In diesem Faden würde ich gerne über Nachrichtenästhetik diskutieren, insbesondere hinsichtlich der Rolle des Menschen als Mittel und als Zweck in den zur Abendunterhaltung aufbereiteten Nachrichtensendungen.
Beginnen möchte ich die Diskussion mit einem Blick auf die folgenden beiden Tagesschau-Intros. Finde den Fehler:
Ich begrüße Sie zur Tagesschau
- Jörn Budesheim
- Beiträge: 28161
- Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
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Was für eine Art von Fehler meinst du? Das grinsende Gesicht des Tagesschau-Sprechers vor der Frau in Trümmern im Hintergrund?
- Jörn Budesheim
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Ich habe lange keine Tagesschau mehr gesehen, kann mich aber erinnern, dass mir das auch unangenehm aufgefallen war.
Das Grinsen ist nur eines von mehreren Merkmalen, die mich stören. Es ist die gesamte Intro-Gestaltung, akustisch und visuell, im Zusammenhang mit den dargestellten Katastrophen, einschließlich des Waldbrandes rechts im Bild. Es gipfelt mit jenem tragischen Bild der Menschen in den Ruinen, das dann als zentraler Hingucker verwendet wird.
Ein Intro wie auf der Kirmes: "Menschen, Tiere, Sensationen! Hereinspaziert, hereinspaziert! Hier werden Sie ein buntes Potpourri bestaunen, erfreuliches und tragisches aus aller Welt, Schönheiten und Krüppel!"
Zurück zum TV. -- Tagesschau-Gong. Eine Off-Stimme, hypermelodisch-sextelefonartig gesprochen von Claudia Urbschat-Mingues, sagt an: "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau" -- als stünde die Königin der Welt in der Tür. Die Fanfarenmelodie setzt ein, eingespielt von einem Sinfonieorchester: Tiiiii taaaaa, ta ta ta taaaaa! -- Die Off-Stimme kündigt an: "Heute im Studio, Großfürst Zampano." Der sagt dann: "Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau." -- Während dieser unterhaltsam-spannend als Attraktion aufbereiteten Zeremonie werden Bilder von echten, aktuellen Katastrophen als Kulissen-Dekoration verwendet. Nun, kann man zwar nicht immer vermeiden, dass private Menschen unfreiwillig als Mittel zum Unterhaltungs-Zweck erscheinen. Aber wenn Menschen in einer katastrophalen Situation als Mittel zum Unterhaltungs-Zweck erscheinen, ist das meiner Ansicht nach eine Geschmackslosigkeit. Mich erstaunt, dass die TV-Produzenten das zulassen. Merken sie nicht diese Degradierung zur Dekoration? Oder merken sie es und nehmen es bewusst in Kauf?
Das Problem begann mit diesem neuen Tagesschau-Studio vor einigen Jahren. Die Produzenten wollten, dass das ganze Studio quasi aus Bildern besteht -- gemäß dem Instagram-Zeitgeist. Und diese "Tapete" muss natürlich schon im Intro herzeigen, was sie buchstäblich drauf hat. In den Jahrzehnten davor, begann die Schau immer bildneutral. Wenn ein Bild erschien, dann immer mit gleichzeitiger Beschreibung. Damit war ein Bild eine echte Nachricht und keine Dekoration. Dadurch erschien die Darbietung außerdem respektvoll.
Ich will meinen Dekorations-Vorwurf nicht auf dieses Tagesschau-Intro beschränken. Es betrifft auch manch andere TV-Magazine, deren Werbe-Clips reißerisch aus Katastrophenbildern zusammengesetzt sind, untermalt mit bombastischer Musik. Man sieht in schnellen Filmschnitten beispielsweise: Hubschrauberabsturz, Kanzlergesicht, Protestmarsch, Krankenhaus, brennendes Auto, Minister am Rednerpult, Wirbelsturm, Hochwasser, fliehende Menschen etc. pp. -- dann die lächelnden Köpfe der Redaktion und die Ansage: Jeden Freitag um 21 Uhr. - Katastrophen mit echten Opfern als Hintergrund-Dekoration. Wie auf der Kirmes.
Ein Intro wie auf der Kirmes: "Menschen, Tiere, Sensationen! Hereinspaziert, hereinspaziert! Hier werden Sie ein buntes Potpourri bestaunen, erfreuliches und tragisches aus aller Welt, Schönheiten und Krüppel!"
Zurück zum TV. -- Tagesschau-Gong. Eine Off-Stimme, hypermelodisch-sextelefonartig gesprochen von Claudia Urbschat-Mingues, sagt an: "Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau" -- als stünde die Königin der Welt in der Tür. Die Fanfarenmelodie setzt ein, eingespielt von einem Sinfonieorchester: Tiiiii taaaaa, ta ta ta taaaaa! -- Die Off-Stimme kündigt an: "Heute im Studio, Großfürst Zampano." Der sagt dann: "Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau." -- Während dieser unterhaltsam-spannend als Attraktion aufbereiteten Zeremonie werden Bilder von echten, aktuellen Katastrophen als Kulissen-Dekoration verwendet. Nun, kann man zwar nicht immer vermeiden, dass private Menschen unfreiwillig als Mittel zum Unterhaltungs-Zweck erscheinen. Aber wenn Menschen in einer katastrophalen Situation als Mittel zum Unterhaltungs-Zweck erscheinen, ist das meiner Ansicht nach eine Geschmackslosigkeit. Mich erstaunt, dass die TV-Produzenten das zulassen. Merken sie nicht diese Degradierung zur Dekoration? Oder merken sie es und nehmen es bewusst in Kauf?
Das Problem begann mit diesem neuen Tagesschau-Studio vor einigen Jahren. Die Produzenten wollten, dass das ganze Studio quasi aus Bildern besteht -- gemäß dem Instagram-Zeitgeist. Und diese "Tapete" muss natürlich schon im Intro herzeigen, was sie buchstäblich drauf hat. In den Jahrzehnten davor, begann die Schau immer bildneutral. Wenn ein Bild erschien, dann immer mit gleichzeitiger Beschreibung. Damit war ein Bild eine echte Nachricht und keine Dekoration. Dadurch erschien die Darbietung außerdem respektvoll.
Ich will meinen Dekorations-Vorwurf nicht auf dieses Tagesschau-Intro beschränken. Es betrifft auch manch andere TV-Magazine, deren Werbe-Clips reißerisch aus Katastrophenbildern zusammengesetzt sind, untermalt mit bombastischer Musik. Man sieht in schnellen Filmschnitten beispielsweise: Hubschrauberabsturz, Kanzlergesicht, Protestmarsch, Krankenhaus, brennendes Auto, Minister am Rednerpult, Wirbelsturm, Hochwasser, fliehende Menschen etc. pp. -- dann die lächelnden Köpfe der Redaktion und die Ansage: Jeden Freitag um 21 Uhr. - Katastrophen mit echten Opfern als Hintergrund-Dekoration. Wie auf der Kirmes.
- Jörn Budesheim
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Ja, das hat etwas Zynisches, finde ich.