Denken und Wissen

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 11:03

Timberlake hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 00:20
Oder anders gefragt , weiß er das Gott nicht existiert ,....
Ich fürchte, ich habe Jörns religiöse Gefühle verletzt, Deine auch? Nichts liegt mir ferner. Ich dachte, in einem Philosophieforum kann man über so etwas gelassen reden.

Nein, natürlich kann man nicht beweisen, daß es keinen Gott gibt. Man kann auch nicht beweisen, daß morgen die Sonne wieder aufgeht bzw noch eine Erde bescheint. Wahrheit ist für mich eine Qualität, die wir unserem Denken zusprechen, nämlich ein getreues Abbild der Welt, uns eingeschlossen, zu liefern. Wir wissen, daß wir das nur annähernd können, daß ein absoluter Wahrheitsanspruch ausgeschlossen ist. Wir können uns zwar ein Allwissenden, Allseienden vorstellen, aber selbst wenn es ihn gäbe, wir könnten es nicht wissen.
Was wir realistisch denken und wissen können, ist von der Art, daß wir es nicht mit guten Gründen bezweifeln können, oder eingeschränkter, daß es mindestens wahrscheinlicher ist als sein Gegenteil. In genau diesem Sinn ordne ich das Phänomen des Glaubens an Göttliches, an absolut Metaphysisches in ein rationales Weltbild ein. Ich sehe nichts, was mich zwingt oder auch nur mir dringend nahelegt, an solche Dinge zu glauben, gleichzeitig sehe ich viele sozialpsychologische Gründe, die Religion als einen (zumindest in der Vergangenheit) wichtigen sozialen, kulturellen Tatbestand zu verstehen.

Um also auf Deine Frage zurückzukommen: Der Atheist weiß, oder formulieren wir es vorsichtiger: sollte wissen, daß er kein absolutes Wissen besitzt, aber das relative Wissen, das er besitzt, zwingt ihn, die Existenz Gottes für höchst unwahrscheinlich zu halten, und die menschlichen Erzählungen darüber für wirr, inkonsistent, vernunftwidrig. Daß man den Glauben nicht logisch fassen kann, haben schon kluge Gläubige selbst eingeräumt. Und das bewundere ich sogar ein bißchen.

Zu Deinem Kommentar 81708. Dem kann ich nicht folgen. Denken kann falsch sein und Wissen kann Falschwissen, vermeintliches Wissen sein. Wenn man den Begriff "Glauben" richtig verwendet, ist Glauben auch für den, der sich als gläubig versteht, kein Wissen. Das hat Jörn in seinem letzen Kommentar festgestellt. Hier im Forum wird manchmal mit dem Begriff "Überzeugung" gearbeitet. Überzeugung ist ein starker Glauben. Da bzw wenn es aber kein absolutes Wissen gibt, steckt immer im Wissen die Möglichkeit des Irrtums, des Nichtwahrseins, daher macht es keinen Sinn, zwischen "ich weiß" und "ich denke, daß ich weiß" zu unterscheiden, letzteres ist ein Pleonasmus. Andrerseits besagt meine Aussage "ich glaube, Person P war zum Zeitpunkt t an dem Ort x" nur meine Überzeugung, daß dieser Sachverhalt gegeben war; es ist eine Aussage über eine Wahrscheinlichkeit, die empirisch überprüft werden kann. Es ist eine wahrheitsdefinite Aussage, also keine Frage des Glaubens. Daher macht es keinen Sinn, "ich weiß" durch "ich glaube, daß ich weiß" zu ersetzen, "ich glaube" als eine Art Präfix vorgestellt, bedeutet, daß ich nicht wissen, nur überzeugt sein kann, daß also der Inhalt der Aussage nicht wahrheitsdefinit ist.




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 11:05

Noch eine Bemerkung zu der Studie über die weltweite Entwicklung zur Religiosität.

Ich sagte bereits, daß eine empirische Untersuchung mit einer klaren Begrifflichkeit arbeiten muß. Wenn der Begriff "Glauben" die abrahamitischen Glaubenssysteme, die Naturreligionen und die Spiritualismen auf der Welt unter einen Begriff faßt, ist das in meinen Augen schon ein grundverkehrter, Unvergleichbares gleichsetzender Ansatz.

