Wo ist der 'Ort' der Zahlen?

Die Philosophie der Mathematik fragt, ob mathematische Objekte wie Zahlen existieren. Sie fragt nach der erstaunlichen Effektivität mathematischer Modelle in den Naturwissenschaften und wie mathematische Erkenntnisse gewonnen werden.
Wolfgang Endemann
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Fr 23. Aug 2024, 23:36

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2024, 08:53
Dennoch: Dein Text beginnt mit einem ad personam gegen Beutelspacher
Ich habe nicht auf das Buch geantwortet, das kenne ich nicht, sondern nur auf den kurzen Einleitungstext. Und ich wollte keineswegs Beutelspacher herabsetzen, sondern nur die Werbestrategie zurückweisen, die aus einer Halbwahrheit einen Skandal macht, und aus einer komplizierten, auch bis ins Rätselhafte hineinragenden vollständigen Antwort eine verkürzte über das, was Laien als Zahlen verstehen. Das ist möglicherweise eine erfolgreiche Verkaufsstrategie, aber der Sache der Mathematik wird das nicht gerecht, und das entspricht auch nicht dem, was Beutelspacher sonst für die Mathematikdidaktik mit dem Mathematikum geleistet hat.

Natürlich weiß jeder Mathematiker, und kann es in einfachsten Worten erklären, was eine natürliche, was eine rationale, und auch noch, was eine reelle Zahl ist. Dann wird es freilich schwieriger, die einfachste Erklärung der imaginären Zahl ist eine Zahl im zweidimensionalen Vektorraum mit der Realdimension und der Dimension aller Skalarprodukte mit der imaginären Einheit i. Die Konstruktion ist sehr einfach, was sie bedeutet ist schon recht knifflig.

Das nicht (einfach) erklären zu können, ist kein Skandal, in allen Wissenschaften ist es schwierig, die elaboriertesten Ergebnisse kompakt und verständlich für die Allgemeinheit zu formulieren. Daß die einfache Frage nach einem Grundbegriff von den Wissenschaftlern nicht oder schlecht beantwortet werden kann, nenne ich darum eine Scheinparadoxie, und wie gesagt, die Verunsicherung der Mathematiker bei dieser Frage eine rhetorische Verunsicherung. Soviel zu Deiner Vorbemerkung.

"aber Zahlen als abstrakte Entitäten sind nicht dasselbe wie der konkrete Akt des Zählens, der uns eine Anzahl beschert", da bist Du etwas ahnungslos. Wenn wir im Bereich der endlichen Zahlen bleiben, kann man die Kardinalzahlen mit den Ordinalzahlen identifizieren. Die natürlichen Zahlen sind für sich genommen die Menge der endlichen Kardinalzahlen, sie beschreiben die Mächtigkeit einer Menge. Wenn wir zählen, messen wir die Mächtigkeit einer Anzahl. Messen wir die Anzahl der Menge aller endlichen Kardinalzahlen, kommen wir auf die erste transfinite Kardinalzahl. Die Menge aller natürlichen, geordneten Zahlen führt auch auf die erste transfinite Ordinalzahl. Diese beiden transfiniten Zahlen sind jedoch nicht mehr dieselben.

"Wie lässt sich die Annahme, dass Zahlen als "Gedankendinge" ihren "Ort" im Gehirn haben, mit der Tatsache vereinbaren, dass mathematische Erkenntnisse unabhängig von individuellen Denkprozessen universell gültig sind?"
Mathematische Erkenntnisse sind nicht unabhängig von der Erfindung des Systems des korrekten formalen Denkens, die die Leistung einer großen Gemeinschaft von kooperierenden und kommunikativen Menschen war, die sich auf solch abstraktes Denken eingelassen und die Implikationen dieses Denkansatzes gefunden haben. Die Wahrheit der Mathematik ist mit der Setzung ihrer Objekte, der mathematischen Gedankenobjekte, gegeben, aber sie muß expliziert werden. Wenn nicht mathematisch gedacht wird, gibt es diese Wahrheiten nicht. Sie sind gebunden an denkende Menschen, dann aber stehen sie fest.




