Tatsachen/Wahrheit/ontische Wahrheit

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Herr K.
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Di 28. Nov 2017, 09:45

Alethos hat geschrieben :
Mo 27. Nov 2017, 22:48
Und entweder nun nimmt die ontische Wahrheitstheorie hier eine Gottesperspektive ein und hat Wahrheitserkenntnis ohne zu denken oder aber sie muss erklären, wie die Wahrheit in die Tatsache kommt und zwar jene, die nicht durch das Denken in die Tatsache gelangt. [...] Nun, ja. Ich denke auch, dass Sokrates alles mögliche im alten Athen getrieben hat, wovon wir nichts wissen. Alles das mag Tatsache sein oder gewesen sein. Ob es sich aber so verhält, dass es auch wahr ist, [...]
Aber unsere Arbeitshypothese bezüglich der ontischen Wahrheit war doch diese:

Eine Tatsache besteht <=> Eine Tatsache ist wahr

Ob diese Arbeitshypothese stimmt, muss nun erst noch von den Vertretern der ontischen Wahrheit bestätigt werden. Falls sie nun stimmt, dann ist dieser Ansicht gemäß alles, was Tatsache ist oder gewesen ist oder sein wird, auch wahr bzw. war wahr gewesen bzw. wird wahr sein. Und zwar unabhängig von einer Erkenntnis dessen oder einem Wissen darüber, (zumindest nach realistischer Ansicht, die ich hier mal voraussetze).




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Jörn Budesheim
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Di 28. Nov 2017, 10:28

Die Hypothese kann ich nicht bestätigen. Ich hab dergleichen nie gesagt. Den Einwänden entnehme ich jedoch, dass ich es bisher nicht geschafft habe, meine Position so darzulegen, dass sie korrekt wiedergegeben werden kann und wird. Ich will es also noch mal versuchen. Vielleicht kann ich es nicht darstellen, ich weiß es nicht ... Ziel des folgenden Textes ist nicht letzte unangreifbare Definition. Ich erhoffe mir nur, dass ein neugieriger und wohlwollender Leser zu verstehen mag, was ich meine, vielleicht auch nur in groben Zügen.

Alles folgende hab ich schon mal dargelegt, ich trage es jetzt noch mal zusammen und versuche, es bündiger und wie ich hoffe klarer darzustellen. Der Text basiert zu großen Teilen auf einschlägigen Stellen von Sinn und Existenz von Markus Gabriel sowie einem Aufsatz von Petra Kolmer über Wahrheit in dem bereits erwähnten philosophischen Handbuch, diversen Zitaten (zum Beispiel aus Logisch-semantische Propädeutik von Ernst Tugendhat und Ursula Wolf) sowie eigenen Erwägungen.


Zunächst einmal zwei einschlägige sich gegenüberstehende Zitate:
  1. Die Welt (unsere raumzeitliche Welt) besteht [...] nicht aus Tatsachen, sondern aus konkreten Gegenständen. (Ernst Tugendhat)
  2. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. (Wittgenstein)
Die Ansicht, die ich hier darlege, hängt mit zwei ontologische Grundkonzepten zusammen, die sich gegenüberstehen. Ich denke die beiden Zitate sind sprechend. Ich will diese beiden Konzeptionen jetzt nochmals in wenigen Strichen skizzieren: (1) Die Welt besteht aus konkreten Dingen. (2) Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen. (Inwiefern man überhaupt von "Welt" oder einer Gesamtheit sprechen kann, lasse ich für diesen Zweck außen vor.)
  1. Objektontologie: In dieser Sicht besteht die Wirklichkeit aus unabhängig existierenden und raumzeitlich identifizierbaren Gegenständen. Wir können von diese Dingen Tatsachen aussagen. Diese Tatsachen sind somit etwas Gedank­liches.
  2. Tatsachenontologie: Für diese Sicht ist die Welt eine Gesamtheit von Tatsachen. Manche Theoretiker sprechen gar von einer an sich propositional strukturierten Welt. (Eine Ansicht, die in manchen Quellen Hegel und dem späten Wittgenstein zugeschrieben wird.) Wobei hier mit Proposition nicht allein der Informationsgehalt eines Satzes gemeint ist. Propositionen/Tatsachen sind in dieser Sicht die "primäre" ontologische Entität, was nicht bedeutet, dass sie keine Objekte kennt.
Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können, sagt Wittgenstein im Tractatus.
  1. Fangen wir zunächst mit dem Ding an. Dieses Ding könnte eine Tasse sein. Oder anders gesagt: Gegeben ein Bereich: Auf dieses Ding trifft es zu eine Tasse zu sein. Es ist wahr, dass es sich um eine Tasse handelt. Diese ontische Wahrheit kann auch ausgesagt werden: "Das ist eine Tasse." Kommen Subjekte und ihre Ansichten/Aussagen ins Spiel, können auch Unwahrheiten ins Spiel kommen, es ist nämlich unwahr/falsch, dass es sich bei dem fraglichen Ding um einen Tiger handelt.
  2. Kommen wir zu den Tatsachen. Es ist - wie Wittgenstein oben geltend macht - dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können. Das Gleiche drückt Gabriel so aus, dass verschiedenes von der (oder: über die) Tasse wahr sein kann, zum Beispiel, dass sie auf dem Tisch steht. Entsprechend der Tatsachen-Ontologie besteht diese Tatsache an sich. Und diese Tatsache kann man aussagen: "Die Tasse steht auf dem Tisch." Hier ist nicht gesagt, dass die Tatsache wahr ist, was wirklich seltsam klingt, aber von mir auch nie gesagt wurde. Dass der Begriff Tatsache und der Begriff Wahrheit oft synonym verwendet werden, finde ich vor dem gesagten jedoch unproblematisch - eine Aussage ist wahr, wenn die Tatsache besteht. Die Tatsache besteht, weil es über die Tasse wahr ist, dass sie auf dem Tisch steht.
Jetzt zu der Frage, wie sich Wahrheit und Wirklichkeit zueinander verhalten. Sind die Begriff Synonyme? Meines Erachtens nicht. Die Wirklichkeiten sind die "Orte" an denen die miteinander verknüpften Tatsachen und somit die Wahrheiten vorkommen. Versteht man darunter einen Gesamtzusammenhang, dann ergibt sich, dass die Welt die Gesamtheit der Tatsachen ist. An anderer Stelle habe ich eine Autorin (Petra Kolmer) zitiert, die unter der ontischen Wahrheit die Wirklichkeit unter dem Aspekt ihrer Erkennbarkeit verstanden hat. Vielleicht geht Heideggers Rede von der Unverborgenheit in die nämliche Richtung.