Die Spiritualisierung, ich würde lieber (wegen der Verwechselbarkeit mit Spiritismus) von Vergeistigung reden, ist nichts weiter als die Sinngebung in der Welt, der Mensch ist ein sinnbildendes, reflektierendes, geistiges Wesen. Er strebt nach einem immer vollständigeren Wissen von der Welt, einer geistigen Repräsentation der Welt. Fernöstliche Kulturen versuchen im Unterschied zu unserer westlichen stärker, komplexe Zusammenhänge zu begreifen, während wir mehr auf die Naturbeherrschung abzielen, und darin sind wir zweifellos sehr erfolgreich. Aber wir laufen wohl auf eine Krise unseres Utilitarismus zu, es macht sich immer stärker das Defizit an allgemeinerem Sinn bemerkbar. Ich denke, daß wir bald an einen Kipppunkt gelangen, an dem sich die Tendenz zu fortschreitender Zweck-(Mittel-)Rationalität als unbefriedigend herausstellt und eine Rückbesinnung auf die Notwendigkeit eines universalen allgemeinen Sinnzusammenhangs des menschlichen Lebens in der Natur stattfindet.

Und das ist dann ein epochaler Schritt der Vergeistigung, nicht der Restitution von Religion, im Gegenteil: wir werden begreifen müssen, daß unser menschliches Zusammenleben in unser aller Verantwortung liegt, wir müssen uns verpflichtet fühlen und lernen, besser zusammenzuleben, an dieser Wahrheit ist alles zu bemessen. Ich zitiere mal einen klugen Spruch:

Es rettet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!




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Jörn Budesheim
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Sa 10. Aug 2024, 11:14

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 11:03
Ich fürchte, ich habe Jörns religiöse Gefühle verletzt...
Ich dachte, mein Einwand sei leicht zu verstehen. Aber ich wiederhole ihn gerne noch einmal: Du hast für das, was Du gesagt hast, keine Belege gegeben, keine Quellen, nichts.

Aber du hast meine religiösen Gefühle nicht verletzt. Ich bin ein ziemlich hartgesottener Atheist, es fällt mir sogar schwer, Agnostiker zu sein. Aber ich bin bereit, die Tatsachen zu akzeptieren, nämlich dass die überwiegende Mehrheit der Menschen religiös ist. Daraus folgt nicht, dass sie irrational oder was auch immer sind. "Wir" mit unserem Nihilismus in gewissen Teilen Europas (43 Prozent, die sich religiös nennen, und 37 Prozent, die das Gegenteil sagen) sind eben eine absolute Minderheit.




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 11:56

Und welche Tatsache akzeptiere ich Deiner Meinung nach nicht?




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Sa 10. Aug 2024, 12:01

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 9. Aug 2024, 16:40
ich halte Religionen für veraltete Gedankengebäude, die in großen Teilen der Welt nur noch tradierte, weitgehend dysfunktionale Gewohnheiten sind.




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Sa 10. Aug 2024, 12:26

"Ich halte" ist eine Meinungsäußerung, in der eine Praxis bewertet wird. Die Tatsache der Praxis wird von mir nicht als Tatsache bestritten. Und wie ich zu dieser Meinung gekommen bin, habe ich erläutert.




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Sa 10. Aug 2024, 12:46

Dass du diese Tatsache bestreitest, ist mit dem Zitat belegt. Denn du machst ja geltend, dass diese Menschen nicht wirklich glauben, sondern bloß tradierten, weitgehend dysfunktionalen Gewohnheiten folgen.

Im Gegensatz zu dir akzeptiere ich die Tatsache, dass die meisten Menschen religiös sind. Daran gibt es für mich nichts rumzudeuteln, zu relativieren oder was auch immer. Es ist halt einfach so. Rein zahlenmäßig dürfte es auf diesem Planeten noch nie so viele gläubige Menschen gegeben haben wie jetzt.