Wolfgang Endemann
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Fr 23. Aug 2024, 23:40

Quk hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2024, 11:12
Aber prinzipiell ist das Kernproblem demnach nicht das Wesen der Mathematik, sondern das Wesen der Komplexität.
Ja und ein bißchen nein.
Bei Komplexität muß man unterscheiden. Komplexe Naturobjekte sind zwar schwieriger zu erkennen und wissenschaftlich zu beherrschen, erfordern eine höhere Mathematik, aber es gibt überhaupt keine Alternative, die man zu ihrer besseren Beherrschung heranziehen könnte. Das gilt auch für die stochastischen Phänomene, die in der Wahrscheinlichkeitstheorie aufgehoben sind. Was die Sozial- oder Geisteswissenschaften betrifft, so ist ihr Objekt jedoch kein reines Naturobjekt, sondern ein (kulturelles) Subjekt-Objekt, das sich bspw mit jeder Selbsterkenntnis ändert, und diese Änderung ist selbst höchst komplex, auch statistisch indeterminiert. Das entzieht der Formalwissenschaft weitgehend die Anwendbarkeit. Formalisierbar bleibt nur der Bereich der unbewußten, entscheidungslosen Prozesse oder Gleichgewichte. Natürlich kann sich Wissenschaft darauf beschränken, aber das ist nicht der Sinn der Sozial- und Geisteswissenschaften. Also muß die Begriffsarbeit und -analyse die mathematische Beschreibung ersetzen. Es ist eine spannende Frage, ob einmal eine Formalisierung dieses Bereichs möglich sein wird.

Um mein ja und nein zusammenzufassen: Natürlich gibt es schon "weiche" Grenzen der Anwendbarkeit der Mathematik in den Naturwissenschaften, weil zu komplexe Modelle die mathematische Berechenbarkeit verunmöglichen. Aber in den Sozial- und Geisteswissenschaften sind es nicht nur praktische, sondern prinzipielle Hindernisse, und dies wegen der andersartigen Komplexität.




Burkart
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Sa 24. Aug 2024, 00:16

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 23. Aug 2024, 23:02
Burkart hat geschrieben :
Do 22. Aug 2024, 23:51

In dem man Zahlen als "Gedankendinge im Gehirn" verwirft und nur als abstrakte Dinge begreift. Buchstaben als andere abstrakte Dinge wird man auch nicht im Gehirn suchen, oder?
Ich bin Materialist (und Idealist, aber das steht auf einem anderen Blatt), also gibt es für mich nichts, was nicht in der sinnlichen Welt existiert oder an solch existierendes Materielles gebunden ist. Gedankendinge existieren unmittelbar als physiologische Tatbestände im ZNS, Gehirn von Menschen, rudimantär auch von Tieren, aber der Gedanke ist nicht der physiologische Tatbestand, sondern die Vorstellung, die daran gebunden ist und keinen Ort in der realen Welt hat. Der Gedanke ist etwas abstraktes, aber er unterscheidet sich von anderen Gedanken eben dadurch, daß jeder Gedanken einen eigenen materiellen Träger hat. Die Vorstellungen können sich auf sinnliche Dinge, Dingmengen, Dingkomplexe beziehen oder abstraktiv daraus gewonnen werden, aber auch als abstrakte autonom in der Gedankenwelt gebildet werden. Der Gedanke kann die Vorstellung eines Buchstabens sein. Aber an einen Buchstaben als Statthalter für einen Namen zu denken ist etwas anderes als an einen Buchstaben als eine Variable zu denken, und das ist etwas anderes als an einen Buchstaben als einen Zahlnamen zu denken. Alle diese Vorstellungen sind an unterschiedliche Orte ihrer physiologischen Repräsentanz gebunden, insofern haben sie alle ihren bestimmten Ort im Gehirn. Aber die Gedanken sind selbst ortlos.
Zahlen als Gedanken im Kopf sind eines, letzlich etwas Individuelles, also dass bzw. wie wir an sie denken.
Auf der anderen Seite sind sie ja in der Mathematik abstrakte Objekte: Eine 2 ist immer eine 2, egal in welchem Zusammenhang und wer in diesem Sinne sie z.B. gedanklich benutzt.
Da sollte man ggf. klar differenzieren und nicht alles vermixen, sonst kommen dabei manchmal seltsame Fragen/Ideen heraus.



