Schlösser, die im Monde liegen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Jörn Budesheim
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Fr 19. Jan 2024, 08:56

Franziska Bergthaller kommt in einer Hausarbeit zu dem Gedicht, die ich gerade bei der Suche (ursprünglich nach einer guten Übersetzung) gefunden habe, zu folgendem Schluss: "In [Baudelaires] Ästhetik der Moderne ist kein Platz mehr für überholte Topoi. Das traditionelle Bild des blinden Sehers wird ersetzt durch ein neues Bild, in dem weder der Blinde noch der Sehende erkenntnisfähig ist." "Baudelaire [spricht] seinen Blinden nicht nur jegliche Erkenntnisfähigkeit ab, er gesteht sie auch den Sehenden nicht zu."




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Nauplios
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Fr 19. Jan 2024, 09:00

Oft wird nicht verstanden, daß dieses "Studieren" (nicht bloß moderner Kunst) auch ein Darstellungsgeschehen ist. Es wird etwas beschrieben, es wird etwas hervorgehoben, erzählt. Das ist mit Selektionen verbunden, die den geschichtlichen Verläufen selbst entnommen sind; es wird etwas nachgezeichnet, modelliert, skizziert. Es geht um ein Abschreiten, Paraphrasieren, Einüben, Einfühlen zum Zwecke des Verstehens.

Wenn von spätmittelalterlichen Gottesvorstellungen die Rede ist, dann bezeugt sich darin nicht mein christlicher Glaube. Geht es um das kopernikanische Weltbild und seine Etablierung, dann bedeutet das nicht, daß ich schwanke darin, ob die Erde nicht doch eine Scheibe ist. Und die Beschäftigung mit dem Mythos ist nicht Ausdruck von Wissenschaftsleugnung.

Man sollte meinen, all das sei selbstverständlich. Das ist es nicht. Es muß tatsächlich dazugesagt werden. Es reicht nicht, auf etwas zu zeigen. Damit es als Zeigen erkannt wird, muß es expliziert werden: "Ich zeige auf etwas." Text erfordert Subtext.




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Nauplios
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Fr 19. Jan 2024, 17:05

"Wir flogen den ganzen Weg, um den Mond zu erkunden, und das Wichtigste, das wir entdeckten, ist die Erde." (Bill Anders)

Die platonischen "Kreisläufe der Vernunft am Himmel" betreffen gleicherweise Kosmologie und Anthropologie. Die "Weltseele" und die Seele des Menschen verbindet ein Verwandtschaftsverhältnis. Platons philosophische Lieblingsgegner, die Sophisten, interessierten sich indes gar nicht für Kosmologie; für sie war der Mensch das Maß aller Dinge (Protagoras). In Gorgias' Schrift über das Nicht-seiende galt das Wissen über den Kosmos und die Natur als unnütz. Selbst die günstigste Voraussetzung für die Erkenntnis der Natur, daß man aus größter Höhe eine "Gesamtschau" über alles haben könnte, würde nach Gorgias den Menschen nicht tugendhafter machen.

Zweieinhalb Jahrtausende später bannte Bill Anders, einer der drei Besatzungsmitglieder der Apollo-8-Mission aus der damals größten Höhe eine "Gesamtschau" auf ein Schwarz-Weiss-Foto und kurz darauf auf einen Farbfilm:

Weltbild.jpg
Weltbild.jpg (69.5 KiB) 709 mal betrachtet
(Earthrise - Heiligabend 1968)

Heidegger hatte in Die Zeit des Weltbildes (1938) von einem "planetarischen Imperialismus" gesprochen. Der Mensch der Moderne betreibe die "Eroberung der Welt als Bild". Der Inbegriff dieser Weltnahme aus "größter Höhe" war Earthrise. Günther Anders schrieb damals, das Foto zeige die "kosmische Provinzialität" der Erde; Blumenberg sah darin die "kosmische Ausnahme" des Planeten. - Der Mond und seine Beschaffenheit war das Ziel der kosmischen Reise, die Einmaligkeit der Erde ihr anthropologisches Beiwerk. Platons Verknüpfung von Kosmologie und Anthropologie hatte sich in der Zeit des Weltbildes aktualisiert.




