Nun habe ich dazu diese Aufsatzsammlung (IWK - WAHRHEIT IN ZEITEN DES WISSENS - HRSG. VON MANFRED FÜLLSACK) gefunden, darin befindet sich auch ein Aufsatz von Karen Gloy mit dem Titel: KANTS WAHRHEITSTHEORIE UND MODERNE POSITIONEN, wo sie die ontische Wahrheitstheorie näher erläutert. Grob gesagt geht diese Wahrheitstheorie wohl auf Heidegger zurück, der diese aus einer Übersetzung und etymologischen Interpretation des griechischen Wortes für Wahrheit (aletheia) ableitete. Demnach läge Wahrheit irgendwie in den Dingen selbst bzw. in einer Relation zwischen Dingen. Am Ende des Abschnittes über die ontische Wahrheitstheorie sagt sie Folgendes:
Vielleicht verstehe ich da nun etwas völlig miss, aber so, wie ich das lese, behauptet Gloy mitnichten, dass die ontische Wahrheitstheorie dem common sense entspräche. Sondern sie sagt, dass der heute herrschende Begriff von Wahrheit als Übereinstimmung der Aussage mit dem Gegenstand konzipiert sei - was eine Art Korrespondenztheorie impliziert. Und das stimmt nun sehr gut mit meiner Intuition bezüglich des heutigen Wahrheitsbegriffes überein.Über Platon hinausgehend, hat Heidegger dieses Modell in eine historische Dimension gerückt und für eine spezifische Geschichtsauslegung genutzt, nach der das Verständnis von aletheia als Unverborgenheit das ursprüngliche sei, das im Laufe der Zeit verloren ging und durch den heute herrschenden Begriff von Wahrheit als Übereinstimmung der Aussage mit dem Gegenstand ersetzt wurde. Diese Wandlung setzt nach Heidegger in der Blüte der griechischen Philosophie ein und lässt sich anhand des platonischen Höhlengleichnisses belegen. Obwohl das Gleichnis den ursprünglichen Wahrheitsbegriff als Unverborgenheit thematisiert, markiert es doch zugleich den Wendepunkt zu dem späteren Wahrheitsbegriff als Richtigkeit, als Sich-Richten des Urteils nach dem Gegenstand, der das neuzeitliche Wahrheitsverständnis prägt. Nach Heidegger gilt es, diesen Verfall rückgängig zu machen und zum ursprünglichen Verständnis zurückzukehren.
Nun mag man dafür argumentieren - wie das laut Gloy Heidegger tat - a) das antike Wahrheitsverständnis sei eines, das Wahrheit in den Dingen verorte, b) dieses Wahrheitsverständnis sei besser als das heutige Wahrheitsverständnis und man c) daher zum antiken Wahrheitsverständnis zurückkehren solle. Allerdings kann man dann nicht auch behaupten, das "ontische Wahrheitsverständnis" sei das heute landläufige.
Noch ein Zitat aus dem verlinkten Artikel:
und nochmal das bereits gebrachte Zitat aus dem Wikipedia-Artikel Wahrheit:Thematisiert man die Relation zwischen Subjekt und Objekt als Übereinstimmung, so hat man es mit der Korrespondenztheorie der Wahrheit zu tun, die auch unter dem Namen „Adäquationstheorie“ oder „convenientia-Theorie“ bekannt ist.
Auch da sieht es für mich stark danach aus, dass Gloy die Korrespondenztheorie der Wahrheit als common sense betrachtet.Dennoch ist Karen Gloy zuzustimmen: „Das adaequatio-Verständnis der Wahrheit ist zweifellos das bekannteste und verbreitetste, das sowohl unser alltägliches, vorwissenschaftliches Denken wie auch unser wissenschaftliches beherrscht.“ Im Alltag stellt die (vage) Rede von der Übereinstimmung einer sprachlichen Aussage mit einem objektiven Sachverhalt oft kein Problem dar.
Nun ist ihr Buch "Wahrheitstheorien: Eine Einführung" von 2004, der verlinkte Aufsatz ist von 2007. Mag sein, dass sie ihre Meinung in der Zeit dazwischen geändert hat. Aber als Zeugin dafür, dass die ontische Wahrheitstheorie die vortheoretische sei, taugt sie wohl nicht.