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Herr K.
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Di 28. Nov 2017, 13:15

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 10:28
[...] Gegeben ein Bereich: Auf dieses Ding trifft es zu eine Tasse zu sein. Es ist wahr, dass es sich um eine Tasse handelt. Diese ontische Wahrheit kann auch ausgesagt werden: "Das ist eine Tasse." [...] Hier ist nicht gesagt, dass die Tatsache wahr ist, was wirklich seltsam klingt, aber von mir auch nie gesagt wurde. [...] Die Tatsache besteht, weil es über die Tasse wahr ist, dass sie auf dem Tisch steht.
Danke für Deine Erläuterungen. Allerdings ist mir nun immer noch nicht klar geworden, was "ontische Wahrheit" für Dich bedeutet, falls diese nicht bedeutet, dass eine Tatsache besteht. Ich habe auch nach wie vor ein Problem mit den drei von mir unterstrichenen "es", denn mir ist nicht klar, worauf sich diese beziehen. Nun können sie sich einerseits auf Aussagen über die betreffenden Tatsachen beziehen und diese Aussagen können wahr oder falsch sein. So weit, so gut und soweit sind wir uns wohl auch einig, wenn ich das recht verstanden habe. Allerdings scheinst Du hier zu meinen, dass zusätzlich etwas anderes wahr sei und dass die Wahrheit der Aussage aus dieser anderen Wahrheit abgeleitet sei, (oder so gesagt: Deiner Ansicht nach ist wohl eine Aussage nicht der primäre, sondern ein sekundärer Wahrheitsträger - so wie in der Korrespondenztheorie der Wahrheit (zumindest in einigen Versionen von dieser) Aussagen als primäre und Sätze als sekundäre Wahrheitsträger angesehen werden). Wobei mir immer noch nicht klar ist, was denn dieses andere sein soll - d.h. was denn Deiner Ansicht nach die eigentlichen/primären Wahrheitsträger sein soll, wenn nicht Tatsachen.

Vielleicht ist aber Dein Hinweis auf Petra Kolmer hilfreich, um unseren Dissens etwas näher bestimmen zu können. Ich habe einen interessanten Aufsatz von ihr gefunden, daraus ein Zitat (bpp 2017 - Petra Kolmer - Wahrheit. Ein philosophischer Streifzug):
Nie hat die Philosophie die Wahrheit systematisch nur auf der Seite des Wissens verortet. Immer sah sie die Wahrheit auch – und anfänglich sogar primär – auf der Seite der Wirklichkeit, nach der sich die Erkenntnis richten muss. Wahrheit war zuerst die Wirklichkeit selbst, und zwar "unter dem Aspekt ihrer Erkennbarkeit",[11] sodass die Ausdrücke "wahr", "seiend" und "erkennbar" austauschbar waren. Dabei hieß Erkennbarkeit bis ins 14. Jahrhundert hinein vor allem das Verbunden-Sein des kategorienbegrifflich unterscheidbaren Seienden, sein Hingeordnet-Sein auf ein höchstes Seiendes.
Unser Dissens scheint mir nun folgender zu sein: Du möchtest Wahrheit auf der Seite der Wirklichkeit verorten, ich jedoch in einer Relation (Korrespondenz) zwischen Erkenntnis und Erkanntem. Allerdings passt dazu nun nicht so richtig zusammen, dass Du nicht Tatsachen die Eigenschaft "wahr" zuordnen möchtest, (analog zu dem im Zitat Gesagten: 'die Ausdrücke "wahr", "seiend" und "erkennbar" [waren] austauschbar'), bzw. Du anscheinend nicht meinst, dass Wahrheit die Wirklichkeit selbst sei, (oder auch: die erkennbare Wirklichkeit).