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Sa 24. Aug 2024, 08:29

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 00:16
Zahlen als Gedanken im Kopf sind eines, letzlich etwas Individuelles, also dass bzw. wie wir an sie denken.
Auf der anderen Seite sind sie ja in der Mathematik abstrakte Objekte: Eine 2 ist immer eine 2, egal in welchem Zusammenhang und wer in diesem Sinne sie z.B. gedanklich benutzt.
Da sollte man ggf. klar differenzieren und nicht alles vermixen, sonst kommen dabei manchmal seltsame Fragen/Ideen heraus.
Man sollte vor allem zwischen Zahlen und Ziffern (Zahlzeichen) unterscheiden, also z.B. zwischen der Zahl 2 und der Ziffer "2".
Außerdem sollte man zwischen abstrakten Ziffertypender Ziffer "2"—und konkreten Zifferexemplarendieser Ziffer "2" hier—unterscheiden.



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Sa 24. Aug 2024, 08:40

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 00:16

Zahlen als Gedanken im Kopf sind eines, letzlich etwas Individuelles, also dass bzw. wie wir an sie denken.
Auf der anderen Seite sind sie ja in der Mathematik abstrakte Objekte: Eine 2 ist immer eine 2, egal in welchem Zusammenhang und wer in diesem Sinne sie z.B. gedanklich benutzt.
Das ist richtig. Daher müssen alle von allen gedachten "2" gleich sein. Mathematik ist das präziseste kollektive Denksystem. Nirgendwo denken Menschen gleicher als hier.
Und ich verwechsele nicht, sondern versuche immer klar auszudrücken, was ich meine: den Gedanken bzw Gedankeninhalt, das Gedankending, das Gedankensubstrat, die Physiologie, den Sinn in/an einem kodifizierten Objekt, den Eigensinn und den Gemeinsinn, usw.




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Sa 24. Aug 2024, 09:02

Consul hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 08:29


Man sollte vor allem zwischen Zahlen und Ziffern (Zahlzeichen) unterscheiden, also z.B. zwischen der Zahl 2 und der Ziffer "2".
Außerdem sollte man zwischen abstrakten Ziffertypender Ziffer "2"—und konkreten Zifferexemplarendieser Ziffer "2" hier—unterscheiden.
Richtig. Und nicht zu vergessen den Grundbegriff der Mathematik, die Gleichheit "=", daher ist 2 nur eine Darstellungsform, eine andere ist die unendliche Summe von 1 + 1/2 + 1/4 + 1/8 + .... "2" ist also nur die einfachste Darstellungsform des Gedankeninhalts 2.




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Sa 24. Aug 2024, 09:06

PS. möchte ich auch daran erinnern, hier schon oft angesprochen, daß 2 für die Kardinal- und für die Ordinalzahl 2 steht. Nur weil man im Endlichen beide identifizieren kann, ist 2 ein wohlbestimmtes Ding.




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Sa 24. Aug 2024, 09:13

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 08:40
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 00:16