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Nauplios
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Fr 19. Jan 2024, 20:26

Niklas Luhmann hat die Medium/Form-Unterscheidung so angelegt, daß das Medium selbst gar nicht beobachtbar ist, sondern nur die Formbildungen innerhalb des Mediums. Besteht die Welt nur aus Atomen, die sich von ihren Anordnungen unterscheiden lassen, die im Gegensatz zu den ewigen Atomen, vergänglich sind, dann ergibt sich gleichsam eine Medium/Form-Differenz avant la lettre. Die Welt, in der wir leben, ist dann eine mehr oder weniger zufällige Ordnung von Atomen im leeren Raum, die aber auch anders möglich wäre. Das Medium, die ewigen Atome sind nicht beobachtbar - schon gar nicht der leere Raum, wohl aber ihre Zusammenfügungen, ihre Formbildungen als feste Kopplungen, Anordnungen der "Atome" (Epikur), der "Elemente" (Luhmann):

"Ein Medium ist eine Unterscheidung (...), auf deren Innenseite Elemente fest und auf deren Außenseite Elemente lose gekoppelt sind." (Niklas Luhmann; Die Politik der Gesellschaft; S. 31)

Gibt es aber unterschiedliche Anordnungen der Atome, dann ist mehr als eine Welt, eine Pluralität möglicher fester Kopplungen denkbar. Der Kosmos, so wie es ihn bei Platon gibt als Schmuck-Ordnung, verliert seine Einzigartigkeit. Aus der Schmuck-Ordnung wird eine Vielzahl möglicher An-Ordnungen.

Für Epikur entstand damit aber ein Problem: Wohin mit den Göttern im Falle einer Neuordnung der Atome? Es könnte ja auch längst eine zweite oder dritte Welt geben. Wären die Götter von dieser Welt, würden sie im Falle des Weltuntergangs mit in den Abgrund gezogen werden. Mehrere Welten erfordern ein safe house. Das kann aber auch nicht zum Himmel gehören; der gehört zum Kosmos. Die Lösung: die Götter bewohnen die μετακόσμια (Epikur), die Intermundien (Lukrez), die Zwischenwelten, die leeren Räume zwischen den Atom-Anordnungen. Systemtheoretisch gesehen wohnen sie im lose gekoppelten Medium. Da ist zwar nicht viel los, weil alles los ist, aber das ist bis heute der Preis für Unsterblichkeit.




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Sa 20. Jan 2024, 03:17

(Ich versuche hier einmal in etwas anderer Form - fettgedruckter Text - auf den zitierten Beitrag zu antworten.)
Nauplios hat geschrieben :
Fr 19. Jan 2024, 20:26
Niklas Luhmann hat die Medium/Form-Unterscheidung so angelegt, daß das Medium selbst gar nicht beobachtbar ist (-> "überflüssiger Äther"...?), sondern nur die Formbildungen innerhalb des Mediums. (Die "Materie" evoziert doch erst die ..., d.h. deren spezifische Zusammensetzung oder Anordnung IST diese jeweils eine bestimmte, besondere Form [mitsamt deren speziellen "System"-Eigenschaften - welche "weitergehend" ihrerseits ggf. entsprechend speziell "wirkmächtig" werden kann resp. können und also nicht lediglich epiphänomenal "bleiben" muss/müssen! Freilich all dies nur mithilfe oder vermittels der sie "bildenden Materie" & "primär hervorrufenden und weiterhin antreibenden Ursachen"...]. - Wozu wird zusätzlich jetzt gleich noch ein Medium gebraucht ...?) Besteht die Welt nur aus Atomen, die sich von ihren Anordnungen unterscheiden lassen, die im Gegensatz zu den ewigen Atomen, vergänglich sind, dann ergibt sich gleichsam eine Medium/Form-Differenz avant la lettre. Die Welt, in der wir leben, ist dann eine mehr oder weniger zufällige Ordnung von Atomen im leeren Raum, die aber auch anders möglich wäre. (Aber doch nicht beliebig anders - und schon gar nicht einfach zufällig [auch die Abschwächung "mehr oder weniger" "hilft hier nicht ab"]. Sondern auf je ganz besondere Weise - mit entsprechend besonderen Eigenschaften als Ergebnis oder Folge.) Das Medium, die ewigen Atome sind nicht beobachtbar - schon gar nicht der leere Raum, wohl aber ihre Zusammenfügungen, ihre Formbildungen als feste Kopplungen, Anordnungen der "Atome" (Epikur), der "Elemente" (Luhmann):

