Psychologismus?!

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Constantin
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Di 21. Nov 2017, 00:30

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 18:52
Ist "Geist" mit "Bewusstsein" oder "Psyche" gleichzusetzen?
Wer möchte da mit nein antworten?

Hat Herr K. nicht gewarnt?
Herr K. hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 13:15
Und bei ein solchen Platonismus hätten wir wohl das Fettaugenbild und eben die Frage, wie wir - als die raumzeitlichen Wesen, die wir sind - geistigen/mentalen Zugang zu der Sphäre der nicht raumzeitlichen abstrakten Objekte haben können.




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Jörn Budesheim
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Di 21. Nov 2017, 06:27

Herr K. hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 17:56
Sigwart hat geschrieben : Tatsache
Alethos hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 21:15
[der Beitrag] formuliert viel klarer, was mir intuitiv vorschwebte.
Sigwart macht zwar geltend, dass die Tatsachen bestanden, lange bevor sie erkannt wurden, versäumt es aber, zu erklären und klarer zu machen, was Tatsachen sind.

Und der Umstand, dass Wahrheit allein eine Eigenschaft von Ansichten, Sätzen und dergleichen mehr sein soll, wird einfach gesetzt. Ich halte das nicht für plausibel. Als Newton die Planetenbahnen erforscht hat, hat er schließlich nicht die Eigenschaften von Sätzen erforscht. Es wäre jedoch auch dann über die Erde wahr gewesen, dass sie sich um die Sonne dreht, wenn niemals Lebewesen auf ihr entstanden wären, die diesen Umstand hätten entdecken und in Sätze packen können. Sigwart erkennt zwar an, dass die Tatsache einfach da ist, also besteht, aber sie besteht eben in dieser Wahrheit und diesen Punkt blendet er einfach aus, weil er es versäumt, den Begriff der Tatsache zu erklären.

Problematisch sind bestehende Tatsachen und Wahrheiten jedoch nur, wenn man meint, ohne es zu begründen, es müsste so eine Art Wahrheits- oder Tatsachen-Substanz geben, damit Wahrheit bestünde. Dann fragt man sich vielleicht, wo denn neben (oder over and above) den Dingen - also in welchem Fettauge - noch Platz für die Wahrheit sein sollte.

Damit sind wir allerdings noch nicht beim Kernproblem des Psychologismus. Der Psychologismus nimmt im Grunde an, denn er ist ein Naturalismus, dass Geltung rückstandslos durch Kausalität ersetzt werden kann und sogar muss.




Hermeneuticus
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Constantin hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 00:30
Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 18:52
Ist "Geist" mit "Bewusstsein" oder "Psyche" gleichzusetzen?
Wer möchte da mit nein antworten?

Hat Herr K. nicht gewarnt?
Herr K. hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 13:15
Und bei ein solchen Platonismus hätten wir wohl das Fettaugenbild und eben die Frage, wie wir - als die raumzeitlichen Wesen, die wir sind - geistigen/mentalen Zugang zu der Sphäre der nicht raumzeitlichen abstrakten Objekte haben können.
Was wir selbst durch unsere begrifflich artikulierten Handlungen und geregelten Verfahren hervorbringen, dazu haben wir auch Zugang. Abstrakte Gegenstände sind Produkte des Abstraktionsverfahrens, das wir selbst vollziehen und das für unsere begrifflichen Praktiken konstitutiv ist. Als geregeltes Verfahren ist allerdings das Abstrahieren so wenig ein Vorgang in der mentalen Innenwelt wie der öffentliche Begriffsgebrauch (z.B. beim Geben und Verlangen von Gründen, beim Schließen eines Vertrages, beim Inkraftsetzen einer Norm).




Hermeneuticus
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Di 21. Nov 2017, 07:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Es wäre jedoch auch dann über die Erde wahr gewesen, dass sie sich um die Sonne dreht, wenn niemals Lebewesen auf ihr entstanden wären, die diesen Umstand hätten entdecken und in Sätze packen können.
Du kritisierst den Naturalismus, aber hier behauptest Du, dass Wahrheiten mit den natürlichen Dingen einfach gegeben sind. Wahrheiten wachsen sozusagen auf denselben Bäumen, auf denen die Äpfel wachsen, über die es wahr ist, dass sie auf Bäumen wachsen. Und wie die Äpfel braucht der Mensch die Wahrheiten einfach nur zu pflücken und einzusammeln.