Zahlen als Gedanken im Kopf sind eines, letzlich etwas Individuelles, also dass bzw. wie wir an sie denken.
Auf der anderen Seite sind sie ja in der Mathematik abstrakte Objekte: Eine 2 ist immer eine 2, egal in welchem Zusammenhang und wer in diesem Sinne sie z.B. gedanklich benutzt.
Das ist richtig. Daher müssen alle von allen gedachten "2" gleich sein. Mathematik ist das präziseste kollektive Denksystem. Nirgendwo denken Menschen gleicher als hier.
Und ich verwechsele nicht, sondern versuche immer klar auszudrücken, was ich meine: den Gedanken bzw Gedankeninhalt, das Gedankending, das Gedankensubstrat, die Physiologie, den Sinn in/an einem kodifizierten Objekt, den Eigensinn und den Gemeinsinn, usw.
Mit dem Vermixen meinte ich auch nicht dich, sondern Vorschreiber Jörn mit seinen Fragen:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 22. Aug 2024, 07:54
Damit sind wir bei dem alten, unbeantworteten Problem: Wie lässt sich die Annahme, dass Zahlen als "Gedankendinge" ihren "Ort" im Gehirn haben, mit der Tatsache vereinbaren, dass mathematische Erkenntnisse unabhängig von individuellen Denkprozessen universell gültig sind? Wie lässt sich also das Spannungsverhältnis zwischen der angeblichen subjektiven Verankerung von Zahlen in neuronalen Strukturen und ihrer objektiven Gültigkeit in der Mathematik erklären?



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Sa 24. Aug 2024, 10:32

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 09:06
PS. möchte ich auch daran erinnern, hier schon oft angesprochen, daß 2 für die Kardinal- und für die Ordinalzahl 2 steht. Nur weil man im Endlichen beide identifizieren kann, ist 2 ein wohlbestimmtes Ding.
Das erinnert mich daran, dass man ab und zu mal gebeten, eine Zahl zwischen 1 und 10 oder ähnlich zu nennen - und dass ich die Leute dann manchmal mit "Pi" oder "e" verwirre :D
Ja, wenn sie nicht extra nach Kardinal- oder Ordinalzahl fragen ;)

Ob deshalb Pi und e "wohlbestimmt" sind, hängt wohl von der Auffassung dieses Begriffes ab.
Zuletzt geändert von Burkart am Sa 24. Aug 2024, 10:35, insgesamt 1-mal geändert.



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Sa 24. Aug 2024, 10:33

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 09:13
Vermixen
Worin soll in dem, was du zitiert hast, die Vermixung liegen? Es gibt auf der einen Seite die (wie ich finde, falsche) Behauptung, Zahlen seien Gedankendinge. Und auf der anderen Seite gelten (meines Erachtens zurecht) mathematische Erkenntnisse unabhängig von individuellen Denkprozessen als universell gültig. Meines Erachtens passt das nicht zusammen, daher sollte man es weder vermixen noch ineins setzen




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Sa 24. Aug 2024, 10:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 10:33
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 09:13
Vermixen
Worin soll in dem, was du zitiert hast, die Vermixung liegen? Es gibt auf der einen Seite die (wie ich finde, falsche) Behauptung, Zahlen seien Gedankendinge. Und auf der anderen Seite gelten (meines Erachtens zurecht) mathematische Erkenntnisse unabhängig von individuellen Denkprozessen als universell gültig. Meines Erachtens passt das nicht zusammen, daher sollte man es weder vermixen noch ineins setzen
Ach so, dann sollte ja alles klar sein. Mir ging es nur um die klare Differenzierung des Denkens an eine Zahl ("Gedankenobjekt") und der abstrakten Zahl als solchen.



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Sa 24. Aug 2024, 12:05

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 10:33
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 09:13
Vermixen
Könntest Du präzisieren, was Du meinst?
Wenn die Behauptung "Zahlen sind Gedankendinge" falsch ist, heißt das; Zahlen sind keine Gedankendinge. Meinst Du, es gibt keine Gedankendinge? Meinst Du, Zahlen sind reale Dinge? Und von welchen Zahlen redest Du? Offensichtlich von den mathematischen Objekten, weil Du dann ja auf die universelle Wahrheit der mathematischen Aussagen kommst.
Also entwirre bitte das Rätsel, was Du meinst. Dann können wir diskutieren, ob Du recht hast.