"Ein Medium ist eine Unterscheidung (...), auf deren Innenseite Elemente fest und auf deren Außenseite Elemente lose gekoppelt sind." (Niklas Luhmann; Die Politik der Gesellschaft; S. 31) (Diese Aussage verstehe ich nicht. Welches Medium, auf dessen Außenseite Elemente "lose" gekoppelt sind [im Gegensatz zu fest gekoppelten "auf dessen Innenseite"]? Vielleicht weil die "Formbildungen als feste Kopplungen" usw. wiederum mit "ihresgleichen" sozusagen Kopplungen zweiter Ordnung - "loser" als die auf der Ebene erster Ordnung - bilden können [usf.]?)

Gibt es aber unterschiedliche Anordnungen der Atome, dann ist mehr als eine Welt, eine Pluralität möglicher fester Kopplungen denkbar. Der Kosmos, so wie es ihn bei Platon gibt als Schmuck-Ordnung, verliert seine Einzigartigkeit. Aus der Schmuck-Ordnung wird eine Vielzahl möglicher An-Ordnungen. (Aber eben nur, wie richtig dargestellt, eine Pluralität möglicher "fester Kopplungen" und eben keine völlig beliebiger.)

Für Epikur entstand damit aber ein Problem: Wohin mit den Göttern im Falle einer Neuordnung der Atome? Es könnte ja auch längst eine zweite oder dritte Welt geben. Wären die Götter von dieser Welt, würden sie im Falle des Weltuntergangs mit in den Abgrund gezogen werden. Mehrere Welten erfordern ein safe house. Das kann aber auch nicht zum Himmel gehören; der gehört zum Kosmos. Die Lösung: die Götter bewohnen die μετακόσμια (Epikur), die Intermundien (Lukrez), die Zwischenwelten, die leeren Räume zwischen den Atom-Anordnungen. Systemtheoretisch gesehen wohnen sie im lose gekoppelten Medium. Da ist zwar nicht viel los, weil alles los ist, aber das ist bis heute der Preis für Unsterblichkeit. ("... im lose gekoppelten Medium"... Hier ist wieder mein Verständnisproblem ... Was mit den Göttern ist, ist dagegen nicht meine Tasse Tee. ;) )




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Nauplios
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Sa 20. Jan 2024, 18:21

Ich hab' Dir mal eine kleine Sprachnachricht zu Epikur/Lukrez und der Medium/Form-Differenz ins Netz gestellt, 1+1=3. ;)




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Sa 20. Jan 2024, 19:56

Dankeschön! Einiges ist mir klarer geworden.




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Jörn Budesheim
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Sa 20. Jan 2024, 20:05

Bei Privatstunden nimmt das Forum 20% der Gebühr :)




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So 21. Jan 2024, 09:43

1+1=3 hat geschrieben :
Sa 20. Jan 2024, 19:56
Dankeschön! Einiges ist mir klarer geworden.
Das freut mich und gilt auch für mich, weil das Repetieren ja auch einen Klärungseffekt nach "innen" hat. ;)




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So 21. Jan 2024, 09:48

Mit der Absicht, "Privatstunden" zu erteilen, hat das Ganze jedenfalls nichts zu tun.




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Nauplios
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So 21. Jan 2024, 18:05

Da andernorts gerade von der Hölle die Rede ist: Bei Epikur/Lukrez sind die Götter eine illustre Gesellschaft, die sich in den Intermundien aufhält, in Zwischenwelten, die nicht zum wirklichen Leben der Menschen gehören. Dieses spielt sich ja auf der Erde ab, aber in den Intermundien sind die Götter davon unbehelligt. Dort geht es aber gar nicht so viel anders zu als in der Welt der Menschen. Man führt Gespräche über dies und das, trinkt Wein, läßt es sich gut gehen, erzählt sich das Neueste, streitet sich auch schon mal usw. Kurzum: es geht dort ähnlich zu wie in den heutigen Intermundien, den philosophischen Foren.

