Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Quk
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Fr 10. Jan 2025, 12:58

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:28
V("S") ↔ w(S)→W(S)
Nur zur Sicherheit: Welche Klammerung ist hierbei gemeint?

( V("S") ↔ w(S) ) → W(S)

oder

V("S") ↔ ( w(S) → W(S) )

?




Timberlake
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Fr 10. Jan 2025, 13:36

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:28
Der Satz von Wittgenstein ist etwas verwirrend, weil er zwei Ebenen, die Objektebene und die Metaebene, verknüpft. Man kann ihn nur richtig verstehen, wenn man die Voraussetzung versteht, die W. im tractatus macht: Logik istdanach das korrekte Abbild der Welt in Sprache. Dann kann man den Satz formalisieren (mit S=Satz, W=Wissen, w=wahr, V=Verstehen):
[1] V("S") ↔ w(S)→W(S)
Wenn die Welt logisch verfaßt ist, und das nimmt W. an, dann gilt für jeden Satz S˅⌐S und ⌐(S˄⌐S). Daher kann man [1] umformen in:
[2] V("S") ↔ w(S)↔W(S)
Dann gilt:
[3] ⌐(V("S")) ↔ ⌐(w(S)↔W(S)) ↔ ((w(S)˄⌐W(S))˅(⌐w(S)˄W(S)))
Der Satz von Wittgenstein ist also absolut korrekt unter der von ihm gemachten Voraussetzung, Nichtverstehen ist das Nichtverstehen der Korrespondenz von Wahrheit eines Satzes (Metaebene) und Gegebenheit (Objektebene).
Apropos verstehen..
  • " [3] ⌐(V("S")) ↔ ⌐(w(S)↔W(S)) ↔ ((w(S)˄⌐W(S))˅(⌐w(S)˄W(S)))"
Weil einer solchen Formalisierung, wie gesagt, leider nicht fähig. So würde ich das o.g Zitat folgendermaßen ergänzen wollen.

  • "Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist und dessen Formalisierung nachvollziehen kann."
Ist man zu Letzteres nicht fähig, wird man diesen Satz auch nicht verstehen. Um dergleichen an einer "Metaebene", wie dem Begriff "Fachchinesisch" festzumachen, so gilt das übrigens auch die Formalisierung in einer Fremdsprache, wie chinesisch. Bin ich doch nicht von Fach, so das es für mich einerlei ist, ob der Satz in der Form von @Wolfgang Endemann oder in der Form von chinesisch formalisiert wurde.


Quk hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:58
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:28
V("S") ↔ w(S)→W(S)
Nur zur Sicherheit: Welche Klammerung ist hierbei gemeint?

( V("S") ↔ w(S) ) → W(S)

oder

V("S") ↔ ( w(S) → W(S) )

?
Somit übrigens @Quk von mir, nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage erwarten kann.

Wie dem auch sei, letztendlich zählt das Ergebnis und das wäre, wie ich meine für alle verständlich formuliert, in diesem Fall folgendes …

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:28

Der Satz von Wittgenstein ist also absolut korrekt unter der von ihm gemachten Voraussetzung, Nichtverstehen ist das Nichtverstehen der Korrespondenz von Wahrheit eines Satzes (Metaebene) und Gegebenheit (Objektebene).
Ob die Klammerung womöglich daran etwas ändert, das zu entscheiden , überlasse ich , im wahrsten Sinne des Wortes notgedrungen, einmal den Profis, die damit auch etwas anzufangen wissen.




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Jörn Budesheim
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Fr 10. Jan 2025, 14:32

Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist (Wittgenstein)

"Ich verstehe diesen Satz."
"Ich weiß, was der Fall ist, falls dieser Satz wahr ist."

Das sind einfach zwei verschiedene Arten und Weisen, im Grunde dasselbe zu sagen. Oder anders ausgedrückt, es sind zwei Seiten derselben Medaille. Ist das eine der Fall, ist auch das andere der Fall. 

Ich kann einen Satz nicht verstehen, ohne zu wissen, was der Fall ist, falls er wahr ist. Und ich kann nicht wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist, ohne ihn zugleich verstanden zu haben.




Wolfgang Endemann
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Fr 10. Jan 2025, 15:28

Quk hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:58
Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 12:28
V("S") ↔ w(S)→W(S)
Nur zur Sicherheit: Welche Klammerung ist hierbei gemeint?

( V("S") ↔ w(S) ) → W(S)

oder

V("S") ↔ ( w(S) → W(S) )

?
Dazu muß man wissen, daß es in der Regel gebräuchlich ist, daß ↔ stärker bindet als →. Ich habe das verdeutlicht dadurch, daß ↔ durch eine Leertaste getrennt ist, während → ohne Leertaste verwendet wird. Es wäre aber verständlicher gewesen, ich hätte noch Klammern hinzugefügt.