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Di 21. Nov 2017, 09:05

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 07:45
Wahrheiten wachsen sozusagen auf denselben Bäumen, auf denen die Äpfel wachsen
Das ist jedoch die Position, die ich kritisiere und nicht die, die ich vertrete. Ich kritisiere die Idee, dass es sozusagen neben den Äpfeln nach Wahrheitsäpfel geben müsste, für einen ontischen Wahrheitsbegriff. Die Tatsache, dass Äpfel an Bäumen wachsen, ist keine metaphysische Beschriftung der Situation oder ein Etwas, was aus Wahrheitsatomen besteht, sodass man nach Substanzen Ausschau halten müsste und sich fragen sollte, wo diese denn existieren. Eine Tatsache ist nach Ansicht einiger neuer Realisten, etwas, das über etwas wahr ist: Es ist über die Äpfel wahr ist, dass sie an Bäumen wachsen. Dazu müssen weder Tatsachen noch Wahrheit reifiziert werden.

Diese Position besagt übrigens auch nicht, dass alle Tatsachen leicht zu haben sind, wie du suggerierst.




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Di 21. Nov 2017, 09:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 09:05
Eine Tatsache ist nach Ansicht einiger neuer Realisten, etwas, das über etwas wahr ist: Es ist über die Äpfel wahr ist, dass sie an Bäumen wachsen.
Ich kritisiere genau diese Redeweise: "etwas, das über etwas wahr ist" und das damit verbundene Wahrheitsverständnis. Das ist nicht nur schlechtes Deutsch, es bedient auch noch den Mythos des Gegebenen: Mit den Dingen sind auch die Wahrheiten "über sie" gegeben, ohne dass jemand den Finger krümmen müsste. Und wenn der Mensch diese gegebenen Wahrheiten, wie Du schriebst, "in Sätze packt", dann bildet er mit seinen Sätzen nur das Gegebene ab. Ein Satz ist also genau dann wahr, wenn er eine gegebene Wahrheit über etwas abkupfert.




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Di 21. Nov 2017, 09:39

Hermeneuticus hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 09:17
Mit den Dingen sind auch die Wahrheiten "über sie" gegeben, ohne dass jemand den Finger krümmen müsste
Daraus, dass Tatsachen bestehen, folgt ja keineswegs, dass man keinen Finger krümmen müsste, um sie zu erkennen. Wahrheiten sind auch nicht einfach "gegeben", sie können sich ziemlich hartnäckig entziehen. Ein ontischer Wahrheitsbegriff impliziert natürlich auch nicht, dass Wahrheit einfach zu erkennen ist. Warum auch? Dafür müsstest du schon ein triftiges Argument vorlegen.




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Herr K.
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Di 21. Nov 2017, 11:54

Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 18:52
Es sollte doch klar sein, dass mentale Ereignisse und Zustände in dem Sinne "privat" sind, dass kein anderer Mensch sie teilen kann.
Das ist mir nun keineswegs klar, ganz im Gegenteil sogar: mentale Ereignisse und Zustände wie Ansichten, Meinungen, Überzeugungen, Gefühle kann man doch ganz offensichtlich mitteilen, z.B. tun wir das doch an dieser Stelle. Daher sind mir Deine weiteren Anmerkungen dazu unklar.
Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 18:52
Ist "Geist" mit "Bewusstsein" oder "Psyche" gleichzusetzen?
Normalerweise setze ich "Geist" bzw. "mind" mit "Psyche" gleich, ja. Kommt aber auf den Kontext an.




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Herr K.
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Di 21. Nov 2017, 12:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Sigwart macht zwar geltend, dass die Tatsachen bestanden, lange bevor sie erkannt wurden, versäumt es aber, zu erklären und klarer zu machen, was Tatsachen sind.