Es gibt natürlich auch eine Unterwelt, den Tartaros. Das ist nicht gerade ein Wellness-Bereich, aber verglichen mit der christlichen Hölle, geht es dort vergleichweise moderat zu. Für Mörder ist das schon hart, aber Totschläger können bei Hades Rechtsmittel einlegen. Wird ihrem Revisionsantrag stattgegeben, dann können sie aus dem Tartaros bereits vor Ablauf der Höchststrafe von zwölf Monaten entlassen werden. Strafmildernd ist natürlich eine glaubhafte Entschuldigung beim Totgeschlagenen. Nimmt dieser die Entschuldigung an, wird der Totschläger vorzeitig entlassen - ähnlich wie bei uns.




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Mo 22. Jan 2024, 19:54

Die Begeisterung für den Kosmos, die sich in weiten Teilen der griechischen Antike findet, teilt das Alte Testament nicht. Der Monotheismus des daraus erwachsenen Christentums verlangt, daß man der illustren Göttergesellschaft der Griechen abschwört und ebenso den Kulten, die damit einhergehen. Vor allem in den Schriften der Propheten ist die Bewunderung des Kosmos etwas zutiefst Suspektes, weil damit die Leistung des Schöpfers selbst zu wenig Beachtung findet. Jeremias und Ezechiel lehnen den Sonnenkult der griechischen Welt ab und bei Hiob heißt es unmissverständlich:

"Hab ich das Licht angesehen, wenn es hell leuchtete, und den Mond, wenn er herrlich dahinzog, daß sich mein Herz heimlich betören ließ, ihnen Küsse zuzuwerfen mit meiner Hand? Das wäre auch eine Missetat, die vor die Richter gehört; denn damit hätte ich verleugnet Gott in der Höhe." (Hiob 31, 26)

Den Mond zu küssen ist "Missetat". Der Mond ist nur ein "kleines Licht" (Genesis), damit es nachts nicht gar so dunkel ist, eine Art Nachtlicht wie man es heute in Kinderzimmern hat.

Aus dem Kosmos wird in der christlichen Tradition ein Himmel, in dem der Richter thront. Und der Tartaros wird zum Ort ewiger Verdammnis, zur Hölle. Dazwischen liegt das Purgatorium, ein Reinigungsort, der die endgültige Entscheidung für's erste hinauszögert.




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Nauplios
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Di 23. Jan 2024, 13:30

Im Mittelalter hat die Hölle Hochkonjunktur. Wollte man es zugespitzt sagen, dann ist sie eine Jenseitsvorstellung, die im Alten Testament kaum belegt ist und für dessen Theologie bedeutungslos ist. Selbst das Neue Testament erteilt nur spärliche Auskünfte über die Hölle, die sich in der Offenbarung des Johannes zur Apokalyptik des Untergangs der Welt bündeln.

Das Szenario des Weltuntergangs ist oft verbunden mit der Vermutung einer kosmischen Katastrophe, die zur Auslöschung allen Lebens führt. Der Kosmos ist jetzt nichts Ewiges mehr, nichts, das aufgrund seiner Schönheit Bewunderung hervorruft. Mit dem Klang der vierten Posaune wird die Leuchtkraft von Sonne, Mond und Sternen auf ein Drittel heruntergedimmt. Die Hure Babylon, allegorische Bezeichnung für die falschen Religionen, insbesondere römischer Provenienz, wird besiegt. Am Ende verschwinden Himmel und Erde zugunsten eines neuen Himmels und einer neuen Erde und das große Buch des Lebens wird aufgeschlagen: das Weltgericht tagt.

Vergleicht man die Vorstellungen der griechischen Philosophie über den Kosmos mit der christlichen Apokalyptik, dann läßt sich ermessen, daß die Stellung des Menschen in der Welt entscheidend von kosmischen Weltbildern und ihren Konstellationen abhängt. Der Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit wird sich an der Unvereinbarkeit kosmologisch geprägter Weltvorstellungen entfalten. -




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Nauplios
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Di 23. Jan 2024, 14:16

"Was hört ihr gerade?"

In der Hölle herrscht ein Höllenlärm. Soll das etwa Musik sein? - Ja, denn in der Hölle wird musiziert. Allerdings folgt diese Musik nicht den harmonischen Gesetzen von Generalbass und Kontrapunkt. Wie nicht anders zu erwarten, geht es im Reich Satans musikalisch drunter und drüber.

