Gedankendinge

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 30. Jul 2024, 07:58

Consul hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2024, 22:48
Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich muss abermals betonen, dass die Rede von "in Gedanken/Vorstellungen existierenden Einhörnern" höchst missverständlich und irreführend ist; denn Einhörner sind fiktive Gedanken-/Vorstellungsgegenstände, die weder außerhalb noch innerhalb eines Geistes existieren.
Wenn das Einhorn in der Vorstellung nicht existiert, dann hätte ich eine leere Vorstellung, also keine. Da wir aber Vorstellungen von Einhörnern haben können, müssen sie in den Vorstellungen existieren, da wir sonst keine Vorstellungen hätten. Wenn du bestreitest, dass es Einhörner in Vorstellungen gibt, bestreitest du zugleich, dass diese Vorstellungen existieren, denn sie existieren nur, weil in ihnen Einhörner existieren.

Wenn wir etwas Eigenschaften zuschreiben und wahre Aussagen über dieses Etwas machen können, dann muss es auch existieren. Alles andere hielte ich für absurd.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 3493
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Di 30. Jul 2024, 09:18

Die Diskussion, die Ihr führt, halte ich für sinnlos. Jeder kann seine philosophische Konstruktion aufbauen wie er will, und sie kann für sich genommen nicht falsch werden.

Ich meine, nicht nur das Einhorn, auch das Pferd ist eine Konstruktion aus Einzelteilen. Der Begriff Pferd meint eine Gesamtheit von Teilen mit bestimmten Eigenschaften auf bestimmte Weise zusammengefügt. Wenn man diese geistig auflöst, so liegen unzählige Qualia vor und geometrische Sachen (Nichtqualia). Das sind übrigens nicht nur visuelle Qualia. Ich rieche ein Pferd auch, und ich fühle seine Fellstruktur. Diese Sachteile gehören ebenfalls zum Pferd. Diese zusammen ergeben dasjenige, was wir "Pferd" nennen. Wenn ein Materialist unter "Pferd" nur dasjenige versteht, was buchstäblich aus Fleisch und Blut ist, dann meint er ja im Grunde nur die Masse und Energie innerhalb der Konstruktion "Pferd". Die Masse und Energie allein ergibt aber kein Pferd. Erst die Gesamtkonstruktion ergibt ein Pferd. Am Ende wiederum muss die Gesamtkonstruktion keine Masse und Energie enthalten, um die Konstruktion "Pferd" sein zu können. -- Ich schreibe bewusst statt MERZ nur Masse und Energie, weil die RZ (Raumzeit) im Geist und in der Konstruktion erhalten bleibt.

Diese Zirkeldiskussion erscheint mir geradezu erzkonservativ. Was mir in ihr fehlt, sind weitere Dimensionen für weitere Zusammenhänge, auch repräsentativer Art, denn letztendlich ist nichts echt, auch die "Echtzeit" ist nicht wirklich echt, also geht es immer irgendwie um Repräsentation einer Sache und nicht nur um die Sache selbst. Da ist Fantasie gefragt. Man kann natürlich auch ewig wiederholen und zitieren, was andere Philosophen bisher aufgeschrieben haben. Aber auch diese haben ja in ihrer Arbeit fantasiert. Für mich gehört zur Philosophie das Lesen bisheriger Thesen und das Ausfantasieren weiterer Möglichkeiten. Beides gehört dazu. Spekulativ bleibt die Philosophie sowieso.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 30. Jul 2024, 13:44

Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 09:18
Qualia
Was meinst du damit? Und zwar in diesem Satz: "Der Begriff Pferd meint eine Gesamtheit von Teilen mit bestimmten Eigenschaften auf bestimmte Weise zusammengefügt. Wenn man diese geistig auflöst, so liegen unzählige Qualia vor und geometrische Sachen (Nichtqualia)"




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 3493
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Di 30. Jul 2024, 14:22

Der Geist setzt Einzelteile wie Röte, Bräune, Süße, Wieherton, Freudenton, Kratzigkeit etc. und Kurven, Ellipsen, Volumina, Zeitabschnitte etc. zusammen und nennt das Ergebnis "Pferd". Es ist ein Konstrukt. Man könnte beispielweise die Hufen ausschließen und sagen, dass obige sei das Pferd und das untere sei seine Schuhe. Das Konstrukt ist beliebig. Nun ist die Frage, in wie vielen Dimensionen dieses Pferd vorkommen kann. In Dimension 1 als Gedankending, in 2 als Traumding, in 3 als Erfahrungsding, in 4 als Realding, in 5 als ... und in 6 als ... etc.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 30. Jul 2024, 14:30

Ist das die Antwort auf die Frage, was du unter Qualia verstehst? Oder bezieht sich das auf etwas anderes?




