Psychologismus?!

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
Tosa Inu
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 06:42
Ist es nicht irgendwie seltsam, von etwas zu sagen, es habe Eigenschaften und dass man wahre Aussagen darüber machen kann, während man zugleich infrage stellt, ob dieses etwas überhaupt existiert?
Klar, darum ringe ich ja mit dem Thema.
Man kann es sich leicht machen und das heißt nicht, dass das leicht falsch oder primitiv sein muss.
Realität ist draußen, Phantasie/Spekulation/Meinung über x drinnen, fertig.

Mein Vorschlag ist immer, das Thema mal am Begriff der Wirkung durchzuspielen, aber irgendwie findet das keinen Anklang. An dem Begriff offenbart sich m.E. der Reflex, bei der Wirkung von etwas sofort nach einer materiellen Ursache der Wirkung zu suchen. Aber wie wir wissen, wirken auch Gründe. Wie eigentlich?
Und das ist erst der Anfang.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 06:42
Das mit der Mathematik sehe ich vermutlich so ähnlich. Auch viele andere Tiere haben offensichtlich rudimentäre mathematische Fähigkeiten. Im Unterschied zu diesen haben wir irgendwann die Tür in einen viel weiteren mathematischen Raum aufgestoßen, gehen wir offensichtlich viele Entdeckungen machen können.
Was für Logik, Sprache, Ästhetik usw. vermutlich ebenso gilt.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 06:42
Deinen Hinweis auf die Physik am Ende verstehe ich allerdings nicht richtig...
Viele heutige Theorien der Physik sind mathematisch stimmig, aber man hat keine Ahnung, wie man sie empirisch nachprüfen soll. Für die einen ist das ein Tor zu einer neue Ära, für die anderen unwissenschaftlicher Mist.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Mi 22. Nov 2017, 10:42

Herr K. hat geschrieben :
Mo 20. Nov 2017, 13:15
Meine Fragen hier wäre, ob Gedanken (wie z.B. der Satz des Pythagoras) unabhängig von der Sprache, dem Denken und den Praktiken von intelligenten Akteuren sind. Anders gefragt: existieren (zumindest einige) Gedanken auch dann, wenn es keine intelligenten Akteure gibt, d.h. bevor es intelligente Akteure gab und danach auch noch? Falls nein, dann liefe das wohl auf einen Psychologismus hinaus, falls ja, dann wäre es Platonismus. Und bei ein solchen Platonismus hätten wir wohl das Fettaugenbild und eben die Frage, wie wir - als die raumzeitlichen Wesen, die wir sind - geistigen/mentalen Zugang zu der Sphäre der nicht raumzeitlichen abstrakten Objekte haben können.
Vermutlich müssen wir Platon doch irgendwann noch mal ins Boot holen, wenn wir über den Platonismus reden wollen. Es gibt aktuell eine neues, dickes Buch von Harald Seubert über Platon mit dem Titel Platon - Anfang, Mitte und Ziel der Philosophie, den Autor kannte ich nicht, klingt aber gut, das Buch habe ich mir kurz im Laden angeschaut, klingt auch gut, werde ich mir zu Weihnachten schenken lassen. Platon ist aber kein Dualist, bei ihm ist die Welt der Ideen immer mit der Welt der Dinge verbunden, wenn überhaupt gibt es eine schrittweise Loslösung, die man aber auch ins Psychologische wenden könnte.

Kurz gesagt, heften wir unsere Erfahrungen immer an bestimmte Ereignisse der Außenwelt. Wir freuen uns, weil ein netter Freund zu Besuch kommt, wir ärgern uns über das Wetter ... Platon sagt nun, dass es auch Erfahrungsformen der Psyche gibt, die dieser äußeren Anlässe gar nicht mehr bedürfen, sondern, dass es eine Sphäre der reinen Freude gibt, die man auch besuchen und erleben kann und die sogar die edlere Form der Freude (und anderer Erlebnisformen) darstellt.

