Quk hat geschrieben : ↑ So 23. Jun 2024, 22:50
Mündliche Sprache und mündliche Musik haben sehr viele Gemeinsamkeiten. Auch da würde ich keine harte Grenze reinsetzen wollen. Vermutlich sind sie gleichzeitig entstanden, und sicherlich gab es sie schon vor den Urmenschen.
Worauf in diesem Faden bezieht sich das?
Wie auch immer: mündliche Sprache und mündliche Musik, Sprache und Musik generell haben viele Gemeinsamkeiten, daran kann man nur schwer zweifeln. Man spricht zum Beispiel von einer Sprachmelodie, die meines Erachtens nicht nur Beiwerk ist, sondern auch Bedeutungsträger. Beide, Sprache und Musik, können Gefühle ausdrücken, Freude oder Trauer und vieles mehr, deshalb können beide der Kommunikation dienen. Beide leben in ihrer "Aufführung". Beide existieren nicht ohne Kreativität. Beide können auf die menschliche Stimme setzen, manche Instrumente klingen beinahe so. Beide sind "sozial", es gibt sie da, wo es in irgendeiner Weise ein "Wir" gibt. Beide können bei Riten und Zeremonien eine große Rolle spielen. Beide brauchen in irgendeiner Form Strukturen und Ordnung. Beide können für Gruppen Identität stiften. ... Das ist sicher nur eine kleine Auswahl der Gemeinsamkeiten.
Wer jetzt auf ein "Aber" wartet, wird nicht enttäuscht. Hier ist es: Der Vortrag des Kunstphilosophen Julian Dodd, den Consul gepostet hat, war in dieser Hinsicht interessant. Wie ist Dodd vorgegangen? Er hat nicht definiert, was Musik ist, sondern er hat nur eine einzige, nach seiner Einschätzung, notwendige Eigenschaft von Musik herausgepickt und festgestellt, dass sie 4'33 fehlt. Das fand ich sehr erhellend!
Warum funktioniert diese Methode? Wenn man das Wesen von X definieren will, dann gibt man verschiedene Eigenschaften an, von denen jede einzelne notwendig ist, die aber nur
zusammen hinreichend sind. Alle diese Eigenschaften müssen vorhanden sein, damit man von X sprechen kann. Mit anderen Worten, die Möglichkeit, dass es zwischen X und U Gemeinsamkeiten, Übergänge, weiche Grenzen gibt, ist hier keineswegs geleugnet, sondern in der Regel vorausgesetzt. X und U können sehr viele Gemeinsamkeiten, Übergänge, etc. haben, aber dennoch verschieden sein.
Das heißt, wer X definiert, indem Sinne, dass er nach seinem Wesen fragt, sagt damit keineswegs zugleich, dass X mit U und mit vielen anderen Dingen keine Gemeinsamkeiten hat, er sagt nur, dass sich X und U in mindestens einer Hinsicht unterscheiden, während sie in vielen anderen Hinsichten gleich sein können. Deswegen funktioniert die Methode von Julian Dodd.
Begriffe können scharfe Grenzen ziehen, müssen es aber nicht. Begriffe können weit und eng sein. Es gehört nicht zum Wesen von Begriffen, scharfe Grenzen zu ziehen. Es gehört auch nicht zum Wesen von Begriffen, Gemeinsamkeiten von begrifflich verschiedenen Dingen zu leugnen. Zwischen Dingen, die unter verschiedene Begriffe fallen, kann es weiche Übergänge geben, ohne dass diese Dinge damit aufhören, unter verschiedene Begriffe zu fallen.