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Jörn Budesheim
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Di 28. Nov 2017, 14:25

Herr K. hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 13:15
Allerdings ist mir nun immer noch nicht klar geworden, was "ontische Wahrheit" für Dich bedeutet, falls diese nicht bedeutet, dass eine Tatsache besteht.
Herr K. hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 13:15
Allerdings passt dazu nun nicht so richtig zusammen, dass Du nicht Tatsachen die Eigenschaft "wahr" zuordnen möchtest,
Herr K. hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 13:15
Du möchtest Wahrheit auf der Seite der Wirklichkeit verorten, ich jedoch in einer Relation (Korrespondenz) zwischen Erkenntnis und Erkanntem. [Hervorhebung von mir]
Aus dem vorhergehenden ist hoffentlich klar geworden, dass ich eine Tatsachenontolgie vertrete. Tatsachen bestehen demnach. Und zwar an sich.

Ich würde zwar nicht die Formulierung nutzen, dass Tatsachen wahr sind. Aber Tatsachen und Wahrheit sind bei mir doch überhaupt nichts getrenntes oder so ... wie du zu glauben scheinst. Ich verstehe deine Frage vielleicht auch nicht. Einfach gesagt: bei Tatsachen geht es um Wahrheit. Bei dem Katzenbeispiel in zweifacher Hinsicht, wie ich erläutert habe. Es ist wahr, dass das Ding, welches in dem Sachverhalt vorkommt, eine Katze ist und von dieser ist wahr, dass sie auf der Matte sitzt. Das ist die Tatsache, die kein Gedankending ist, sondern an sich vorliegt. Und ein Satz kann diese Tatsache aussagen, was ihn zu einem wahren macht. Viel substanzieller kann man sich eine "Korrespondenz" eigentlich kaum vorstellen, weswegen ich dein "jedoch" nicht verstehe.




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Alethos
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Di 28. Nov 2017, 18:17

Danke auch für deine klaren Ausführungen.

Wenn ich das also jetzt richtig verstehe, dann vertrittst du nicht die Position, die Wahrheit an sich der Tatsache komme vor, sondern lediglich das an sich Sein der Tatsache, über die es aber wahr ist, dass sie ist.



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Herr K.
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Mi 29. Nov 2017, 14:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Nov 2017, 14:25
Ich würde zwar nicht die Formulierung nutzen, dass Tatsachen wahr sind. Aber Tatsachen und Wahrheit sind bei mir doch überhaupt nichts getrenntes oder so ... wie du zu glauben scheinst. Ich verstehe deine Frage vielleicht auch nicht. Einfach gesagt: bei Tatsachen geht es um Wahrheit. Bei dem Katzenbeispiel in zweifacher Hinsicht, wie ich erläutert habe. Es ist wahr, dass das Ding, welches in dem Sachverhalt vorkommt, eine Katze ist und von dieser ist wahr, dass sie auf der Matte sitzt. Das ist die Tatsache, die kein Gedankending ist, sondern an sich vorliegt. Und ein Satz kann diese Tatsache aussagen, was ihn zu einem wahren macht. Viel substanzieller kann man sich eine "Korrespondenz" eigentlich kaum vorstellen, weswegen ich dein "jedoch" nicht verstehe.
Die letzten beiden Sätze beziehen sich auf Aussagenwahrheit. Bezüglich dieser sind wir uns wohl einig, wenn ich das recht sehe: Aussagen und Tatsachen sind nicht identisch (genauer gesagt: eine wahre Aussage über die Tatsache T ist nicht identisch mit T), daher kann es eine Korrespondenzbeziehung zwischen wahren Aussagen und Tatsachen geben, (hingegen kann es keine Korrespondenzbeziehung zwischen etwas und sich selber geben), und eine Aussage ist dann wahr, wenn sie mit einer Tatsache korrespondiert. Woraus folgt, dass bei Aussagenwahrheiten Aussagen die Wahrheitsträger (d.h.: hierbei können Aussagen die Eigenschaften "wahr" oder "unwahr" haben) und Tatsachen die Wahrmacher sind.

Kommen wir zu "Sachwahrheiten" wie: "Franz ist ein wahrer Freund" oder "dies ist wahres Gold". Hier haben wir auch eine Korrespondenzbeziehung, diese besteht jedoch sozusagen in umgekehrter Richtung. Franz ist dann ein wahrer Freund, wenn er unserem Konzept eines Freundes hinreichend entspricht. Was in diesen Fällen fix ist, ist unser Konzept, damit verglichen werden dann (vermeintliche) Freunde oder (vermeintliches) Gold. Je nach Übereinstimmung handelt es sich dann um einen echten Freund oder echtes Gold oder um einen falschen Freund oder um falsches Gold. Bei Aussagenwahrheit ist es umgekehrt: hier wird die Wirklichkeit fix gesetzt (ist so und so) und unterschiedliche Aussagen betrachtet, die wiederum, je nach Übereinstimmung, wahr oder falsch sein können.

