Erscheinung und Wirklichkeit

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
Burkart
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So 24. Mär 2024, 11:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 10:57
Michael7Nigl hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:10
Kannst Du mir bitte erklären, was für Dich der Begriff "Wahrnehmung" bedeutet? Wie verstehst Du in diesem Zusammenhang Objekt, Auge, Reiz, Sinneseindruck/Anschauung?
Unsere Wahrnehmungen bringen uns (fallibel) in Kontakt mit den Gegenständen der Wirklichkeit. Mit dem Begriff “Gegenstand” sind nicht nur raum-zeitliche Dinge gemeint, sondern alles, worüber man wahrheitsfähige Ansichten haben kann, zum Beispiel: Autos, Büroeinrichtungen, Diebstähle, Zahlen, Tische und gelbe Bananen.
Man kann eine (immerhin abstrakte) Zahl wahrnehmen? Spannend...



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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 11:22

Salutitutti hat geschrieben :
Sa 23. Mär 2024, 21:03
Die Fische schwimmen im See und die Sonne scheint. Es ist für uns nichts selbstverständlicher als "in der Welt" zu sein und daher völlig kontraintuitiv zu denken, es gebe sie nicht.
Die Fische schwimmen im See, so ist es. Kein Fisch käme je auf den Gedanken, dass es außer dem Wasser, in dem er sich bewegt, noch etwas "Höheres", die Welt, geben muss, das alles in eine Ordnung bringt, etwas, das die bunte Vielfalt im Innersten zusammenhält. Ich finde diese Vorstellung völlig unintuitiv. Er ist eine Erfindung der Philosophen und keine glückliche.

Wir bewegen uns jeden Tag durch eine Vielfalt von sehr unterschiedlichen Szenen, vom Aufstehen zum Frühstück, den Weg zur Arbeit, die Dinge, die wir dort tun, die Mittagspause, den Feierabend, Netflix, ins Bett gehen, ins Theater gehen, eine Ausstellung besuchen, im Philosophie Forum schreiben und vieles mehr.

Die vielen verschiedenen Wissensgebiete, die wir durchforsten, haben jeweils ihre eigenen Bereiche: Mathematik, Sozialwissenschaften, Literatur, Politikwissenschaften, Philosophie, Physik, Biologie, Chemie und viele andere, ich glaube nicht, dass ich hier alle Wissenschaften aufzählen kann.

Diese Szenen und Bereiche sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden, aber nicht alles ist mit allem verbunden, einfach weil es kein alles umfassendes Prinzip gibt, keine Ordnung, der alles gehorchen muss (Atome und Leere), die sog. "Welt" ist von Natur aus bunt und deshalb gibt es sie nicht, es gibt nur eine unendliche Pluralität.




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So 24. Mär 2024, 12:14

Ich sympathisiere mit der logischen Schlussfolgerung, dass es die Welt so in dieser Form, wie beschrieben, als allumfasenden Bereich nicht gibt. Ich möchte nur lieber den Weltbegriff modernisieren, anstatt auf ihn zu verzichten.




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Jörn Budesheim
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In diesem Vortrag geht Gabrielt seine Theorie im Schnelldurchlauf durch und erwägt auch eine Reihe möglicher Weltbilder. Die Vorlesung zeigt auch, dass Gabriel nicht der erste war, der erkannte, dass der Weltbegriff inkohärent ist; Beispiele sind Kant und Heidegger.




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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 12:27

Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 11:22
Man kann eine (immerhin abstrakte) Zahl wahrnehmen? Spannend...
Eine einzelne Zahl könnte man wahrscheinlich nicht wahrnehmen, weil es die wahrscheinlich gar nicht gibt, aber Zahlen (im Plural) schon, ich gehe davon aus, dass wir so etwas wie einen mathematischen Sinn haben, oder wie immer man das nennen will.

Wenn jemand etwas zu der Sinnfeldontologie von Gabriel lesen will, dann würde ich eher "Sinn und Existenz" empfehlen als "Warum es die Welt nicht gibt", das erscheint mir fundierter zu sein.