Und der Umstand, dass Wahrheit allein eine Eigenschaft von Ansichten, Sätzen und dergleichen mehr sein soll, wird einfach gesetzt. Ich halte das nicht für plausibel. Als Newton die Planetenbahnen erforscht hat, hat er schließlich nicht die Eigenschaften von Sätzen erforscht. Es wäre jedoch auch dann über die Erde wahr gewesen, dass sie sich um die Sonne dreht, wenn niemals Lebewesen auf ihr entstanden wären, die diesen Umstand hätten entdecken und in Sätze packen können. Sigwart erkennt zwar an, dass die Tatsache einfach da ist, also besteht, aber sie besteht eben in dieser Wahrheit und diesen Punkt blendet er einfach aus, weil er es versäumt, den Begriff der Tatsache zu erklären.
Der zitierte Absatz von Sigwart richtet sich gegen Husserls Unabhängigkeitstheorie der Wahrheit, dazu braucht er nicht zu erklären, was Tatsachen sind.

Dass Wahrheit eine Eigenschaft von Behauptungen und Meinungen ist, ist die übliche Ansicht. Zu erklären wäre eine Abweichung davon.

Newton hat die Planetenbahnen erforscht, weder Sätze noch Wahrheit. Und?

Die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht, besteht in eben diesem Umstand und nicht in einer Wahrheit - was auch immer damit gemeint sein soll, mir ist das völlig unklar.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Problematisch sind bestehende Tatsachen und Wahrheiten jedoch nur, wenn man meint, ohne es zu begründen, es müsste so eine Art Wahrheits- oder Tatsachen-Substanz geben, damit Wahrheit bestünde. Dann fragt man sich vielleicht, wo denn neben (oder over and above) den Dingen - also in welchem Fettauge - noch Platz für die Wahrheit sein sollte.
Wenn Wahrheit unabhängig von der Sprache, dem Denken und den Praktiken intelligenter Akteure sein soll, dann stellt sich die Frage nach dem ontologischen Status dieser Wahrheit. Eine Antwort darauf hast Du bislang noch nicht gegegen, d.h. Du hast noch nicht gesagt, was Wahrheit Deiner Ansicht nach sein soll. Eine rein negative Bestimmung (z.B.: Wahrheit ist keine Substanz) reicht nicht aus.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Damit sind wir allerdings noch nicht beim Kernproblem des Psychologismus. Der Psychologismus nimmt im Grunde an, denn er ist ein Naturalismus, dass Geltung rückstandslos durch Kausalität ersetzt werden kann und sogar muss.
Dafür hätte ich gerne einen Beleg.




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Jörn Budesheim
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Di 21. Nov 2017, 19:05

Herr K. hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 12:14
Dass Wahrheit eine Eigenschaft von Behauptungen und Meinungen ist, ist die übliche Ansicht.
Im Grunde kann man sagen, dass es für die diversen Wahrheits-Begriffe und Theorien drei Grundtypen gibt. Solche die Wahrheit ganz oder eher auf der Objektseite sehen, solche die sie ganz oder eher im Subjekt verorten und solche, bei denen die Relation zwischen den beiden eher "gleichrangig" gedacht wird. Alle drei Positionen haben in der Philosophie ihre Befürworter und Gegner gefunden. Was ich mit der "ontischen Wahrheit" vorschlage, die natürlich zu Typ 1 zählt, ist also keineswegs so weit her geholt, unbekannt oder abwegig, wie manche es hier darstellen.

Die ontische Wahrheitsauffassung mag in der Philosophie momentan nicht dominant sein, sie ist jedoch die "Position des common sense" wie Karen Gloy (in "Wahrheitstheorien") zu Recht geltend macht. Meines Erachtens habe ich in dem Thread bereits an sehr vielen Beispielen deutlich gemacht, was ich darunter verstehe. Es ist vor diesen Hintergründen etwas unfair, wenn du behauptest, ich hätte noch nicht gesagt, was Wahrheit meiner Ansicht nach sein soll und es so darstellst, als sei das völlig offen, wo es sich doch um eine Standardposition handelt.