Hieronymus Bosch hat den rechten Innenflügel seines Triptychons Der Garten der Lüste der Hölle gewidmet. In dieser "musikalischen Hölle" gibt es eine Reihe von Instrumenten, an die die Sünder gefesselt sind oder von ihnen niedergedrückt werden. Einer dieser Sünder liegt unter einer Laute gefangen und auf seinem Po befinden sich Noten, ein anderer ist in die Saiten einer Harfe eingespannt. Spielleute, Straßenmusikanten u.a. machten Musik aus Lust und zu weltlichen Anlässen. Wer daran allzu sehr Gefallen fand, hatte gute Chancen, später im höllischen Konzertsaal zu landen. Im Himmel wurde dagegen zur Ehre Gottes musiziert.
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Vor dem Hören weltlicher Musik zu Genußzwecken sei also gewarnt. ;)




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Stefanie
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Di 23. Jan 2024, 15:19

Cool. Wirklich.



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Nauplios
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Di 23. Jan 2024, 20:13

Stefanie hat geschrieben :
Di 23. Jan 2024, 15:19
Cool. Wirklich.
Was bedeutet das?

Hesiod hat sich in der Theogonie (722-725) Gedanken darüber gemacht, welche Entfernungen wohl zwischen Himmel und Erde und Erde und Tartaros liegen. Seine Berechnungen ergeben, daß ein Amboss, der von der Erde aus in den Tartaros geschleudert wird, etwa neun Tage bis zur Ankunft an seinem Bestimmungsort benötigt. Geht man von einem Ambossgewicht von durchschnittlich 75 Kilo aus, entspricht das in etwa dem Gewicht, das die Konstrukteure heutiger Aufzüge zur Berechnung der Tragelast zugrunde legen. - Der griechische Tartaros ist mit der christlichen Hölle nicht in jeder Hinsicht vergleichbar und doch sieht man eine gewisse Großzügigkeit in Hesiods Weltkonfiguration: es bleiben dem Tartaros-Reisenden neun Tage bis zum Aufschlag; neun Tage, in denen er zumindest in moralischer Hinsicht Umkehr geloben kann, ein zeitlicher Verhandlungsspielraum, den der zur Hölle fahrende christliche Sünder nicht hat. Sein Aufenthalt im Inferno beginnt ohne Verzug nach Bekanntgabe des göttlichen Urteilsspruchs. Den Vorteil dieser Unmittelbarkeit genießen dafür die Christen, denen das Seelenheil zugesprochen wird; ihre Auffahrt in den Himmel erfolgt zügig ("Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.") - Denn Hesiod hatte natürlich auch die Entfernung von der Erde zum Himmel berechnet: neun Tage.




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Stefanie
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Di 23. Jan 2024, 20:25

Das war ein Kompliment.
Weil mir der Inhalt gefallen hat, ich das von Bosch noch nicht kannte, und dessen Umsetzung irgendwie cool finde, das war mein erster Gedanke, und mir der Text, so wie er geschrieben ist, sehr gefiel. Bosch scheint etwas Schalk im Nacken gehabt zu haben.



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Nauplios
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Mi 24. Jan 2024, 13:37

Stefanie hat geschrieben :
Di 23. Jan 2024, 20:25
Das war ein Kompliment.
Weil mir der Inhalt gefallen hat, ich das von Bosch noch nicht kannte, und dessen Umsetzung irgendwie cool finde, das war mein erster Gedanke, und mir der Text, so wie er geschrieben ist, sehr gefiel. Bosch scheint etwas Schalk im Nacken gehabt zu haben.
Ja, Hieronymus Bosch gibt den Kunsthistorikern bis heute Rätsel auf. Der Kunsthistoriker Hans Belting, der im letzten Jahr verstarb, hat sich ein Leben lang mit der mittelalterlichen Malerei beschäftigt und u.a. auch eine Arbeit über Hieronymus Bosch's Garten der Lüste vorgelegt (Hans Belting; Hieronymus Bosch. Der Garten der Lüste). Belting hat darin auf einen bedeutenden Punkt hingewiesen: in dem gesamten Triptychon kommt der biblische Sündenfall nicht vor. Es handle sich beim Garten der Lüste nicht um eine Illustration der biblischen Schöpfungsgeschichte, sondern um die gedachte Situation eines Paradieses ohne Sündenfall. Natürlich gibt es im Garten der Lüste Sünder und auch eine Hölle, doch wie sähe die Welt aus, hätte es keinen Sündenfall gegeben (Mittelbild)? - Für Belting liegt hier eine frühe Verweigerung der mittelalterlichen Bildtheologie vor in Form einer "Lücke in der Bibel". Das Paradies des Mittelbildes ist eine Utopie, ein irdisches Paradies, das ohne den biblischen Sündenfall möglich gewesen wäre.