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Sa 10. Aug 2024, 13:43

Ist ja schon gut, Du darfst meinen, daß das, was die Menschen über sich selbst denken, Tatsachen sind. Daß also der Mafiaboss und der Mafiasoldat tiefgläubige Menschen sind, sie gehen in die Kirche, beichten und sind (manchmal) zutiefst ergriffen.




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Sa 10. Aug 2024, 13:48

Ich habe in den letzten Jahren einiges dazu gelesen. Die meisten Menschen sind gläubig, das ist das einhellige Ergebnis. In der Regel sind es ca. zwei Drittel, aber ich habe auch schon Untersuchung gelesen, bei den 80% rauskam.




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 14:00

Ein deprimierender Befund, wenn zwischen 2/3 und 80% der Menschen die Religion für wichtiger halten als das Wissen, das Glauben für wichtiger als das Denken.
Aber ich wollte mich hier eigentlich über Denken und Wissen unterhalten, ich hoffe, wir finden auf das Ursprungsthema zurück.




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Jörn Budesheim
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Sa 10. Aug 2024, 14:09

Viele hervorragende Wissenschaftler sind gläubig. Die Vorstellung, dass Glaube im Sinne von Religion und Wissen im Sinne von wissenschaftlicher Forschung sich ausschließen, ist abwegig.

Ich meine du verwechselst hier die beiden Bedeutungen von Glauben, also "für wahr halten" und religiöses Glauben..




Timberlake
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Sa 10. Aug 2024, 15:43

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 09:40
Im englischen unterscheidet man zwischen "to believe" und "Faith". Das ist eine sinnvolle Unterscheidung, welche die deutsche Sprache so nicht bietet, weil beides im Begriff Glauben zusammengefasst wird. Meines Erachtens sollte man zwischen Glauben im religiösen Sinne und Glauben im Sinne von "für wahr halten" unterscheiden. Nicht jede, die glaubt, dass es am Nachmittag regnen wird, ist auch gläubig.
Womit man das Thema "Denken und Wissen" sicherlich auch einmal unter dem Aspekt der Sprache betrachten sollte . Denn wie kann ich etwas Denken und Wissen , wenn dergleichen nicht in der Sprache bzw. im Begriff abgebildet werden kann ...
So scheint man diesbezüglich , mit der Unterscheidung zwischen "to believe" und "Faith" im der englischen sehr viel "freier" zu sein , als im deutschen , wo beides im Begriff Glauben zusammengefasst wird.
Zuletzt geändert von Timberlake am Sa 10. Aug 2024, 16:15, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Sa 10. Aug 2024, 15:46

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 11:03
Timberlake hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 00:20
Oder anders gefragt , weiß er das Gott nicht existiert ,....
Ich fürchte, ich habe Jörns religiöse Gefühle verletzt, Deine auch?

Wie gesagt ...
Timberlake hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 00:20
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 9. Aug 2024, 18:58
Wenn ich weltweit die Frage stellen würde, wer sich als überzeugter Atheist bezeichnet, würde ich unter 5%, vielleicht unter 3% landen, in einem Weltparlament würde die Atheistenpartei gegebenenfalls an einer Prozentklausel scheitern. Etwas größer ist wohl die Zahl der Indifferenten.
Um auf dazu auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen , was da bekanntlich lautet "Denken und Wissen" würdest du denn sagen , dass das , was ein überzeugter Atheist über Gott denkt , unter der Kategorie Wissen läuft ? Oder anders gefragt , weiß er das Gott nicht existiert ,....
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 9. Aug 2024, 16:40

Ich bin, ich glaube, da erzähle ich niemandem etwas neues, areligiös, ich halte Religionen für veraltete Gedankengebäude, die in großen Teilen der Welt nur noch tradierte, weitgehend dysfunktionale Gewohnheiten sind.
.. und wo wir schon mal dabei sind .. beruht dein areligiöses Denken auf Wissen ?

Was mich selbst betrifft , so würde ich mich tatsächlich in dieser Frage zu den Indifferenten zählen . Also wenn man so will , irgend etwas zwischen Glauben und Areligiösität . Was von daher , zumindest nach meiner Meinung , ein Denken ausschließt , dass auf Wissen basiert. Wenn ich mir übrigens im Vergleich dazu die letzten Beiträge vergegenwärtige , so glaube ich nicht nur, das die letzten Beiträge nichts mit dem Thema dieses Threads zu tun habe ... ich weiß es ! So sei es euch beiden nun mehr unbenommen , mich in meinen Denken darüber , in den folgenden Beiträgen zu bestätigen ...