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 3493
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Di 30. Jul 2024, 14:43

"Röte, Bräune, Süße, Wieherton, Freudenton, Kratzigkeit etc."




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 30. Jul 2024, 15:40

Ich verstehe den Begriff ziemlich anders. 

Qualia ist ein sehr theoretischer Begriff. Es geht dabei - einfach gesagt - um unser Erleben von etwas. In der berühmten Formel von Nagel: "Es ist für uns irgendwie..." 

Damit ist "das Bewusstsein" aber fragmentiert, falls man das zu "eng" fasst. Denn zugleich bezieht sich "das Bewusstsein" in aller Regel auf etwas; es muss als intentionales Bewusstsein verstanden werden; wir beziehen uns auf etwas (etwas, was nicht identisch mit unserem Bewusstein sein muss), wenn wir beispielsweise unsere Aufmerksamkeit darauf richten. "Freudenton" ist für mich zum Beispiel nicht primär Quale, denn der Fokus liegt dabei zugleich (und viel mehr) auf dem intentionalen Aspekt des Bewusstseins, Freudenton ist also nicht bloßes Erleben, schiere Quale (falls es dergleichen überhaupt gibt, was ich eher bezweifeln möchte), sondern handelt von etwas, nämlich der Freude, die ein (anderes) Lebewesen erlebt.

Wenn man das "Wie es ist" (Qualia) vom "Wovon es handelt" (Intentionalität) nicht nur begrifflich unterscheidet, sondern wirklich trennt, dann tut man unserem bewussten Erleben Gewalt an und ist zudem auf dem besten Weg zum Solipsismus. 

Nachbemerkung: Neben den Qualia, der Intentionalität spielt immer auch die Phantasie die größte Rolle für unser Bewusstsein und sicher noch anderes, das sollte keine vollständige Aufzählung sein.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 781
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Di 30. Jul 2024, 22:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 07:58
Consul hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2024, 22:48
Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich muss abermals betonen, dass die Rede von "in Gedanken/Vorstellungen existierenden Einhörnern" höchst missverständlich und irreführend ist; denn Einhörner sind fiktive Gedanken-/Vorstellungsgegenstände, die weder außerhalb noch innerhalb eines Geistes existieren.
Wenn das Einhorn in der Vorstellung nicht existiert, dann hätte ich eine leere Vorstellung, also keine. Da wir aber Vorstellungen von Einhörnern haben können, müssen sie in den Vorstellungen existieren, da wir sonst keine Vorstellungen hätten. Wenn du bestreitest, dass es Einhörner in Vorstellungen gibt, bestreitest du zugleich, dass diese Vorstellungen existieren, denn sie existieren nur, weil in ihnen Einhörner existieren.
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt, ohne den sie nicht bestehen könnten; denn eine inhaltlose Vorstellung ist eine Nichtvorstellung. Wenn aber eine inhaltlich nichtleere Vorstellung gegeben ist, dann spielt es keine Rolle, ob ihr intentionaler Gegenstand existiert oder nicht, ob es sich um einen Scheingegenstand oder einen wirklichen Gegenstand handelt.

Unter einem bildlichen Vorstellungsinhalt verstehe ich wohlgemerkt nicht so etwas wie ein Foto, Gemälde oder eine Zeichnung in meinem Geist, sondern einen quasisinnlichen Eindruck (Impression). Wenn ich mir ein Einhorn vorstelle, dann habe ich einen bestimmten quasivisuellen Eindruck. Wie gesagt, Vorstellung oder Einbildung (Imagination) ist für mich die reproduktive oder produktive (frei kreative) Simulation sinnlicher Wahrnehmung.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 07:58
Wenn wir etwas Eigenschaften zuschreiben und wahre Aussagen über dieses Etwas machen können, dann muss es auch existieren. Alles andere hielte ich für absurd.
Klingt plausibel—was umgekehrt ein guter Grund ist, Aussagen über Fiktives entweder für falsch oder für wahrheitswertlos zu erklären. Man muss allerdings differenzieren; denn ein Satz wie "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv" ist wahr, wohingegen "Sherlock Holmes ist ein Detektiv" falsch (oder wahrheitswertlos) ist.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 3493
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Di 30. Jul 2024, 23:47

Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt ...
Ist das bei Dir so? Bei mir nicht. Meine Vorstellungen können alle Sinnes-Arten bedienen, nicht nur die bildliche.