Ich kann auch nicht wirklich nachvollziehen, dass die Beispielsätze für Tatsachen nach dem angebotenen Muster "völlig unklar" sein sollen: Es ist über mich wahr, dass ich 57 bin. Es ist über den Tisch wahr, dass er braun ist. Es ist über den Mond wahr, dass er sich um die Erde dreht. Ob das gutes oder schlechtes Deutsch ist oder nicht, es ist auf keinen Fall so völlig unklar, dass es nicht mal nötig ist, zu erläutern oder anzudeuten, worin denn die Unklarheit bestehen soll.




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Alethos
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Di 21. Nov 2017, 20:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Als Newton die Planetenbahnen erforscht hat, hat er schließlich nicht die Eigenschaften von Sätzen erforscht. Es wäre jedoch auch dann über die Erde wahr gewesen, dass sie sich um die Sonne dreht, wenn niemals Lebewesen auf ihr entstanden wären, die diesen Umstand hätten entdecken und in Sätze packen können.
Als ontologischer Realist wirst du das Folgende womöglich nicht bejahen, aber dennoch: Ist es nicht so, dass vor Kopernikus die Wahrheit eine andere war als vorher und sich in einem Prozess der Verifikation und Falsifikation die Wahrheit den Tatsachen angepasst hat? Ich frage das deshalb so plump, weil Wahrheit sich irren kann, Tatsachen nicht.

Wir können zwar sagen, dass die Wahrheit, dass sich Erde schon immer um die Sonne gedreht habe, schon immer galt, auch bevor es erkannt und beschrieben wurde. Aber wir können es erstens nur retrospektiv behaupten, weil wir es in Folge einer Verifikation resp. Berichtigung von Wahrheit herausgefunden haben, und zweitens auch nur durch eine neue Aussage, die die Tatsache akkurater beschreibt.

Und falls man dennoch an eine immer schon wahre Wahrheit glauben will, die man an den Tatsachen ablesen kann, dann müsste man doch auch eingestehen, dass sich die Tatsachen neu darstellen können müssen, wenn es Erkenntnisfortschritt geben soll. Die Tatsache, dass es keine Atome gibt muss der Tatsache weichen, dass es Atome gibt. Aber eine Tatsache irrt ja nicht, sie muss sich nicht korrigieren oder einer richtigeren Tatsache Platz machen, nur unsere Aussagen über sie sind korrekturfähig. Also ist doch Wahrheit im Grunde die Voraussetzung für Irrtum, der den Tatsachen nie inhärent sein kann?



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Herr K.
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Di 21. Nov 2017, 20:44

Ach, ich wollte eigentlich kein Like geben, habe mich verklickt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 19:05
Im Grunde kann man sagen, dass es für die diversen Wahrheits-Begriffe und Theorien drei Grundtypen gibt. Solche die Wahrheit ganz oder eher auf der Objektseite sehen, solche die sie ganz oder eher im Subjekt verorten und solche, bei denen die Relation zwischen den beiden eher "gleichrangig" gedacht wird. Alle drei Positionen haben in der Philosophie ihre Befürworter und Gegner gefunden. Was ich mit der "ontischen Wahrheit" vorschlage, die natürlich zu Typ 1 zählt, ist also keineswegs so weit her geholt, unbekannt oder abwegig, wie manche es hier darstellen.
ich zumindest habe davon noch nie was gehört, auch in den Artikeln SEP - Truth und Wikipedia - Wahrheit ist davon nichts zu finden.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 19:05
Die ontische Wahrheitsauffassung mag in der Philosophie momentan nicht dominant sein, sie ist jedoch die "Position des common sense" wie Karen Gloy (in "Wahrheitstheorien") zu Recht geltend macht. Meines Erachtens habe ich in dem Thread bereits an sehr vielen Beispielen deutlich gemacht, was ich darunter verstehe. Es ist vor diesen Hintergründen etwas unfair, wenn du behauptest, ich hätte noch nicht gesagt, was Wahrheit meiner Ansicht nach sein soll und es so darstellst, als sei das völlig offen, wo es sich doch um eine Standardposition handelt.
Eine Standardposition, die in den einschlägigen Artikeln dazu mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt wird? Schon irgendwie merkwürdig.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 19:05
Ich kann auch nicht wirklich nachvollziehen, dass die Beispielsätze für Tatsachen nach dem angebotenen Muster "völlig unklar" sein sollen: Es ist über mich wahr, dass ich 57 bin. Es ist über den Tisch wahr, dass er braun ist. Es ist über den Mond wahr, dass er sich um die Erde dreht. Ob das gutes oder schlechtes Deutsch ist oder nicht, es ist auf keinen Fall so völlig unklar, dass es nicht mal nötig ist, zu erläutern oder anzudeuten, worin denn die Unklarheit bestehen soll.
Das Problem dabei ist dieses: falls Du Dich dabei jeweils auf Tatsachen (und nicht auf Aussagen) beziehst, dann fügt Dein "wahr" nichts hinzu. Daher ist völlig unklar, was es bedeuten soll. Tatsachen können nicht wahr oder falsch sein, es ergibt schlicht keinen Sinn, das zu sagen. Nun mag z.B. der Tisch braun sein, das mag eine Tatsache sein, aber was soll das "wahr" hinzufügen? Der Tisch ist dann eben braun, Punkt.