Was mich selbst betrifft , so würde ich mich tatsächlich in dieser Frage zu den Indifferenten zählen. Somit du meine religiöse Gefühle ganz sicher nicht verletzt hast.



Übrigens

... ich "denke" mit .. "Etwas größer ist wohl die Zahl der Indifferenten." .. hast du dich auf hervoragender Weise eben dieser substantielle Macht bedient. Wenn die Frage erlaubt ist , kam dieses Momente des Ganzen , dem Ganzen verortet im Denken , von dir oder stammt das aus einer Erinnerung des "Denken und Wissens" eines anderen?




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 17:03

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 14:09

Ich meine du verwechselst hier die beiden Bedeutungen von Glauben, also "für wahr halten" und religiöses Glauben..
Nein, Du liest oder registrierst einfach nicht, wenn ich etwas schreibe, was Dir nicht paßt. Wenn ich von den 2/3 oder 80% rede, dann nicht von dem einen Prozent (oder Promille) gläubiger Wissenschaftler. Und nicht nur denen, sondern allen reflektierten Gläubigen, die wissen, daß ihr Glaube nicht ihr Wissen ist, genau denen habe ich Respekt gezollt. Wenn Du so liest, wie ich es hier moniere, ist es schwierig, mit Dir zu diskutieren.




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 17:06

Timberlake hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 15:46
[Wenn die Frage erlaubt ist , kam dieses Momente des Ganzen , dem Ganzen verortet im Denken , von dir oder stammt das aus einer Erinnerung des "Denken und Wissens" eines anderen?
Ich weiß nicht, ob ich Deine Frage richtig verstanden habe. Ich antworte immer nach Möglichkeit mit meinen eigenen Worten und Gedanken, selten mit Zitaten, aber wenn die fremden Worte es besser sagen können als die eigenen, wäre es dumm, auf Zitieren zu verzichten. Und auch wenn ich meine eigenen Worte und Satzkonstruktionen benutze, sie sind wie bei allen Menschen durch das Denken unserer Vorgänger weitgehend vorbestimmt, und es dürfte leicht erkennbar sein, was mich vorzugsweise geprägt hat, ein integrales Denken.




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Jörn Budesheim
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Sa 10. Aug 2024, 17:10

Der Faden trägt den Titel "Denken und Wissen", aber im Startbeitrag wird kaum auf das Denken eingegangen. Es fehlen Beispiele für Gedanken, und es entsteht, ob beabsichtigt oder nicht, der Eindruck, dass Gedanken biologischer Natur sind. Doch ist das plausibel?

Gedanken können wahr oder falsch sein und unterliegen daher den Gesetzen der Logik, nicht der Biologie. Verschiedene Gedanken stehen in logischer Beziehung zueinander. Wer zum Beispiel glaubt, dass die Katze auf der Matte sitzt, kann nicht in derselben Hinsicht glauben, dass sie nicht auf der Matte sitzt. Gedanken sind also logisch und nicht biologisch miteinander verbunden.

Begriffe in Gedanken sind Teil eines referentiellen Netzwerks. Wenn jemand glaubt, dass die berühmte Katze immer noch auf der Matte sitzt, impliziert dies auch den Glauben, dass ein vierbeiniges Tier auf der Matte liegt. Diese Beziehungen sind logisch/referentiell, nicht kausal oder biologisch.

Eine weitere wichtige Eigenschaft von Gedanken, besonders für höher entwickelte Tiere wie Krähen, ist die Teilbarkeit: Zwei verschiedene Lebewesen können denselben Gedanken haben/teilen. Ein anderes Beispiel für den sozialen und öffentlichen Charakter von Gedanken ist die Triangulation, die ich hier wenigstens mal erwähnt haben möchte.

Und noch eine Kleinigkeit, die ich nicht vergessen möchte: der Startbeitrag unterscheidet an keiner Stelle zwischen den Vorgang des Denkens und dem Gedanken, auch wenn das natürlich zwei verschiedene Dinge sind.