Burkart
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So 24. Mär 2024, 12:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 12:27
Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 11:22
Man kann eine (immerhin abstrakte) Zahl wahrnehmen? Spannend...
Eine einzelne Zahl könnte man wahrscheinlich nicht wahrnehmen, weil es die wahrscheinlich gar nicht gibt, aber Zahlen (im Plural) schon,
Klingt so ein wenig paradox, findest du nicht? ;)
ich gehe davon aus, dass wir so etwas wie einen mathematischen Sinn haben, oder wie immer man das nennen will.
Ich denke, das, was wir haben, ist eine gute Fähigkeit zur Abstraktion und dazu gehören auch die Zahlen und anderes Mathematisches.
Ein Sinn ist das für mich nicht, eben weil man Abstraktes nicht sinnlich erfährt, sondern nur aus Realem gedanklich ableitet, bei Zahlen z.B. aus An-Zahlen oder Längen.



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Quk
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So 24. Mär 2024, 13:10

Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 12:14
Ich sympathisiere mit der logischen Schlussfolgerung, dass es die Welt so in dieser Form, wie beschrieben, als allumfasenden Bereich nicht gibt. Ich möchte nur lieber den Weltbegriff modernisieren, anstatt auf ihn zu verzichten.
Hast Du einen Begriff für Alles Insgesamt? Wenn in einem Satz der Begriff Alles Insgesamt vorkommt, würde ich den gerne ersetzen durch einen mit weniger Buchstaben. Welt kann man wohl nicht mehr sagen, da sie viele Menschen unterschiedlich begreifen; manche denken dabei an den Erdball, oder an ihre Heimat, oder an das Universum, oder an die Gesamtheit aller Universen, oder eine bestimmte Anschauung und so weiter. So sei Welt also etwas kleineres als Alles Insgesamt. Die Abkürzung AI taugt natürlich auch nicht. Wie wäre es mit Alles? -- Wahrscheinlich wird irgendwann wieder einer daherkommen und sagen, es gäbe vielerlei Alles. Und dann sage ich, die Gesamtheit allen Allens und aller Gesamtheiten insgesamt sei der Gesamtbegriff für vielerlei Alles -- abgekürzt: Gag. Und das sei dann der letzte Gag.




Salutitutti
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So 24. Mär 2024, 13:20

Aber Zahlen sind doch keinen Abstraktionen, sondern Verhältnisse der Realität. Quantifizierte Verhältnisse. Wenn es gilt, dass sich das Licht mit Geschwindikeit c ausbreitet, dann sind das so und so viele Kilometer in der Sekunde. In 1 Sekunde. Das sind Fakten der physischen Realität, weshalb es der Physik gelingt, mit mathematischen Operationen vorhersehbare Resultate in der physischen Welt zu bewirken.

Wären Zahlen nicht in den Wirklichkeitscode eingeschriebene Information, ganz real wie Gedanken und Stühle, wäre das nicht möglich.
Die Aussage, dass wir für die Entschlüsselung der Wirklichkeit mittels Zahlen einen Sinn benötigen, ist vor diesem Hintergrund plausibel? Wenn wir keinen Sehsinn haben, sehen wir die sichtbaren Gegenstände nicht. Wenn wir keinen Gedankensinn haben, verstehen wir unsere Sätze nicht. Und wenn wir keinen Zahlensinn haben, verschliessen wir uns dieser Zahlenrealität. Das ist doch gar nicht so abwegig...




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Quk
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So 24. Mär 2024, 13:33

Ich meine auch, dass wir, wenn wir an Zahlen denken, immer auch Bilder im Kopf haben, und wenn es nur schwarze Flecken sind. Es ist aber nicht nur visuell. Zahlen fühle ich auch beim Musikmachen, also in akustischen Sachen. Interessanterweise mache ich aber auch aus diesem akustischen Zahlenspiel automatisch letztendlich ein Bild fürs innere Auge. Wie weit solche Sachen visualisiert werden, ist von Mensch zu Mensch wohl verschieden. Ich bin zum Beispiel ein extrem visuell denkender Mensch; für nichtvisuelle Aufgaben bin ich nahezu unbegabt. Begabte im nichtvisuellen Feld wiederum haben häufig weniger Verständnis für Sachen der Physik und Technik, meiner Beobachtung nach.