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Di 21. Nov 2017, 22:07

Herr K. hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 20:44
Tatsachen können nicht wahr oder falsch sein, es ergibt schlicht keinen Sinn, das zu sagen. Nun mag z.B. der Tisch braun sein, das mag eine Tatsache sein, aber was soll das "wahr" hinzufügen? Der Tisch ist dann eben braun...
Ich wollte eigentlich genau sowas verdeutlichen mit meinem Beitrag, aber das klappt bei dir mit der Deutlichkeit besser :)

Beim braunen Tisch ist das ja noch relativ unproblematisch, klarer wird‘s bei Aussagen der Art: ‚Es gibt keine ausserirdischen Lebewesen.‘ Ist das nun eine Tatsache oder Wahrheit?



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Herr K. hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 20:44
Tatsachen können nicht wahr oder falsch sein, es ergibt schlicht keinen Sinn, das zu sagen
Das steht da auch nicht.




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Der fragliche Wahrheitsbegriff firmiert unter verschiedenen Bezeichnungen. Z.b. unter den Namen "ontische Wahrheit. Auch Ausdrücke wie 'Sachwahrheit', 'Tatsachenwahrheit' und ähnliche kommen vor. Bekannt geworden durch Heidegger ist die Terminologie der 'Unverborgenheit', 'Lichtung', 'Offenbarung' der Dinge." (Karen Gloy)




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Alethos hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 20:35
Ich frage das deshalb so plump, weil Wahrheit sich irren kann, Tatsachen nicht.
Ich verstehe deinen Punkt nicht, ich bestreite nicht, dass wir uns irren können. Die ontische Wahrheit und die Tatsachen, sind so wie sie sind. Wenn wir etwas anderes glauben, dann liegen wir eben falsch.




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Hermeneuticus hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 18:52
Ist "Geist" mit "Bewusstsein" oder "Psyche" gleichzusetzen?
Das mit Geist nicht grundsätzlich das individuelle "Bewusstsein" oder die "Psyche" gemeint ist, gehört zum normalen philosophischen Sprachgebrauch. Im Lexikon findet sich folgendes: Philosophen sprechen in verschiedener Hinsicht vom Geist - unter anderem, "wenn sie überindividuelle Bewusstseinsinhalte oder die den Einzelnen überragende psychologische, soziale oder kulturelle Realität im Sinn haben."

Deswegen ist der Begriff "Philosophie des Geistes" auch keine gute Übersetzung für den Ausdruck "philosophy of mind".