Lucian Wing

Di 30. Jul 2024, 23:58

Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 07:58
Consul hat geschrieben :
Mo 29. Jul 2024, 22:48
Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich muss abermals betonen, dass die Rede von "in Gedanken/Vorstellungen existierenden Einhörnern" höchst missverständlich und irreführend ist; denn Einhörner sind fiktive Gedanken-/Vorstellungsgegenstände, die weder außerhalb noch innerhalb eines Geistes existieren.
Wenn das Einhorn in der Vorstellung nicht existiert, dann hätte ich eine leere Vorstellung, also keine. Da wir aber Vorstellungen von Einhörnern haben können, müssen sie in den Vorstellungen existieren, da wir sonst keine Vorstellungen hätten. Wenn du bestreitest, dass es Einhörner in Vorstellungen gibt, bestreitest du zugleich, dass diese Vorstellungen existieren, denn sie existieren nur, weil in ihnen Einhörner existieren.
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt, ohne den sie nicht bestehen könnten; denn eine inhaltlose Vorstellung ist eine Nichtvorstellung. Wenn aber eine inhaltlich nichtleere Vorstellung gegeben ist, dann spielt es keine Rolle, ob ihr intentionaler Gegenstand existiert oder nicht, ob es sich um einen Scheingegenstand oder einen wirklichen Gegenstand handelt.

Unter einem bildlichen Vorstellungsinhalt verstehe ich wohlgemerkt nicht so etwas wie ein Foto, Gemälde oder eine Zeichnung in meinem Geist, sondern einen quasisinnlichen Eindruck (Impression). Wenn ich mir ein Einhorn vorstelle, dann habe ich einen bestimmten quasivisuellen Eindruck. Wie gesagt, Vorstellung oder Einbildung (Imagination) ist für mich die reproduktive oder produktive (frei kreative) Simulation sinnlicher Wahrnehmung.

Wie kommt ein Einhorn als.Bild als Einhorn ohne das Wort in deine Vorstellung?
Und wie kommt eine Lüge als Bild in deine Vorstellung?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 31. Jul 2024, 09:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 07:58
Wenn wir etwas Eigenschaften zuschreiben und wahre Aussagen über dieses Etwas machen können, dann muss es auch existieren. Alles andere hielte ich für absurd.
Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Klingt plausibel—was umgekehrt ein guter Grund ist, Aussagen über Fiktives entweder für falsch oder für wahrheitswertlos zu erklären. Man muss allerdings differenzieren; denn ein Satz wie "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv" ist wahr, wohingegen "Sherlock Holmes ist ein Detektiv" falsch (oder wahrheitswertlos) ist.
Jetzt hast du eine (deiner Ansicht nach) wahre Aussage über etwas gemacht, was es deiner Ansicht nach nicht wirklich gibt. Das finde ich ungereimt. Nebenbei: Ich halte beide Aussagen für falsch. Wahr ist meines Erachtens zum Beispiel: "Sherlock Holmes ist als Detektiv die Hauptfigur in den gleichnamigen Romanen von Arthur Conan Doyle. Holmes ist bekannt für seine scharfsinnige Beobachtungsgabe, analytische Denkweise und seine Fähigkeit, komplexe Rätsel und Verbrechen zu lösen. Unterstützt wird er von seinem treuen Freund Dr. Watson."




Körper
Beiträge: 649
Registriert: Fr 18. Feb 2022, 20:14

Mi 31. Jul 2024, 09:52

Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt, ohne den sie nicht bestehen könnten.
...
Unter einem bildlichen Vorstellungsinhalt verstehe ich wohlgemerkt nicht so etwas wie ein Foto, Gemälde oder eine Zeichnung in meinem Geist, sondern einen quasisinnlichen Eindruck (Impression).
Nicht ganz, die dahinter liegende Funktion dürfte etwas raffinierter sein.
Du liegst aber insofern richtig, dass es immer um die Begegnungsmöglichkeiten als "Körper in der Welt" geht.

