Kaffeestübchen

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Stefanie
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Mo 9. Dez 2024, 22:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 9. Dez 2024, 19:10
(...)
Denn die Absicht, einen Spaziergang zu machen, ist nicht dasselbe wie eine Absicht, die man gegebenenfalls mit dem Spaziergang verfolgt.

Absicht und Absichtslosigkeit koexistieren, metaphorisch gesprochen, weil sie auf unterschiedlichen Ebenen operieren und sich daher nicht widersprechen. Die Absicht, einen Spaziergang zu machen, ist schlicht die Absicht, einen Spaziergang zu machen – und nicht zugleich die Absicht, die man mit dem Spaziergang verfolgt.
Das ist mir zu hoch. Wie soll man das in der Praxis trennen?

Früher als Kind sind wir oft Sonntagvormittags mit unserem Vater im Königsforst (Wald, Erholungsgebiet, Köln.) gewesen. Durchaus ein Spaziergang. Mit vorherige Autofahrt dorthin.
Grund war unsere Mutter wollte uns aus dem Haus haben : - ). Absicht war u.a. Wildschweine gucken, im Wald rumstapfen um ein Rinnsal finden und einen Damm bauen.
Ein Spaziergang ohne irgendetwas damit zu verbinden, kenne ich nicht. Von A nach B, um sich die Beine zu vertreten, um sich was anzuschauen usw.



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Jörn Budesheim
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Stefanie hat geschrieben :
Mo 9. Dez 2024, 22:34
Das ist mir zu hoch. Wie soll man das in der Praxis trennen?
Das muss man nicht erst "trennen", es ist ja verschieden. Ein anderes Beispiel: Du hast die Absicht, das Büro zu verlassen und die Absicht in die Stadt zu fahren, um etwas zu kaufen, die Absicht nach Hause zu fahren etc. Obwohl diese Absichten zusammen eine Geschichte bilden, sind sie doch unterscheidbar, oder? Warum also soll man nicht die Absicht haben können, einen Spaziergang zu machen, mit dem man keine Absichten verbindet.

Absicht, einen Spaziergang zu machen > Spaziergang verfolgt keine weitere Absicht.
Absicht, einen Spaziergang zu machen > Spaziergang verfolgt die Absicht, etwas für die Gesundheit zu tun.

Im ersten Fall geht es um den Spaziergang selbst, im zweiten um die Gesundheit. Der erste Fall ist ein Fall von absichtslosem Spaziergang, der zweite nicht.




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Jörn Budesheim
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Di 10. Dez 2024, 09:19

Was, wenn wir von Zielen statt von Absichten sprechen? Ich kann das Ziel haben, einen Spaziergang zu machen. Aber der Spaziergang selbst hat kein Ziel.

Ich denke auch, dass wir damit das Thema "Muße" streifen. Muße ist doch eine Art Freiheit von Absichten, Zielen und Zwecken. Man kann sich einfach treiben lassen und (ohne leitende Absichten) dem Moment folgen.

Da war doch was? Wir haben über Muße vor fünf Jahren man einen Faden gehabt: viewtopic.php?p=29343#p29343




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Stefanie
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Di 10. Dez 2024, 10:13

An diesen Faden kann ich mich erinnern und auch daran, dass wir uns wohl nicht einig waren. :- )

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es ein absichtsloses Gehen gibt.
Das hier geht nicht: "Warum also soll man nicht die Absicht haben können, einen Spaziergang zu machen, mit dem man keine Absichten verbindet." Kannst Du Dein Denken, Dein Bewusstsein ausschalten?



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Jörn Budesheim
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Di 10. Dez 2024, 10:16

Ich muss doch nicht mein Denken und mein Bewusstsein ausschalten, um einen absichtslosen Spaziergang zu machen. Im Gegenteil, vieles könnte einem dabei sogar besonders bewusst sein und vielleicht kommen einem sogar ganz besonders schöne Gedanken.




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Stefanie
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Di 10. Dez 2024, 10:19

Und das ist dann keine Absicht?



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Jörn Budesheim
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Di 10. Dez 2024, 10:28

Ja, natürlich.