Solche Sachwahrheiten sind nun wohl noch nicht das, was unter "ontischer Wahrheit" verstanden wird, sondern - zumindest so, wie ich das bislang verstehe - liegt diese in der Wirklichkeit selber und bedeutet nicht mehr oder weniger, als dass die Wirklichkeit so und so ist, bzw.: die (ontische) Wahrheit eines Ausschnittes der Wirklichkeit ist identisch mit ihrem so-und-so-Sein. Siehe dazu auch nochmal das Zitat von Petra Kolmer aus meinem Beitrag 8343 - man kann also in dieser Bedeutung von "wahr" "seiend" und "wahr" synonym verwenden. Was nun auf eine Tatsachenontologie umgemünzt ungefähr sowas bedeuten müsste, wie: a) Tatsachen sind ontisch wahr und b) "ontisch wahr" bedeutet in dem Falle, dass eine Tatsache besteht.

Nun stimmt zwar meine Auffassung von "ontischer Wahrheit" wohl nicht mit Deiner Auffassung von "ontischer Wahrheit" überein, die ich immer noch nicht verstanden habe. Mir reichte es nun, wenn wir einfach unterschieden zwischen Aussagenwahrheit, Sachwahrheit und ontischer Wahrheit, damit wäre ich solange zufrieden, bis Du nicht behauptest, dass "ontische Wahrheit" die "wahre Wahrheit" sei. Oder anders gesagt: mich deucht, dass "Wahrheit" unterschiedliche Bedeutungen habe, die recht unabhängig voneinander sind, d.h. nicht auf eine dieser Bedeutungen (z.B.: ontische Wahrheit) zurückgeführt werden können.

Nehmen wir nun noch mal diese Aussage von Dir: "Die Tatsache [Tasse steht auf dem Tisch] besteht, weil es über die Tasse wahr ist, dass sie auf dem Tisch steht." Hier ist wohl nicht Aussagenwahrheit, sondern ontische Wahrheit gemeint. (Aussagenwahrheit kann deswegen nicht gemeint sein, weil, wie schon Aristoteles sagte: "Nicht darum nämlich, weil unsere Meinung, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten.") Also wird hier wohl ontische Wahrheit gemeint sein. Und entweder ist nun die ontische Wahrheit [Tasse steht auf dem Tisch] identisch mit der Tatsache [Tasse steht auf dem Tisch] oder aber sie ist abgeleitet aus dieser Tatsache, (in welchem Falle sich die Frage nach dem Wahrheitsträger stellt, im ersten Falle ist die Tatsache der Wahrheitsträger). So oder so aber kann sie keine Begründung für das Bestehen der fraglichen Tatsache sein, höchstens könnte - im zweiten Falle - das Bestehen der Tatsache die Begründung für das Bestehen der ontischen Wahrheit sein. Oder aber Du meintest, dass ontische Wahrheiten primäre ontologische Entitäten seien und sich Tatsachen daraus ableiteten, was aber wohl nicht mit einer Tatsachenontologie kompatibel wäre.

Auch diese Aussage von Gabriel: "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas wahr ist." ist mir - im Zusammenhang mit Deiner Auffassung von ontischer Wahrheit, nach der wohl Tatsachen nicht ontisch wahr sein könnten - nach wie vor höchst unklar. Nehmen wir erst einmal an, hier sei Aussagenwahrheit gemeint. In dem Falle erhielten wir: "Eine Tatsache ist eine Aussage, die über etwas wahr ist." Das hört sich nun merkwürdig an - vermutlich ist das nicht gemeint [x]. Vielleicht ist hier wieder ontische Wahrheit gemeint. Dann hätten wir: "Eine Tatsache ist etwas, das über etwas ontisch wahr ist." In dem Falle allerdings wäre das erklärungsbedürftig, denn "ontische Wahrheit" ist ein philosophischer Terminus Technicus (ein mE in der Philosophie recht ungebräuchlicher noch dazu) und kein Begriff der Alltagssprache. Das beiseitegestellt folgt allerdings daraus, dass demnach Tatsachen ontisch wahr sein können - es ist schwer zu leugnen, dass "etwas, das über etwas wahr ist" die Eigenschaft "wahr" hat. Ebenso wüsste ich nicht, wie man die Aussage anders interpretieren kann, als dass sich das erste "etwas" auf eine Tatsache bezieht.

[x] Anmerkung: es sei denn, Gabriel würde eine Identitätstheorie der Wahrheit vertreten, d.h. meinen, dass Aussagen und Tatsachen identisch seien.