Psychologische Theorien sagen zwar eher das Gegenteil, andererseits sehen sie uns mit Affektdispositionen ausgestattet, Reaktionsmöglichkeiten, die mit Basisemotionen verbunden sind, sind also sofort möglich. Sind nun diese 'Räume' der reinen Erfahrungen nur ein theoretisches Konstrukt der Denker? Oder gründen sie ihrerseits auf praktischen Erfahrungen? Es scheint so, dass man solche archetypischen Erfahrungen machen kann und daraus ergibt sich die Frage: Sind das nun Regressionen in frühkindliche Bereiche, ozeanische Erfahrungen, deren Existenz selbst der Erzantimystiker Freud eingesteht? GIbt es eine Differenz zwischen regressiven und transpersonalen Erfahrungen, wie etwa der spirituelle Praktiker und Theoretiker Wilber meint? Oder ist diese Unterscheidung sinnlos, einem "spirituellen Positivismus" geschuldet und gerade die Reflexion der Regression und das Auftreten frühkindlicher Erfahrungszustände in reifen, erwachsenen Geister die eigentliche Herausforderung, wie aktuell Sloterdijk meint?

Sind nun innere und äußere Erfahrungen schmerzfrei auf einen Nenner zu bringen, Wissenschaft und Logik Abstraktionen des Realen, Mystik und Phantasie neuronale Willkürakte, Kunst und Philosophie Mischformen, also Gedanken über Gedanken, so dass sich letztlich alles in unserem Kopf abspielt, wenngleich mit realer Basis einer vorhergehenden Außenwelt?



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Herr K.
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Mi 22. Nov 2017, 11:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 05:48
Der fragliche Wahrheitsbegriff firmiert unter verschiedenen Bezeichnungen. Z.b. unter den Namen "ontische Wahrheit. Auch Ausdrücke wie 'Sachwahrheit', 'Tatsachenwahrheit' und ähnliche kommen vor. Bekannt geworden durch Heidegger ist die Terminologie der 'Unverborgenheit', 'Lichtung', 'Offenbarung' der Dinge." (Karen Gloy)
Das hilft mir leider nicht viel weiter, denn ein Googeln nach "ontischer Wahrheit" ist nicht sehr ergiebig. Bei "Tatsachenwahrheit" lande ich bei einer Unterscheidung von Leibniz in Vernunftwahrheiten und Tatsachenwahrheiten. Ist das gemeint?

Bei "Sachwahrheit" lande ich z.B. bei diesem Text, der Sachwahrheit und Satzwahrheit unterscheidet, wobei Sachwahrheit z.B. in folgendem Satz ausgedrückt wird: "Franz ist ein wahrer Freund", d.h. "wahr" wird dabei synonym zu "echt" verwendet. Was nun aber von Dir nicht gemeint sein kann, da im Satz "Es ist über den Tisch wahr, dass er braun ist" wohl nicht "wahr" ohne Bedeutungsänderung durch "echt" ersetzt werden kann.

Was habe ich nun bislang an Informationen über den "ontischen Wahrheitsbegriff"? Zwei negative: a) "Wahrheit besteht nicht aus Wahrheitsatomen" und b) "Ein ontischer Wahrheitsbegriff impliziert natürlich auch nicht, dass Wahrheit einfach zu erkennen ist". Und zwei positive: c) der "ontische Wahrheitsbegriff" sei die "Position des common sense" und d) er hat irgendwas mit Heidegger zu tun.

Diese Informationen über den "ontischen Wahrheitsbegriff" sind mir jedoch nun noch zu fragmentarisch, damit kann ich zurzeit nichts anfangen. Auch Aussagen wie "Es ist über den Tisch wahr, dass er braun ist" helfen mir nicht weiter, falls hier mit "es" keine Aussage gemeint ist, also falls das nicht ungefähr so gemeint ist: 'die Aussage "der Tisch ist braun" über den Tisch ist wahr, wenn der Tisch braun ist'. Denn dann weiß ich nicht, wie es sonst gemeint ist.

Ergo wäre es schön, wenn Du entweder selber darlegtest, was denn der "ontische Wahrheitsbegriff" ist oder wenn Du mal einen Link zu einem Text gäbest, in dem der fragliche Wahrheitsbegriff näher erläutert wird.




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Mi 22. Nov 2017, 11:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 06:27
Damit sind wir allerdings noch nicht beim Kernproblem des Psychologismus. Der Psychologismus nimmt im Grunde an, denn er ist ein Naturalismus, dass Geltung rückstandslos durch Kausalität ersetzt werden kann und sogar muss.
Das habe ich zwar auch gelesen, aber man muss ja nicht alles glauben, was geschrieben steht.
Ich glaube es gibt mehrere Psychologismen und mir scheinen nicht alle im Naturalismus aufzugehen.