Was ist die Struktur einer Absicht? Eine Absicht ist ein Ziel oder einen Zweck, den eine handelnde Person verfolgt. Man tut etwas mit einer bestimmten Absicht, also um ein Ziel zu erreichen, einen Zweck zu verfolgen. Man geht in den Supermarkt, um einzukaufen. Man hat die Absicht, einzukaufen. Aber man kann einen Spaziergang ohne solche Absichten machen, einfach so ... keine Zwecke, keine Ziele, man geht einfach nur spazieren.

Goethe drückt es sehr schön und etwas paradox aus: "Ich ging im Walde / So vor mich hin, / Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn."




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Quk
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Mi 11. Dez 2024, 14:08

https://www.spektrum.de/kolumne/warkus- ... ma/1875442

"... dass ein Mensch nicht zugleich an zwei Orten sein kann ..."

Ein Mensch ist immer an unendlich vielen Orten gleichzeitig. Wenn das nicht stimmte, wäre der Mensch ein unendlich kleiner Punkt.




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Stefanie
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Mi 11. Dez 2024, 22:56

Gibt es dazu ein praktisches Beispiel?
Im Moment sitze ich auf meiner Couch. An einem anderen Ort bin ich körperlich nicht.



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Quk
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Do 12. Dez 2024, 03:10

Mein linker Fuß befindet sich an dem Ort neben dem linken Tischbein, mein rechter Fuß befindet sich an einem anderen Ort, etwa 20 cm weiter rechts vom linken Tischbein. Mein Kopf verortet sich auf der Höhe der Türklinke, mein Hals ist an einem etwas tieferem Ort. Die Hautzelle Nr. 57356 befindet sich an einem anderen Ort als Hautzelle Nr. 3. All meine Bauteile bis hin zum kleinsten Elementarteilchen gehören zu ein und dem selben Menschen. Wenn ich auf der Grenzlinie stehe zwischen Köln und Bonn, bin ich sogar gleichzeitig in zwei verschiedenen Städten, denn diese Grenze ist unendlich dünn, und ich bin nicht dünn.




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Stefanie
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Do 12. Dez 2024, 07:35

;- )
Meine Ahnung war, als ich die Frage schrieb, hmm da kommt jetzt bestimmt sowas wie "Arm auf der Couchlehne, ein Bein unten, eines auf der Couch" oder was anderes in diese Richtung.

Das ist doch etwas weiter umfassender als der alltägliche Sprachgebrauch. Die meistens würde den Ort noch runterbrechen auf das Zimmer, - um in der Wohnung zu bleiben- aber nicht kleinteiliger. Bei Grenzen gibt es durchaus das Spiel, "guckmal mit Links bin in Deutschland, und mit Rechts in den Niederlanden", als Beispiel. Ort ist aber doch eigentlich dann nur der Punkt, auf dem man gerade steht. Grenze hin, Grenze her.

Apropos Grenze......mit der Grenzlinie zwischen Bonn und Köln klappt das so nicht wie beschrieben. Die gibt es nicht.



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Jörn Budesheim
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Do 12. Dez 2024, 08:52

Quk, guck mal nach, wo dein linker Fuß gerade ist – befindet er sich immer noch neben dem linken Tischbein? Vielleicht nicht. Nach meinem Verständnis ist er jedoch genau da, wo er gestern war, und hoffentlich bleibt er den ganzen Tag an diesem Ort und noch viele Jahre. :-)* Denn du brauchst ihn, um den Ort zu wechseln :-)

Was ist ein Ort überhaupt? Nach meinem Verständnis ist ein Ort nicht per se eine Raumzeitstelle. Ich sehe den Begriff etwas anders. Wenn man beispielsweise von einem Ort der Stille spricht, dann meint man nicht einfach einen raumzeitlichen Ort irgendwo. Der Ort ist hier eher bestimmt durch das, was man da machen kann bzw. soll. Vielleicht kann man den Begriff fürs Erste so skizzieren: Ein Ort markiert in der Regel (wenn vielleicht auch nicht immer) eine Stelle in einem strukturierten Ganzen, einem Kontext – oder wie auch immer man es ausdrücken möchte. Etymologisch hängt "Ort" neben anderem mit "Spitze (des Speeres)" zusammen.