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Herr K.
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Mi 29. Nov 2017, 15:13

Ach, Mist, jetzt habe ich aus Versehen schon wieder meinen Beitrag gelikt, wollte eigentlich nur einen Grammatikfehler berichtigen. Könnte jemand von Euch Administratoren entweder den Like-Button weit weg vom Edit-Button platzieren oder aber alternativ die Möglichkeit, eigene Likes durch erneutes Klicken auf die Gefällt-Anzeige zu entfernen, wieder herstellen? (Oder zumindest mein Like meines Beitrages wieder entfernen?)




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Jörn Budesheim
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Mi 29. Nov 2017, 16:08

Ich hätte zwei Fragen: was verstehst du unter Tatsache. Und was ist dein Argumentationziel in dem Beitrag zuvor? Ich begreife gar nicht worauf du hinaus willst.




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Herr K.
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Mi 29. Nov 2017, 16:28

Unter einer Tatsache verstehe ich einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, eine wirkliche Situation, einen bestehenden Sachverhalt.

Das Ziel meines Beitrages oben ist es, dem Begriff "Wahrheit" näher zu kommen.




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Alethos
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Mi 29. Nov 2017, 19:50

Die Frage, was Tatsachen sind, ist gar nicht so abwegig und mit Selbstverständlichkeit zu beantworten. Je mehr ich mich, auch in diesem Thread, mit der Definition auseinandersetze, desto verschwommener werden die Konturen.

Eine Tatsache, für mich, ist Seiendes mit Seiendem in selbstgetragenem Sein. Selbstgetragen bedeutet hier, dass ihr Sein nicht von einem denkenden Akt abhängt, sondern für sich besteht.
Wenn wir aber das so sagen, dann ergeben sich Schwierigkeiten: Wenn Seiendes mit Seiendem relational verbunden ist, z.B. in der Tatsache: ‚Die Katze liegt auf der Matte‘, dann gilt diese Tatsache nur für diesen beschriebenen Auschnitt der Wirklichkeit und nur für die Relation des einen ‚Dings‘ mit dem anderen. Die Katze aber ist natürlich relational zu allem anderen, das sich in diesem Bereich befindet, aber auch zu allen anderen Bereichen, die sind, also ja selbst zur Venus steht sie in ontologischer Relationalität. Die Tatsache, die wir hier so unproblematisch als eigenständig beschreiben, zeigt sich unter diesen Voraussetzungen perspektivisch ‚eingepasst‘, denn es wird ja nicht die Gesamtheit der Relationalitäten thematisch, sondern nur mit einem bestimmen Fokus (Sinnfeld, Seinsbereich etc.) auf diese Tatsache gedanklich Bezug genommen. Diese partielle Sicht auf die Tatsache halte ich nicht für subjektiv, sondern für eine ontisch der Tatsache immanente Partialität, die sich thematisieren lässt. Aber, dass wir überhaupt auf sie fokussieren, zeigt doch eine gewisse gedankliche Partizipation an der Konstruktion der Tatsache selbst, die wir reduzieren auf einen bestimmten Tatsachengehalt. Da wir dieses und nicht das andere in den Blick nehmen, sind wir am Sein der Tatsache Beteiligte.

Darf man dieser Argumentation so folgen?



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Herr K.
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Mi 29. Nov 2017, 20:31

Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 19:50
Eine Tatsache, für mich, ist Seiendes mit Seiendem in selbstgetragenem Sein. Selbstgetragen bedeutet hier, dass ihr Sein nicht von einem denkenden Akt abhängt, sondern für sich besteht.
[...]
Da wir dieses und nicht das andere in den Blick nehmen, sind wir am Sein der Tatsache Beteiligte.

Darf man dieser Argumentation so folgen?
Das sind nun 2 Punkte, wobei ich dem ersten nicht zustimme, bei dem zweiten weiß ich noch nicht so recht. Eine Tatsache ist für mich wie (grob) gesagt ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit, aber das hat nun nichts mit dem zu tun, was Du hier "selbstgetragen" nennst, denn mE gehören auch denkende Akte zur Wirklichkeit. Demnach wäre [die Katze sitzt auf der Matte] ebenso eine Tatsache wie z.B. [Herr K. schreibt gerade diesen Beitrag], wobei es hierbei für mich ohne Belang ist, dass die zweite Tatsache nicht in Deinem Sinne selbstgetragen ist, sondern von (in diesem Falle: meinen) denkenden Akten abhängt.

Bei dem zweiten Punkt bin ich mir nicht sicher, ob ich Dich richtig verstanden habe. Wir können Tatsachen in den Blick nehmen, aber (einige) Tatsachen bestehen mE unabhängig davon, ob sie in den Blick genommen werden oder nicht, insofern sind wir also nicht am Sein jeder Tatsache Beteiligte. Dass hingegen jemand einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit ins Visier nimmt und nicht einen anderen, liegt - wieder grob gesagt - wohl großteils am Betrachter.

Eigentlich würde ich nun aber lieber weiter über den Begriff "Wahrheit" reden und nicht über den Begriff "Tatsache"....