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Sa 10. Aug 2024, 17:11

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 14:00
Ein deprimierender Befund, wenn zwischen 2/3 und 80% der Menschen die Religion für wichtiger halten als das Wissen, das Glauben für wichtiger als das Denken.
Hier verwechselst du offensichtlich zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs „Glauben“.

Wenn man etwas einfach „glaubt“ im Sinne von „für wahr halten“, ohne es zu überprüfen, etwa durch das Sichten von Quellen oder das Befragen von Expert:innen, dann steht das tatsächlich im Gegensatz zum Wissen und Denken. Das Gleiche gilt jedoch nicht für den religiösen Glauben. Religiöser Glaube ist keine Form des Nicht-Prüfens oder Nicht-Wissens, sondern berührt ganz andere Aspekte. Wie ich bereits erwähnt habe, gibt es viele angesehene Naturwissenschaftler:innen, die religiös sind. Diese lehnen weder Wissen noch kritisches Denken ab.

Es ist daher wichtig, zwischen dem Glauben im Sinne von Überzeugung (ohne Überprüfung) und dem religiösen Glauben zu unterscheiden. Der Umstand, dass viele Menschen weltweit religiös sind, bedeutet nicht automatisch, dass sie das Denken dem Glauben unterordnen.




Wolfgang Endemann
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Sa 10. Aug 2024, 23:24

@ Kommentar 81754

"im Startbeitrag wird kaum auf das Denken eingegangen"
Mein Thema war "Denken und Wissen", nicht "Denken". Daher ging es zunächst um die grundsätzliche Unterscheidung von Denken und Wissen, wobei sogleich eine Präzisierung fällig wurde, Denken steht je nach Definition dem Wissen gegenüber, oder es enthält das Wissen. Ich habe das so präzisiert: Es gibt das operative Denken (Vorstellen, Konstruieren, In-Beziehung-setzen, Analysieren, Schlußfolgern, usw) und es gibt die Denkbestände, die im Gedächtnis gespeichert, organisiert, verwaltet und daraus wieder hervorgeholt werden können. Denken, die kognitive Arbeit, besteht im Erarbeiten und Arbeiten mit Denkinhalten und in der Verwaltung von Denkbeständen, man könnte vom Arbeitsspeicher und der Festplatte des kognitiven Apparats reden (ich bin kein Freund dieser Metaphorik, aber wenn es dem Verständnis hilft, warum nicht?). Das verdinglichte, gespeicherte Denken kann richtig sein, also einem realen Bestand entsprechen, dann ist es wahr und wir reden von Wissen, und das operierende Denken kann richtig, seine Algorithmen können korrekt sein, dann ist nicht der Denkinhalt, sondern die Denkform richtig, dann handelt es sich um eine formale Wahrheit. Das ist der Unterschied von der schlußfolgernden Wahrheit von Mathematik und Logik und der Wahrheit der fachwissenschaftlichen Wissensbestände, von operativem Denken und Wissensbeständen.

"es entsteht, ob beabsichtigt oder nicht, der Eindruck, dass Gedanken biologischer Natur sind"
Zur biologischen Natur höherorganisierter (-entwickelter) Lebewesen gehört nicht nur die Fähigkeit der strukturellen Selbsterhaltung,die ist allen Lebewesen gegeben, sondern auch eine hochspezialisierte Wahrnehmung und für die Lebenserhaltung notwendige Repräsentanz der Welt im Steuerungsorgan der Lebewesen. Es gibt also biologische Gründe, warum es zu einer Art Weltbild in biologischen Organismen kommt, und dieses Abbilden entwickelt sich bis zum selbstreflexiven Denken. Und es gibt gute (biofunktionale) Gründe, warum sich das Denken autonomisiert, also sich aus der Funktionalität emanzipiert.