Die Kritiken von Frege und Husserl sind heute beide glaube ich nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen.
In der Psyche treffen sich verschiedene Welten und die Frage ist, die Psyche nun einfach ein Epiphänomen des Gehirns ist und diese Welten also nur verarbeitet werden, im Kern aber einfach neuronale Zustände sind und was das wieder heißt.
Aktuell ist das was wir Sprache nennen ungleich reicher in seinen Ausdrucksmöglichkeiten, als das was wir neuronale Zustände (oder wenigstesn die Erkenntnis über dieselben) nennen. Die Sprache tanzt und dreht Pirouetten, die neuronalen Zustände beginnen gerade zu krabbeln.

Die andere Frage ist eben, sind logische, ästhetische, phantastische, spirituelle/mystische Welten echte eigene Welten oder "nur" unser Inneres.
Gesetzt sie wären nur unser Inneres, würde es reichen, das so zu benennen? Man kann sich auch das vorstellen: Innere Grenzen kann man überwinden, Denkbereiche erweitern, die Ergebnisse veröffentlichen, was wiederum Reiz und Motiv für andere darstellt, dies auch zu tun.



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Herr K.
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Mi 22. Nov 2017, 11:50

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 10:42
Vermutlich müssen wir Platon doch irgendwann noch mal ins Boot holen, wenn wir über den Platonismus reden wollen.
Ich denke nicht, denn was man heute als "Platonismus" bezeichnet, hat nur am Rande etwas mit Platon zu tun. Beispielhaft dazu dieses Zitat (Linnebo, Øystein, "Platonism in the Philosophy of Mathematics", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2017 Edition), Edward N. Zalta (ed.) - übersetzt mit DeepL):
Platonismus bezüglich Mathematik (oder mathematischer Platonismus) ist die metaphysische Ansicht, dass es abstrakte mathematische Objekte gibt, deren Existenz unabhängig von uns und unserer Sprache, unserem Denken und unseren Praktiken ist.
Falls ich mich nicht irre, sieht aber nun Jörn "Platonismus" als abwertenden Kampfbegriff an, was ich zwar nicht meine, aber auf die verwendeten Worte kommt es mir nicht an. Ich schlage daher vor, zukünftig statt "Platonismus" "Realismus" zu verwenden, d.h. im obigen Beispiel von "Realismus bezüglich Mathematik" zu reden. Jörns Ansicht bezüglich Wahrheit wäre dann also - falls ich da etwas nicht völlig missverstanden habe - ein Realismus bezüglich Wahrheit, d.h. die Ansicht, dass Wahrheit unabhängig von uns und unserer Sprache, unserem Denken und unseren Praktiken existiere.
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 10:42
Sind nun innere und äußere Erfahrungen schmerzfrei auf einen Nenner zu bringen, Wissenschaft und Logik Abstraktionen des Realen, Mystik und Phantasie neuronale Willkürakte, Kunst und Philosophie Mischformen, also Gedanken über Gedanken, so dass sich letztlich alles in unserem Kopf abspielt, wenngleich mit realer Basis einer vorhergehenden Außenwelt?
Mit einem Körnchen Salz: ja.




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Mi 22. Nov 2017, 12:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 06:10
Alethos hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 20:35
Ich frage das deshalb so plump, weil Wahrheit sich irren kann, Tatsachen nicht.
Ich verstehe deinen Punkt nicht, ich bestreite nicht, dass wir uns irren können. Die ontische Wahrheit und die Tatsachen, sind so wie sie sind. Wenn wir etwas anderes glauben, dann liegen wir eben falsch.
Mein Punkt ist der von Herr K.: Ontische Wahrheit und Tatsachen sind äquivalent, mehr noch, sie sind genau dasselbe. Wir brauchen den Wahrheitsbegriff nicht mehr.