Burkart
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So 24. Mär 2024, 14:00

Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 13:20
Aber Zahlen sind doch keinen Abstraktionen, sondern Verhältnisse der Realität. Quantifizierte Verhältnisse.
Aber eben nur Verhältnisse, die wir erkennen und in unserem Kopf zu (somit abstrakten) Zahlen machen.
Wenn es gilt, dass sich das Licht mit Geschwindikeit c ausbreitet, dann sind das so und so viele Kilometer in der Sekunde. In 1 Sekunde. Das sind Fakten der physischen Realität, weshalb es der Physik gelingt, mit mathematischen Operationen vorhersehbare Resultate in der physischen Welt zu bewirken.
Ist dir bewusst, dass die Sekunde selbst nur eine Festlegung ist? Wäre sie anders definiert, wäre c einer anderen Zahl zugeordnet. Die Zahl ist also nichts Objektes, Reales hinsichtlich der Lichtgewschindigkeit.
Ansonten bewirkt die Physik nichts, die beschreibt nur und das eben unter Nutzung der hilfreichen abstrakten Mathematik.
Wären Zahlen nicht in den Wirklichkeitscode eingeschriebene Information, ganz real wie Gedanken und Stühle, wäre das nicht möglich.
Die Aussage, dass wir für die Entschlüsselung der Wirklichkeit mittels Zahlen einen Sinn benötigen, ist vor diesem Hintergrund plausibel? Wenn wir keinen Sehsinn haben, sehen wir die sichtbaren Gegenstände nicht. Wenn wir keinen Gedankensinn haben, verstehen wir unsere Sätze nicht. Und wenn wir keinen Zahlensinn haben, verschliessen wir uns dieser Zahlenrealität. Das ist doch gar nicht so abwegig...
Und wenn wir keinen Gedankensinn hätten, könnten wir nicht denken?? (Vielleicht sollte man "Sinn" doch mal überdenken...)
Hast du auch einen Autosinn zum Erkennen von Autos, einen Apfelsinn für Äpfel usw.?



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Burkart
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So 24. Mär 2024, 14:10

Quk hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 13:33
Zahlen fühle ich auch beim Musikmachen, also in akustischen Sachen.
Bei mir ist es umgekehrt: Ich empfinde die Ziffern von Pi als Melodie, 9 hoher Ton, 0 tiefer Ton... aber das sind halt bei uns nur Dinge im Kopf (oder auch Körper von mir aus) und das wars.



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Salutitutti
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So 24. Mär 2024, 14:45

Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 14:00
Ist dir bewusst, dass die Sekunde selbst nur eine Festlegung ist? Wäre sie anders definiert, wäre c einer anderen Zahl zugeordnet. Die Zahl ist also nichts Objektes, Reales hinsichtlich der Lichtgewschindigkeit.
Dass ich die Kilometerzahl ändert, wenn wir die Zeiteinheit ändern, ist für mich eher ein Hinweis für das in der Realität festgelegte Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit zur Distanz.

Zum Sinn: Erlaube mir die Gegenfrage, ob du ein Auto erkennen würdest, wenn du einen Sehsinn hättest und nur diesen? Wie wir wissen, ist Erkennen an eine Begrifflichkeit gebunden, sofern wir etwas als etwas erkennen, nehmen wir die Begrifflichkeit, diie im Auto steckt, wahr, um es als Auto zu erkennen?




Burkart
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So 24. Mär 2024, 15:01

Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 14:45
Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 14:00
Ist dir bewusst, dass die Sekunde selbst nur eine Festlegung ist? Wäre sie anders definiert, wäre c einer anderen Zahl zugeordnet. Die Zahl ist also nichts Objektes, Reales hinsichtlich der Lichtgewschindigkeit.
Dass ich die Kilometerzahl ändert, wenn wir die Zeiteinheit ändern, ist für mich eher ein Hinweis für das in der Realität festgelegte Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit zur Distanz.
Ja, das Verhältnis ist in der Natur/Physik festgelegt, aber eben nicht die Zahl dafür.
Zum Sinn: Erlaube mir die Gegenfrage, ob du ein Auto erkennen würdest, wenn du einen Sehsinn hättest und nur diesen? Wie wir wissen, ist Erkennen an eine Begrifflichkeit gebunden, sofern wir etwas als etwas erkennen, nehmen wir die Begrifflichkeit, diie im Auto steckt, wahr, um es als Auto zu erkennen?
Eine Begrifflichkeit "wahrnehmen"?
Wir assoziieren unsere Sinneseindrücke im Kopf mit dem, was wir kennen, hier das Auto, und denken uns so "Auto". "Wahrnehmen" des Begriffes würde ich es nicht nennen. Ich nehme das Objekt wahr (bzw. seine übertragenen Daten, die unsere Sinne speisen), es kann auch ein Bus oder Oldtimer sein bei genauerem Hinsehen und Nachdenken.



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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 15:05

Stellen wir uns vor, Max hat im Kopf, dass 7 + 5 = 13 ist, Peter hat im Kopf, dass es 11 ist und Jutta hat im Kopf, dass es 12 ist. Das ist ein Problem für die Theorie, dass mathematische Beziehungen im Kopf sind. Denn nach dieser Theorie müssten wir sagen, dass die Aufgabe mehrere Ergebnisse hat, nämlich 11, 12 und 13 (es ist natürlich denkbar, dass es noch viele andere Zahlen in den Köpfen der Menschen gibt, die glauben, dass sie das Ergebnis der Addition von 7 + 5 sind). Man könnte die Quersumme als Ergebnis nehmen, aber dann stünde man wieder vor dem Problem, welche Quersumme von den vielen möglichen Ergebnissen in irgendwelchen Köpfen man nehmen soll.

Wir haben hier also das Problem, dass Menschen solche Zusammenhänge falsch erfassen können und wir dann nicht mehr sagen können, woran gemessen das Ergebnis falsch ist, weil wir letztlich nur andere Köpfe mit anderen Ergebnissen haben. Wir müssten dann würfeln. (Das würde natürlich auch nicht helfen, weil ja jede:r ein anderes Ergebnis des Würfelwurfs im Kopf hat...)




Salutitutti
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So 24. Mär 2024, 15:17

Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 15:01
Eine Begrifflichkeit "wahrnehmen"?
Wir assoziieren unsere Sinneseindrücke im Kopf mit dem, was wir kennen, hier das Auto, und denken uns so "Auto". "Wahrnehmen" des Begriffes würde ich es nicht nennen. Ich nehme das Objekt wahr (bzw. seine übertragenen Daten, die unsere Sinne speisen), es kann auch ein Bus oder Oldtimer sein bei genauerem Hinsehen und Nachdenken.
Ich sage nicht, dass du falsch liegst, nur kann ich mir einfach nicht erklären, wie dieses Sehen, wie von dir beschrieben, ablaufen soll. Wie soll es denn vonstatten gehen, dass ich erkenne "Auto", wenn ich gar nicht weiss, was ein Auto ist. Um zu wissen, was ein Auto ist, muss ich jene Merkmale und Eigenschaften ausmachen, die aus diesem Gegenstand ein Auto machen, damit ich sagen kann, ich sehe ein Auto.

Wenn ein Forscher einen neuen Gegenstand entdeckt, z.B. eine quallenartige Substanz wird er mutmassen: "Schleim?". "Lebewesen?". "Qualle?". "Amöbe?". Um dann vielleicht festzustellen, dass es sich um eine neue Art handelt, für die wir keinen Begriff hatten.

Aber dieses Art kommt ja nicht erst in die Welt mit unserem Begriff, sondern die Art liefert den Begriff, durch den wir künftige Specimen dieser Art erkennen und zuordnen können. Aber nicht wir stellen diesen Begriff her, sondern die Eigenschaften des Gegenstands ordnen ihn begrifflich als diese Art ein im Unterschied zu anderen Arten.

Aber ein spontanes "Autosehen" im Gewusel unendlich vieler Dinge kann ich mir kaum vorstellen. Vielleicht weisst du, wie das gehen soll.