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Alethos
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Mi 29. Nov 2017, 21:06

Herr K. hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 20:31
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 19:50
Eine Tatsache, für mich, ist Seiendes mit Seiendem in selbstgetragenem Sein. Selbstgetragen bedeutet hier, dass ihr Sein nicht von einem denkenden Akt abhängt, sondern für sich besteht.
[...]
Da wir dieses und nicht das andere in den Blick nehmen, sind wir am Sein der Tatsache Beteiligte.

Darf man dieser Argumentation so folgen?
Das sind nun 2 Punkte, wobei ich dem ersten nicht zustimme, bei dem zweiten weiß ich noch nicht so recht. Eine Tatsache ist für mich wie (grob) gesagt ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit, aber das hat nun nichts mit dem zu tun, was Du hier "selbstgetragen" nennst, denn mE gehören auch denkende Akte zur Wirklichkeit. Demnach wäre [die Katze sitzt auf der Matte] ebenso eine Tatsache wie z.B. [Herr K. schreibt gerade diesen Beitrag], wobei es hierbei für mich ohne Belang ist, dass die zweite Tatsache nicht in Deinem Sinne selbstgetragen ist, sondern von (in diesem Falle: meinen) denkenden Akten abhängt.
Ich meine schon, dass wir differenzieren müssen zwischen Einstellungen, Fiktionalität, Gefühlen, Gedanken, Moralität etc. und allen anderen rein ontischen Dingen in der Welt. Aber für die Überlegung, die du als 2. beschreibst, dass es sich bei Tatsachen um Ausschnitte aus der Wirklichkeit handelt, spielt die Unterscheidung der Tatsache in von Menschen hervorgebrachte oder von leblosen Dingen hervorgebrachte keine Rolle, meine ich. Es geht ja darum zu sagen, dass wir etwas in den Blick nehmen und als Tatsache beschreiben und dabei alles andere objektiv zur Tatsache gehörende ausblenden, um die Tatsache ontologisch zu isolieren. Das halte ich für ein Indiz am Beteiligtsein von Menschen an der Tatsache, die ja eben gerade nicht nur diese jeweils von uns beschriebene ist. Die ontische Perspektive auf etwas, das sich als diese Tatsache zeigt, wird von der Wirklichkeit ‚angeboten‘, aber das Angebot, aus der Fülle aller Aspekte dieser Relationen diese Tatsache zu wählen, ist doch nicht ganz ohne Belang. Aber ja, vielleicht bin ich auf dem Holzweg.

Jedenfalls denke ich, dass dies alles untrennbar zu Überlegungen zu Wahrheit gehört. Also ja, reden wir von Wahrheit, ich bin dabei.



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Mi 29. Nov 2017, 21:45

Noch kurz ergänzend zu meinem letzten Beitrag:

Wenn die Wirklichkeit alle bestehenden und neu hinzukommenden Relationen aller Dinge miteinander beinhaltet, dann sagt doch die ontische Wahrheitstheorie nichts falsches, wenn sie sagte: ‚Alles, was ist, ist wahr.‘ Denn ob die Tatsachen fokussiert weden oder nicht, sie können theoretisch je alle Ausschnitte von Wirklichkeit werden und über sie liesse sich jeweils sagen: ‚Es ist wahr, dass x‘ im Sinne von: ‚Es existiert die Wirklichkeit von diesem und jenem in diesem und jenem Bereich‘. Das liesse sich doch überführen in die Aussage: ‚Alles ist, je in seinem Bereich, und dies ist wahr.‘ (Was nicht ist, wäre auch nicht wahr) Alles also, das ist, ist wahr an sich, ob wir uns auf die Tatsache als eingekreisten Wirklichkeitsbereich fokussieren oder nicht, ob wir von diesem Bereich wissen oder nicht - Wir sagen aus: ‚Es ist über das Seiende wahr, dass es ist und es ist als Seiendes wahr, weil es ist.‘ Das stellt zugegeben eine allgemeine Aussage über alle konkreten Aussagen dar und die Wahrheit kommt so nicht in die Tatsache. Aber es zeigt zugleich, dass, steckte in der Existenz der Tatsache selbst keine Wahrheit, die Tatsache die Aussage auch nicht ‚wahrmachen’ könnte.

Das hier Gesagte ist nur ein Gedankenaustausch, ein lautes Denken. Es bleibt alles sehr angreifbar, das ist mir klar.