"Gedanken können wahr oder falsch sein und unterliegen daher den Gesetzen der Logik"
Da fällst Du hinter die von mir gemachte Unterscheidung (von operativem, logischem Denken und realem Wissen) zurück. Und begibst Dich in einen Selbstwiderspruch, denn Du betonst doch immer, Wahrheit ist absolut, die Wahrheit der Tatsachen, nicht vom Denken abhängig. Ist jetzt auf einmal die Wahrheit eine Frage der Logik?
In der Aussage "dass die Katze auf der Matte sitzt" werden zwei Objekte K und M durch eine Relation miteinander verknüpft. Formal korrekt ist die Aussage gebildet, wenn K und M eindeutig bestimmt sind und die Relation mit ihnen möglich ist. Das meinst Du wohl mit logisch/referentieller Beziehung. Mit diesen syntaktisch und semantisch korrekten Elementen kann der Protokollsatz, in dem freilich noch eine Zeitbestimmung erforderlich ist, formuliert und dann empirisch überprüft werden. Daraus ergibt sich die inhaltliche Wahrheit oder Falschheit dieser atomistischen Aussage.
Einen solchen Satz kann man aber nicht zum Paradigma der Wahrheit von Gedanken und/oder Wissen machen, in ihm werden nur triviale Wahrheiten formuliert. Wahrheit wird dann zum Inbegriff aller atomistischen Protokollsätze, mit denen man weder die Wahrheit eines anspruchsvollen operativen Denkens noch die einer Fülle von verallgemeinerten Aussagen erfaßt. Die Aussage müßte mindestens in der Form "Für alle Objekte x, auf die eine Eigenschaftsbündel E(x) zutrifft, gibt es eine Relation R(x)" oder bei einer zweistelligen Relation wie im hier gegebenen Fall "Für alle Objekte x mit E(x) und y mit E*(y) gibt es eine Relation R(x,y)" und das kann für viele Objektgruppen verallgemeinert werden und müßte wiederum zeitunabhängig oder in eine Zeitrelation gesetzt werden. Dann wird es kompliziert, dann treten all die Probleme der Modellierung auf. Dann haben wir das Axiomatisierungsproblem, denn die Folgerungsmenge einer Theorie, die sich aus der Anwendung der logischen Implikation ergibt, darf nicht auf Widersprüche führen, und die Realzusammenhänge müssen kausal oder konstellativ sein. Das sind die zwei Wahrheitsaspekte der formallogischen und der inhaltlichen Wahrheit.




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So 11. Aug 2024, 07:32

Jörn Budesheim hat geschrieben : "es entsteht, ob beabsichtigt oder nicht, der Eindruck, dass Gedanken biologischer Natur sind"
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 23:24

Zur biologischen Natur höherorganisierter (-entwickelter) Lebewesen gehört nicht nur die Fähigkeit der strukturellen Selbsterhaltung,die ist allen Lebewesen gegeben, sondern auch eine hochspezialisierte Wahrnehmung und für die Lebenserhaltung notwendige Repräsentanz der Welt im Steuerungsorgan der Lebewesen. Es gibt also biologische Gründe, warum es zu einer Art Weltbild in biologischen Organismen kommt, und dieses Abbilden entwickelt sich bis zum selbstreflexiven Denken. Und es gibt gute (biofunktionale) Gründe, warum sich das Denken autonomisiert, also sich aus der Funktionalität emanzipiert.
Mit anderen Worten: "Ja, Denken ist nicht biologisch, es folgt eigenen Gesetzen."
Jörn Budesheim hat geschrieben : Gedanken können wahr oder falsch sein und unterliegen daher den Gesetzen der Logik
Wolfgang Endemann hat geschrieben : Da fällst Du hinter die von mir gemachte Unterscheidung (von operativem, logischem Denken und realem Wissen) zurück.
Nein, damit mache ich eine Unterscheidung, die bei Dir fehlt, nämlich den Unterschied zwischen dem Akt des Denkens und den Gedanken.
Wolfgang Endemann hat geschrieben : Und begibst Dich in einen Selbstwiderspruch, denn Du betonst doch immer, Wahrheit ist absolut, die Wahrheit der Tatsachen, nicht vom Denken abhängig. Ist jetzt auf einmal die Wahrheit eine Frage der Logik?
Hier gibt es natürlich keinen Selbstwiderspruch. Denn daraus, dass Gedanken wahr oder falsch sein können folgt nicht, dass die Wahrheit eines Gedankens allein vom Gedanken abhängt. Der Gedanke, dass die Katze auf der Matte sitzt, ist genau dann (absolut und objektiv) wahr, wenn die Katze auf der Matte sitzt.