Timberlake
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So 24. Mär 2024, 16:54

Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 13:20

Aber Zahlen sind doch keinen Abstraktionen, sondern Verhältnisse der Realität. Quantifizierte Verhältnisse. Wenn es gilt, dass sich das Licht mit Geschwindikeit c ausbreitet, dann sind das so und so viele Kilometer in der Sekunde. In 1 Sekunde. Das sind Fakten der physischen Realität, weshalb es der Physik gelingt, mit mathematischen Operationen vorhersehbare Resultate in der physischen Welt zu bewirken.

.. und eben darum tun Zahlen , an den von mir im Beitirag75761 beschriebenen Realitäten , im Zusammenhang mit der Lichtgeschwindigkeit keinerlei Abbruch. Sie wird auch ohne , dass man sie in Zahlen abbildet , die größtmögliche Geschwindigleit sein . Wie sie auch überall gleich sein wird. Wohlgemerkt gänzlich unabhängig davon, ob man sich der Lichtquelle zu bewegt oder sich von ihr entfernt.




Salutitutti
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So 24. Mär 2024, 17:01

Timberlake hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 16:54
Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 13:20

Aber Zahlen sind doch keinen Abstraktionen, sondern Verhältnisse der Realität. Quantifizierte Verhältnisse. Wenn es gilt, dass sich das Licht mit Geschwindikeit c ausbreitet, dann sind das so und so viele Kilometer in der Sekunde. In 1 Sekunde. Das sind Fakten der physischen Realität, weshalb es der Physik gelingt, mit mathematischen Operationen vorhersehbare Resultate in der physischen Welt zu bewirken.

.. und eben darum tun Zahlen , an den von mir im Beitirag beschriebenen Realitäten , im Zusammenhang mit der Lichtgeschwindigkeit keinerlei Abbruch. Sie wiurd auch ohne , dass man sie in Zahlen abbildet die größtmögliche Geschwindigleit sein , wie sie auch überall gleich sein wird. Wohlgemerkt gänzlich unabhängig davon, ob man sich der Lichtquelle zu bewegt oder sich von ihr entfernt.
Ja, Zahlen tun tatsächlich gar nichts dazu, was nicht schon da gewesen wäre. Ich denke, dass wir Zahlen (besser: Werterelationen) entdecken und nicht erfinden. Aber ich kann mich irren.

Ob das Licht langsamer (oder schneller) wird, wenn es Überlichtgeschwindigkeit gibt, weiss ich nicht. Aber sofern wir heute mathematisch beweisen können, gibt es nichts Schnelleres als Licht.




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Jörn Budesheim
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So 24. Mär 2024, 17:04

Die Philosophin Silvia Jonas meint, dass es Untersuchung darüber gibt, wie Mathematiker selbst zu der Frage stehen, ob Zahlen wirklich existieren. Eine Mehrheit der Mathematiker scheint der Ansicht zu sein, dass sie die Welt der Mathematik entdecken und erforschen, Zahlen also real sind.

Der deutsche Mathematiker Peter Scholze, der vor einiger Zeit mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde, sieht das wohl ähnlich und sagt in einem Interview:

"Ich [Peter Scholze] denke tatsächlich, dass die Zahlen unabhängig von uns sind. In welchem Sinne sie „existieren“ ist vielleicht schwer zu sagen, sicherlich nicht als konkrete Objekte unserer Welt. Ich fühle mich aber wie ein Physiker, der die zugrundeliegenden Gesetze der Zahlen erforscht. So wie der Physiker die Welt ergründet, versuche ich einfach, die ganzen Zahlen zu erforschen. [...] Die Zahlen sind Teil von unserer Welt."

Hier ein weiteres Beispiel aus einer Einführung in die Philosophie der Mathematik:

"[Ich, Jörg Neunhäuserer bin] Anhänger eines platonischen Realismus in der Ontologie der Mathematik, eines Rationalismus in der Erkenntnistheorie der Mathematik und einer wissenschaftstheoretischen Abgrenzung der Mathematik von den anderen Wissenschaften. Das heißt, dass [ich der Überzeugung bin], dass die Gegenstände der Mathematik unabhängig von mentalen Vorgängen und jenseits der physikalischen Raum-Zeit existieren, dass wir mathematische Erkenntnisse durch unmittelbare rationale Einsicht und logische Deduktion gewinnen und dass die Mathematik durch ihre methodische Praxis klar von allen anderen Wissenschaften unterschieden ist. Diese Position ist nicht originell, eher konservativ und in der Philosophie der Mathematik umstritten. Vielleicht ist [meine] Perspektive typisch für einen Mathematiker, der sich mit der Philosophie der Mathematik beschäftigt."