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Mi 29. Nov 2017, 21:55

Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:06
Ich meine schon, dass wir differenzieren müssen zwischen Einstellungen, Fiktionalität, Gefühlen, Gedanken, Moralität etc. und allen anderen rein ontischen Dingen in der Welt.
"Rein ontische Dinge in der Welt" kommt mir erstens doppelt gemoppelt vor (es reichte hier doch, einfach zu sagen: "Dinge in der Welt", oder?), außerdem ist mir nicht klar, was denn "Dinge in der Welt" von Einstellungen, Fiktionalität, Gefühlen, Gedanken, Moralität etc. unterscheidet, bzw.: in welchem Sinne Letztere keine Dinge in der Welt sind.
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:06
Es geht ja darum zu sagen, dass wir etwas in den Blick nehmen und als Tatsache beschreiben und dabei alles andere objektiv zur Tatsache gehörende ausblenden, um die Tatsache ontologisch zu isolieren.
Nein, bei meinem Begriff von "Tatsache" geht es gerade nicht um Erkennen, Wahrnehmen, Beschreiben, Ausblenden, Wissen oder dergleichen mentale Akte. Eine Tatsache in meinem Sinne kann unabhängig von jeglichen mentalen Akten bestehen, d.h. wird dann nicht durch mentale Akte in ihre Existenz gerufen.
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:06
Jedenfalls denke ich, dass dies alles untrennbar zu Überlegungen zu Wahrheit gehört. Also ja, reden wir von Wahrheit, ich bin dabei.
Ich hatte oben in meinem Beitrag 8395 schon ein bisschen vorgelegt. Vielleicht hast Du diesen oder jenen Einwand dazu und kommst irgendwann mal dazu, die zu äußern, das würde mich freuen.




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Mi 29. Nov 2017, 22:12

Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:45
Wenn die Wirklichkeit alle bestehenden und neu hinzukommenden Relationen aller Dinge miteinander beinhaltet, dann sagt doch die ontische Wahrheitstheorie nichts falsches, wenn sie sagte: ‚Alles, was ist, ist wahr.‘
Ich würde diese Aussage als Definition verstehen und eine solche Definition kann mE weder wahr noch falsch sein. Ergo: stimmt, dann sagte sie nichts Falsches. Allerdings ist diese Definition inhaltsleer, bzw.: sie sagte nichts anderes aus, als dass "wahr" synonym zu "ist" sei. Anders gesagt: sie sagte nicht mehr aus als die Definition: ‚Alles, was ist, ist glurbl.‘

Allerdings hat das nun gar nichts damit zu tun, ob die Wirklichkeit alle bestehenden und neu hinzukommenden Relationen aller Dinge miteinander beinhaltet oder nicht.
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:45
Wir sagen aus: ‚Es ist über das Seiende wahr, dass es ist und es ist als Seiendes wahr, weil es ist.‘
Das wäre jedoch wieder nicht informationsreicher, als zu sagen: ‚Es ist über das Seiende glurbl, dass es ist und es ist als Seiendes glurbl, weil es ist.‘

Der Unterschied wäre lediglich, dass "wahr" auch noch andere Bedeutungen hat als "glurbl" und außerdem sind diese anderen Bedeutungen von "wahr" (zumindest meist) positiv belegt.

Scheint mir ein Argumentationstrick zu sein: man definiert einfach irgendwas so, dass es synonym zu einem positiv belegten Begriff ist. Wobei dann zwar der positiv belegte Begriff eine andere Bedeutung bekommt, aber evtl. bleibt ja dann zumindest die positive Konnotation dabei erhalten.




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Alethos
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Herr K. hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:55
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:06
Ich meine schon, dass wir differenzieren müssen zwischen Einstellungen, Fiktionalität, Gefühlen, Gedanken, Moralität etc. und allen anderen rein ontischen Dingen in der Welt.
"Rein ontische Dinge in der Welt" kommt mir erstens doppelt gemoppelt vor (es reichte hier doch, einfach zu sagen: "Dinge in der Welt", oder?), außerdem ist mir nicht klar, was denn "Dinge in der Welt" von Einstellungen, Fiktionalität, Gefühlen, Gedanken, Moralität etc. unterscheidet, bzw.: in welchem Sinne Letztere keine Dinge in der Welt sind.

Ja, es würde wohl reichen von Dingen in der Welt zu reden. Aber es gibt Dinge wie Tassen und ‚Dinge‘ wie Moralität. Ich denke schon, dass es einen Unterschied gibt. Aber ich halte diese Unterscheidung für nicht hilfreich, weil es das ohnehin schwierige Thema noch zusätzlich verkompliziert. Zudem halte ich sie mit Bezug auf meinen Gedankengang von oben gar nicht für relevant. Ich habe auf die Unterscheidung nur Bezug genommen wegen deines Einwandes, dass Gedanken nicht selbstgetragen seien, weshalb die Definition von ‚selbsgetragenem Sein von Seiendem‘ für Tatsachen bei dir keine Zustimmung fand. Wie gesagt, für den Gedanken zur Fokussierung halte ich die Unterscheidung für wenig produktiv. Wir können sie aber gerne andernorts weiter besprechen.
Herr K. hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:55
Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:06
Es geht ja darum zu sagen, dass wir etwas in den Blick nehmen und als Tatsache beschreiben und dabei alles andere objektiv zur Tatsache gehörende ausblenden, um die Tatsache ontologisch zu isolieren.
Nein, bei meinem Begriff von "Tatsache" geht es gerade nicht um Erkennen, Wahrnehmen, Beschreiben, Ausblenden, Wissen oder dergleichen mentale Akte. Eine Tatsache in meinem Sinne kann unabhängig von jeglichen mentalen Akten bestehen, d.h. wird dann nicht durch mentale Akte in ihre Existenz gerufen.
Auch für mich sind Tatsachen nicht an mentale Prozesse geknüpft. Das gerade wollte ich mit Selbstgetragenheit verdeutlichen.