V("S") ↔ ( w(S) → W(S) )




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Quk
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Fr 10. Jan 2025, 15:36

Wolfgang Endemann hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 15:28
Dazu muß man wissen, daß es in der Regel gebräuchlich ist, daß ↔ stärker bindet als →.
Ich verlasse mich ungern auf diese Regel :-) Zur Sicherheit bevorzuge ich Klammern.

In dem Beispiel scheinen mir übrigens beide Klammerungsweisen sinnvoll. So gesehen sind die Klammern egal.
Zuletzt geändert von Quk am Fr 10. Jan 2025, 15:38, insgesamt 1-mal geändert.




Wolfgang Endemann
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Fr 10. Jan 2025, 15:36

PS. Man bemerke, daß ich, wie Timberlake es formuliert hat, eine Gleichung (Äquivalenz) zwischen einer metatheoretischen Aussage auf der einen Seite und einer theoretischen auf der anderen Seite aufgestellt habe.




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Quk
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Fr 10. Jan 2025, 15:39

In dem Beispiel scheinen mir übrigens beide Klammerungsweisen sinnvoll. So gesehen sind die Klammern egal.




Wolfgang Endemann
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Fr 10. Jan 2025, 16:01

Quk hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 15:39
In dem Beispiel scheinen mir übrigens beide Klammerungsweisen sinnvoll. So gesehen sind die Klammern egal.
Ja, aber die nichtgemeinte Aussage ist die schwächere.




Timberlake
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So 12. Jan 2025, 00:29

Timberlake hat geschrieben :
Fr 10. Jan 2025, 01:01
"Einen Satz nicht verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist" .. halte ich allerdings tatsächlich für Unfug.
Beinahe hätte ich es doch glattweg übersehen. Wie bei allem gibt es natürlich auch hier Ausnahmen.

"Wer glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden."
(Richard Feynman, 1918 – 1988)

Obgleich wir wissen, was der Fall ist , wenn die Quantentheorie wahr ist , so haben wir sie , wenn man Richard Feynman glauben schenken darf , dennoch nicht verstanden.


scinexx.de hat geschrieben :
Quantenphysik „verwischt“ die Zeit

Raumschiff-Duell im Weltraum

Das haben die Forscher nun in einem Gedankenexperiment untersucht. Illustrieren lassen sich ihre Überlegungen an folgendem Szenario: Im Weltall schweben zwei Raumschiffe, die zu vordefinierten Zeiten aufeinander feuern. Das jeweils andere Schiff weiß genau, zu welcher Uhrzeit dieser Angriff erfolgt und weicht daher zu diesem Zeitpunkt aus. Wenn nun jedoch dieses Raumschiff in das Schwerefeld eines Planeten gerät, dehnt dessen Schwerkraft die lokale Zeit – und die Borduhr des Schiffs geht nach. Dadurch weicht das Raumschiff zu spät aus und wird zerstört.

Soweit das „klassische“ Szenario. Was aber passiert, wenn man den Planeten in einen Überlagerungszustand versetzen würde? Theoretisch wäre er dann gleichzeitig nah und weit entfernt. Damit aber müsste auch die von ihm verursachte Zeitdehnung gleichzeitig stark und schwach sein – die Zeit selbst wäre damit in einem unbestimmten Zustand der Überlagerung. Für die beiden Raumschiffe würde dies bedeuten: Ihr Ablauf von Schießen und Ausweichen geriete durcheinander, so dass theoretisch sogar beide gleichzeitig explodieren könnten.
Wie wollte man auch einen Satz verstehen, nach dem ein Planet von einem Raumschiff sowohl nah als auch fern sein kann? Denn genau das ist der Fall, wenn die Quantentheorie wahr ist.
tu-dresden.de hat geschrieben :
Der Logische Positivismus – auch logischer Empirismus genannt - ist eine wissenschaftstheoretische Strömung, die sich zum Ziel setzte, die Philosophie nach wissenschaftlichen und objektiven Kriterien zu erneuern. Vertreten und begründet wurde er besonders durch den Wiener Kreis (1922-1936).

Vorangetrieben durch den Fortschritt der Naturwissenschaften (und gleichzeitigen Stillstand der Philosophie), wollte man den philosophischen Wissenserwerb dem der empirischen Wissenschaften angleichen. Vor allem war man auf der Suche nach klaren Kriterien zur Beurteilung, ob bestimmte Aussagen (wissenschaftlich) gültig oder ungültig seien.
Hierzu war ein erstes Mittel, Theorien immer in der klaren Sprache der Logik zu formulieren, und sie somit überprüfbar zu machen. Zweitens sollten nicht widerlegbare Thesen (Letztbegründungen) vermieden werden. Drittens war man sich einig, dass nur objektiv Beobachtbares als wissenschaftlich anzusehen ist.
Weil vor kurzem hier erwähnt , wenn der logische Positivismus sich dadurch auszeichnet Theorien immer in der klaren Sprache der Logik zu formulieren, und sie somit überprüfbar zu machen , so scheint er in der Quantentheorie seinen Meister gefunden zu haben.




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