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So 24. Mär 2024, 18:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 07:55
Welche Farben wir aus der Fülle der Farben sehen können, hängt also auf den ersten Blick in gewisser Weise von uns ab, nämlich von den Zapfen, die wir haben. Wobei das natürlich nicht ganz stimmt, denn genauer gesagt, hängt es von unserem Platz in der Wirklichkeit ab, es ist eine Wechselwirkung, ich habe es oben eine Relation genannt. Wir betrachten die Wirklichkeit nicht von außen, wir sind mittendrin.

Das Rotsehen hat sich entwickelt, weil wir so die reifen Früchte besser erkennen können. Dass wir die Farbe der reifen Früchte sehen können, ist ein großer evolutionärer Vorteil. Bienen scheinen nicht so gut in Rot zu sein, aber sie können andere Aspekte der Realität wahrnehmen, die uns verborgen sind, z.B. ultraviolettes Licht, weil die zerstörerische Kraft dieses Lichts für sie aufgrund ihrer kürzeren Lebensdauer nicht die Relevanz hat, die sie für uns hat. Das ist immer noch nicht ganz richtig, denn auch die Farben der Pflanzen haben sich evolutionär entwickelt, weil es eben von Vor- bzw Nachteil sein kann, sichtbar zu sein, auch hier ein Wechselspiel.
Diese verschiedenen Vermögen von Tieren, sich in der Umwelt zurechtzufinden, ist faszinierend. Dass Bienen Ultraviolett sehen und sich auf ihre spezifische Lebensweise eingestellt haben, machen sie eigentlich zu kleinen Meistern ihres Fachs. Man beobachte einmal Vögel, wie sie elegant und zielsicher ihre Beute am Boden aus der Luft anpeilen und anfliegen. Das ist ganz grosses Kino, wenn wir uns nicht schon längst daran gewöhnt hätten. Oder Ameisen: Was für ein effizientes Kollektiv mit Schwarmintelligenz. Das wird keine AI besser hinbekommen, weil ihr diese Einmittung in die relevante Realität (des Ökosystems) fehlt.

Über all diese wunderschönen (Natur)Dinge dürfen wir jederzeit mehr als ein paar Wörter schreiben :-)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 07:55
Die Bienen leben in einem anderen Realitätsbereich als wir, auch wenn sich diese Bereiche natürlich sehr stark überschneiden können. Sie sehen etwas anderes, andere Aspekte der Wirklichkeit, weil für sie andere Dinge relevant sind. Wir haben es hier also mit einem etwas anderen Verhältnis des Lebewesens zu seiner Umwelt zu tun. Das ist meines Erachtens ein Punkt, den man nicht einfach ignorieren kann, wir sollten nicht so tun, als wären wir nicht wir. Für die Bienen sind andere Dinge wichtig als für uns, und deshalb sehen sie andere Bereiche als wir.
Dass es diese verschiedenen Bereiche gibt und in ihnen ein Verortetsein von Individuen in ihrer Umwelt, muss ontologische Pluralität bedeuten. Es gibt Überschneidungen, aber es gibt auch isolierte Bereiche, die füreinander nicht zugänglich sind. Das kann natürlich verleiten zu glauben, der eigene Bereich sei besonders relevant, da man ja vom anderen Bereich nur marginal oder gar nicht berührt wird. Man dankt es der Biene, dass sie sich nicht ins Coca Cola-Glas fallen lässt oder sie einen nicht sticht. Das ist in etwa der alltägliche Berührungspunkt von Biene und Mensch. Imker und Bienenfreunde werden da wohl intimere Freundschaften schliessen. In jedem Fall aber ist der eigene Bereich (und was in ihnen relevant wird) in gleicher Weise relevant (nicht mehr oder weniger relevant) als in allen anderen Bereichen. Wenigstens in ontologischer Perspektive muss es das sein: Was für die Biene relevant ist, ist in keiner Weise relevanter als dasjenige, was für uns relevant ist. Sofern die Biene in ihrem Bereich erfolgreich ist, müsste das, was sie über die Wirklichkeit in Erfahrung bringt, genauso wahren Urteilen entsprechen, und ihr Überleben wird gesichert dadurch, dass sie Relevantes von nicht Relevantem (in Graden) unterscheiden kann.