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Mi 22. Nov 2017, 13:17

Herr K. hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 11:50
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 10:42
Sind nun innere und äußere Erfahrungen schmerzfrei auf einen Nenner zu bringen, Wissenschaft und Logik Abstraktionen des Realen, Mystik und Phantasie neuronale Willkürakte, Kunst und Philosophie Mischformen, also Gedanken über Gedanken, so dass sich letztlich alles in unserem Kopf abspielt, wenngleich mit realer Basis einer vorhergehenden Außenwelt?
Mit einem Körnchen Salz: ja.
War mir klar.
Das wirklich Gute daran ist, damit auf jemanden zu treffen, der in der Lage ist, einen wieder auf den Boden zu holen und die Daumenschrauben in den richtigen Momenten anzusetzen. Ich bin, wie Du ahnen wirst, nämlich weitgehend anderer Meinung.

Rein logisch ist mir letzten Ende der ontologische Status sogar schnuppe, weil sich an der subjektiven Kraft dieser oder jener Erkenntnis oder Einstellung nichts ändert, ob von Wolke 7, aus dem Reich der Logik oder meinen Hirnzellen ... egal, aber ich fände es einfach schöner, wenn es andere Welten gäbe und wie gesagt, mir kommen da außerdem meine spirituellen Gehversuche in die Quere und es ist gerade ein Akt intellektueller Redlichkeit, diese nicht einfach zu ignorieren.

Auf diese Differenz zwischen Platons Platonismus und dem heutigen hatte ich angespielt, es geht mir gerade darum, Platon doch ins Boot zu holen, denn ich glaube dass er wirklich interessante Verbindungen anbieten könnte. Was Du aber damit meintest, ist mir ebenfalls klar geworden.



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Mi 22. Nov 2017, 18:34

Herr K. hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 11:50
Falls ich mich nicht irre, sieht aber nun Jörn "Platonismus" als abwertenden Kampfbegriff an, was ich zwar nicht meine, aber auf die verwendeten Worte kommt es mir nicht an. Ich schlage daher vor, zukünftig statt "Platonismus" "Realismus" zu verwenden, d.h. im obigen Beispiel von "Realismus bezüglich Mathematik" zu reden. Jörns Ansicht bezüglich Wahrheit wäre dann also - falls ich da etwas nicht völlig missverstanden habe - ein Realismus bezüglich Wahrheit, d.h. die Ansicht, dass Wahrheit unabhängig von uns und unserer Sprache, unserem Denken und unseren Praktiken existiere.
Platonismus wird tatsächlich gelegentlich als Kampfbegriff verwendet - mit folgenden Sinn: "Das und das führt zum Platonismus, also ist davon abzusehen." oder: "Wer das und das glaubt, philosophiert unseriös, denn er hängt tatsächlich dem Platonismus an." Ich kenne auch das Gegenteil. Leute, die es begrüßen, dass manches, was ich denke in ihren Augen nach Platonismus aussieht, weil sie dabei an so etwas wie eine spirituelle Sphäre denken oder dergleichen.

Wie auch immer. Bei der Frage, ob Zahlen existieren kann ich noch vage nachvollziehen, warum der Begriff Platonismus ins Spiel kommt. Bei dem ontische Wahrheitsbegriff fehlt mir dann aber jedes Verständnis. Meines Erachtens ist das Begriff, so wie ich ihn nutze, dicht am vortheoretischen Verständnis von Wahrheit. Die Wahrheit wird dabei auf der "ontologischen Ebene" verortet, was gleichbedeutende Begriffe wie Seinswahrheit, Tatsachenwahrheit oder auch Sachwahrheit klar machen. Wahrheit ist dann gewissermaßen ein Attribut des Seienden selbst. (Was natürlich nicht impliziert, dass nicht auch unsere Ansichten wahr sein können.)

Ich kann mich noch lebhaft an eine Diskussion während meines Zivildienstes mit einem anderen Zivildienstleistenden erinnern, was denn der Begriff "Wahrheit" (um Unterschied zu Wirklichkeit) bedeute. Auf die Idee, dass nur Sätze (Aussagen, Propositionen,...) Kandidaten für das Wahrheitsprädikat sind, kam natürlich keiner von uns. Ich war damals der Ansicht, der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Wahrheit bestünde darin, dass Wirklichkeit immer um einen herum sei, damit sie wirken könne - deshalb hieße sie auch Wirklichkeit :mrgreen: während diese "Nähe" bei der Wahrheit nicht nötig sei ...