Der Entwurf "wie die einzelne Vorstellung ist" umfasst das Berücksichtigen der Zusammenhänge der Vorstellung, aber auch das Berücksichtigen der Begegnungsmöglichkeiten zu diesen Zusammenhängen.

Ein interessantes Beispiel, das sehr selten genannt wird, ist die "innere Flüsterstimme".
Das Erstaunliche dabei ist, dass die Überzeugung eines "inneren Sprechens" erst ab dem Ende des Vorschulalters durchlaufen wird (also ab einem Alter von 4-5-6 Jahren).
Bei dieser Überzeugung berücksichtigt man die Zusammenhänge der eigenen Sprechfähigkeiten und der Formulierungsangewohnheiten, aber auch die Möglichkeiten des Begegnens mit dem eigenen Sprechen.
Weil dieses Begegnen über das Hören abläuft, gehört das "Hörerlebnis" zu einem plausiblen Umgang bei der Sprechplanung.
Spielt der Mensch das Sprechen in seinen Verstellungen (in seinen Planungen) durch, dann durchläuft er die Überzeugung eines "Hörerlebnisses" - er macht es sozusagen "plausibel richtig".

Hier sieht man auch sehr schön, dass es eigentlich nicht richtig ist, von einem "Gedankending" zu sprechen bzw. "das Ding" in den Mittelpunkt zu ziehen.
Das ist quasi wieder nur eine poetische Verdrehung, denn es geht um das Durchlaufen von Reaktionen, die sich kontinuierlich um ein geplantes "Begegnen mit Inhalten" drehen.




Wolfgang Endemann
Beiträge: 1041
Registriert: Di 23. Apr 2024, 14:30

Mi 31. Jul 2024, 14:58

Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 23:47
Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt ...
Ist das bei Dir so? Bei mir nicht. Meine Vorstellungen können alle Sinnes-Arten bedienen, nicht nur die bildliche.
Wir sind Augentiere. Daher ist richtig, daß unsere Vorstellungen größtenteils optische Vorstellungen sind. Aber sie müssen es nicht sein.
Ich beharre im Unterschied zu Körper auf Gedankendingen, denn in der Regel wissen wir, ob etwas Realding oder Gedankending ist, und in der Regel bedeuten(= deuten auf) Gedankendinge Realdinge, und in der Regel wissen wir auch, daß das keine Identität ist und die Nichtidentität bis dahin gehen kann, wo kein hinreichender Bezug zu Realdingen gegeben ist (das nur denkmögliche).
Das Einhorn ist die Rekombination aus der Vorstellung von Pferd und Horntier. Es ist ganz süß, daß man sich (wohl aus einem ästhetischen Grundbedürfnis) das Horn des Einhorns gezwirbelt vorstellt.

Denken findet immer im Möglichkeitsraum statt (wobei wir hoffen, daß dem etwas Reales entspricht, aber wenn das Denken nützlich sein soll, muß es über das Gegebene hinausgehen). Ihm steht zur Seite das Wissen, das, soweit es korrekt ist, den Wirklichkeitsraum belegt, und sich in ständigem Austausch und Abgleich mit dem Denkraum befindet. Denken ist also an-sich immer fiktiv, nur hängt seine Qualität davon ab, wie stark es an das Wissen gebunden ist (und das Wissen davon, wie stark es noch reflektiert, vom Denken infrage gestellt werden kann).




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mi 31. Jul 2024, 16:05

Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt
Manchmal hab ich eine Idee für einen kurzen Text, dann spiele ich das (gerne beim Spazierengehen) in meinen Vorstellungen durch, bis es passt (wenn ich Glück habe). Wenn ich Musiker wäre, würden mir vielleicht Melodien einfallen, Köchen fällt womöglich ein neues Gericht ein, Revoluzzer haben sicher Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft ...