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Jörn Budesheim
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Ich kann mit dem Ausdruck "Gedankendinge" nichts anfangen, auch wenn wir darüber einen eigenen Faden gemacht haben. Wenn ich dennoch sage, dass Zahlen keine Gedankendinge sind, dann meine ich damit, Zahlen an sich* existieren nicht im Kopf. Weder im Gehirn, noch im Bewusstsein, noch in irgendwelchen Gedanken, falls man glaubt, diese Dinge befänden sich im Kopf. Beispiele für Zahlen habe ich weiter oben gebracht, nämlich 7, 5 und 12 sowie π.

*mit "Zahlen an sich" meine ich wahrscheinlich dasselbe wie Field Medaillen-Gewinner Peter Scholze: "Ich denke tatsächlich, dass die Zahlen unabhängig von uns sind."




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Sa 24. Aug 2024, 12:25

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 12:05
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 10:33
Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 09:13
Vermixen
Könntest Du präzisieren, was Du meinst?
Wenn die Behauptung "Zahlen sind Gedankendinge" falsch ist, heißt das; Zahlen sind keine Gedankendinge. Meinst Du, es gibt keine Gedankendinge? Meinst Du, Zahlen sind reale Dinge? Und von welchen Zahlen redest Du? Offensichtlich von den mathematischen Objekten, weil Du dann ja auf die universelle Wahrheit der mathematischen Aussagen kommst.
Also entwirre bitte das Rätsel, was Du meinst. Dann können wir diskutieren, ob Du recht hast.
Hm, ich hatte doch schon geschrieben: "Mir ging es nur um die klare Differenzierung des Denkens an eine Zahl ("Gedankenobjekt") und der abstrakten Zahl als solchen."
Das scheint nicht klar genug zu sein, ok.

Zurückfragen müsste ich erstmal: Was heißt genau(er) "Gedankending"? Etwas in aktuellen Gedanken oder irgendwie/-wann unseren Gedanken "entsprungen" und so zu relativ klaren abstrakten Dingen geworden sind?
Wenn man unter "real" etwas in unseren (physischen) Welt versteht, die (auch) unabhängig von denkenden Lebewesen existiert, dann sind Zahlen nicht real.
Von welchen Zahlen ich rede? Die aus der Mathematik (natürliche Zahlen und alle entsprechend weitere), nicht von reinen Symbolen, die z.B. auch durch Buchstaben ersetzt werden können (sofern man letztere nicht mathematisch nutzt wie bei römischen Zahlen).

Habe ich noch Rätsel offen gelassen? ;)



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Sa 24. Aug 2024, 14:07

Burkart hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 12:25

Hm, ich hatte doch schon geschrieben:
Das war ein Mißverständnis, ich habe die Frage an Jörn gestellt, nicht an Dich, ich habe vielmehr Deine Kritik in eine Frage gepackt, damit vielleicht darüber diskutiert werden kann. Das Mißverständnis kam zustande durch die Verschachtelung in meinem Bezugspunkt, das hätte ich vereindeutigen können/sollen.
Ich glaube, wir unterscheiden uns kaum in der Frage der Gedankendinge und der Abstraktion in den mathematischen Objekten.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 12:17
Zahlen an sich* existieren nicht im Kopf.
Zahlen an sich gibt es nicht. Wenn ich von uns als Erschöpfern der Welt der abstrakten Zahlen abstrahiere, bleibt: nichts.




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Sa 24. Aug 2024, 16:34

Ich bin derselben Ansicht wie der Mathematiker Peter Scholze, den ich weiter oben zitiert habe und viele andere. Diese Sicht hat zudem den großen Vorteil, dass sie nicht zum Psychologismus führt, der meines Erachtens widerlegt ist.