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Mi 22. Nov 2017, 18:49

Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 12:09
Wir brauchen den Wahrheitsbegriff nicht mehr.
Warum? Dann müsstest den begriff "Tatsache" ohne den Begriff "Wahrheit" erklären können. Aber der Begriff "Tatsache" enthält den Begriff "Wahrheit" nach meiner Sicht, so dass es einem so erscheinen könnte, wie du sagst (wenn man sozusagen vergisst, dass man den Begriff Wahrheit ja in den Begriff Tatsache investiert hatte :-)




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Mi 22. Nov 2017, 18:56

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 09:11
Realität ist draußen, Phantasie/Spekulation/Meinung über x drinnen, fertig.
Darauf würde ich gerne dieses Zitat noch mal ins Spiel bringen: "Es gibt die Wirklichkeiten, in denen wir leben. Folglich gibt es auch die logischen, semantischen und pragmatischen Verbindlichkeiten die mit den notwendigen Bezug auf die Realität unausweichlich sind." (Volker Gerhardt)




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Mi 22. Nov 2017, 20:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 06:10
Alethos hat geschrieben :
Di 21. Nov 2017, 20:35
Ich frage das deshalb so plump, weil Wahrheit sich irren kann, Tatsachen nicht.
Ich verstehe deinen Punkt nicht, ich bestreite nicht, dass wir uns irren können. Die ontische Wahrheit und die Tatsachen, sind so wie sie sind. Wenn wir etwas anderes glauben, dann liegen wir eben falsch.
Zur Sicherheit nachgefragt: Meinst du mit ontischer Wahrheit Tatsachen? Dieses Und hat mich ein wenig irritiert :)



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Mi 22. Nov 2017, 20:50

Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 08:57
Mit dem verwischen aller bezeugenden Spuren ist sie dann nie wieder rekonstruierbar, aber rein technisch ist es wahr, dass mein Uropa 1870, ein 23.5. genau um 8:17:38 Uhr entweder gehustet hat, oder dies nicht getan hat, auch wenn das vermutlich nicht rekonstruierbar ist.
Aus Zeitgründen nehme ich nur auf diesen Ausschnitt Bezug. Ich will nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde mir nur die angreifbarste Position heraussuchen, um dann drauf rumzuhacken. Das ist nicht meine Art.

Wenn du schreibst, dass es rein technisch wahr bleibt, dann verwendest du doch hier ‚technisch‘ synonym mit ‚theoretisch‘: ‚Es ist theoretisch wahr, dass etwas wahr bleibt, wenn es nicht mehr der Fall ist.‘



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Mi 22. Nov 2017, 20:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 18:34
Bei der Frage, ob Zahlen existieren kann ich noch vage nachvollziehen, warum der Begriff Platonismus ins Spiel kommt. Bei dem ontische Wahrheitsbegriff fehlt mir dann aber jedes Verständnis. Meines Erachtens ist das Begriff, so wie ich ihn nutze, dicht am vortheoretischen Verständnis von Wahrheit. Die Wahrheit wird dabei auf der "ontologischen Ebene" verortet, was gleichbedeutende Begriffe wie Seinswahrheit, Tatsachenwahrheit oder auch Sachwahrheit klar machen. Wahrheit ist dann gewissermaßen ein Attribut des Seienden selbst. (Was natürlich nicht impliziert, dass nicht auch unsere Ansichten wahr sein können.)
Leider habe ich nun immer noch keinen Hauch einer Ahnung, wie Du denn den Begriff "ontische Wahrheit" verwendest, siehe dazu auch oben, wo ich z.B. was über "Sachwahrheit" geschrieben hatte. Nach wie vor kann ich mir nicht recht vorstellen, dass Du irgendwie auf Sachwahrheiten ("ein wahrer Freund") abheben willst - oder etwa doch?

Nun, zumindest sagst Du hier aus, dass Wahrheit ein Attribut des Seienden sei. Leider kann ich mir nicht recht etwas darunter vorstellen, bzw. genauer gesagt: das bringt mich bei meinem Verständnis bezüglich "ontischer Wahrheit" kein Stück weiter. Alles Seiende ist (existiert, ist der Fall). Was aber soll es heißen, dass Seiendes wahr sei? Bzw. was fügt es zu der ziemlich trivialen Erkenntnis, dass Seiendes ist, hinzu, d.h.: was bedeutet "wahr" dabei überhaupt - falls es etwas anderes als "ist der Fall" bedeuten soll?