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Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 18. Nov 2017, 08:18
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 18. Nov 2017, 06:48
Zahlen haben durchaus Eigenschaften und diese Eigenschaften werden von der Wissenschaft Mathematik untersucht. Die 9 hat die Eigenschaft durch 3 teilbar und größer als 8 zu sein.
Ja, das wollte ich dazu auch schreiben.
Zudem haben auch fiktionale Figuren Eigenschaften, z.B. Dagobert Duck die, immer mal wieder ein Erfrischungsbad im Geldspeicher zu nehmen.
Nun kann man sagen, dass, wenn uns Onkel Dagobert oder Faust oder Castorp irgendwie prägen, nicht sie das tun (da sie ja physisch nicht existiseren), sondern, dass nur unsere Vorstellungen über sie die Ursache dafür sind.

Wie ist das eigentlich mit Zahlen? GIbt es jenseits unserer Vorstellungen von Zahlen realen Eigenschaften derselben von denen wir behaupten können, wie seien der Grund für irgendwas was mit der Physis interagiert oder ist das was interagiert immer nur Physis mit Physis und Zahlen nur eine Repräsentationsebene?
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 18. Nov 2017, 06:48
Zahlen haben jedoch nicht die Eigenschaft eine Ausdehnung in der Zeit zu haben. Deswegen ist diese Wahrheit auch nicht ewig, nach meiner Einschätzung.
Oder gerade deshalb?
---
M.E. gründen Mathematik und Logik in unseren Alltagspraktiken und werden im Verlauf besserer sprachlich-symbolischer Möglichkeiten von dort extrahiert. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem Logik und Mathematik (und auch Sprache) ihren Bezug zur Welt völlig zu verlieren scheinen.
Andererseits sollen abgedrehte matehmatische Ideen der Physik gerade dort weiterhelfen, so die Empirie nicht weiter kommt.
Ist es nicht irgendwie seltsam, von etwas zu sagen, es habe Eigenschaften und dass man wahre Aussagen darüber machen kann, während man zugleich infrage stellt, ob dieses etwas überhaupt existiert?

Das mit der Mathematik sehe ich vermutlich so ähnlich. Auch viele andere Tiere haben offensichtlich rudimentäre mathematische Fähigkeiten. Im Unterschied zu diesen haben wir irgendwann die Tür in einen viel weiteren mathematischen Raum aufgestoßen, gehen wir offensichtlich viele Entdeckungen machen können.

Deinen Hinweis auf die Physik am Ende verstehe ich allerdings nicht richtig...




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Mi 22. Nov 2017, 07:07

Derek Parfit hat geschrieben : Es gibt einige [...] tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten. Subjektivisten glauben, dass alle praktischen Gründe ihre Stärke aus bestimmten Tatsachen über unsere vorhandenen Bedürfnisse oder Ziele ziehen. Objektivisten glauben, dass es keine solchen Gründe gibt, da alle Gründe ihre Stärke aus den Tatsachen ziehen, die uns wertbasierte Gründe liefern, bestimmte Bedürfnisse oder Ziele zu haben. Ich habe dafür argumentiert, dass wir den Subjektivismus ablehnen sollten. Da es viele hochintelligente und vernünftige Subjektivisten gibt, beunruhigt mich diese Meinungsverschiedenheit.
Psychologismus gibt es in vielen Bereichen, natürlich auch in der Ethik. Interessant an Parfits Ausführungen ist, dass er die Meinungsverschiedenheiten nicht einfach nur konstatiert und argumentativ anfasst, sondern dass er von einer tiefen Beunruhigung spricht.