Meinen Gedanken habe ich eher zum Zwecke der Auslotung mehrerer Wahrheitsoptionen entwickelt :) Angestossen durch die Frage von Jörn: ‚Was sind für dich Tatsachen.‘

Und mein Gedankengang lautet so: Wenn wir von einer Tatsache sprechen, dann sprechen wir in der Regel von der Relationalität bestimmter Dinge zueinander. Die ‚Katze’ ist relational zur ‚Matte’, auf der sie ‚liegt’. Das beschreibt eine Tatsache. Aber die Tatsache besteht damit ja nur scheinbar abgeschottet von allen anderen Gegebenheiten, die zugleich darüber wahr sind, z.B. dass es meine Katze ist, dass sie weiss ist, dass sie am Abend dort liegt, dass sie 8 Jahre alt ist, etc. etc.

Das, was wir je eine Tatsache nennen, ist immer nur ein Ausschnitt von Wirklichkeit, wie du schon sagtest, der gerade alles andere, was über den Umstand der Tatsache auch und zugleich wahr ist, aussen vor lässt. Die Tatsache kommt an sich selbst vor, aber an sich selbst kommt sie in der Fülle von durch uns nicht vollzogenen Individuationen vor. Diesen Umstand, dass wir die Tatsachen immer nur in einer bestimmten Weise individuiert betrachten können halte ich für ein mögliched Indiz für die Plausibilität der ontischen Wahrheitstheorie. Denn wenn unsere Erkenntnis gerade nur den engen Fokus auf die konkrete Tatsache bringt, aber alles andere ausblendet, das die Tatsache auch noch mit sich führt, sich die Wahrheit aber gerade auf die Aussage über diese erkenntnisbedingt eingeschränkte Tatsache allein beziehen kann, dann würde die Aussagenwahrheit im selben Mass auf diesen Fokus beschränkt bleiben. Die Wahrheit über etwas kann aber nicht nur das sein, was einer erkennen kann, der andere nicht. Wahr muss sein, was grundsätzlich alle erkennen könnten. Wenn die Tatsache also ist, dann ist auch potenzielle Wahrheit. Dass eine Tatsache Wahrmacher überhaupt sein kann, könnte also für die ontische Wahrheitstheorie sprechen, insofern dass die Aussage durch die Tatsache ja wahr gemacht wird, was sie nicht könnte, hätte sie selbst nicht Anteil an Wahrheit.

Nochmal, es geht hier um Optionen, nicht um Platonismus :)
Herr K. hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 21:55
Ich hatte oben in meinem Beitrag 8395 schon ein bisschen vorgelegt. Vielleicht hast Du diesen oder jenen Einwand dazu und kommst irgendwann mal dazu, die zu äußern, das würde mich freuen.
Gerne!



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Herr K. hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 16:28
Unter einer Tatsache verstehe ich einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit, eine wirkliche Situation, einen bestehenden Sachverhalt.
Dass die Tasse rot ist ist eine Tatsache, allerdings keine Situation.

Was ein bestehender Sachverhalt ist, kann man meines Erachtens nicht begreifen, wenn man nicht schon weiß, was eine Tatsache ist. Das scheint mir etwas zu zirkulär.

Ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit wäre z.b. diese Tasse. Dinge sind auch Ausschnitte aus der Wirklichkeit.




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Alethos hat geschrieben :
Mi 29. Nov 2017, 19:50
Darf man dieser Argumentation so folgen?
Wenn ich dich richtig verstehe, machst du folgendes geltend: Es gibt eine unbestimmt große Anzahl von Tatsachen. Und daraus folgt nach deiner Ansicht dass die bestimmte Tatsache, die wir in den Blick nehmen, z.b., dass die Katze auf der Matte sitzt, in irgendeiner Weise mit uns zusammenhängt, weil wir schließlich diese Tatsache herausgegriffen haben und keine andere.

Ich schätze auch, dass der logische Raum eine unendliche Weite ist, metaphorisch gesprochen. Und was wir aus diesem Raum herausgreifen, ist interessenrelativ (oder was auch immer). Dass wir dieses herausgreifen, jenes nicht, das hängt an uns. Aber daraus folgt doch nicht, dass es nicht bereits ohne uns schon vorlag. Oder?




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Nov 2017, 06:03
Aber daraus folgt doch nicht, dass es nicht bereits ohne uns schon vorlag. Oder?
Das glaube ich definitiv auch nicht. Aber es zeigt, dass der Begriff der Tatsache resp. das, was er für uns bedeutet, nicht ganz so unberührt ist durch uns. Interessenrelativ ist ein neuer Begriff, und trifft es gut.



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Do 30. Nov 2017, 12:46

Interessenrelativ
Mir scheint, dass diese Problematik ähnlich gelagert ist wie das Perspektivenproblem. Wir hatten das andernorts diskutiert. Ich denke nicht, dass die Perspektive rein ontisch sein kann und an sich, ohne ob der Beweisführung darüber in Widersprüche zu geraten.



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