Peter Scholze (* 11. Dezember 1987 in Dresden) ist ein vielfach ausgezeichneter deutscher Mathematiker und Träger der Fields-Medaille. Er ist Hochschullehrer an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Direktor am Max-Planck-Institut für Mathematik. (Wiki)

Natürlich folgt daraus, dass jemand wie Scholze die Ansicht vertritt, dass die Zahlen unabhängig von uns existieren, nicht dass es sich tatsächlich so verhält. Aber es zeigt, dass diese Ansicht, die ich auch vertrete, keineswegs auf irgendeiner Form von Esoterik, mangelnder Mathematikkenntnis oder Naivität basiert. Zudem denke ich, dass die Worte eines Mannes mit solcher Expertise durchaus Gewicht haben.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 24. Aug 2024, 16:34
Natürlich folgt daraus, dass jemand wie Scholze die Ansicht vertritt, dass die Zahlen unabhängig von uns existieren, nicht dass es sich tatsächlich so verhält. Aber es zeigt, dass diese Ansicht, die ich auch vertrete, keineswegs auf irgendeiner Form von Esoterik, mangelnder Mathematikkenntnis oder Naivität basiert. Zudem denke ich, dass die Worte eines Mannes mit solcher Expertise durchaus Gewicht haben.
Auch ein logisches Genie wie Kurt Gödel war mathematischer Platonist:
"By the platonistic view I mean the view that mathematics describes a nonsensual reality, which exists independently both of the acts and the dispositions of the human mind and is only perceived, and probably perceived very incompletely, by the human mind."

"Mathematical objects and facts (or at least something in them) exist objectively and independently of our mental acts and decisions."

"The real argument for objectivism is the following:
We know many general propositions about natural numbers to be true ('2 + 2 = 4', 'There are infinitely many prime numbers', etc.) and, for example, we believe that Goldbach´s conjecture makes sense, must be either true or false, without there being any room for arbitrary convention. Hence, there must be objective facts about natural numbers. But these objective facts must refer to objects that are different from physical objects because, among other things, they are unchangeable in time."

"Logic and mathematics—like physics—are built up on axioms with a real content and cannot be explained away. The presence of this real content is seen by studying number theory. We encounter facts which are independent of of arbitrary conventions. These facts must have a content because the consistency of number theory cannot be based on trivial facts, since it is not even known in the strong sense of knowing."

(Gödel, Kurt. Zitiert in: Wang, Hao. A Logical Journey: From Gödel to Philosophy. Cambridge, MA: The MIT Press, 1996. pp. 211-12)



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Sa 24. Aug 2024, 20:15

Ein logico-philosophisches Genie wie Ludwig Wittgenstein war dagegen kein mathematischer Platonist.

Wittgenstein’s Philosophy of Mathematics



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Natürlich ist das alles sehr umstritten, das ist mir klar. Aber manchmal habe ich hier im Forum den Eindruck, dass einige den Realismus in Bezug auf Zahlen für eine Art abwegige oder esoterische Außenseiterposition halten. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Und deshalb habe ich Scholze gepostet, nicht als Zeuge dafür, dass es Zahlen gibt (das auch) aber im Wesentlichen als Zeuge dafür, dass es eine vernünftige und verbreitete Position ist, die selbst die renommiertesten Mathematiker befürworten.

Jörg Neunhäuserer, der eine Einführung in die Philosophie der Mathematik geschrieben hat, ist sogar der Ansicht, dass eine große Mehrheit der Mathematiker davon überzeugt ist, dass die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen, unabhängig von mentaler Aktivität existieren und abstrakt sind, Scholze ist also kein Einzelfall.

Jörg Neunhäuserer: Wir sind Anhänger eines platonischen Realismus in der Ontologie der Mathematik, eines Rationalismus in der Erkenntnistheorie der Mathematik und einer wissenschaftstheoretischen Abgrenzung der Mathematik von den anderen Wissenschaften. Das heißt, dass wir der Überzeugung sind, dass die Gegenstände der Mathematik unabhängig von mentalen Vorgängen und jenseits der physikalischen Raum-Zeit existieren, dass wir mathematische Erkenntnisse durch unmittelbare rationale Einsicht und logische Deduktion gewinnen und dass die Mathematik durch ihre methodische Praxis klar von allen anderen Wissenschaften unterschieden ist. Diese Position ist nicht originell, eher konservativ und in der Philosophie der Mathematik umstritten. Vielleicht ist unsere Perspektive typisch für einen Mathematiker, der sich mit der Philosophie der Mathematik beschäftigt.





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