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Nauplios
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Mi 24. Jan 2024, 19:17

Was mag sich abgespielt haben im Garten Eden nachdem Gott Eva erschaffen hatte? Wie kamen Adam und Eva zusammen? - Hieronymus Bosch beantwortet die Frage so: Gott umfaßt das rechte Handgelenk Evas und führt sie Adam zu (adduxit heißt es in der Vulgata). Auf die Zufälligkeit einer Begegnung im Paradies wollte er es offensichtlich nicht ankommen lassen. Der noch halb narkotisierte Adam richtet sich ein wenig auf und sein Blick fixiert mit einer Mischung aus Neugierde und aufkeimender Lüsternheit die schöne Eva, die ihren Blick verschämt senkt. Gott wiederum schaut den Betrachter des Triptychons an und bezieht ihn damit ins paradiesische Geschehen ein. "Und beide werden im Fleische eins sein", heißt es in der Genesis weiter.

Gott - Adam - Eva - Bildbetrachter. Ein ästhetisches Geviert, das die Konstellation der Schöpfungsgeschichte und ihrer Rezeption darstellt.




Timberlake
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Mi 24. Jan 2024, 19:50

Wenn hier von einer illustren Göttergesellschaft die Rede war ..
  • "Gebt ihr dagegen eurer alten menschlichen Natur nach, ist offensichtlich, wohin das führt: zu sexueller Unmoral, einem sittenlosen und ausschweifenden Leben, zur Götzenanbetung und zu abergläubischem Vertrauen auf übersinnliche Kräfte. Feindseligkeit, Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, hässliche Auseinandersetzungen, Uneinigkeit und Spaltungen bestimmen dann das Leben ebenso wie Neid, Trunksucht, Fressgelage und ähnliche Dinge. Ich habe es schon oft gesagt und warne euch hier noch einmal: Wer so lebt, wird niemals in Gottes Reich kommen."
    Galater 5:19-21
.. dann doch wohl als Entsprechung der menschlichen Natur. Wenn es denn hier heißt "Wer so lebt, wird niemals in Gottes Reich kommen" , dann ganz sicher nicht diese Göttergesellschaft. In sofern schon von Hause aus , der christliche Gott über diese Göttergesellschaft stand. Was es um so leichter machte , dieser Religion ab zu schwören und sich dieser neuen Religion zu zu wenden. Ganz abgesehen davon , dass eine Religion , in der die Götter "menschlich, allzu menschlich" waren, um ein Stichwort Nietzsches auf zu greifen, naturgemäß weit weniger taugte die Menschen zu disziplinieren. Gleichwohl diese Disziplinierung , gemäß der These "Opium für das Volk" letztendlich auch nicht mehr als Schlösser waren , die im Monde liegen. Doch ihre Illusionen und Sehnsüchte bleiben ..
Nauplios hat geschrieben :
Fr 5. Jan 2024, 18:11

Paul Lincke hat mit "Frau Luna" ein Land des Lächelns und lustvoller Zügellosigkeit in Szene gesetzt, das die Träume des Menschen von fernen Welten, von Schlössern, die im Monde liegen, beflügelt. Steppke, Lämmermeier, Pannecke und Frau Pusebach gleiten zwar verklärt ins irdische Dasein zurück - genau genommen schlagen sie auf der Erde wieder auf - doch ihre Illusionen und Sehnsüchte bleiben.

All das hat sich nie ereignet. Durch Wahrheiten sind diese Phantasien nicht beeindruckbar. Sie sind Teil eines Arsenals des überbordenden Denkens, das sich für einen Moment der Disziplinierung durch Vernunft entzogen hat. - Es gibt darüber eine reiche Forschungsliteratur, aber hier sind wir ja in der Abteilung "Plauderei". Also faites vos jeux. ;)




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