Was mich natürlich wiederum zum Gedanken führt: Wir können unsere Moralansprüche nicht an Löwen messen. Das, was für den moralischen Bereich gilt, nämlich dass er die Fürsorge füreinander meint, betrifft uns, sofern wir Menschen sind, für die Moralität relevant ist. Ich erwähne das, weil wir ja gerne der Natur jegliche Moral absprechen und dies am Beispiel von jagenden und zerfleischenden Löwen tun. Aber Moral oder Ethik sind eben keine Bereiche, die für Löwen gälten, wie sie für uns gelten im Sinne, dass es essenziell ist für uns, moralisch zu sein. Was immer es im konkreten Beispiel bedeutet, moralisch zu handeln: Wir können nicht behaupten, dass in der Natur keine Moral vorkomme, wenn wir doch in der Natur vorkommen und unsere Bereiche eben auch moralische Dimensionen haben?




Burkart
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So 24. Mär 2024, 21:23

Salutitutti hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 15:17
Burkart hat geschrieben :
So 24. Mär 2024, 15:01
Eine Begrifflichkeit "wahrnehmen"?
Wir assoziieren unsere Sinneseindrücke im Kopf mit dem, was wir kennen, hier das Auto, und denken uns so "Auto". "Wahrnehmen" des Begriffes würde ich es nicht nennen. Ich nehme das Objekt wahr (bzw. seine übertragenen Daten, die unsere Sinne speisen), es kann auch ein Bus oder Oldtimer sein bei genauerem Hinsehen und Nachdenken.
Ich sage nicht, dass du falsch liegst, nur kann ich mir einfach nicht erklären, wie dieses Sehen, wie von dir beschrieben, ablaufen soll. Wie soll es denn vonstatten gehen, dass ich erkenne "Auto", wenn ich gar nicht weiss, was ein Auto ist. Um zu wissen, was ein Auto ist, muss ich jene Merkmale und Eigenschaften ausmachen, die aus diesem Gegenstand ein Auto machen, damit ich sagen kann, ich sehe ein Auto.
Natürlich muss man wissen, was ein Auto ist, das hatte ich doch auch geschrieben mit "...was wir kennen, hier das Auto...", ist es nun verständlich geworden?
Wenn ein Forscher einen neuen Gegenstand entdeckt, z.B. eine quallenartige Substanz wird er mutmassen: "Schleim?". "Lebewesen?". "Qualle?". "Amöbe?". Um dann vielleicht festzustellen, dass es sich um eine neue Art handelt, für die wir keinen Begriff hatten.

Aber dieses Art kommt ja nicht erst in die Welt mit unserem Begriff, sondern die Art liefert den Begriff, durch den wir künftige Specimen dieser Art erkennen und zuordnen können. Aber nicht wir stellen diesen Begriff her, sondern die Eigenschaften des Gegenstands ordnen ihn begrifflich als diese Art ein im Unterschied zu anderen Arten.
"Begriff" kommt doch von "be-greifen", also etwas was wir Menschen machen, z.B. um deine neue Substanz möglich genau zu erfassen. Also wir machen uns einen Begriff von der neuen Art, die es selbstverständlich schon vor unserer Analyse und Begriffsbildung gab.
Aber ein spontanes "Autosehen" im Gewusel unendlich vieler Dinge kann ich mir kaum vorstellen. Vielleicht weisst du, wie das gehen soll.
Mir ist nicht klar, was du damit sagen willst; möglicherweise hat sch das mit meinem erster Rückfrage oben erledigt?



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