Bei der Logik handelt es sich um die Gesetze des Wahrseins, also nicht um empirische Denkgesetze. Ein Beispiel habe ich weiter oben gegeben: Wer denkt, dass die Katze auf der Matte sitzt, denkt falsch, wenn er zugleich in derselben Hinsicht denkt, dass sie nicht auf der Matte sitzt.
Wolfgang Endemann hat geschrieben : In der Aussage "dass die Katze auf der Matte sitzt" werden zwei Objekte K und M durch eine Relation miteinander verknüpft. Formal korrekt ist die Aussage gebildet, wenn K und M eindeutig bestimmt sind und die Relation mit ihnen möglich ist. Das meinst Du wohl mit logisch/referentieller Beziehung. Mit diesen syntaktisch und semantisch korrekten Elementen kann der Protokollsatz, in dem freilich noch eine Zeitbestimmung erforderlich ist, formuliert und dann empirisch überprüft werden. Daraus ergibt sich die inhaltliche Wahrheit oder Falschheit dieser atomistischen Aussage.
Einen solchen Satz kann man aber nicht zum Paradigma der Wahrheit von Gedanken und/oder Wissen machen, in ihm werden nur triviale Wahrheiten formuliert.
"Die Katze sitzt auf der Matte." Das war mein Beispiel für einen Gedanken, kein Beispiel für eine Aussage und schon gar nicht für einen Protokollsatz. (Das Problem mit Protokollsätzen ist - nebenbei gesagt - dass es sie gar nicht gibt.)

Dieser Gedanke kann wahr sein. Du hältst das für eine triviale Wahrheit, das mag sein; aber auch triviale Wahrheiten sind eben dies: Wahrheiten. Für Amseln könnte dieser Gedanke, in welcher Art und Weise sie ihn auch immer erfassen können, wenn sie es können, jedoch von größerem Belang sein. Vergiss nicht, dass du die Fähigkeit zum Denken im Zusammenhang mit der Selbsterhaltung eingeführt hast. Dazu können auch einfache Gedanken gehören, wie: "Die Katze sitzt auf der Matte" oder "Die Hecke bietet Schutz."
Wolfgang Endemann hat geschrieben : Das meinst Du wohl mit logisch/referentieller Beziehung.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 10. Aug 2024, 17:10
Wenn jemand glaubt, dass die berühmte Katze immer noch auf der Matte sitzt, impliziert dies auch den Glauben, dass ein vierbeiniges Tier auf der Matte liegt. Diese Beziehungen sind logisch/[in]ferentiell, nicht kausal oder biologisch.
Ein Schreibfehler leider. Ich meinte logisch/inferenzielle Beziehungen, das Beispiel sollte allerdings klargemacht haben, worum es mir geht: Wenn jemand denkt, dass die Katze auf der Matte sitzt, bedeutet das zugleich, dass ein Vierbeiner mit Fell auf der Matte sitzt, dass die Katze auf einem (flachen) Objekt sitzt, dass sich etwas auf der Matte befindet, dass ein Tier (und keine Pflanze) auf der Matte sitzt (und nicht steht), dass es eine Matte gibt und dass ein Lebewesen (und nicht etwa ein Stein) auf der Matte sitzt (aber nicht liegt). Falls es sich um eine Türmatte handelt, bedeutet das auch, dass sich die Katze vermutlich bei der Tür befindet. Für Amseln könnte es bedeuten, dass Gefahr droht. Gedanken und Begriffe existieren in solchen inferenziellen Feldern. Ich bin fast geneigt zu sagen: das glatte Gegenteil von "atomistisch".




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So 11. Aug 2024, 09:00

[Die Katze sitzt auf der Matte.]

Eigentlich ein interessanter Punkt: diesem Ausdruck sieht man ohne weitere Erläuterungen nicht an, ob es sich dabei um einen Gedanken, eine Überzeugung, einen Satz oder eine Tatsache. Wie ist das nur möglich?




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