Ein paar Beispiele:
  • Eine Stadt ist ein Ort in einer bestimmten Region, die Region ist Teil eine Landes usw.
  • Der Ort der 7 sind die natürlichen Zahlen - zwischen 6 und 8.
  • Ein Gedenkort ist ein Ort innerhalb eines kulturellen oder historischen Raumes.
  • Ein Arbeitsplatz hat seinen Ort in einer bestimmten Organisation, die wiederum ihren Ort in unserem Wirtschaftssystem hat.
  • In Hans' Wohnung hat jedes Ding seinen Ort. (Der Arme!)
  • Züngen ist ein Ort an der Grenze zu Urz.
Auch körperlich ist das so, finde ich: Die Hautzelle Nr. 57356 befindet sich zwar an einem anderen Ort als Hautzelle Nr. 3, aber beide sind Teil der "Oberfläche" eines lebendigen Körpers. Solange dieser Körper und diese Zellen existieren, bleiben die Zellen also am selben Ort – dort, wo der Körper ist.

Ein besonders interessanter Ort ist das „Hier“. Wo auch immer ich bin, ich bin „hier“.

* Ich kenne jemandem, dem das tatsächlich passiert ist, zwar nicht mit dem Bein, sondern mit der Nase, die von einem Propeller eines Modellfliegers abgeschlagen wurde. Grausig!




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Jörn Budesheim
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Do 12. Dez 2024, 09:10

In der Kunst (vielleicht auch der Philosophie) kennt man auch den Begriff des "Unortes", was immer das im Detail ist. Vielleicht etwas, was keinen bestimmten Platz in einer Struktur hat und unbestimmt bleibt.




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Stefanie
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Do 12. Dez 2024, 09:25

Ich kenne "Unort" als Bezeichnung für einen Ort, der nicht schön ist, oder der unangenehm ist, einen schlechten Ruf hat und vor allem an dem man nicht sein will. Auch die Menschen, die vielleicht dort leben müssen, wollen dort eigentlich nicht leben.



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Quk
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Do 12. Dez 2024, 09:48

Unräumlich-poetische Orte, wie etwa den der Stille, sind sogar noch leichter multipositional besetzbar. Wenn ich zum Beispiel im Edeka stehe, bin ich an einem Ort der Marktwirtschaft und zugleich an einem Ort der Quietschmusik und zugleich an einem Ort der Begegnung mit anderen Nahrungssuchenden und zugleich an ...

Räumliche Orte sind relativ. Mein Fuß ist an einem Ort relativ zum Ort meiner Brust. Er ist zugleich an einem Ort relativ zum Ort der Sonne. Der Ort der Sonne ist relativ zum Ort unseres Galaxien-Zentrums. Die Galaxien sind relativ zueinander verortet. Alle zusammen sind an einem Ort, der wohl keine weitere Relation hat, es sei denn, das Universum hat Nachbar-Universen.




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Jörn Budesheim
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Do 12. Dez 2024, 11:55

Quk hat geschrieben :
Do 12. Dez 2024, 09:48
Unräumlich-poetische Orte, wie etwa den der Stille, sind sogar noch leichter multipositional besetzbar. Wenn ich zum Beispiel im Edeka
:-) Das EDEKA ist für mich jetzt nicht gerade der Prototyp eines poetischen Orts :-)




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Quk
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Do 12. Dez 2024, 12:02

Es gibt eine Poesie der Liebe und es gibt eine Poesie des Grauens :-)




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Jörn Budesheim
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So 15. Dez 2024, 07:45

Schild beim Friseur:
"Herren ohne Termin"
Klingt wie der Nachfolgeband von:
"Mann ohne Eigenschaften"




Timberlake
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Mo 16. Dez 2024, 00:09

Quk hat geschrieben :
Do 12. Dez 2024, 12:02
Es gibt eine Poesie der Liebe und es gibt eine Poesie des Grauens :-)
... und es gibt eine Poesie der Liebe und des Grauens ...

"Die Mutter der Natur, die Erd, ist auch ihr Grab,
Und was ihr Schoß .. ( der Liebe ) .. gebar, sinkt .. (des Grauens) .. tot in ihn hinab.
William Shakespeare .. Romeo und Julia




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Quk
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Mo 16. Dez 2024, 05:47

Es gibt Kleingeräte ohne Anschluss und es gibt Kleinkinder ohne Anschluss.




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