, dass wir das könnten, aber vielleicht hast du gute Gründe für deine Annahme.



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