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Alethos hat geschrieben :
So 19. Nov 2017, 13:56
Existenz kann aber nach meiner Auffassung keine Eigenschaft haben, sondern sie ist doch die Bedingung von Eigenschaftlichkeit und Gegenständlichkeit überhaupt. Die Frage die bleibt ist nur die: Wo existiert etwas, das nicht ontisch und nicht psychisch vorkommt? Wie kann etwas überhaupt in dieser Weise zur Existenz kommen wie alle anderen Dinge, aber in einem gänzlich anderen Bereich?
In dem Zusammenhang meintest Du glaube ich auch Deine Frage an mich, oder?
Alethos hat geschrieben :
Sa 18. Nov 2017, 19:07
Die Frage war ja die, wie Wahrheit bestehen kann ohne irgendwo beinhaltet zu sein resp wie dieses Beinhaltetsein zu verstehen wäre, wenn es nicht mehr ist. Wenn also dein Smilie-Eintrag gelöscht wurde und du nicht mehr bist sowie wir alle nicht mehr sind, wo und wie wird diese Wahrheit weiterexistieren?
Es gibt da glaube ich, wie schon angedeutet, mindestens zwei Möglichkeiten.
Die eine war die Weltseele, die hattest Du damals nicht näher beachtet und das vielleicht zurecht, denn das ist ja nur ein Begriff der ausbuchstabiert werden muss. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass das Konzept aber dennoch einmal Beachtung finden wird, weil man mit den üblichen Ansätzen auf Granit beißt.
Ein besondere Rolle scheint dabei der Zeit zuzufallen und der Frage, ob diese nun eigentlich existiert oder selbst nur ein psychologisches Konzept ist. Zeit ist ja in die Physik und ihre Formeln eingewoben, ohne selbst physisch zu sein, denn die Zeit heilt weder alle Wunden, noch lässt sie Eisen rosten oder Sediment sich ablagern, sie macht eigentlich gar nichts. Wir tun so, als seien Zeit und Raum die Achsen, die den Rahmen für die Bühne der Welt bieten, aber Einstein hat das kassiert. Physiker heute treiben das weiter, indem sie sagen, Zeit sei nicht der Rahmen, sondern etwas, was in einem kleinstmöglichen Materie/Energie-Segment entsteht. Die Abhängigkeit von Zeit und Raum scheint aber zu bleiben, letztlich sagen aber diese B-Theorien oder B-Reihen von Zeit, dass es Zeit nicht gibt und eine schöne Darstellung, auch der damit zusammenhängenden Probleme, findest Du hier, ab Seite 6.
Die Frage ist nun, salopp formuliert, wozu man diesen ganzen exotischen Mist überhaupt braucht. Warum sich den Kopf über Zeit zerbrechen, wir kommen doch gut klar. Das ist glaube ich nun wieder davon abhängig, für wie dringlich man die Klärung der Fragen hält, die Erlebisse beschreiben, die nicht zu den üblichen Alltagserlebnissen gehören, die wir einem spirituellen Kontext zurechnen würden. Hier finden wir manchmal Gleichzeitigkeiten, zeitliche Rück- und Vorgriffe, sowie die Behauptung einer Wahrheit von Ewigkeit. Interessant ist es insofern, dass es pyhsikalische und mystische (ich sehe Mystik als reine Erfahrungs"wissenschaft", nicht als Ergebnis metaphysischer Spekulationen) Indizien dafür gibt und philosophische Argumente (etwa im verlinkten Text), die nahelegen, dass das mit dem andauernden Fluss der Zeit komplizierter ist, als man denkt und im Alltag erfährt. Runtergebrochen auf Deine Frage hieße das, dass die Wahrheit nebenan liegt und nicht verlischt. Die Frage wäre dann, wie man ggf. daran kommt.
(In dem Zusammenhang mal eine Frage in die Runde: Warum erinnern wir uns eigentlich an etwas? "Warum" in dem Sinne, was ein Ereignis haben muss, damit es in uns haften bleibt.)

Die andere Antwort ist aber auch denkbar und die alltägliche. Die würde dann lauten, dass Wahrheit nirgendwo aufbewahrt werden kann und muss und im großen "Das wissen wir eben nicht" verschwindet. Mit dem verwischen aller bezeugenden Spuren ist sie dann nie wieder rekonstruierbar, aber rein technisch ist es wahr, dass mein Uropa 1870, ein 23.5. genau um 8:17:38 Uhr entweder gehustet hat, oder dies nicht getan hat, auch wenn das vermutlich nicht rekonstruierbar ist.
Aber es ist sehr gut denkbar, dass man bei dieser etwas frustranen Erkenntnis gar keinen Rückgriff in die Zeit braucht, eine vermutlich gewaltige Menge von Ereignisse des Jetzt meinen wir statistisch optimieren zu können, tatsächlich wissen wir sehr sehr wenig darüber, ob das tatsächlich geht.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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