Ich könnte nun noch diesen SEP-Artikel bezüglich der Identitätstheorie der Wahrheit anbieten, d.i. eine Auffassung, die meint, dass entweder a) Fregesche Gedanken oder b) Russellsche Propositionen identisch mit Tatsachen seien, somit dann Tatsachen Wahrheitsträger seien. Ist es so etwas, was Dir vorschwebt?

Leider meine ich nun auch noch, dass, wenn Wahrheit ein Attribut des Seiendes ist und unsere Ansichten bezüglich etwas bestimmten Seienden nicht identisch sind mit diesem Seienden, das sehr wohl impliziert, dass unsere Ansichten nicht wahr sein können. Es sei denn, man sagte, dass Wahrheit sowohl Attribut von Seiendem als auch von Ansichten sein könne, in dem Falle könnten wir uns schon mal auf halbem Wege treffen, denn Ersteres meine ich zwar nicht, jedoch Zweiteres. Allerdings stellte sich dann die Frage, ob und wie die Wahrheit unserer Ansichten mit der Wahrheit des jeweiligen Seienden zusammenhängt. Und es stellt sich eben auch die Frage, wozu man überhaupt eine "Wahrheit" des Seienden benötigt - falls denn "S ist wahr" nicht anderes bedeutet als "S ist der Fall".

Und noch was: ich halte die Behauptung für falsch, dass vortheoretisch Wahrheit auf der ontologischen Ebene verortet wird.




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Mi 22. Nov 2017, 21:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 18:49
Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 12:09
Wir brauchen den Wahrheitsbegriff nicht mehr.
Warum? Dann müsstest den begriff "Tatsache" ohne den Begriff "Wahrheit" erklären können. Aber der Begriff "Tatsache" enthält den Begriff "Wahrheit" nach meiner Sicht, so dass es einem so erscheinen könnte, wie du sagst (wenn man sozusagen vergisst, dass man den Begriff Wahrheit ja in den Begriff Tatsache investiert hatte :-)
Das ist doch kein Problem, den Begriff ‚Tatsache‘ ohne den Wahrheitsbegriff zu erklären: ‚Eine Tatsache ist das, was der Fall ist. Eine Tatsache ist ein Fakt.‘ Dazu braucht es nirgends einen Begriff von Wahrheit. :)

Das Problem ist aber genau folgendes, was ich schon von Anfang an sage: Tatsachen, die an sich wahr sind, die wir also nicht verifizieren und über die wir wahre oder falsche Aussagen machen, sind keine Tatsachen, über die sich überhaupt etwas sagen liesse. Sie sind, Wirklichkeit oder nicht, vielleicht oder auch nicht, wahr oder nicht. Sie sind erst Tatsachen für uns, wenn wir sie denken können. Vorher gibt es sie zwar, aber nur vielleicht und nur in der theoretischen Möglichkeit. Wir können es schlicht nicht sagen, weil wir sie nicht zum Gegenstand unseres Denkens machen können. Es ist vielleicht Tatsache, dass es einen Planeten x34500 gibt, der einmal gefunden werden wird. Er ist aber deshalb noch nicht wahr heute. Wahr ist er, wenn er Tatsache für uns geworden ist. Er ist heute vielleicht Tatsache, vielleicht auch nicht. Die Wahrheit der Tatsache kommt erst mit der Verifikation. :)



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Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Planeten x34500
Das Begriffsverständnis, auf dass ich mich hier beziehe, ist ein anderes als deines: Es wäre über das fragliche x auch dann wahr gewesen, dass es (gegeben ein Bereich) ein Planet ist, wäre das niemals jemanden aufgefallen. Dass dieser Planet sich um seine Sonne dreht, wäre auch dann eine Tatsache gewesen, wenn wir es nicht festgestellt hätten.