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 781
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Mi 31. Jul 2024, 23:34

Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 23:47
Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt ...
Ist das bei Dir so? Bei mir nicht. Meine Vorstellungen können alle Sinnes-Arten bedienen, nicht nur die bildliche.
Ja, es gibt nicht nur visuelle Vorstellungen (Imaginationen), sondern z.B. auch akustische. Im allgemeinen semiotischen Sinn ist ein Bild ein ikonisches Zeichen, das durch Ähnlichkeit repräsentiert. Hume bezeichnet Vorstellungsinhalte (die er "ideas" nennt) als (blasse) Bilder von Sinneseindrücken jeglicher Art ("faint images of impressions"), die diesen (mehr oder weniger) ähneln. Inhalte der Vorstellung (Einbildung) bestehen in Simulationen von Sinneseindrücken.
Zu den bildlichen Vorstellungsinhalten gehören also nicht nur geistige Nachbildungen oder Nachahmungen von Gesichtseindrücken, sondern auch von Gehör-, Geruchs-, Geschmacks- oder Tasteindrücken.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 781
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Do 1. Aug 2024, 00:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Jul 2024, 09:31
Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Klingt plausibel—was umgekehrt ein guter Grund ist, Aussagen über Fiktives entweder für falsch oder für wahrheitswertlos zu erklären. Man muss allerdings differenzieren; denn ein Satz wie "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv" ist wahr, wohingegen "Sherlock Holmes ist ein Detektiv" falsch (oder wahrheitswertlos) ist.
Jetzt hast du eine (deiner Ansicht nach) wahre Aussage über etwas gemacht, was es deiner Ansicht nach nicht wirklich gibt. Das finde ich ungereimt.
Ich nicht; denn wenn ich Sherlock Holmes einen fiktiven Detektiv nenne, dann schreibe ich ihm damit keine reale Eigenschaft zu. Ich glaube nicht an die Unabhängigkeit des Soseins von etwas von dessen Dasein.

Der Satz "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv" ist äquivalent zu "Sherlock Holmes ist_fiktional ein Detektiv", was wiederum äquivalent ist zu "Einer fiktionalen Darstellung nach ist Sherlock Holmes ein Detektiv". Dieser Satz ist wahr, und folglich sind auch die zwei anderen Sätze wahr.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 31. Jul 2024, 09:31
Nebenbei: Ich halte beide Aussagen für falsch. Wahr ist meines Erachtens zum Beispiel: "Sherlock Holmes ist als Detektiv die Hauptfigur in den gleichnamigen Romanen von Arthur Conan Doyle. Holmes ist bekannt für seine scharfsinnige Beobachtungsgabe, analytische Denkweise und seine Fähigkeit, komplexe Rätsel und Verbrechen zu lösen. Unterstützt wird er von seinem treuen Freund Dr. Watson."
Wenn man den ersten Satz wie folgt liest, ist er sicher wahr, ohne die Existenz von Holmes zu implizieren: "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv und die Hauptfigur in den gleichnamigen Romanen von Arthur Conan Doyle."

Die beiden folgenden Sätze sind hingegen unwahr, wenn man sie nicht durch eine Paraphrase interpretiert, z.B.:
"Viele kennen die Beschreibung von Sherlock Holmes als eines Detektivs mit scharfsinniger Beobachtungsgabe, analytischer Denkweise und der Fähigkeit, komplexe Rätsel und Verbrechen zu lösen, der von seinem treuen Freund Dr. Watson unterstützt wird."

Zwischen den Sätzen "Sherlock Holmes ist für seinen detektivischen Scharfsinn bekannt" und "Lionel Messi ist für seine fußballerische Genialität bekannt" besteht aufgrund der Nichtexistenz von Holmes und der Existenz von Messi ein relevanter Unterschied hinsichtlich ihres Wahrheitswertes. Unparaphrasiert gelesen, ist ersterer falsch, wohingegen letzterer wahr ist, so wie er formuliert ist.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 1. Aug 2024, 07:31

Consul hat geschrieben :
Do 1. Aug 2024, 00:58
"Sherlock Holmes ist für seinen detektivischen Scharfsinn bekannt"
Das ist jedoch nicht das, was ich geschrieben habe. Du kannst nicht den entscheidenden Teil weglassen und so tun als würdest du dennoch meine Äußerung interpretieren. Wirklich geschrieben habe ich: "Sherlock Holmes ist als Detektiv die Hauptfigur in den gleichnamigen Romanen von Arthur Conan Doyle. Holmes ist bekannt für seine scharfsinnige Beobachtungsgabe, analytische Denkweise und seine Fähigkeit, komplexe Rätsel und Verbrechen zu lösen. Unterstützt wird er von seinem treuen Freund Dr. Watson."
Consul hat geschrieben :
Do 1. Aug 2024, 00:58
Der Satz "Sherlock Holmes ist ein fiktiver Detektiv" ist äquivalent zu "Sherlock Holmes ist_fiktional ein Detektiv", was wiederum äquivalent ist zu "Einer fiktionalen Darstellung nach ist Sherlock Holmes ein Detektiv". Dieser Satz ist wahr, und folglich sind auch die zwei anderen Sätze wahr.
Meiner Meinung nach sind diese Sätze nicht "äquivalent". Nach der Ontologie, die ich vertrete, existiert alles in Kontexten, von denen es unendlich viele gibt. Nach Deiner Ontologie existiert nur das, was im einzigen realen Kontext MERZ existiert. Demnach ist Sherlock Holmes einfach fiktiv. Und nach meiner Sichtweise ist er gar nicht fiktiv, sondern Teil einer Fiktion, sprich der Kontexte/Felder Roman/Film/Erzählung/etc. Diese beiden Sichtweisen schließen sich gegenseitig aus. Weiter kommen wir nicht.

Ich halte Deine Ontologie für offensichtlich falsch, weil sie die Existenz vieler offensichtlich existierender Bereiche leugnen muss. Da ist unbewiesene und unbeweisbare Metaphysik, die zudem unseren Erfahrungen krass widerspricht. Du selbst hältst Deine Ontologie wahrscheinlich hingegen für offensichtlich richtig, vielleicht weil Du glaubst, sie würde naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen oder warum auch immer.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 3493
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Do 1. Aug 2024, 10:11

Consul hat geschrieben :
Mi 31. Jul 2024, 23:34
Quk hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 23:47
Consul hat geschrieben :
Di 30. Jul 2024, 22:05
Geistige Vorstellungen haben immer einen bildlichen Inhalt ...
Ist das bei Dir so? Bei mir nicht. Meine Vorstellungen können alle Sinnes-Arten bedienen, nicht nur die bildliche.
Im allgemeinen semiotischen Sinn ist ein Bild ein ikonisches Zeichen, das durch Ähnlichkeit repräsentiert. Hume bezeichnet Vorstellungsinhalte (die er "ideas" nennt) als (blasse) Bilder von Sinneseindrücken jeglicher Art ("faint images of impressions"), die diesen (mehr oder weniger) ähneln.
Das mit den "blassen Bildern" stimmt allerdings. Da gebe ich Dir und Hume recht :-) Außerdem kann es bei manchen Menschen noch eine Synästhesie geben, die nichtvisuellen Eindrücken visuelles hinzufügt.




Wolfgang Endemann
Beiträge: 1041
Registriert: Di 23. Apr 2024, 14:30

Do 1. Aug 2024, 10:29

Consul hat geschrieben :
Do 1. Aug 2024, 00:58
Ich glaube nicht an die Unabhängigkeit des Soseins von etwas von dessen Dasein.
Dem stimme ich zu, soweit es um Realobjekte geht. Bei Gedankenobjekten ist das fraglich, ist es doch so, daß sie durch ihr Sosein zur Welt kommen. Nehmen wir eine Romanfigur. Viele Dichter beschreiben ihren künstlerischen Produktionsprozeß als eine spannende Analyse dessen, was ihre erfundene Figur tut und denkt. Die Fiktion entwickelt ein Eigenleben. Oder nehmen wir eine mathematische Definition. Wenn sie angenommen wird, kann man dann nicht sagen, man verpflichte sich auf ein Sosein?




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 26640
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Do 1. Aug 2024, 10:58

Consul hat geschrieben :
Do 1. Aug 2024, 00:58
Ich glaube nicht an die Unabhängigkeit des Soseins von etwas von dessen Dasein.
Ich glaube auch nicht, dass die Eigenschaften eines Dinges unabhängig von dessen Existenz sind. Daher gilt: Was Eigenschaften hat, existiert. Wie sollte etwas nicht existieren, was Eigenschaften hat? Die 3 hat die Eigenschaft, größer als 2 zu sein, also existiert sie. Gretel hält der Hexe einen Knochen hin, also existiert sie. Biden ist Präsident der Vereinigten Staaten, also existiert er. Jedoch existieren sie alle in verschiedenen Kontexten: Die 3 existiert (z.B.) in der Reihe der natürlichen Zahlen, Gretel im Märchen und Präsident Biden als Teil der repräsentativen Demokratie Amerikas. Dies zeigt, dass das "Sosein" eines Objekts, also seine Eigenschaften, eng mit seinem "Dasein", seiner Existenz, verbunden ist. Was Eigenschaft hat, muss auch existieren und, was existiert, hat auch Eigenschaften.




Antworten