Um die Begriffsverwendung zu illustrieren, nehmen wir Austins Katze, die auf der Matte sitzt (um Schrödingers Katze den Geburtstag nicht zu vermiesen :D ). Dass sie eine Katze ist, ist wahr. Und dass sie auf der Matte sitzt, ist eine Tatsache. Die verschiedenen Begriffsverwendung sind hier dadurch motiviert, dass Dinge/Gegenstände und Tatsachen nicht dasselbe sind. Das weicht allerdings etwas von unseren umgangssprachlichen Verwendungsweisen ab, die tendenziell für beide Fälle den Begriff Wahrheit vorsehen.

Der Begriff "Wahrheit" ist also so betrachtet mehrdeutig, und wenn der Unterschied relevant wird, muss man das in Betracht ziehen. Dennoch spiegeln sich die beiden Verwendungsfälle sehr gut in unserer Sprache, natürlich auch in unsere Alltagssprache wieder, da wir verschiedene Formen verwenden, je nachdem, ob wir beispielsweise Dinge klassifizieren oder über Sachverhalte sprechen.

....................................

Die Redundanztheorie der Wahrheit bezieht sich auf einen ganz anderen Gegenstand, nämlich ich auf unsere Sätze. Zu sagen, dass der Ausdruck "wahr" einem Satz nichts hinzufügt, weil z.b. die beiden Sätze "es ist wahr, dass es regnet" und "es regnet" synonym (o.ä.) sind, ist etwas anderes, als zu monieren, dass ein Ausdruck einer vorliegenden Tatsache nichts hinzufügt. Der Ausdruck "...ist grün" fügt auch einem Blatt nichts hinzu. Dass wir Begriffe haben, um über die Dinge zu reden, ist auch dann recht praktisch, wenn Sie den Dingen nichts hinzufügen.




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Do 23. Nov 2017, 07:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 18:56
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 09:11
Realität ist draußen, Phantasie/Spekulation/Meinung über x drinnen, fertig.
Darauf würde ich gerne dieses Zitat noch mal ins Spiel bringen: "Es gibt die Wirklichkeiten, in denen wir leben. Folglich gibt es auch die logischen, semantischen und pragmatischen Verbindlichkeiten die mit den notwendigen Bezug auf die Realität unausweichlich sind." (Volker Gerhardt)
Ja, aber die brauchen nur erkennende Wesen.
Und die sind erkennend, weil sie über Innerlichkeit verfügen.



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Do 23. Nov 2017, 07:39

Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 20:50
Tosa Inu hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 08:57
Mit dem verwischen aller bezeugenden Spuren ist sie dann nie wieder rekonstruierbar, aber rein technisch ist es wahr, dass mein Uropa 1870, ein 23.5. genau um 8:17:38 Uhr entweder gehustet hat, oder dies nicht getan hat, auch wenn das vermutlich nicht rekonstruierbar ist.
Aus Zeitgründen nehme ich nur auf diesen Ausschnitt Bezug. Ich will nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde mir nur die angreifbarste Position heraussuchen, um dann drauf rumzuhacken. Das ist nicht meine Art.

Wenn du schreibst, dass es rein technisch wahr bleibt, dann verwendest du doch hier ‚technisch‘ synonym mit ‚theoretisch‘: ‚Es ist theoretisch wahr, dass etwas wahr bleibt, wenn es nicht mehr der Fall ist.‘
Technisch kann man auch als theoretisch bezeichnen, ja.
Und ja, auch wenn das so wie Du es formulierst nachvollziehbar merkwürdig klingt, aber es ist wahr, dass der zweite Weltkrieg von 1939 - 1945 ging und auch der ist vorbei = jetzt nicht mehr der Fall. Finde ich unproblematisch.

Und noch mal abstrakter gesagt, glaube ich nicht, dass Wahrheit ein Gefäß braucht, um wahr zu sein, es braucht nur ein Gefäß, um sie zu bezeugen.
Zu formulieren, dass etwas aus logischen Gründen wahr oder falsch sein muss, wir aus praktischen Gründen aber nicht die Möglichkeit haben, sie zu überprüfen, ist unbefriedigend, aber nicht inkonsistent.



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Do 23. Nov 2017, 07:52

Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Das ist doch kein Problem, den Begriff ‚Tatsache‘ ohne den Wahrheitsbegriff zu erklären: ‚Eine Tatsache ist das, was der Fall ist. Eine Tatsache ist ein Fakt.‘ Dazu braucht es nirgends einen Begriff von Wahrheit. :)
Da hätte ich nun einen Einwand. Denn auch Tatsachen müssen behauptet werden, bzw. es ist noch etwas anders, gleich unten.
Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Er ist heute vielleicht Tatsache, vielleicht auch nicht.
Und das ist wie mit meinen Uropa, vielleicht hat er gehustet, vielleicht nicht.
Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Die Wahrheit der Tatsache kommt erst mit der Verifikation. :)
Nur wie verifiziert man? Ist es nicht oft so, dass die Behauptung dass etwas eine Tatsache ist, exakt derselbe Akt ist, wie die Verifikation?
Wenn ich aus dem Fenster schaue und sage "Oh, es regnet", dann ist das streng genommen eine Behauptung, die verifiziert werden muss. Wie verrifiziere ich die Behauptung? Indem ich nachschaue, z.B. aus dem Fenster. Tatsachenbehauptung und Beweis fallen hier zusammen.

Man könnte noch so eine doppelte Pseudoverifikation einbauen, indem man vor die Tür geht und fühlt, ob es denn tatsächlich regnet, aber praktisch können wir uns das schenken und tun es auch.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Alethos
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Do 23. Nov 2017, 10:48

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 23. Nov 2017, 07:39
Technisch kann man auch als theoretisch bezeichnen, ja.
Und ja, auch wenn das so wie Du es formulierst nachvollziehbar merkwürdig klingt, aber es ist wahr, dass der zweite Weltkrieg von 1939 - 1945 ging und auch der ist vorbei = jetzt nicht mehr der Fall. Finde ich unproblematisch.
Es kommt drauf an, welchen Wahrheitsbegriff man anwendet. Der ontische Wahrheitsbegriff, der explizit nicht den Wahrheitswert der Aussage über die Tatsache meint, benötigt in der Tat kein Bewusstsein davon, dass etwas ist oder jemals gewesen ist, damit die Tatsache zur ihrer Wahrheit kommt.

Problematisch bei solchen "wahrheitsinhärenten" Tatsachen bleibt jedoch die Wahrheit des untergegangenen Fakts. Denn es wurde konzediert, dass eine Tatsache auch nicht mehr sein kann (und ich möchte hier wirklich nicht mein Privatthema diskutieren, sondern muss insistieren :)). Denn, wenn die Tatsache Wahrheit in sich trägt, die Tatsache aber untergeht, dann geht auch ihre Wahrheit unter. Dass der Weltkrieg heute nicht mehr ist, aber dennoch wahr ist, hat nur noch mit der historiographischen Aussage zu tun, dass er einmal stattgefunden hat. Die Tatsache überdauert die Zeit in der Bewusstwerdung ihrer Gewesenheit.

Wenn man das nicht akzeptieren will, dann muss man jedoch tatsächlich ein Gefäss angeben, in welchem die Tatsache und ihre Wahrheit trotz ihrer Gewesenheit fortbestehen kann. Wenn man diesen Umstand nicht plausibel erklären kann, worin die Wahrheit denn stattfinde, wenn nicht in der Aussage über die Tatsache, dann sehe ich nicht ein, wie man einen ontischen Wahrheitsbegriff überhaupt sinnvoll zur Anwendung bringen könnte.



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Do 23. Nov 2017, 10:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 23. Nov 2017, 06:05
Alethos hat geschrieben :
Mi 22. Nov 2017, 21:54
Planeten x34500
Das Begriffsverständnis, auf dass ich mich hier beziehe, ist ein anderes als deines: Es wäre über das fragliche x auch dann wahr gewesen, dass es (gegeben ein Bereich) ein Planet ist, wäre das niemals jemanden aufgefallen. Dass dieser Planet sich um seine Sonne dreht, wäre auch dann eine Tatsache gewesen, wenn wir es nicht festgestellt hätten.
Du verwendest den Konjunktiv, und ich denke, du verwendest ihn intuitiv richtig :) Es wäre wahr gewesen, dass der Planet ist, auch wenn es niemandem aufgefallen wäre. Er ist hypothetisch wahr.
Du sagst nicht: "Es ist wahr, dass es den Planeten x gibt, auch wenn er niemals jemandem auffällt". Das führte denn auch zu absurden Aussagen der Art: "Es ist wahr, dass es Gott gibt, auch wenn er niemals jemandem auffällt".



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